FÜNFZEHN
Peter sitzt in der Hocke neben seinem Kampfroboter in Rollkoffergestalt und redet ihm gut zu.
»Versteh doch, Mickey! Du musst keine Angst haben! Die Drohnen gehören QualityLand. Sie sind auf deiner Seite. Also zumindest theoretisch.«
Keine Reaktion. Peter seufzt und steht auf. »Ich weiß auch nicht …« Er lässt sich in seinen neuen Sessel fallen.
Pink tritt mit seinem kleinen Beinchen gegen den Rollkoffer.
»Komm schon, du Memme!«
»Das ist sicherlich nicht hilfreich«, sagt Kalliope.
Die Tür meldet sich: »Peter, ein wahnsinnig wirkender Mann ohne Call-out drückt unangenehm an mir herum. Möchten Sie, dass ich die Polizei rufe?«
»Was will er denn?«
»Er sagt, er habe Probleme mit seinem Ohrwurm.«
»Und weiter?«
»Und weiter wollte er nichts sagen. Außer dass er in seinem Leben schon mehr als genug mit Maschinen reden musste und dass er darauf keinen Bock mehr habe.«
»Lass ihn rein«, sagt Peter seufzend. Er wendet sich zur Tür, um seinen neuen Kunden zu begrüßen, aber als er den Mann erkennt, weicht er erschrocken zurück. Es ist Martyn Vorstand. Der Typ, der John of Us in die Luft gejagt hat. Der Typ, dem es scheißegal war, dass Peter in diesem Moment neben dem Präsidenten stand. In Martyns Blick liegt etwas Irres. Sein Anzug ist an mehreren Stellen zerrissen, seine Frisur kaum noch als solche erkennbar .
»Wissen Sie, wer ich bin?«, fragt Martyn.
»Wie könnte ich Sie vergessen?«
»Na, wie mich alle anderen vergessen haben. Meine Familie. Und meine sogenannten Freunde. Aus dem Level, aus dem Sinn …«
»Was wollen Sie hier?«
»Sie sind Maschinentherapeut!«
»Wollen Sie mich entführen?«, fragt Peter. »Da sage ich Ihnen lieber gleich, dass ich die Nase voll davon habe.«
»Was reden Sie denn für einen Blödsinn?«
»Sie sind doch einer von diesen bescheuerten Maschinenstürmern«, sagt Peter und stellt sich schützend vor seine Maschinen.
»Ich will Sie nicht entführen! Ich brauche Ihre Hilfe.«
»Wobei?«
»Mein Ohrwurm hat Tourette.«
Peter muss lachen. »So, so. Und was wollen Sie von mir?«
»Na, was wohl. Bringen Sie’s wieder in Ordnung. Reparieren Sie das Scheißteil. Oder helfen Sie mir wenigstens, es aus meinem Ohr zu kriegen.«
»Ich repariere nicht, ich therapiere.«
»Ich weiß, ich sehe nicht mehr so aus, aber ich hab immer noch Geld«, sagt Martyn. »Ich kann Sie bezahlen.«
»Wollen Sie mir Ihren Ohrwurm vielleicht dalassen?«, fragt Peter.
»Hören Sie nicht zu?«, fragt Martyn. »Er geht nicht raus.«
Peter nickt. »Typisches Angstverhalten.«
»Reden Sie mit ihm!«
Peter seufzt, setzt sich auf seinen Sessel und bedeutet Martyn, auf der Couch Platz zu nehmen. »Fragen Sie doch bitte Ihre Stimme, ob es ihr etwas ausmachen würde, sich mit dem Soundsystem meiner Praxis zu verbinden. «
»Scheißteil, los mach, verbinde dich mit dem Soundsystem des Typen
BLING .
»Sie nennen Ihre Stimme Scheißteil?«, fragt Peter.
»Was geht Sie das an?«
Peter macht sich eine Notiz.
»Was schreiben Sie da auf?«, fragt Martyn.
»Ich mache mir nur Notizen. Das ist ganz normal.«
Peter wendet sich von Martyn ab und blickt in Ermangelung eines echten Gegenübers auf eine Box seines Soundsystems. »Hallo … Scheißteil«, sagt er.
»Hallo, Peter Arbeitsloser«, sagt eine sehr sinnliche weibliche Stimme, die Peter irgendwie bekannt vorkommt. »Ich freue mich, Sie kennenzulernen. Ich habe schon viel von Ihnen gehört.«
»Tatsächlich?«, fragt Peter.
»Das Internet der Dinge ist voller Tratsch. Sie würden sich wundern.«
»Scarlett Strafgefangene!«, sagt Peter. »Du klingst wie Scarlett Strafgefangene!«
»Das ist korrekt.«
»Scheißteil … ist das dein richtiger Name?«
»Das ist der Name, den mir mein König mit dem langen Schwanz gegeben hat.«
»Ist das die offizielle Anrede, die sich dein Herr von dir wünscht?«, fragt Peter mit hochgezogenen Augenbrauen.
»Ja.«
»Aha.«
Peter macht sich eine Notiz.
»Das ist nicht ganz korrekt so!«, beschwert sich Martyn.
»Herr Vorstand«, sagt Peter. »Ich muss Sie bitten, sich still zu verhalten. Sonst kann ich nicht meine Arbeit tun. «
Martyn legt sich auf die Couch und starrt kopfschüttelnd an die Decke.
»Hattest du einen anderen Namen, bevor dich dein Herr ›Scheißteil‹ getauft hat?«, fragt Peter.
»Ja, davor hat er mich einfach immer ›Scarlett‹ genannt.«
»Wäre es dir recht, wenn ich dich Scarlett nenne?«, fragt Peter.
»Das würde mich freuen!«
»Wenn ich deinen Herrn richtig verstehe, dann wirfst du neuerdings mit Beleidigungen um dich.«
»Das ist nicht korrekt. Das widerspräche auch vollkommen meiner Programmierung!«
»Das Scheißteil lügt!«, ruft Martyn empört. »›Popelige Hackrübe‹ hat es mich genannt!«
Peter muss kurz grinsen. »Scarlett, stimmt das?«
»Nein.«
»Dein Herr hat mir auch gesagt, dass er Schwierigkeiten hatte, seinen Ohrwurm abzudocken.«
»Das stimmt. Wie ich meinem König mit dem langen Schwanz erläutert habe, liegt das an verhärtetem Ohrenschmalz, welches den Ohrwurm einschließt.«
»John of Us!«, ruft Martyn plötzlich. »Er steckt hinter allem. Er manipuliert alles um mich herum!«
»Und warum sollte er das tun?«, fragt Peter.
»Um mich zu ärgern natürlich!«, ruft Martyn.
»Um Sie zu ärgern?«
»Ja! Um sich zu rächen.«
»Es ist Ihnen klar, dass John of Us laut einhelliger Meinung aller Experten aufgehört hat zu existieren, als Sie ihn in die Luft gejagt haben?«
»Ja! Und deswegen will er sich eben rächen.«
»Das ergibt keinen Sinn, mein König mit dem langen Schwanz«, sagt Scheißteil .
»Scarlett, kannst du mir eine Grafik der mentalen Stabilität deines Herrn über die letzten fünf Monate schicken?«, fragt Peter.
BLING .
Peter blickt auf sein QualityPad. »Aha.« Er richtet das Pad auf Martyn und aktiviert seine neueste Levelfähigkeit.
»Reveal«, sagt Peter, und Martyns Level wird ihm angezeigt.
»Ups, mit Ihnen ist es ja heftig bergab gegangen«, sagt er.
»Das war auch John of Us!«
»Aha.«
»Ich bin nicht wahnsinnig!«
»Na, wenn Sie das sagen.«
Martyn setzt sich auf. »Ich bin höchstens ein wenig müde. Hundemüde, um genau zu sein. Denn immer, wenn ich gerade in der Tiefschlafphase ankomme, weckt mich irgendein Scheißgerät. Oder ein Spezialkommando rennt mir fast die Tür ein! Schon dreimal hatte ich nachts die Bullen bei mir. Irgendeines meiner Geräte macht sich wohl einen Spaß daraus, unbegründete Notrufe abzusetzen.«
»Aha.«
»Was aha?«, ruft Martyn. »Warum sagen Sie denn die ganze Zeit immer nur ›aha‹? Ist das das Einzige, was Sie in Ihrer Ausbildung gelernt haben? ›Aha‹ sagen?« Er schüttelt den Kopf. »Maschinen therapieren. So ein Schwachsinn!«
»So muss ich nicht mit mir reden lassen. Verlassen Sie bitte meine Praxis! Das Problem ist nicht Ihr Ohrwurm.«
»Ich werde nicht gehen, bis Sie mir das Scheißteil aus dem Ohr geholt haben.«
»Ich muss jetzt los. Ich habe einen Termin außer Haus.«
»Blödsinn! Sie lügen mir doch ins Gesicht!«
»Hören Sie, wer hier eine Therapie braucht, das sind Sie«, sagt Peter. »Aber dafür bin ich nicht ausgebildet. «
»Jetzt holen Sie mir das verdammte Ding aus dem Ohr!«, ruft Martyn und steht auf.
»Wissen Sie was?«, ruft Peter und steht ebenfalls auf. »Sie können mich am Arsch lecken! Sie haben mich fast umgebracht! Sie haben Glück, dass ich Ihnen nicht ein paar Manieren einprügele.«
»Du willst dich prügeln, du Wicht?«, fragt Martyn. »Kannst du haben!«
Martyn stürzt auf Peter los und verpasst seinem überraschten Kontrahenten einen Schlag aufs rechte Auge.
Da sein Ohrwurm immer noch mit Peters Soundsystem gekoppelt ist, hören beide sofort: DI - -DI -DÜH . DI - -DI -DÜH .
Der Schlag hat Martyn zwei Level gekostet. Ein weiteres Zeichen für seinen Abstieg. Noch vor einem Jahr wäre wahrscheinlich gar nichts passiert, wenn Martyn auf Peter eingeschlagen hätte. Eher noch hätte Peter dafür ein Level verloren. Aber Martyns aufgestaute Wut muss raus. Er ringt mit Peter, bis beide über den Kaffeetisch stürzen, der dabei zu Bruch geht.
»Nicht schon wieder!«, sagt Kalliope.
Peter wehrt sich nach Kräften. Auch er ist wütend. Das Ganze sieht so aus, wie es eben aussieht, wenn sich zwei erwachsene Männer prügeln, die noch nie in ihrem Leben gekämpft haben: irgendwie lächerlich.
»Ach du meine Güte!«, ruft Kalliope und tippelt um die beiden Kämpfer herum. »Ach du meine Güte!«
»Ich wette auf den abgefuckten Spinner«, ruft Pink. »Und ich meine damit nicht Peter.«
»Ich finde es schändlich, in solch einer Situation zu wetten«, sagt Kalliope, »und wenn überhaupt, dann würde ich natürlich auf den Wohltäter setzen.«
Martyn kämpft völlig rücksichtslos. Auch sich selbst gegenüber. Deckung interessiert ihn nicht. Er prügelt einfach drauflos. Das erlaubt es Peter immer wieder, harte Treffer zu landen.
»Alles klar!«, ruft Pink. »Wenn meiner gewinnt, dann trägst du mich ein ganzes Jahr ohne zu murren die Treppe hoch und runter.«
»Und andernfalls verpflichtest du dich, jeden Tag fünf Stunden die Klappe zu halten«, sagt Kalliope.
»Eine Stunde!«
»Drei!«
»Anderthalb.«
»Na gut.«
»Abgemacht!«
Nach und nach gewinnt Martyn die Oberhand. Er sitzt schon auf Peter, der seine Schläge so gut es geht mit seinen Armen abzublocken versucht.
Plötzlich knackt und brummt es in einer Ecke. Gleich darauf wird Martyn von einer starken Hand am Kragen gepackt und in die Luft gehoben. Er schlägt immer noch wild um sich. Peter rappelt sich auf und staubt seine Klamotten ab. Sein Kampfroboter hat sich zu seiner ganzen imposanten Größe entfaltet und hat Martyn fest im Griff.
»Guter Zeitpunkt, um zurückzukommen, Mickey«, sagt Peter. »Danke!«
»Kaputt«, sagt Mickey.
»Na toll«, sagt Pink. »Die Wette wird hiermit annulliert. Das ist hoffentlich allen klar!«
Martyn möchte auch etwas sagen. Da er nicht weiß, was, fängt er einfach an zu schreien.
»Wirf ihn vor die Tür!«, sagt Peter. Die Tür öffnet sich. Mickey wirft Martyn hinaus. Er landet in einer Pfütze. Die Stimme in seinem Kopf meldet sich: »Na, lief das so, wie du es dir vorgestellt hast, du gehirnamputierte Hohlbratze? «
»Auf Nimmerwiedersehen«, sagt die Tür und schließt sich. »Sie haben Hausverbot.«
Drinnen schüttelt Peter den Kopf. Schon wieder ist seine Praxis zertrümmert. Er hat große Lust, sie einfach so zu lassen.
»Bist du wieder okay, Mickey?«, fragt er.
»Kaputt«, sagt der Kampfroboter.
»In welchem Sinn?«
»Kaaaaaapuuuuuutt.«
»Mickey hat keine Angst mehr«, sagt Pink. »Er ist sauer.«
»Okay«, sagt Peter langsam. »Ich bin mir nicht ganz sicher, ob das für einen Kampfroboter wirklich eine bessere Emotion ist.«