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Showdown im Schuppen

E s waren Pedros Augen. Und Pedro schnurrte nicht.

Gebannt von seinem grimmigen Blick, überlegte Una, was der Kater hier zu suchen hatte. Vielleicht hatte Cassie ihn als »Begleitung« zur Hochzeit mitgenommen. Vernünftigerweise hatte Pedro beschlossen, auf die Vorführung der Fotos zu verzichten und sich stattdessen auf das Dach des Schuppens zurückzuziehen. Diese harmlose Situation erinnerte Una jedoch an die Blumenampel, der auf Eileen gestürzt war. Könnte ein Tier den Korb angestupst und gelöst haben? War Pedro auf den Einkaufswagen gesprungen und hatte die fatale letzte Drehung des Gefährts ausgelöst? Oder hatte er einen Stapel Sensen umgeworfen und war dank seiner Wendigkeit und Schnelligkeit den tödlichen Sicheln entkommen? Una hatte schon Dokumentarfilme über Serienmörder gesehen, und nun stand sie hier selbst einem wilden Kater gegenüber.

Sie wollte nicht von einer herabspringenden psychotischen Katze auf einem Friedhof erlegt werden. Dann würde ihr Tod in einer weiteren Statistik auftauchen, die jemand aus ihrem Team auswerten würde, und sie wäre nichts weiter als eine Ziffer, die mit all den anderen zusammengerechnet würde.

Während sie zu Pedro hinaufstarrte, auf seinen Angriff gefasst, vernahm sie ein Knirschen auf dem Kiesweg vor dem Schuppen. Schritte näherten sich. Leise, langsame Schritte. Eine Gestalt erschien vor dem Schuppenfenster.

Es war Cassie, deren Fascinator hinter ihrem Kopf im Wind flatterte. Sie wirkte hoch konzentriert. Und ihre Konzentration galt allein Ken.

Cassie hatte ihre Freunde nicht mit ihren Prophezeiungen vor einem Schicksalsschlag warnen wollen. Sie hatte gewusst, dass ihre Vorhersagen eintreffen würden, weil sie persönlich dafür sorgte. Und sie wusste auch um Unas Drang, Risiken zu vermeiden. Also hatte sie Una davor gewarnt, auf den Friedhof zu kommen, damit sie Ken in Ruhe ausschalten könnte.

Anton und Ken unterhielten sich noch immer arglos auf der Anhöhe. Una wollte schreien, doch ihre Kehle war vor Angst wie zugeschnürt. Cassie näherte sich ihnen langsam, möglicherweise war sie bewaffnet.

Una spürte, dass ihre Gabe, Worst-Case-Szenarien zu erkennen, zurückkehrte. Sie würde alle Möglichkeiten durchspielen, wie Ken hier auf schreckliche Weise umkommen könnte, und ihn retten. Was könnte Cassie auf einem Friedhof geplant haben? Würde sie einen der metallenen Blumentöpfe als Wurfgeschoss nutzen? Oder wollte sie hinter einem Grabstein hervorspringen und ihn erschrecken? Una hatte im Baumarkt selbst erlebt, welche Wirkung das auf ihn hatte.

Zu Unas Entsetzen steuerte Cassie die Vorderseite des Schuppens an. Hastig zog sie sich ins Innere zurück und verbarg sich in einer Ecke. Wer wusste schon, welche Insekten sich hier versteckten? Sie manövrierte sich in eine Lücke zwischen diversen Gartengeräten – Spaten, Kellen, Schaufelstiele. Möglicherweise wollte Cassie einen der Gegenstände aus dem Schuppen als Waffe benutzen. Und Una würde ihr im Weg sein.

Durch das Fenster sah sie, dass Cassie draußen neben der Tür stand und zum Dach hinaufschaute.

»Pedro. Komm da runter, wir haben einiges zu erledigen …«

Cassie stand unweit der Türschwelle. Una musste Ken und Anton irgendwie auf sie aufmerksam machen, ohne ihre eigene ungeschützte Position im Schuppen preiszugeben. Sie schrieb Anton eine Nachricht – Hilfe! –, aber er reagierte nicht darauf. Vermutlich plauderte Ken gerade mit ihm. Sie könnte versuchen, an Cassie vorbeizulaufen, aber was, wenn sie eine Waffe bei sich trug? Wer wusste schon, was sie in ihrer Handtasche verbarg? Una musste für Ablenkung sorgen, Cassie unvorbereitet treffen.

Als sie einen leeren Blumentopf zu ihren Füßen erblickte, schlich sie so leise wie möglich auf ihren silbernen Stöckelschuhen hinüber, packte ihn mit Daumen und Zeigefinger und hielt ihn auf Armeslänge von sich. Im schummrigen Licht des Schuppens tummelten sich womöglich Millionen unsichtbarer Mikroben auf ihrer Hand. Sie schlich zur Tür, holte weit aus und warf den Topf mit aller Kraft. Er flog in hohem Bogen vor, landete jedoch nicht irgendwo draußen, sondern traf den Türrahmen und zersprang zu lauter Scherben. Ein Desaster. Ohne einen Plan B zog Una sich ins Innere des Schuppens zurück.

»Ist jemand dadrin?« Cassies Silhouette erschien auf der Türschwelle. Zu Unas Entsetzen öffnete sie die Tür weit und spähte hinein. »Una? Hast du mir einen Schrecken eingejagt. Was machst du denn hier? Solltest du nicht bei der Filmvorführung sein?«

»Hi, Cassie. Die Vorführung ist längst vorbei. Ich suche nur ein paar Sachen zusammen, ehe ich zum Grab gehe. Wie geht’s dir? Hat dir die Trauung gefallen?«

Das war die Lösung! Sie hatte in den letzten Wochen ihre Small-Talk-Künste weiterentwickelt. Sie würde die Situation meistern.

»Wirklich?« Cassie stand noch immer in der Tür, nur ihr Fascinator flatterte im Wind. »Was suchst du denn zusammen? Du hast ja gar keine Blumen dabei.«

»Ich wollte gerade einen Blumentopf unter dem Wasserhahn abspülen und dann ein paar Blumen von der Hochzeit hineinstecken, aber ich hab ihn fallen lassen. Ganz schön tollpatschig. Aber sieh mal, ich habe einen anderen gefunden, es ist also alles gut.«

Una hob einen größeren Blumentopf vom Boden auf. Sie versuchte, nicht auf die aufgescheuchten Ameisen zu achten, die um ihre offenen Schuhe herumwuselten.

»Hatte ich dich nicht gewarnt, dass der Friedhof gefährlich ist?«, fragte Cassie ziemlich selbstzufrieden. Unter vernehmlichem Scharren schob sie die Scherben des Topfes mit der Schuhspitze von der Schwelle.

»Deine Warnung war sehr deutlich«, sagte Una. »Superdeutlich.«

Sie musste raus aus dem Schuppen, fort von der drohenden, schattenhaften Gestalt in der Tür. Verhandeln war keine Option. Sie würde Cassie mit reiner Körperkraft überwältigen müssen. Ihr kam ein Geistesblitz. Sie hob ihr Kleid mit der linken Hand an, schritt zur Tür und rief: »Sieh nur! Ein Leopard!« Dabei deutete sie nach draußen.

Cassie drehte sich um.

Una sprang vor und schlug ihr den umgedrehten Blumentopf auf den Kopf, wobei der Fascinator eingedrückt wurde. Sie huschte an Cassie vorbei und stieß sie in den Schuppen, dann schloss sie die Tür und verrammelte sie mit einem Spaten, den sie neben der Hütte fand. Erledigt.

Jetzt musste sie nur noch Anton und Ken finden. Sie folgte dem Weg und suchte die zerklüfteten Reihen aus Grabsteinen ab.

»Una«, rief eine ferne Stimme.

Sie schaute sich um und erblickte Anton, der ihr aus etwa zwanzig Metern Entfernung zuwinkte, wo er neben Ken auf einem kleinen Hügel stand.

»Hier drüben!«

»Mit diesen Schuhen kann ich nicht richtig auf dem Gras laufen.«

Anton raunte Ken etwas zu, das ihn zum Kichern brachte.

»Ich komme zu dir rüber«, sagte er schließlich.

Er joggte herbei und wich Pedro aus, der inzwischen vor dem Schuppen saß und sich überhaupt nicht um sein fehlendes Frauchen scherte. Anton näherte sich dem Kater von rechts und hockte sich neben ihn.

»Vorsichtig!«, warnte Una ihn. »Ist deine Tetanusimpfung noch wirksam?«

»Kuschelmonster«, sagte Anton und streichelte Pedro unterm Kinn. Der Kater rollte sich auf den Rücken und reckte das Kinn in die Höhe. »Ein süßes, kleines Fellknäuel, nicht wahr?«

»Diese Katze ist ein Mordkomplize«, sagte Una. »Wahrscheinlich kein sehr hilfreicher, aber immerhin.«

Anton legte Pedro sanft beide Hände auf die Ohren. »Was redest du da von Mord? Dad geht’s gut. Wie ich schon sagte: Du hast dir unnötig Sorgen gemacht.«

Una trat auf ihn zu, ohne Pedro dabei aus den Augen zu lassen. »Du begreifst nicht. Cassie war hier und hat nach ihm gesucht. Sie steckt hinter all den Todesfällen, da bin ich mir sicher. Sie hatte nicht nur die Gelegenheit und ein passendes Motiv, sie hat die Unfälle auch exakt vorhergesehen, wie kann das sein? Im Grunde hat sie beschrieben, wie sie vorgehen würde. Außerdem hat sie mich einfach im Schuppen festgesetzt. Sie wirkte sehr bedrohlich.«

»Inwiefern bedrohlich?«

»Die Art, wie sie dastand … aber keine Sorge, ich hab sie einsperren können. Wir sollten die Polizei rufen.«

Antons Blick verriet seine Zweifel, doch sobald Una Cassie erst das Geständnis abgerungen hätte, dass sie es auf die Tippgemeinschaft abgesehen hatte, würde er erkennen, wie mutig sie heute gewesen war. Sie hatte Ken vor einem permanenten Friedhofsbesuch bewahrt.

»In dem Schuppen da?« Anton richtete sich auf. »Wir sollten sie da rausholen, dadrin dürfte es ziemlich dunkel sein. Ich meine, du hattest sicher einen guten Grund dafür. Aber so oder so …«

»Schon in Ordnung«, sagte Una. »Ich hab ihr einen Blumentopf auf den Kopf geschlagen, also wird sie sowieso nicht viel sehen können.«

Sie gingen zum Schuppen. Jetzt, wo Cassie in Gewahrsam war, bestand keine allzu große Gefahr mehr. Una entspannte sich, bis ihr auffiel, dass die Schuppentür nur angelehnt war.

»Ich hab sie geschlossen, ich hab sie definitiv geschlossen«, sagte sie.

»Ich schaue mal rein.« Anton stieß die Tür mit der Schulter weit auf und trat auf die Scherben des zerbrochenen Blumentopfs, die unter seinen Schuhen knirschten. »Er ist leer. Vielleicht hat sie die Botschaft verstanden und ist abgehauen.«

»Auf keinen Fall! Anton, ich meine es ernst! All diese ›zufälligen‹ Todesfälle. Sie steckt dahinter! Sie wird versuchen, Ken zu töten, ebenso wie all die anderen. Wir müssen auf ihn aufpassen.«

Aber Ken stand nicht mehr auf dem kleinen Hügel.

Anton wiegte den Oberkörper hin und her. Er glaubte ihr noch immer nicht.

»Du machst dir zu viele Gedanken. Ich hole Dad und bin gleich zurück.«

Una stand in der Märzkälte fröstelnd am Schuppen und hielt nach Gefahren Ausschau. Nach ein paar Minuten kehrte Anton mit Ken und Cassie zurück.

Cassie funkelte Una an. »Warum hast du mich eben angegriffen?«

»Ich glaube, während wir die Sache klären, bleibst du besser bei mir, Cassie«, meinte Anton.

»Die Polizei wird das klären«, entgegnete Una. »Sie wird von deinen sogenannten Vorhersagen erfahren. Von den Strickpullovern, die du allen als Drohung schickst.«

Ken blickte verwirrt zwischen Una und Cassie hin und her. »Polizei?«

»Das ist ein Missverständnis, Ken«, sagte Cassie. »Ich bin ziemlich durcheinander von all den Tabletten, die ich einnehme, und vielleicht hätte ich sie nicht mit Prosecco runterspülen sollen, aber du weißt ja, dass ich nicht viel unter Leute komme. Una hat recht. Ich fühle mich schuldig wegen meiner Vorhersagen. Sie gehen immer wieder in Erfüllung, und auch für heute habe ich etwas prophezeit.«

»In unserem Alter kommt es vor, dass wir mal Unsinn reden«, erwiderte Ken. »Aber keine Sorge, wir haben ja noch die Party, also lasst uns zum Festsaal zurückgehen. Der hat mich mein letztes Hemd gekostet. Wir klären das später – ein Missverständnis, mehr nicht.«

»Missverständnis hin oder her, sie hätte mir keinen Blumentopf überziehen dürfen«, sagte Cassie. »Mein Hut ist ruiniert.«

»Einen Blumentopf?«, fragte Ken.

»Einen großen, aus Ton«, jammerte Cassie.

»Das war Selbstverteidigung«, argumentierte Una. »Sie hat mich in die Enge getrieben.«

»Una, was hast du dir dabei gedacht?«, fragte Ken. »Ja, ich mache mich manchmal darüber lustig, dass Cassie Dinge sieht, die es nicht gibt, aber du übertriffst echt alles.«

»Wenn die Polizei kommt, erkläre ich alles.« Una suchte nach ihrem Handy, fand es aber nicht in ihrer Tasche. Es musste herausgefallen sein, als sie sich im Schuppen auf Cassie gestürzt hatte. »Die Vorhersagen. Die Pullover. Die Lotterie. Ich habe die Zahlen fotografiert, weißt du? Ich wette, du hast die Nummer 45 in deiner Tasche.«

Una griff nach Cassies Handtasche und klappte sie auf. Sie durchwühlte eine Schicht zerknitterter Taschentücher, fand aber nirgends Zahlenaufkleber. »Okay, das bedeutet, dass sie sie schon an der nächsten Unfallstelle aufgeklebt hat.«

Anton wirkte nicht überzeugt, drückte Cassie jedoch weiterhin fest an sich.

»Ich verstehe das alles nicht«, sagte Ken. »Ich will einfach nur zur Party, wo wir uns alle wieder vertragen können. Chrissie hat ein starkes Musikprogramm zusammengestellt.«

»Ja«, stimmte Cassie zu, »lasst uns zur Party gehen.«

»Vielleicht sollten wir uns anhören, was Una zu sagen hat«, meinte Anton.

»Ja.« Una wandte sich um und schaute Ken direkt an. »Ich habe es dir immer und immer wieder gesagt: Cassie will dich umbringen.«

»Stimmt das?«, fragte Ken. »Denn mir scheint, die einzige Person hier, die in den letzten sechs Wochen versucht hat, mir etwas anzutun, bist du.«

Auf dem Weg zur Garderobe ließ Una sich zurückfallen. Der Lärm der Disco im Festsaal dröhnte bis nach draußen. Die Garderobe war mit Mänteln und Regenschirmen vollgestopft, daneben stand der Tisch mit den Geschenken. Ein sicherer Ort.

»Lass uns hier warten, bis die Polizei kommt«, sagte Una. »Anton, gib mir bitte dein Handy, damit ich sie verständigen kann. Ich hab meins wohl verloren. Vertrau mir einfach.«

Anton sah sie an, dann blickte er zu Ken und Cassie. Schließlich holte er sein Handy heraus.

»Stopp!«, rief Ken. »Du wirst diese Hochzeit nicht ohne eine gute Erklärung ruinieren. Niemand ruft irgendjemanden an, bis Ken es sagt.«

»Gut«, sagte Una. »Das Ganze ist folgendermaßen abgelaufen …«