In der Vorstellung der antiken Völker war die „Fallsucht“ eine von den Göttern stammende Krankheit. Doch schon recht früh sprachen sich rational geprägte Ärzte gegen diese in der Bevölkerung vorherrschende Ansicht aus.
Eine der ersten fassbaren Schriften stammt aus dem Corpus Hippocraticum. Der Autor des Werkes Über die heilige Krankheit, der wahrscheinlich nicht Hippokrates selbst war, vermutet wie bei allen anderen Krankheiten eine gänzlich natürliche Ursache. Polemisch wendet er sich an seine ärztlichen Kollegen, die an der göttlichen Ursache festhalten, und wirft ihnen vor, nur aus Ratlosigkeit und Angst vor den Konsequenzen bei Therapieversagen den Kranken zu sagen, dass die Fallsucht heilig sei. Entsühnungen und Besprechungen, Einreibungen mit Blut und auch ihre zweifelhaften Empfehlungen zur Diätetik seien vollkommen sinnlos.
Der Autor seinerseits ist der Ansicht, dass diese Krankheit vererbt wird und nur diejenigen Menschen befällt, die nach der Viersäftelehre eine schleimige Konstitution besitzen. Ein Überschuss an Schleim im Gehirn sei der Auslöser. Dieser Schleim sucht sich seinen Weg nach unten in den Körper des Menschen. Wenn er dabei die Adern verstopft, die Blut und Pneuma transportieren, so kommt es zu einem epileptischen Anfall. Der Kranke verliert die Sprache, leidet unter Erstickungsanfällen, Schaum fließt aus seinem Mund, die Zähne schlagen aufeinander, die Hände verkrampfen sich, er verdreht die Augen und verliert das Bewusstsein. Auch geht bei manchen während des Anfalles Kot ab. All dies geschehe, weil der kalte Schleim in das warme Blut fließe und es zum Stehen bringe und zudem die Bewegung des Pneumas behindere.
Äußere Auslöser sind beim Kind meist psychische Erregungen wie Schreck, Furcht oder Weinen. Bei älteren Menschen sind es eher klimatische Bedingungen. So ist es nach Meinung des Autors sehr ungesund für die Kranken, wenn sie aus der Wärme des Feuers im Haus in die Kälte vor der Tür treten oder umgekehrt. Daher sind die Kranken besonders im Winter gefährdet. Auch das Umschlagen von Winden kann einen Anfall auslösen. Besonders gefährlich sei der Südwind. Wenn die Krankheit chronisch geworden ist, kann sie nicht mehr geheilt werden, da der Schleim das Gehirn zerfrisst. Das kann man erkennen, sagt der Autor, wenn man das Gehirn von Ziegen seziert, die auch recht häufig von der Krankheit befallen werden. Anders als die Menschen, deren Gehirn von Galle zerstört wird, sind die Patienten mit einer schleimigen Konstitution still in ihrer Krankheit, sie schreien und lärmen nicht, sind nicht aggressiv. Auch beschreibt der Autor, dass viele Kranke merken, wenn ein Anfall bevorsteht und sich aus Scham an einen einsamen Ort zurückziehen und sich verhüllen.
Exzellent und überaus detailliert hat Aretaios von Kappadokien (Ende 1. Jh. n. Chr.) die Epilepsie beschrieben. Wie der Autor der Schrift Über die heilige Krankheit nimmt er eine Veränderung der Säfte und des Pneumas als Auslöser der Krankheit an. Ausführlich beschreibt er den Anfallsverlauf, in dem zunächst die Kranken eine Aura aus Lichtblitzen, Ohrgeräuschen und üblen Geruchswahrnehmungen haben und dann ohne ersichtlichen Grund aufbrausend oder gereizt werden. Drastisch und in allen Einzelheiten erfolgt dann die Darstellung eines großen Anfalls mit all seinen furchtbaren Erscheinungen. Trotz der kühlen, sachlichen Schilderung fühlt man das Mitleid des Arztes, wenn er die Auswirkungen für die Kranken beschreibt und das schwere Schicksal betrauert. Wenn er einen solchen Anfall überstehe, lebe der Kranke „unter einem Druck von Scham, Schimpf und Schmerzen“. Und so manchen kindlichen Patienten habe die Krankheit entstellt. Und es bleibe nicht bei den Anfällen. Auch in den Zeiten dazwischen fühlten sich die Kranken matt, lustlos und niedergeschlagen. Viele seien menschenscheu, litten an Schlaflosigkeit und hätten keinen Appetit. Manche Patienten verlören auch den Verstand. Ursache der scheußlichen Krankheit sind nach Meinung des Arztes Kälte mit Feuchtigkeit, also eine schleimige Konstitution nach der Viersäftelehre.
Während eines Anfalles rät Aretaios zu äußerlichen Maßnahmen wie Erwärmen der kalten Gliedmaßen, Salben und Massieren der verdrehten Glieder und eventuell Hervorrufen von Erbrechen durch eine in Irissalbe getränkte Feder. Zwischen den Anfällen empfiehlt der Arzt sehr drastische Therapien wie heftige Ausleitungsverfahren durch die Gabe starker Abführ- oder Brechmittel, ausgiebige Aderlässe und wenn das alles nicht hilft, Trepanation des Schädels oder sogar Anwendung des Brenneisens am geöffneten Schädel. Wie die meisten anderen Ärzte misst auch Aretaios der Diätetik einen besonderen Wert zu. Ein geregeltes Leben, wozu auch ein äußerst maßvolles Sexualleben oder Enthaltsamkeit gehört, ist bei dieser Krankheit unausweichlich.
Celsus nennt die Epilepsie morbus maior oder morbus comitialis. Letzter Name stammt daher, dass ein epileptischer Anfall, der anlässlich einer Volksversammlung, also einer Comitia, auftrat, zum Abbruch der Versammlung führte. Hier ist noch die Deutung der Krankheit als göttlich erkennbar. Der Entstehung der Epilepsie widmet sich Celsus nicht, aber die Beschreibung des Verlaufes der Krankheit nimmt einen großen Platz ein. Auch schildert er, dass viele Kranke eine Vorahnung haben, wann ein Anfall bevorsteht. Tritt die Krankheit bereits in der Pubertät auf, so ist sie nach Celsus Ansicht am leichtesten zu heilen, je später sie im Leben zum ersten Mal auftritt, umso schlechter ist sie zu behandeln.
Während eines Anfalles empfiehlt Celsus Aderlässe, allerdings nur, wenn der Patient keine klonischen, unwillkürlichen Krämpfe hat. Immer sollte jedoch eine Entleerung des Darmes stattfinden, am Besten durch ein Klistier, auch die Anwendung der schwarzen Nieswurz zur Purgation ist angebracht, wenn der Kranke es aushält. In den ersten Tagen nach dem Anfall soll sich der Patient schonen, zwei Tage nichts essen, seinen Kopf rasieren und mit Öl und Essig salben. Wie die meisten ihrer ärztlichen Kollegen distanzieren sich Aretaios und Celsus von jeglichen magischen Mitteln wie z. B. Amuletten oder Einreibungen mit Gladiatorenblut zur Heilung der Epilepsie.
Auch der Kaiserarzt Galen ist der Ansicht, dass die Epilepsie aus zu viel Schleim im Gehirn entsteht, der den Fluss des Pneumas behindert. Die Mondphasen haben für ihn einen deutlichen Einfluss auf die Schwere und Häufigkeit der Anfälle. Ausführlich beschreibt Galen unterschiedliche Anfallsarten, die unseren heutigen Klassifikationen nahekommen. Die vorgeschlagenen Therapien entsprechen im Wesentlichen denen der meisten anderen Ärzte – Aderlass, Ausleitungsverfahren, ein geregeltes, maßvolles Leben und das Meiden von starken psychischen Erregungen. Auch er lehnt entschieden magische Methoden oder Mittel aus der sogenannten „Drecksapotheke“ ab, die ihn anwiderten.
Wie bei den heutigen Gewährsmängeln beim Pferdehandel wurde dem Käufer eines Sklaven eine Gewähr darauf gegeben, dass der Sklave frei von Epilepsie war. Sollte ein Anfall innerhalb von sechs Monaten auftreten, konnte der Sklave zurückgegeben werden. Aussatz und Unfruchtbarkeit bei Frauen waren die beiden anderen „Gewährsmängel“, die in den Kaufvertrag aufgenommen werden konnten.
Wenn die wissenschaftlich ausgerichteten Ärzte der Antike auch für die Epilepsie eine natürliche Ursache annahmen, so blieb in der Bevölkerung doch lange Zeit die Vorstellung von der von den Göttern gesandten, heiligen Krankheit bestehen.
Der griechische Arzt Eudemos lebte in der 1. H. des 1. Jhs. n. Chr. in Rom. Er gehörte der Schule der Methodiker an. Von ihm ist überliefert, dass er sich umfassend mit der Tollwut und der Melancholie beschäftigte und anerkannte Schriften dazu verfasste.
Der gelehrte Arzt war ein Freund der Livilla, der Schwiegertochter und Nichte des Kaisers Tiberius. Livilla war mit Drusus, dem Sohn des Tiberius verheiratet, der im Jahr 23 n. Chr. an einer schweren Krankheit starb. Der mächtige Prätorianerpräfekt Seianus liebte Livilla und hielt nach dem Tod des Drusus um ihre Hand an, die ihm, als nicht standesgemäß, zunächst verweigert wurde. Dennoch blieben Livilla und Seianus eng befreundet. Als Seianus im Jahr 31 n. Chr. des Hochverrates angeklagt und hingerichtet wurde, kamen Gerüchte auf, dass er mit Hilfe seiner Geliebten Livilla und des Arztes Eudemos den Kaisersohn Drusus einige Jahre zuvor vergiftet habe. Eudemos wurde gefangen gesetzt und gefoltert. Unter den Qualen der Folter gab er schließlich zu, den Giftmord begangen zu haben und wurde ebenfalls, vermutlich unschuldig, hingerichtet. Das verhängnisvolle Gerücht stammte von der rachsüchtigen, verlassenen Ehefrau des Seianus, und Tiberius, der in seinen späten Jahren sein nüchternes, klares Denkvermögen verlor, schenkte dem Schreiben der verbitterten Frau Glauben. Das kostete Eudemos und Livilla das Leben.