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Der Klempner mit den Zahlen

A ls Una an der Bushaltestelle nahe der Chamberlayne Road ausstieg, prasselte der Regen auf sie nieder. Normalerweise freute sie sich über ein bisschen Regen, der alle Oberflächen reinigte, doch das hier war ein Wolkenbruch mit starkem Gegenwind, der ihrem kompakten Regenschirm das Leben schwermachte. Wenigstens hatte ihre wasserdichte Jacke die 4,9-Sterne-Bewertung verdient, und nur ihr Gesicht war den Elementen ausgesetzt.

Ihre Waden schmerzten, während sie gegen den Wind ankämpfte. Die Straße lag verlassen da, kein Laut drang aus den Häusern. Sie warf einen Blick über die Schulter. Alles war still, bis auf den Wind, der an den dünnen Bäumen und ihr rüttelte. Als sie Eileens Haus erreichte, hielt sie inne. Die schwarz-goldenen Ziffern klebten noch immer auf dem Mülleimer.

Sie überquerte die Straße und läutete bei Hausnummer 22. Gerade schüttelte sie ihren Regenschirm aus, als Tommo ihr die Tür von Arthurs Haus öffnete. Er trug eine mit Farbe bespritzte blaue Latzhose und hatte die graue Mähne straff zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden.

»Hallo, Una. Regnet immer noch, was?«

Wasser tropfte ihr von der Nase auf die Oberlippe. »Ja, das stimmt.«

»Gib mir deinen Mantel, ich hänge ihn zum Trocknen auf. Tut mir leid, dass ich dich herbestellen musste. Wie gesagt, wir hätten das auch an einem anderen Tag machen können – oder über Zoom. Aber ein Notruf von Arthur … was soll man da machen?«

Una versuchte, sich mit der nassen Handfläche das Gesicht abzuwischen. »Überhaupt kein Problem. Ich wollte dich noch vor dem Wochenende sprechen und hielt ein persönliches Treffen für besser. Es dauert nicht lange, und es war nur eine kurze Busfahrt. Na ja, zumindest wäre es das gewesen, wenn er weniger Haltestellen angefahren hätte.«

Sie reichte ihm ihre Jacke, schlüpfte aus den nassen Turnschuhen und stellte sie in das Plastikregal im Flur, neben zwei auf Hochglanz polierte schwarze Schnürschuhe mit abgetragenen Sohlen.

»Oben im Bad tropft der Abfluss des Waschbeckens«, rief Tommo über die Schulter, bereits auf halbem Weg die Treppe hinauf.

Sie folgte ihm. Die Anaglypta-Tapete war an einigen Stellen abgenutzt, und der Treppenläufer enthielt Nylonfasern – sie dürfte keine metallischen Gegenstände berühren. Una hielt inne. Sie selbst könnte es nicht ausstehen, wenn ein Fremder in ihrer Wohnung herumspazierte und solche Details kritisierte.

Das Badezimmer war fensterlos und feucht. Tommo hatte den linken Wasserhahn abgedreht und ein Handtuch um den Sockel des avocadofarbenen Waschbeckens geklemmt. Una musterte das Becken – wenn sie sich darin die Hände waschen würde, müsste sie sie danach noch mal säubern.

»Wo ist Arthur?«, fragte sie.

»Beim Arzt, zur Blutabnahme. Er wollte den Termin nicht verschieben. Ist schon in Ordnung, er hat mir einen Satz Schlüssel gegeben – es ist besser, wenn er bei so einem kleinen Job nicht dabei ist. Ich weiß nicht, warum er nicht ein bisschen investiert, um das Bad zu renovieren, es ist schön groß.«

Una nickte und dachte an das winzige Duschbad ihrer eigenen Wohnung. »Jedenfalls danke, dass ich vorbeikommen durfte. Wie schon gesagt, ich stelle ein paar Fotos zusammen, die beim Hochzeitsessen als Überraschung für Ken und Mum gezeigt werden.«

»Das ist eine tolle Idee. Ich hab ein paar für dich ausgegraben.« Er reichte ihr sein Handy, und sie scrollte durch die Bilder. Einige waren neu, andere von denselben Anlässen, die sie schon bei Jean und John gesehen hatte, nur aus einem anderen Blickwinkel. Sie schickte alle auf ihr Handy – je mehr Daten, desto besser.

Tommo folgte ihrem Blick. »Das ist Eileen.«

»Kanntest du sie gut?«

»Nicht besonders, nur durch Ken. Er kannte sie schon, als sie noch kniehoch war. Eileen war großartig, ein bisschen zurückhaltend, aber sie hatte das Herz am rechten Fleck. Ich hab ihr bei ein paar Arbeiten rund ums Haus geholfen. Ich schaue mir nicht gern Bilder von ihr an. Nicht nach dem, was passiert ist.«

»Ach ja«, sagte Una, »der Unfall mit der Blumenampel.«

Tommos neutrale Miene wich einem Stirnrunzeln. »Ich versteh’s einfach nicht. Ich hatte den Korb erst einige Wochen zuvor aufgehängt. Wie er runterfallen konnte, werde ich wohl nie erfahren. Ich habe die Aufhängung selbst geprüft und kräftig daran gezogen. Na ja.«

Una zuckte zusammen. Sie war mit Tommo allein in diesem Haus, er hatte auf der gegenüberliegenden Straßenseite den Korb über Eileens Tür aufgehängt und schmierte die Einkaufswagen bei Trunnocks . Niemand wusste, dass sie hier war. Aber sie wollte vor der morgigen Beschattung die letzten Verhöre abschließen. Vorsicht war besser als Nachsicht.

»Und was ist mit Harry?«, fragte sie. »Ich habe noch nicht viele Fotos von ihm und würde gerne welche einfügen. War er bei irgendwelchen denkwürdigen Anlässen dabei?«

»Wie gesagt, er war eher Kens Freund. Ken kennt jeden. Ich habe Harry auf verschiedenen Veranstaltungen getroffen – er hat gern gelacht. Letztes Jahr habe ich seine Waschmaschine repariert, die hatte Kalkablagerungen. Kurz bevor ich diesen Buchclub ausprobiert habe.«

»Den Buchclub? Gab es da nicht einen großen Streit?«

Tommo konzentrierte sich darauf, den Wasserhahn wieder anzuschließen. »Ich bin nur einmal hingegangen, das ist nicht so mein Ding. Und ja, es gab einen großen Streit, aus dem ich mich raushalten wollte. Es ging um das Buch, das Harry vorgeschlagen hatte.«

Bis jetzt war das Gespräch reine Zeitverschwendung gewesen. Gefahr hin oder her, sie musste so viele Informationen wie möglich sammeln.

»War er die Sorte Mensch, die in Supermärkten Risiken eingeht?«

Tommo blickte zu ihr auf. »Er war ein ziemlich besonnener Mann«, sagte er. »Aber ich finde es unangebracht, dass du so neugierig bist, Una. Mit dieser Art von Fragen könntest du die Leute verärgern.«

Sie war zu weit gegangen – was, wenn die anderen sich untereinander über Unas Besuche austauschten?

»Tut mir leid, Tommo, das liegt an meinem Job. Da muss ich immer ins Detail gehen. Ich sollte ein bisschen respektvoller sein.«

»Du machst in Versicherungen, stimmt’s? Ich hab selbst keine, ich sehe keine Notwendigkeit. Ich meine, que será, será

Una schreckte vor dieser provokanten Aussage zurück. »Was?«

Das stellte ihre Absicht, neutral zu bleiben, auf eine harte Probe. Das war Blasphemie!

»Ich meine nur, man kann nie wissen, was die Zukunft bringt, richtig?«, fuhr Tommo unbeirrt fort. »Man kann versuchen, alles zu kontrollieren, aber was nützt das? Zum Beispiel Eileen: Sie konnte nicht ahnen, dass der Korb runterfallen würde. Am besten, man lebt sein Leben. Man hat schließlich nur eins.«

Gerade weil sie nur eines hatte, wollte Una sich nicht auf einen Streit mit ihm einlassen.

»So wie ich das sehe, tritt man ab, wenn die Zeit gekommen ist. Schau dir nur Ken an.« Tommo war jetzt so richtig in Fahrt und deutete mit dem Schraubenschlüssel auf sie. »Er macht Pilates und hat sogar einen Monat lang vegan gelebt. Aber es gibt gewisse Krankheiten in seiner Familie, Herzprobleme. Letztes Jahr hatte er eine Operation, und er nimmt schon eine Menge Medikamente. ›Ken‹, hab ich zu ihm gesagt, ›du kannst dein Schicksal nicht ändern.‹ Dann wieder gibt es Leute wie mich, die ihr ganzes Leben lang getrunken und geraucht haben, und ich bin fit wie ein Turnschuh. Wenn ich irgendwelche Beschwerden habe, schaue ich mich nach alternativen Therapien um.«

Mum hatte nicht erwähnt, dass Ken gesundheitliche Probleme hatte. Sollte sie ihn heiraten, wenn er ernsthaft krank war? Una würde einen guten Zeitpunkt abpassen müssen, um sie noch vor der Hochzeit darauf anzusprechen.

»Ich hab dich ja neulich als Bingoansager erlebt«, fuhr sie fort. »Wie kam es dazu? Hast du Freude an Zahlen? An irgendwelchen besonderen Zahlen vielleicht?«

»Nun, früher hat Donny die Zahlen angesagt, aber irgendwann hat seine Sehkraft nachgelassen, und ich bot an, für ihn einzuspringen. Jean mischte sich ein und meinte, es wäre an der Zeit, einen Profiansager zu engagieren, und John betonte, dass er früher Mathelehrer gewesen sei. Aber Ken, Harry und Eileen waren dafür, dass ich es versuche, und so wurde er schließlich überstimmt. Dass ich gegen einen Lehrer gewinne, hat ihn aus der Fassung gebracht. Die Zahlen selbst sind mir eigentlich egal. Von mir aus könnten es auch Äpfel und Birnen sein, die ich da rausziehe.«

Una steckte in einer Sackgasse. Tommo hatte offenbar keine Vorliebe für Zahlenreihen.

»Ich gehe jetzt besser, Tommo, und lasse dich weitermachen. Danke für die Fotos.«

»Kein Problem. Wir sehen uns dann am Samstag beim Junggesellenabschied, ja? Punkt elf Uhr am Treffpunkt.«

»Ich weiß noch nicht, ob ich’s schaffe«, antwortete Una. »Habt ihr etwas … Riskantes geplant?«

»Tja, es ist ein Geheimnis, also erzähl den anderen nichts davon. Wir machen eine Quad-Tour.«

Una dachte darüber nach, welche Risiken mit Quads einhergingen. Nach einer recht kurzen Bedenkzeit kam sie zu dem Schluss, dass das Gefahrenpotenzial ziemlich groß war.

»Leider bin ich nicht qualifiziert, ein Quad zu fahren«, erklärte sie. »Braucht man dafür nicht eine spezielle Versicherung?«

»Das regelt alles die Firma, bei der ich gebucht habe, und außerdem ist es sinnlos, sich Sorgen zu machen«, antwortete Tommo. »Wie gesagt, wenn deine Zeit gekommen ist, trittst du ab. Ich hol deinen Mantel.«

Unten angekommen, verschwand er kurz in einem Zimmer und kam mit ihrer Jacke zurück, die noch feucht war.

»So, bitte sehr. Sehen wir uns am Samstag? Komm schon, das wird ein großer Spaß. Ich suche dir die Adresse raus, dann kannst du dir das vorher mal ansehen.«

Er zückte seine Brieftasche und ging einen Stapel Visitenkarten durch. Una fiel auf, dass aus einem Fach ein gefalteter Notizzettel hervorlugte. Auf dem sichtbaren Teil waren mit Kugelschreiber drei Zahlen notiert: 37, 41, 43.

Die Türklingel ertönte.

»Noch mehr Besucher«, sagte Tommo. »Ich wusste gar nicht, dass Arthur so beliebt ist.«

Ehe der Besucher das Haus betrat, musste Una unbedingt noch mehr über diesen Zettel erfahren. Darauf waren Eileens und Harrys Nummern notiert, dazu eine neue.

»Tommo, kannst du mir sagen, was das für Nummern in deiner Brieftasche sind?«

»Welche Nummern?« Tommo öffnete die Haustür.

Sie deutete auf den halb versteckten Zettel. »Diese Zahlen …«

Kens großer Kopf lugte durch die Tür.

»Ich bin’s nur!«