Ärger am Dart-Teppich
N iemals hätte Una damit gerechnet, dass sie einmal an einem Junggesellenabschied teilnehmen würde. Und doch saß sie hier an diesem kühlen Samstagmorgen an einem Ecktisch im Eagle and Snowdrop , umgeben von Kens Freunden und Tim. Nachdem sie gestern bei der Beerdigung die dritte Ziffer entdeckt hatte, war sie heute mit dem Entschluss aufgewacht, die Verbindung zwischen den Todesfällen aufzudecken. Heute wäre die beste Gelegenheit, die Anwesenden auszuquetschen, gemeinsam mit Tim, sofern er sich an ihre Abmachung hielt. Außerdem konnte sie sich auf diese Weise von Cassies ominöser Prophezeiung ablenken.
Da Anton den Junggesellenabschied organisiert hatte, würde die Sache wohl kaum aus dem Ruder laufen.
»Also, Anton, was ist für heute Nachmittag geplant?«, erkundigte sich John.
»Wir bestellen hier im Pub ein paar Runden.«
»Und …?«
»Und auch ein paar Snacks.«
»Ach so«, erwiderte John. »Das klingt ein bisschen zahm im Vergleich zu meinem Junggesellenabschied.«
»Hört mal«, sagte Ken, »ich habe Anweisung von Sheila, drinnen zu bleiben und es nicht zu übertreiben.«
John nickte. »Na gut.«
»Von mir aus«, sagte Raj. »Wenigstens gehen wir nicht zum Paintball. Ich habe meine neue Hose an.«
»Sollen wir uns mal ein paar Pints genehmigen?«, fragte Ken.
»Nicht mit meinen Tabletten«, sagte John und schüttelte einen Gefrierbeutel voller Pillen. »Für mich nur ein Sprudelwasser. Ich halte mich zurück.«
»Ich nehme ein halbes Guinness«, verkündete Raj. »Wenn ich schon trinken muss, dann etwas, das mir schmeckt.«
»Ich nehme einen Single Malt.« Tim trug heute Business Casual, offenbar nahm er seine Verhöraufgabe ernst.
»Bestell dir einen doppelten«, sagte Ken, »weil du dich letztes Wochenende so um mich gekümmert hast. Ich und Una, wir trinken ein paar Bier, ja?«
Er sah sie fragend an. Ihr Schuldgefühl wegen des Schreckens, den sie ihm im Baumarkt eingejagt hatte, zwang sie zu einem Nicken.
»Ich trinke nur ein Pint«, erklärte Anton. Er trug ein Heavy-Metal-T-Shirt. Vielleicht war das sein Tribut an Tommo.
Ken holte sein Smartphone heraus. »Super. Ich mache nur schnell eine Sprachnotiz für meinen Assistenten, damit er sich das merkt – drei Pints, ein halbes Guinness, ein doppelter Single Malt und ein Wasser. Frage: Wie ist mein wöchentliches Alkohollimit?«
»Antwort: Ihr wöchentliches Alkohollimit liegt bei siebzehn Einheiten«, erwiderte der Telefonassistent.
»Aber das ist doch mein Junggesellenabschied«, sagte Ken, der mit seinem elektronischen Kumpel ein Doppelspiel treiben wollte.
John beugte sich zu Kens Telefon. »Assistent, Assistent«, rief er mit seiner dröhnenden Ausruferstimme, »nicht nur Wasser, sondern Sprudel .«
Ken ging zur Bar, gefolgt von Anton, der ihm beim Tragen helfen wollte. Una bemerkte, dass Tim in ein Gespräch mit Raj vertieft war. Hoffentlich würde er nützliche Hintergrundinformationen erhalten. Sie wandte sich an John.
»Also, John, warst du das, den ich neulich vor dem Hochzeitsladen gesehen habe?«
»Hochzeitsladen?«
»Der in der kleinen Einkaufsgasse, direkt an der Hauptstraße«, sagte Una. »Da ist nie viel los.«
»Kann schon sein.« John fuchtelte mit seiner Pillentüte herum. »Wahrscheinlich habe ich gerade versucht, auf meine täglichen zehntausend Schritte zu kommen.«
»Kannst du einen der Läden dort empfehlen?«
»Ich hab dich gar nicht bemerkt«, sagte er. »Am besten fragst du Ken nach guten Läden.«
»Mach ich, danke.« Es war nicht nötig, Ken zu befragen. Johns rätselhafte Antwort war Grund genug, in die Straße zurückkehren, in der sich das Bridal Dreams befand, und den Wohltätigkeitsladen selbst zu erkunden.
In diesem Moment kamen Ken und Anton mit den Getränken zurück.
»Unser erster Trinkspruch!« Anton stand auf und hob sein Bierglas. »Auf dem Schildchen da steht ›Reserviert‹, aber wir werden heute Nachmittag alles andere als das sein. Auf die Junggesellen!«
Una lachte über den Scherz. Er war schrecklich, doch sie wollte Antons Selbstvertrauen vor seiner Hochzeitsrede stärken.
»Danke, Anton.« Ken stand ebenfalls auf. Er trug ein Burberry-Poloshirt und eine ordentliche Dosis Aftershave. »Aber lasst uns auch auf unseren lieben Freund Tommo anstoßen. Er war viele Jahre lang mein Komplize, und ich weiß nicht, was ich ohne ihn tun soll.« In seinen Augen glänzte es verdächtig, und er presste die Kiefer zusammen.
Una unterzog den Pub einer raschen Risikobewertung. Neben dem Kamin lag ein Teppich auf dem polierten Boden – da konnte man schnell in die Flammen rutschen. Ein großer Labrador lag hechelnd neben seinem Besitzer – der könnte jederzeit aggressiv werden. Messingbehänge an der weißen Rauputzwand vermittelten einen rustikalen Eindruck, konnten aber bei einem plötzlichen Luftzug auf einen Gast fallen.
Als sie ihre erste Überprüfung abgeschlossen hatte, lehnte sie sich entspannt zurück und trank ein paar Schlucke von dem Lagerbier, das Ken ausgesucht hatte. Sie blickte auf und sah, wie Tim den Raum musterte. Ob er noch andere Risiken erkannte und seine Bewertung genauer wäre?
»Wie wär’s mit einer Partie Karten?«, schlug Raj vor.
»Nicht mit dir«, entgegnete John. »Ich habe beim Poker das ganze Geld verloren, das ich für einen neuen Rasenmäher gespart hatte.«
»Was ist mit Darts?«, fragte Tim. »Das Board ist da drüben, wie ich sehe.«
Una hatte die Dartscheibe gar nicht bemerkt. Dartpfeile wären in den Händen eines betrunkenen Spielers eine hervorragende Waffe. Schlimmer noch, das war genau die Art von Kneipen-Extremsport, die Tim gefiel. Wahrscheinlich würde er sich demnächst dafür sponsern lassen.
»Ich spiele gern Darts«, sagte Ken. »Ich will zwar nicht angeben, aber ich war mal Juniorenmeister.«
»Ich wäre dabei«, meinte John. »Vielleicht kann ich mein Geld teilweise von dir zurückgewinnen, Raj.«
»Das ist zwar nicht mein bevorzugter Sport, aber ich glaube, meine Hand-Augen-Koordination ist besser als die von euch beiden alten Hasen.«
»Du bist doch nur ein paar Jahre jünger als wir«, bemerkte John.
»Schluss damit«, sagte Ken, »lassen wir die Pfeile sprechen.«
Una stierte auf die Tischplatte und hoffte inständig, nicht mitspielen zu müssen. Sie hatte schon mal Darts gespielt, als Teenager in einem Ferienlager. Sie hatte es anstrengend gefunden, kleine Handraketen auf ein Brett zu feuern, während die Leute hinter ihr grölten und johlten. Vor ihrem geistigen Auge waren ihr die Flugbahn des Pfeils und ihr Ziel klar gewesen, ihre zittrige Hand jedoch hatte den Wurf nicht umsetzen können. Nach ihrem Versuch hatte ihr Dad ihr auf die Schulter geklopft, und sie hatte sich erkundigt, ob jemals jemand durch einen Dartpfeil umgekommen war. Er hatte ihr versichert, dass dem nicht so sei, und die Vermutung angestellt, dass Dart sogar sicherer wäre als Domino. Dann aber hatte ein Barmann, der mit einem Geschirrtuch Bierkränze von den Formica-Tischen schrubbte, davon erzählt, wie ein Dartpfeil einmal einem Wellensittich den Flügel gestutzt hatte.
»Der ist danach ständig im Kreis geflogen«, hatte er gesagt.
Una hatte nie wieder gespielt.
»Wir teilen uns in Teams auf«, verkündete John.
»Du solltest mit Ken spielen«, sagte Raj und wischte sich mit einer geübten Bewegung das Guinness vom Schnurrbart, »ihr seid schließlich die älteren Vertreter.«
»Gerne«, meinte Ken. »Raj, als Nächstältester darfst du die Teammitglieder auswählen.«
Raj setzte eine überraschte Miene auf. »Ich hätte gerne Una im Team. Ich würde mich freuen, eine jüngere Mitspielerin zu haben, noch dazu eine Vogelbeobachterin.« Er stieß mit ihr an.
Tim blickte zu Anton. »Dann sind wir wohl ein Team.«
»Ich bin nicht besonders gut im Dart«, sagte der.
»Müssen wir als Team spielen?«, fragte Tim.
»Ja«, bestimmte Ken. »Das erhöht die Spannung.«
Mit Tim in einer Mannschaft zu sein machte keinen Spaß, und Una hätte diesbezüglich eine Menge Ratschläge für Anton, doch er würde das alles wohl bald selbst herausfinden. Ken besorgte ein paar Darts beim Barkeeper und stellte sich dann vor eine kleine Tafel, die neben der Dartscheibe stand.
»Teamnamen?«
»Die Sicheren Sieger«, sagte Tim, und Anton blickte ihn finster an.
»Wir sind die Junggesellen-Wunder«, deklarierte John.
»Genial«, meinte Ken. »Pass auf, Tim, ich habe einen Mathelehrer im Team. Wir werden es euch schwermachen. Raj, Una?«
»Damenwahl!« Raj verbeugte sich leicht.
Ken kicherte. »Ein lustiger Teamname.«
»Ich meinte damit nur, dass Una unseren Namen aussuchen soll«, erklärte Raj.
Die gut gemeinte Ritterlichkeit ließ Una aufseufzen. Sie würde sich einen langweiligen Wortspielnamen ausdenken müssen, genau wie beim Weihnachtsumtrunk ihrer Abteilung. Das kam einem Brainstorming gleich!
»Die Dart-Killer?«, fragte sie.
Raj klatschte begeistert. Anton lachte und stützte den Kopf in die Hände.
Ken schrieb den Namen mit Kreide an die Tafel. »Fangen wir an. Der Beste aus drei Durchgängen gewinnt.«
Er ging zur verblassten Linie auf dem Linoleumboden.
»Moment mal«, sagte Tim. »Wir haben noch keine Preise festgelegt.«
»Ist der Spaß am Spiel nicht schon genug?«, fragte Anton. »Das ist doch nur ein Freundschaftsspiel in einem Pub.«
Tim runzelte die Stirn.
»Nein.« Ken nickte. »Er hat recht, wir müssen Siegerpreise festlegen. Wie wäre es, wenn die Verlierer das Essen für die Gewinner bezahlen?«
»In dem Zusammenhang sollte ich wohl erwähnen, dass ich schon ein paar Barsnacks für heute Nachmittag bestellt habe«, sagte Anton. »Damit wir nicht zu betrunken werden.«
»Abendessen klingt gut«, meinte Tim. »Drei Gänge, ja? Plus Kaffee und Petits Fours.«
»So viel du essen kannst«, stimmte Ken zu.
»Wow«, sagte Tim.
»Wir gehen später zu einem ›All you can eat‹-Büfett. Ein fantastisches Lokal. Currys, Pasta, Chow Mein – das ist wie eine Reise um die Welt.«
»Ich verstehe«, sagte Tim. »Ehrlich gesagt, muss ich mich bei meinem Training ziemlich strikt an den Ernährungsplan halten. Können wir nicht einen Geldpreis ausmachen?«
»Ein Pot mit sechzig Pfund für die Gewinner«, sagte Ken. »Das heißt also, jeder legt einen Zehner hinein.«
Raj, Ken und John legten jeweils zehn Pfund in die Mitte, aber Anton, Tim und Una hatten nur Kreditkarten dabei.
»Wie wäre es, wenn die Verlierer für meinen Wohltätigkeits-Triathlon spenden?«, schlug Tim vor. »Ich kann euch gerne den Link schicken.«
»Moment mal«, warf Raj ein. »Was ist das für eine Wohltätigkeitsaktion?«
»Sie ist für junge Leute, die …«
»Junge Leute.« Raj strahlte. »Da sollten wir unsere Zeit und unser Geld investieren.«
»Natürlich«, sagte Tim.
»Ich bin dabei.«
Die Partie begann. Una stellte sich hinter die anderen Spieler – nur für den Fall, dass sich doch mal ein Pfeil verirrte. Es bestand noch immer die Möglichkeit, dass einer von der Wand neben ihr abprallte, doch dank ihrer Zeit hier in Eastbourne konnte sie die Dinge leichter einordnen: Es war sehr unwahrscheinlich, dass ein Pfeil erst von dem Messinghufeisen und dann von der Jukebox abprallte, um eines ihrer lebenswichtigen Organe zu treffen.
Tim, John und Raj spielten die ersten Runden für ihre jeweiligen Teams und erzielten ähnliche Punktzahlen. Una wusste nicht genau, was sie tun sollte, außer dass es wahrscheinlich am besten war, auf das Bullseye in der Mitte zu zielen.
»Haben wir eine Strategie?«, fragte sie Raj.
»Versuch einfach, das Brett zu treffen, damit fangen wir an.« Er holte eine Packung Kaugummis heraus und bot ihr einen an. Sie lehnte ab. Kaugummi verringerte zwar das Risiko einer Zahnfleischerkrankung, konnte aber leicht im Hals stecken bleiben.
»Sind die von Trunnocks ?« Una erinnerte sich, die Marke an der Kasse gesehen zu haben.
»Da kaufe ich gelegentlich ein, wenn ich Nachschub brauche.«
»Einspruch, Euer Ehren. Er kauft gern bei Trunnocks «, wandte John ein. »Obwohl du den armen Harry dadrinnen gefunden hast.«
»Ja, da war nichts mehr zu machen«, erwiderte Raj. »Er hatte kaum noch einen Puls, als ich ihn fand, also habe ich ihm die Packung Fischstäbchen abgenommen, die er umklammerte, und es ihm bequem gemacht. Außerdem habe ich versucht, die Leute auf Abstand zu halten, denn die Kunden bei Trunnocks sind ein bisschen rüpelhaft.«
Ken stieß ein lautes »Pfft« aus.
»Wie auch immer, du bist dran, Una«, sagte John. »Ich habe gerade eine solide Fünfzig geschafft, also kein Druck.«
Ken trat zur Tafel und notierte ihre Punktzahl.
Nach der Enthüllung, dass Raj bei Trunnocks gewesen war, konnte Una sich nur noch schwer auf die Mitte der Dartscheibe konzentrieren. Ihr erster Pfeil streifte den Metallring und landete auf dem Boden. Sie ergriff den zweiten Pfeil und bewegte die Hand vor und zurück, um den richtigen Winkel zu finden. Dabei fragte sie sich, ob Raj jemals Eileen besucht und ihr seine altersfeindlichen Ansichten unterbreitet hatte. Der Pfeil prallte gegen die Wand und fiel zu Boden.
»Konzentrier dich«, ermahnte Raj sie. »Und diesmal mit etwas mehr Kraft. Greif die Scheibe an.«
Una lockerte die Schultern und schüttelte ihre rechte Hand aus, um jegliche Anspannung zu lösen. Als einzige Frau in der Runde stand sie unter dem Druck, stark und koordiniert wirken zu müssen. Wahrscheinlich war sie sogar die Jüngste von allen, auch wenn der Altersunterschied nicht sehr groß war. Sie stellte sich vor, dass die Scheibe ihre ersehnte Beförderung symbolisierte. Sie wollte die Mitte treffen.
Una holte zum Wurf aus, und als ihr Arm vorschnellte, kam ihr plötzlich die Frage in den Sinn, ob Raj von dem Ausflug in den Baumarkt gewusst hatte. War er dort gewesen? Sie konnte sich nicht erinnern, ihn gesehen zu haben.
Der Pfeil raste auf das Brett zu, prallte vom mittleren Metallring ab und traf Kens Gesicht.
»Was?« Ken löste den Blick von seinem Handy und sah den Pfeil zu seinen Füßen liegen. »Nein, nicht ins Gesicht!«
»Tut mir leid, Ken«, sagte Una. »Ich habe zu viel Kraft in den letzten Wurf gesteckt.«
»Ich hätte ein Auge verlieren können.«
»Zeig mal her.« Raj beäugte Kens Gesicht. »Keine Verletzungen. Und leider auch keine Punkte für unser Team, Una.«
»Du hast dein Bestes gegeben«, sagte Anton.
»Na ja, wenn das dein Bestes war …« Tim zeigte dasselbe Lächeln wie auf dem Siegerfoto, das an seinem Arbeitsplatz auf dem Schreibtisch stand.
»Erst versetzt du mir im Baumarkt einen Schock, und jetzt bewirfst du mich mit Darts!« Ken lächelte, war aber blass geworden – er misstraute ihr noch immer wegen der Sache.
»Das war ein Versehen«, sprang Anton ihr bei. »Der Pfeil ist vom Brett abgeprallt. Ich hab’s selbst gesehen.«
»Ich zieh sie nur auf.« Ken sammelte die Pfeile vom Boden auf. »Du bist dran, Anton.«
Anton stand knapp hinter der Linie.
»Nein, geh ein Stück vor«, sagte Tim. »Du darfst die Linie mit den Fußspitzen berühren.«
Anton schlurfte nach vorne. Er hob den Pfeil und bewegte den Arm vor und zurück, der Ärmel seiner mottenzerfressenen Tweedjacke spannte am Ellbogen. Der erste Pfeil traf den Rand der Scheibe, außerhalb der Trefferzone.
»Schrecklich«, kommentierte Tim.
»Wenigstens hat er die Scheibe getroffen«, sagte Raj, »und keinen von uns.«
»Ziel diesmal höher«, kommandierte Tim.
Dank Unas Insiderwissen erkannte sie, dass seine Teamfähigkeiten an ihre Grenze gerieten.
Der zweite Pfeil prallte von der Oberseite der Scheibe ab, und Ken schirmte sein Gesicht mit den Armen ab.
»Konzentrier dich!«, rief Tim. »Du musst wenigstens ein paar Punkte holen.«
»Vielleicht sollte ich einfach aussetzen oder so«, erwiderte Anton, dessen Schultern in dem steifen Jackett zusammengesackt waren. »Du könntest meinen Platz einnehmen, Tim, schließlich bist du der Dart-Experte.«
»Wir spielen in Teams.« Ken wandte sich Tim zu. »Aber vielleicht braucht es Alter und Erfahrung, um es zu gewinnen.«
Anton warf seinen dritten Pfeil und erzielte eine Zwei.
»Willst du absichtlich verlieren?«, fragte Tim. »Lässt du Ken und John einfach gewinnen? Denn wenn ja, dann ist das wirklich herablassend gegenüber den alten Leuten.«
»Das war’s«, sagte Anton. »Das sollte doch ein lustiger Nachmittag für uns alle werden, oder? Tja, ich hab grad keinen Spaß. Ich gehe an unseren Tisch zurück.«
Er reichte Ken die Dartpfeile, nahm wieder am Tisch Platz und tippte wütend auf seinem Handy herum.
»Vielleicht sollten wir stattdessen Einzel spielen«, schlug Tim vor, und die anderen nickten.
»Ich könnte Anton Gesellschaft leisten«, sagte Una.
»Gute Idee«, stimmte Raj zu. »Wir brauchen nicht lange.«
Sie ging zum Tisch und nippte an ihrem fast vollen Bier.
»Nimm es nicht persönlich, Anton. Tim ist kein Teamplayer.«
»Das hab ich gemerkt. Ein echt seltsamer Freund, falls er das für dich ist.«
»Er ist nicht mein Freund. Wir konkurrieren auf der Arbeit zwar um eine Beförderung, aber ich brauche seine Hilfe bei einer Analyse, also muss ich irgendwie mit ihm zusammenarbeiten.«
»Ich finde es toll, dass du dich für die Arbeit ins Zeug legst. Aber solltest du dich dabei wirklich an jemandem wie Tim orientieren?«
Una hielt es für sicherer, das Thema zu wechseln.
»Wie läuft’s mit dem Hochzeitsfilm?«, erkundigte sie sich.
»Ich habe eine erste Schnittfassung«, antwortete er eifrig, »und jetzt will ich die Fotos mit Musik untermalen, die zur jeweiligen Zeit der Aufnahme passt. Ich will auch passendes Nachrichtenmaterial einblenden. Mir ist schon klar, dass der Anlass eine Hochzeit ist, aber warum sollte ich nicht eine zusätzliche Ebene hinzufügen? Die damaligen gesellschaftlichen Zustände kommentieren?«
Anton war gerade abrupt aus Team Tim entlassen worden. Es wäre jetzt nicht der richtige Zeitpunkt, ihn darauf hinzuweisen, dass Leute, die sich mit Hähnchenfleisch vollstopften, garantiert nicht in der Lage wären, seinen Film zu würdigen.
»Sag mir Bescheid, wenn ich noch etwas für dich tun kann«, sagte Una. »Und ich werde dafür sorgen, dass Tim nicht mehr nach Eastbourne kommt.«
»Klingt gut. Ich würde gern deine Meinung hören. Ich überlege, den Film mit diesem besonderen Foto des glücklichen Paares zu beginnen.«
Er schnappte sich Kens Handy vom Tisch und entsperrte es. Die Kalender-App war geöffnet, und Una sah, dass Ken sich morgen um 11:00 Uhr mit Rosa in seinem Haus verabredet hatte. Anton wischte den Kalender weg und zeigte ihr ein Foto von Ken und ihrer Mum im Dino’s , vor einer großen Portion Eiscreme mit einer Wunderkerze darin. Die Wunderkerze war eindeutig ungenießbar und stellte nur eine unnötige Brandgefahr dar. Ken lächelte strahlend in die Kamera. Morgen würde sich herausstellen, ob er immer noch lächelte, nachdem sie Rosas Besuch in seinem Haus observiert hätte.
»Ich hab gewonnen«, rief Tim und hüpfte zum Tisch zurück.
»Gutes Spiel«, lobte Ken. »Schön, zur Abwechslung mal würdige Gegner zu haben. Noch ’ne Runde, Jungs?«
»Das bedeutet wohl, dass du nicht für deine eigene Spendenaktion spenden musst?«, fragte Una.
»Als Geste vielleicht«, sagte Tim. »Ich spende zehn Pfund zusätzlich, sobald ich weiß, wie ich das steuerlich am besten absetzen kann. Apropos Ironman: Das ›All you can eat‹-Büfett muss ich wohl ausfallen lassen. Ich muss jetzt zurückradeln. Aber danke für die Einladung, Ken.«
»War mir ein Vergnügen. Danke, dass du mir im Baumarkt geholfen hast und den ganzen Weg hergefahren bist, um uns zu sehen. Du weißt, dass ich in ein paar Wochen heiraten werde.«
»Leider sind schon alle Plätze belegt.« Una blickte zu Anton. »Ich hab die Sitzordnung gemacht.«
»Bist du sicher?«, fragte Ken.
»Absolut.«
»Macht nichts. Hat mich gefreut, euch kennenzulernen«, sagte Tim und setzte sich den Fahrradhelm auf. »Wir sehen uns am Montag, Una.«
»Ja, komm gut durch«, antwortete sie. »Ich hole dann mal die nächste Runde.«
»Normalerweise lasse ich Frauen keine Runden ausgeben«, sagte Ken, »aber da ich Feminist bin, nehme ich noch ein Lager.«