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Augen auf die Bingo-Karten

A m Freitagabend war Una wieder im selben Gemeindesaal in Eastbourne, in dem sie vor ein paar Wochen ihre Ermittlung begonnen hatte. Damals hatte Tommo die Bingozahlen gezogen, heute jedoch, bei einem eigens zu seinem Gedenken angesetzten Spiel, übernahm jemand anders diese Aufgabe.

»Guten Abend, allerseits. Mein Name ist Anton, und ich springe als Ihr Bingoansager ein«, sagte er in seiner trägen Art in das Mikrofon, das er sich ein wenig zu nah an den Mund hielt. »In ein paar Minuten geht es los.«

Der Saal war brechend voll, und seine Ankündigung minderte kaum das Gemurre, das nach einem Möwenschwarm klang, der sich um eine heruntergefallene Kugel Eiscreme stritt.

Una saß mit ihrer Mum und Ken an einem Tisch, und sie hielten die Bingotafeln bereit. Jean und John saßen mit Cassie und Arthur am Nebentisch. Nach ihrer schrecklich frühen Anreise mit dem Zug hatte Una den Tag über in dem kleinen Gästezimmer ihrer Mum gearbeitet. Der Raum hatte kein Fenster, und sie musste sich mit einem wackeligen Tisch begnügen. Trotzdem konnte sie sich hier besser konzentrieren als im Großraumbüro, wo die Kollegen aufdringlich laut telefonierten, leise husteten und umherliefen. Nicht im Büro zu arbeiten bedeutete auch, Tim aus dem Weg zu gehen. Pünktlich um 17:30 Uhr hatte sie sich abgemeldet und für den Bingoabend bereit gemacht, eine gute Gelegenheit zu beobachten, ob die Verdächtigen sich ungewöhnlich verhielten.

Raj traf ein. Nachdem er seine Regenjacke sorgfältig über den Stuhl gehängt und einen blauen Kugelschreiber sowie einen gelben Bleistift nebeneinander auf den Tisch gelegt hatte, setzte er sich neben sie.

»Wie geht’s, Una?«, fragte er. »Ich glaube, wir zwei sind die Jüngsten im Raum. Das ist wirklich nicht gerade meine Szene.«

»Mir geht’s gut, danke.« Una legte ihren silbernen Kugelschreiber auf den Tisch, der zu ihrer heutigen Bingoausrüstung gehörte.

»Moment mal. Warum ist Anton da vorne?«

»Uns fehlte heute Abend ein Bingoansager«, sagte Ken, »also habe ich ihn gefragt, und er ist eingesprungen. Das ist sogar gut für uns, denn der Ansager darf nicht mitspielen, oder? Auf diese Weise können wir alle wie gewohnt spielen, zu Tommos Ehren.«

»Ich verstehe«, sagte Raj. »Tja, das ist echt nett von ihm.«

Auf der Fahrt hierher hatte Anton Una anvertraut, dass er diese Aufgabe übernahm, um sein Selbstvertrauen für die Hochzeitsrede zu stärken. Sie konnte sich vorstellen, dass das Ansagen von Zahlen weniger emotional belastend war, als eine rührende Rede zu halten, trotzdem war es nicht gerade leicht. Über mehr hatten sie gar nicht gesprochen. Sie hätte ihn gern darum gebeten, ihr die Observation vom letzten Sonntag nicht übel zu nehmen, und ihm gesagt, dass Ken in Gefahr schwebte, statt selbst eine darzustellen. Doch dafür hätte sie nicht die richtigen Worte gefunden.

Anton trug heute Abend eine verzierte Weste, die der von Tommo ähnelte, nur dass die Stickerei ein Vogelmotiv zeigte. Vermutlich hatte Rosa sie geschneidert – ein weiterer Hinweis darauf, wie nahe sich ihre Familien standen. Und eine Erinnerung daran, wie falsch Una gelegen hatte.

Ken stupste Raj mit dem Ellbogen an. »Ich dachte, du magst kein Bingo?«

»Ich hatte eine Eintrittskarte fürs St. Swithin, wo ein hiesiges Kammerorchester spielen sollte, aber das Konzert wurde leider in letzter Minute abgesagt. Also dachte ich, ich könnte mich auch mit euch hier treffen, es ist ja für einen guten Zweck und zu Ehren unseres Freundes.«

»Du bist herzlich willkommen«, sagte Ken. »Bei all den kuriosen Vorfällen und der Aufregung ums Bingo werden wir heute Abend vielleicht deine professionellen Dienste brauchen.«

Raj nickte, zog die Kappe von seinem Kugelschreiber, drückte sie aufs Stiftende und strich über seine Bingokarte.

»Die heutige Veranstaltung ist eine Gedenkfeier für Tommo, der hier in den letzten Monaten der Bingoansager war«, verkündete Anton.

Die Leute plauderten unbeeindruckt weiter.

Ken schob den Stuhl unter lautem Knirschen zurück, stand auf und brüllte: »Haltet doch bitte alle mal die Klappe! Anton versucht, den Bingoabend einzuläuten. Okay?«

Das Gemurmel verstummte.

»Danke, Dad«, sagte Anton. »Wo war ich? Der gesamte Erlös des heutigen Abends geht an die hiesige Wohltätigkeitsorganisation Tread Softly. «

»Was?«, rief Raj.

»Hast du ein Problem damit?«, fragte Jean.

»Mir wäre es lieber, wenn das Geld an eine Organisation ginge, die ich unterstütze.«

»Wir beginnen mit der Ziehung«, sagte Anton, dem man die Nervosität deutlich anhörte.

Er beugte sich vor und drückte auf den Knopf, woraufhin die Bingotrommel die Kugeln mischte. Dann zog er die erste, hielt sie hoch und verkündete: »34. Eine ruhige Zahl mit dem Duft von leicht angebranntem Toast.«

Die Menge regte sich.

»Wie bitte?«, fragte eine Dame an einem Tisch vor der Bühne.

»Ich wiederhole: 34. Eine ruhige Zahl mit dem Duft von leicht angebranntem Toast.«

Die Stimmung im Saal war spürbar aufgeladen, während die Menge diesen neuen und höchst eigenwilligen Ansagestil auf sich wirken ließ. Una hoffte, dass es nicht zu einem Aufruhr käme.

»Ich hab die 34«, verkündete ihre Mum.

»Was hat er noch alles gesagt?«, fragte John.

»Anton nimmt alles mit verschiedenen Sinnen wahr, assoziiert zum Beispiel Wörter und Zahlen mit Farben und Klängen«, erklärte Ken. »Synästhesie nennt man das.«

Ein unheimliches Klopfen war zu hören. Es stammte von John, der mit der Hand auf den Tisch schlug.

»Das habe ich auch«, sagte er. »Ich wusste nicht, dass es dafür eine Bezeichnung gibt.«

»Ja, solche Fälle sind schon seit Ewigkeiten dokumentiert«, erklärte Ken.

»Wow!« John klopfte immer aufgeregter auf den Tisch. »Ich bin was Besonderes.«

»Das ist hier kein Wettbewerb, John«, brummte Raj. »Und dieses Phänomen kommt häufiger vor, als du denkst.«

»Vielleicht sollte ich damit zum Arzt«, meinte John.

»Das ist nicht gefährlich oder so«, erklärte Ken. »Es bedeutet einfach, dass du die Welt anders wahrnimmst.«

»Was auch immer es ist, der Neue bringt einen völlig neuen Stil rein«, sagte Jean. »Ich mag keine unnötigen Veränderungen, und seien wir ehrlich, das ist auch gar nicht erforderlich. Kann er nicht einfach unsere gewohnten Standardphrasen aufsagen? Das wird uns nur ausbremsen.«

Raj schwenkte seinen gelben Bleistift, als wäre er eine Cheerleaderin. »Wisst ihr, ich finde Bingo eigentlich ziemlich beruhigend – mein Ruhepuls ist niedriger als normal.«

»Du entwickelst noch ein echtes Faible dafür«, sagte Ken. »Wusste ich’s doch.«

»Es ist nicht so gut wie das große Kreuzworträtsel im Telegraph «, fügte Raj hinzu, »aber man kommt wenigstens unter Leute.«

»Die nächste Zahl«, verkündete Anton, »die 27. Ein sattes Violett mit gepunktetem Rand.«

»Nein, das ist eher Weinrot«, rief John aus dem Publikum.

Anton sah stirnrunzelnd auf. Offenbar hatte er nicht mit Zwischenrufern gerechnet. Er hielt ein paar Sekunden inne.

»Weinrot ist ein kräftiges Violett, also sind wir da durchaus auf einer Linie.«

John brummte und schaute wieder auf seine Karte.

Anton sagte weitere Zahlen an, bis Raj »Bingo!« rief.

»Es gewinnen immer nur Leute von diesem Tisch«, sagte eine Frau ganz vorne. »Ich wette, die stecken mit dem Ansager unter einer Decke. Das ist Betrug. Betrug! Betrug!«

Alle im Saal schauten zu Anton. Er wirkte betreten.

»Betrug, Betrug!«, fuhr die Frau fort, die sich inzwischen erhoben hatte.

»Ich ziehe nur die Zahlen aus dieser Trommel«, sagte Anton, »und sage sie an.«

Unas Ohren klingelten. Das war im Grunde wie eine Durchsage aus dem Cockpit: »Haben wir einen Statistiker an Bord?« Und ja, es war einer an Bord. Sie schritt nach vorne, bat Anton, beiseitezutreten, und wandte sich an die brüllende Meute. Sie hatte ihn letztes Wochenende enttäuscht, als sie vor Kens Haus herumgeschnüffelt hatte, und jetzt bot sich eine Gelegenheit, ihn zu unterstützen.

»Ich kann Ihnen allen versichern«, sagte sie, »dass dieser Apparat die Zahlen wirklich zufällig ausgibt, und zwar völlig regelkonform. Wenn man die Anzahl der Personen pro Tisch und die Anzahl der Zahlenreihen auf den Karten berücksichtigt, ist die Wahrscheinlichkeit viel höher, als Sie vielleicht meinen, dass im Laufe des Abends zwei Leute am selben Tisch ein Bingo haben. Das kann ich Ihnen gerne beweisen.«

Die Menge wurde still, als Raj sich seinen Preis abholte, und Una kehrte zu ihrem Platz zurück. Natürlich hatte sie die Gewinnchancen nicht exakt berechnet, dennoch wusste sie, dass ihre Einschätzung zutraf.

Ken salutierte vor ihr. »Du hast es ihnen gezeigt. Ich wusste, dass du mit deinen Fähigkeiten Spaß am Bingo haben würdest.«

Raj stand am Bingotisch und musterte kritisch die Weinflasche, die Anton ihm gereicht hatte. Als er zu seinem Platz zurückkehrte, studierte er das Etikett, das er sich dicht vor die Augen hielt. Dabei übersah er allerdings einen Spazierstock, der unter einem Tisch hervorlugte.

»Urrrggh!«, sagte er, als er darüberstolperte. Er fiel anmutig nach vorne, und die Flasche kullerte unversehrt davon.

Ken sprang auf und lief zu ihm.

Raj setzte sich vorsichtig auf. »Mein Knöchel. Ich glaube, ich hab ihn mir verstaucht.«

Ken half ihm, zurück zum Tisch zu humpeln, und setzte ihn – keuchend vor Anstrengung – auf den Stuhl.

»Vielleicht solltest du das im Krankenhaus untersuchen lassen«, meinte Jean. »Der Knöchel könnte gebrochen sein. In deinem Alter muss man da vorsichtig sein.«

»Ich brauche deinen medizinischen Rat nicht, danke.« Raj schwang sein rechtes Bein auf seinen Rucksack. »Das ist höchstwahrscheinlich nur eine Verstauchung, die nach ein paar Tagen Ruhe auskuriert ist.«

Eine Dame vom Nachbartisch stellte die gewonnene Weinflasche vor ihm ab.

»Sie haben Glück, dass sie nicht kaputt gegangen ist«, sagte sie und zog sich zurück.

»Diese verflixte Flasche«, grummelte Raj. »Ich wollte auf dem Etikett die Angaben zu Weinberg und Rebsorte lesen, aber dann hat irgendein Oldie seinen Gehstock rausgereckt wie ein Hooligan. Unglaublich.«

Jean nahm die Flasche und musterte das Etikett. »Ich kann es problemlos lesen. Alles korrekt geschrieben. Du musst deine Augen testen lassen.«

»Aber, aber«, sagte John.

»Ich hoffe, ich kann morgen mit zu unserer Vogelbeobachtung«, brummte Raj.

Die Ziehung ging weiter, bis jemand von einem anderen Tisch Bingo rief, dann wurde eine kurze Pause verkündet, und Anton gesellte sich zu der Gruppe.

»Das war großartig, Anton«, lobte John. »Ich nehme Zahlen auch so wahr wie du.«

»Hast du ständig dazwischengerufen?«, fragte Anton.

»Ja, das war ich. Ich bin noch nie jemandem begegnet, der die Welt so wahrnimmt. Das ist aufregend.«

»Ich weiß es zu schätzen, dass du einspringst, Anton, aber du solltest wirklich die traditionellen Sprüche verwenden«, sagte Jean. »Ich habe sie auf meinem iPad gespeichert, du kannst also davon ablesen, falls du sie nicht kennst. Bitte benutz sie für die letzten Ziehungen.«

»Ich schau sie mir an«, erwiderte Anton.

Kurz herrschte Stille; das einzige vernehmbare Geräusch kam von Cassies klappernden Stricknadeln.

»Du kommst gut voran«, stellte Ken fest. »Was wird das?«

»Das findest du noch früh genug heraus, Kenneth.«

»Ich verstehe. Also gibt’s heute keine Vorhersagen von dir, Gott sei Dank.«

Die Nadeln verstummten, Cassie seufzte und strickte dann weiter. »Nein, ich habe genug gesagt. Ihr alle seid hinreichend gewarnt worden.«

Una schob ihren Stuhl zurück, damit sie mit Cassie sprechen konnte, ohne dass die anderen mithörten. Es war an der Zeit, Tims Hinweis auf den Grund zu gehen. Glücklicherweise erzählte Ken soeben die Anekdote, wie er Judi Dench an einer Autobahnraststätte begegnet war.

»Ich hab mich gefragt, was du über Raj denkst«, sagte sie.

»Was ich über ihn denke?«, fragte Cassie.

»Vom astrologischen Standpunkt aus gesehen. Irgendwelche Erkenntnisse? Oder irgendwas anderes?«

»Tja, Raj ist ein interessantes Individuum«, antwortete Cassie nebulös. »Eine Jungfrau natürlich, bei seiner strukturierten Art. Aber dass er so von der Jugend besessen ist, ist gefährlich, meinst du nicht?«

Una dachte einen Moment lang darüber nach. »Er ist ein bisschen altersfeindlich. Aber gefährlich?«

»Ich mache mir nur Sorgen wegen seiner Engstirnigkeit. Ich kann dir nicht sagen, was du tun sollst, glaube aber, du solltest dich durchaus vor ihm in Acht nehmen, das ist alles.«

»Una, noch einen Drink?«, wurden sie von Ken unterbrochen.

»Ich nehme nur ein Sprudelwasser, danke.« Für ihre Beobachtungen war es wichtig, dass sie einen klaren Kopf behielt. Una sann darüber nach, was Cassie über Raj gesagt hatte, und dachte an ihr Erlebnis mit ihm auf der Klippe.

»Ich starte jetzt das letzte Spiel.« Anton setzte sich vorn an den Tisch und zog die erste Zahl. Kurz starrte er auf Jeans iPad, bevor er sich an die Bingospieler wandte.

»11. Auch bekannt als ›Doppelbein‹, eine Umschreibung, die verdeutlicht, dass die Ziffer die Form eines Beinpaars hat – ich würde sagen, der Erfinder des Begriffs dachte dabei offenbar an einen Zweibeiner. Und falls dies zutrifft, kann man nur hoffen, dass er die Beine nicht verdinglichen wollte, insbesondere wenn es sich aus männlicher Perspektive um Frauenbeine handelt.«

»Er ist sehr wortgewandt, nicht wahr?«, stellte Raj staunend fest. »Kein Wunder, dass er sich kreativ betätigt.«

»Das ist mein Anton. Er will kein Rädchen im Getriebe sein«, sagte Ken. »Er ist ein Freigeist.«

»Ich versteh kein einziges Wort von dem, was er sagt«, brummte Arthur vom Nachbartisch. Er sah aus wie ein trauriger Clown, dem die Puddingtorten ausgegangen waren. »Ich glaube, um das zu klären, sind deine Führungsqualitäten gefragt, Ken.«

Ken stand auf und winkte Anton zu sich.

»Einen Moment, bitte«, rief Anton in den Raum. Die tuschelnden Anwesenden hielten kurz inne und tuschelten dann weiter.

»Ich gebe ihm ein konstruktives Feedback«, sagte Ken, als Anton zu ihnen an den Tisch kam. »Du machst das gut, Junge, aber sag einfach die Zahlen an.«

»Es ergibt keinen Sinn, dass ich die Zahlen nur ansage. Das könnte auch ein Computer übernehmen. Man könnte sogar online zufällig generierte Bingokarten von einem Computer ankreuzen lassen, dann müsste man das nicht selbst tun. Man wartet einfach, bis der Computer einen benachrichtigt, ob man etwas gewonnen hat. Willst du das etwa?«

»Nur die Zahlen, Anton«, gab Ken zurück. »So einen Computer haben wir sowieso nicht. Nur Jeans iPad.«

Anton ging wieder zum Bingotisch und setzte die Maschine in Gang, dann zog er die nächste Kugel.

»88«, verkündete er. »Ich wiederhole: 88.«

Die beiden dicken Damen vorn im Raum schauten stoisch und zugleich leicht melancholisch drein, als würden sie nicht länger gebraucht.

»Bingo!«, rief Cassie. Sie ließ ihr Strickzeug fallen, rannte nach vorn und entriss Anton die Schachtel mit den Minz-Schokoladenstäbchen und die Flasche Prosecco, bevor sie zurück zum Tisch eilte.

»Endlich hat sich mein Blatt gewendet!«, rief sie.

»Gut gemacht, Cassie«, sagte Ken. »Zwei Siege für unseren Tisch. Hoffentlich ist jetzt die Pechsträhne für unsere kleine Gruppe vorbei.«

»Ich glaube nicht, dass es Pech ist«, murmelte Una.

»Wie bitte?« Arthur beugte sich zu ihr.

»Ach, nichts, Arthur«, sagte Unas Mum. »Sie hat sich nur über ein paar Zahlen aufgeregt.«

»Ach ja?«, sagte Arthur. »Und hast du irgendwelche Finanztipps? Hast du ein paar von diesen NSFW s gekauft, von denen ich gelesen habe?«

»Ich glaube, du meinst NFT s«, korrigierte Una, »und nein, ich bevorzuge weniger riskante Anlagen.«

»Verstehe.« Arthur tippte sich an die Nase.

Da die Ziehung vorüber war, machte sich die Gruppe daran, die Mäntel anzuziehen.

Ken deutete auf Rajs Knöchel. »Dein Bein sieht nicht gut aus. Eher wie ein Elefantenfuß als wie ein Doppelbein – kapierst du? Jedenfalls ist es ganz ordentlich geschwollen.«

»Wir bringen dich ins Krankenhaus«, sagte Jean.

»Morgen früh reicht auch. Vielleicht ist es bis dahin gar nicht mehr nötig«, meinte Raj.

»Lass uns jetzt hinfahren«, widersprach John. »Es ist gerade erst halb neun. Dann kann ich morgen früh immer noch auf Vogelbeobachtung gehen. Ich schieß ein paar Fotos für dich.«

»Und falls du Schmerzen hast, komm ich vorbei und seh nach dir«, bot Jean an. »Wir Rentner müssen doch aufeinander aufpassen, nicht wahr?«

»Ich kann auch nach dir sehen«, meinte Unas Mum.

»Ich hab im Laden noch das Fußbad – es ist noch verpackt. Das könnte helfen«, sagte Jean. »Das kostet natürlich ein bisschen was. Aber der Erlös kommt Tread Softly und somit anderen älteren Menschen zugute.«

Raj funkelte sie an. »Nein danke.« Er schwang das Bein vom Rucksack und verstaute die Weinflasche darin. »Lasst uns gehen. Ich bin kein großer Fan von kalifornischem Chardonnay aus dem Supermarkt, aber vielleicht muss ich ja erst auf den Geschmack kommen.«

»Wir sehen uns morgen auf dem Junggesellinnenabschied, Sheila«, sagte Jean.

»Junggesellinnenabschied?«, hakte Cassie nach.

Man hätte eine Stecknadel fallen hören können.

»Hast du deine Einladung nicht bekommen?«, fragte Unas Mum. »Die muss wohl in der Post verloren gegangen sein, in letzter Zeit gab es da immer wieder Probleme.«

»Meine Chrissie kommt.« Kens angespannte Miene verriet, dass er an dem Komplott beteiligt war, Cassie außen vor zu lassen.

Cassie wirkte kleiner als sonst. Manchmal wurde Una nicht zu einem Umtrunk auf der Arbeit eingeladen, daher kannte sie das Gefühl gut, die Außenseiterin zu sein, auch wenn sie die jeweiligen gesellschaftlichen Ereignisse meist furchtbar fand.

»Ich komme auch«, sagte sie.

»Ist schon okay«, meinte Cassie. »Möglicherweise habe ich morgen Abend sowieso schon was vor.«

»Raj, wir sollten besser los.« Jean lief zum Ausgang und zog John hinter sich her. Raj humpelte ihnen nach.

Anton reichte Una ihren Mantel.

»Das war eine gute Übung für deine Rede«, sagte sie. »Die dürfte dir viel leichterfallen, als dich mit diesem Haufen hier herumzuschlagen.«

»Danke. Ja, theoretisch müsste sie mir leichterfallen, aber der Text für die Hochzeit ist emotionaler als nur ein paar Zahlen.«

Una nickte.

»Aber danke, dass du die Zwischenrufer mit deinem Statistikwissen in den Griff bekommen hast.«

»Um ehrlich zu sein, hab ich mir das nur ausgedacht. Aber im Grunde stimmte es schon – die Bingomaschine ist nicht voreingenommen, also gewinnen ab und zu Leute vom selben Tisch am selben Abend.«

»Was immer du getan hast, es hat funktioniert.« Anton lächelte sie an. »Aber ich kann ab jetzt keine Zahlen mehr sehen.«

Una verlor allmählich auch die Freude daran.