2010 befand sich Premier Benjamin Netanyahu in einem offenen Schlagabtausch mit dem damaligen US -Präsidenten Barack Obama. Der rechtskonservative Premier und der linksliberale Präsident mochten und verstanden sich nicht. Die beiden ideologisch so unterschiedlichen Welten und die persönliche Abneigung versprachen eine komplizierte Zusammenarbeit zwischen den Verbündeten Israel und USA . Erst recht, nachdem Obama durchgesetzt hatte, dass Israel offiziell seine Bautätigkeiten im Westjordanland für zehn Monate einfrieren musste. Der smarte Obama hoffte, die Palästinenser auf diesem Weg wieder an den Verhandlungstisch zu bringen. Wie so viele vor ihm, wollte der erste schwarze Präsident der Vereinigten Staaten Frieden stiften im Dauerkonflikt zwischen Palästinensern und Israelis.
Während Netanyahu dem Bau-Moratorium zähneknirschend mehr oder weniger Folge leistete – er ließ in Jerusalem weiterbauen, das für ihn kein »besetztes Gebiet« ist, sondern die ewige Hauptstadt Israels –, setzte sich vor allem der harte ideologische Kern der Siedler über Obamas »Dekret« hinweg. Die sogenannte »Hilltop-Youth«, also die radikale Jugend, die auf den Hügeln des Westjordanlands immer neue illegale Siedlungen baute, machte in ihrem Bemühen, immer mehr Land für das jüdische Siedlungsprojekt in Beschlag zu nehmen, nicht nur weiter, sondern intensivierte ihr Bemühen. Unterstützt wurden die jungen Aktivisten von einigen Führungspersönlichkeiten der Siedlerbewegung wie etwa Daniella Weiss, die eine der wichtigsten und inzwischen größten Siedlungen in der Nähe von Nablus aufgebaut hatte, Kedumim. Über WhatsApp-Gruppen wurden überall in Judäa und Samaria, wie die Siedler das Westjordanland mit seinen biblischen Namen nennen, neue Siedlungen gegründet. Das Prinzip ist immer das gleiche. Man stellt mit ein paar Fertigbauteilen Hütten auf einen Hügel in der Nähe einer Stammsiedlung. Dazu kommen noch ein paar Wohnwagen und Generatoren, und fertig ist die neue »illegale Siedlung«. Da übernachten dann zwei, drei Familien oder auch nur Jugendliche, die sozusagen den neuen »Claim« bewachen und so Fakten schaffen. Wenn sie Glück haben, dann geschieht nichts, irgendwann werden sie an das Wasser- und Stromnetz der nächstgelegenen größeren Siedlung angeschlossen, die von der israelischen Regierung, egal welcher, irgendwann mal als »legal« eingestuft und somit an die israelische Infrastruktur angebunden worden war. Und dann wird die illegale Siedlung eines Tages auch als »legal« erklärt. Wenn die Siedler Pech haben, dann kommt die Armee oder die Polizei und zerstört die Siedlung. Doch häufig ist das nicht wirklich ernst gemeint. Die Armee kommt, die paar Hütten werden abgerissen, die Siedler bauen sie wieder auf. So geht das hin und her. Warum? Weil es irgendeinen gerichtlichen Erlass gibt, der befolgt werden muss, den die Siedler, allen voran die radikalen Jugendlichen, die die Gesetze des »araberfreundlichen« Israel nicht interessieren, unterlaufen. Irgendwann haben die Armee, der Grenzschutz, die Polizei keine Lust mehr auf diese Spielchen und lässt die Siedler gewähren. Oder die Regierung findet eine politische und gesetzliche Möglichkeit, die paar Hütten und Wohnwagen einfach stehen zu lassen und zu akzeptieren. Manchmal allerdings wurde in der Vergangenheit tatsächlich Ernst gemacht mit dem Abriss einer Siedlung. So etwa am 1. Februar 2017 in einem Außenposten der Siedlung Amona, die 1995 gegründet wurde. Das Oberste Gericht Israels hatte verfügt, dass der Außenposten geräumt werden müsse, da er auf privatem palästinensischem Gebiet errichtet wurde. Am 31. Januar hatten die Bewohner die Aufforderung erhalten, Amona innerhalb von 48 Stunden zu verlassen. Daraufhin geschah genau das Gegenteil. Viele radikale Siedler aus dem Westjordanland kamen zur Unterstützung in den Ort, um eine Zwangsräumung zu verhindern. Mit einem riesigen Aufgebot an Sicherheitskräften wurde diese dann dennoch gewaltsam durchgesetzt. Es kam zu regelrechten Schlachten zwischen Polizei und Siedlern mit vielen Verletzten auf beiden Seiten. Der Widerstand war so groß, dass die Räumung erst am nächsten Tag beendet werden konnte. Kurz danach begann man die Häuser abzureißen. Doch was sich für die Siedler zu diesem Zeitpunkt wie eine erneute Niederlage nach dem Abzug aus Gaza 2005 anfühlte, entpuppte sich im Nachhinein als Erfolg für sie. Israel verabschiedete kurz nach der Räumung des Außenpostens von Amona das sogenannte Regulierungsgesetz, das eine rückwirkende Legalisierung von illegal gebauten Siedlungen seit 1995 ermöglichte.
Die Neugründung von Siedlungen ist nicht nur Teil eines Plans, das Westjordanland vollständig in jüdische Hand zu bringen, da sich dort einst das biblische Israel befand und die jüdische Geschichte der biblischen Zeit abgespielt hat. Es geht immer auch um die Errichtung des »HaBait HaShlishi«, des »Dritten Hauses«. Gemeint ist der Dritte Tempel, der eines Tages genau dort errichtet werden soll, wo einst die beiden vorherigen jüdischen Tempel standen: Auf dem Tempelberg, dort, wo sich heute der Felsendom und die Al-Aksa Moschee befinden.
Den ersten Tempel errichtete König Salomon, der zweite wurde von den Juden nach ihrer Rückkehr aus dem babylonischen Exil gebaut und von Herodes dann prunkvoll ausgestattet und vergrößert. Mit der Zerstörung des Zweiten Tempels durch den römischen Feldherrn Titus im Jahr 70 n. Chr. war die Geschichte der jüdischen Unabhängigkeit, des jüdischen Staates mehr oder weniger beendet. Seitdem träumen und beten gläubige Juden auf der ganzen Welt, dass endlich der Messias erscheinen möge und den Dritten Tempel aufbaut. Dann nämlich, am Tag der Erlösung, werden alle Juden nach Jerusalem zurückkehren und die Toten wiederauferstehen. Der Dritte Tempel oder das »Dritte Haus« ist ein Erlösungsversprechen, eine Rückkehr zu den Zeiten, als sich Gott seinem Volk zu erkennen gab, als das Volk Israel in völligem Einklang mit seiner Bestimmung und Identität als eigenständige, auserwählte Nation im eigenen Staat leben konnte. So zumindest die Überzeugung, so der Glaube.
Während vor allem ultraorthodoxe Kreise geduldig auf diesen Tag warten, in Vertrauen auf die Wege Gottes, der allein entscheidet, wann die Zeit der Erlösung beginnen wird, will die Siedlerbewegung nichts weniger als diesen Tag »herbeizwingen«. So schnell wie nur möglich. Sie sind die Speerspitze jener messianischen Juden, die nun in der israelischen Regierung sitzen und deren Ziele alles sind, nur nicht realpolitisch. Radikale Politiker wie Itamar Ben Gvir und Bezalel Smotrich, die im Dezember 2022 zu Ministern für Nationale Sicherheit sowie Finanzen und zivile Angelegenheiten in den besetzten Gebieten berufen wurden, arbeiten für ein »höheres Ziel«. Sie wollen den real existierenden Staat Israel seiner »wahren Bestimmung« zuführen, koste es, was es wolle. Das ist keine Frage mehr von links oder rechts. Für sie ist selbst Premier Benjamin Netanyahu nur ein Mittel zum eigentlichen Zweck, er selbst ist ihnen nicht wichtig. Er ist für die gesamte Bewegung der ideologischen Siedler im Grunde nur ein Steigbügelhalter, um so viel Macht zu erlangen wie nur möglich, um den Staat zu schaffen, von dem sie träumen: einen halachischen Staat, einen Staat, der nach dem jüdischen Religionsgesetz geführt wird, in den einstigen Grenzen vom Mittelmeer bis zum Jordan. Einen Staat auf dem Weg zur Erlösung, einen Staat, der alles tut, um das Dritte Haus zu bauen.
Diese Theologisierung der israelischen Politik begann schon sehr früh, im Grunde bereits mit der Balfour-Deklaration 1917, als der britische Außenminister den Juden eine nationale Heimstätte in Palästina versprach. Diese Erklärung war ein Meilenstein in der Geschichte des Zionismus. Und sie war eine krachende Ohrfeige für die Ultraorthodoxen jener Zeit, die die Welt nicht mehr verstanden.
Der Zionismus begann ja bekanntlich als säkulare Bewegung, die nicht nur ein alternatives Angebot für eine jüdische Identität außerhalb der Halacha darstellte, sondern auch eine Provokation für sehr viele orthodoxe Strömungen im Judentum, die daran glaubten, dass es dem jüdischen Volk untersagt sei, einen Staat zu gründen. Dies sei dem Messias vorbehalten, so wie es die heilige Überlieferung besagt. Niemand habe das Recht, dem Schicksal und Gottes Willen vorzugreifen. Deswegen wurden die »Ziojnim«, wie sie auf Jiddisch verächtlich genannt wurden, vom Großteil der Orthodoxie nicht nur als Gotteslästerer angesehen, sondern auch noch als betrügerische Juden. Doch mit der Deklaration von Lord Balfour brachen Irritation und Unsicherheit in vielen frommen Kreisen aus. Wie konnte es sein, dass Gott diesen Apikorsim, diesen Atheisten, plötzlich so viel Erfolg vergönnte? Wie konnte es sein, dass die Entstehung eines jüdischen Staates von den mächtigen britischen Goyim unterstützt wurde, dass also nach 2000 Jahren Diaspora ein jüdischer Staat zumindest eine reale Option zu werden schien?
Diese Entwicklung widersprach allem, woran die Frommen glaubten, allem, was die Schriften prophezeiten. Was war los auf dieser Welt, die Gott doch geschaffen hatte und die seinem Willen unterlag? Die Verunsicherung reichte tief, niemand wusste eine Antwort auf eine der wichtigsten religiösen Fragen der jüdischen Welt jener Zeit. Doch dann wusste ein Rabbiner endlich Rat. Ein Rabbiner fand die theologische Antwort für diesen scheinbaren Widerspruch zwischen Gottes Wort und der Realität.
Raw Abraham Isaac Kook, der von 1865 bis 1935 lebte, war der erste aschkenasische Oberrabbiner Palästinas und ein wichtiger religionsphilosophischer Denker und Gelehrter jener Zeit. Seine Antwort auf den scheinbaren Antagonismus, mit dem sich die fromme Welt herumschlug, fand er in einer Analogie aus biblischen Zeiten. Er sah die nicht-religiösen, oftmals sozialistischen Zionisten als Handwerker Gottes an.
Der jüdische Tempel, in dem es regelmäßig Tieropfer gab, musste immer mal wieder gereinigt und renoviert werden, wie jedes profane Gebäude auch. Für diese Arbeit mussten die Handwerker aber auch das Allerheiligste betreten, den zentralen Raum, in den nur ein einziger Mensch an einem einzigen Tag im Jahr eintreten durfte: der Hohepriester. Der Tag: Yom Kippur, der höchste jüdische Feiertag, der Versöhnungstag, am dem nichts gegessen und nichts getrunken werden darf. Um in das Allerheiligste, wo sich wahrscheinlich auch die Bundeslade befand, eintreten zu dürfen, musste der Hohepriester besondere rituelle Waschungen vornehmen. Nachdem er diesen Raum dann betreten hatte, bat er Gott um Vergebung für die Sünden des Volkes. Er stand in diesem Raum sozusagen unmittelbar vor Gott. Die Kabbala, die Gott als einen Baum mit zehn Emanationen darstellt und ihn auf Hebräisch »Ein Sof«, also: »unendlich« nennt, erklärt, dass sich in diesem Raum die weibliche, die irdische Emanation Gottes befand, die sogenannte »Schechina«. Dieser Begriff bedeutet so viel wie »Wohnstätte«, das Allerheiligste ist also die Heimstätte Gottes auf Erden unter seinem auserwählten Volk. Später, nach der Zerstörung des Tempels, als die Rabbinen um den weisen Yohanan Ben Zakkai das heute bekannte »rabbinische Judentum« entwickelten, in dem sie den zentralen Tempeldienst transzendierten und metaphysisch in den Gottesdienst der Synagogen uminterpretierten, ging die »Schechina« mit den Juden ins Exil. Jeder Jude kann natürlich immer auch allein beten. Doch für ein Gemeinschaftsgebet braucht es mindestens zehn Männer, so die Regelung bis heute, im liberalen Judentum werden auch die Frauen mitgezählt. Es braucht zehn Betende, damit sich die Schechina unter ihnen niederlassen kann, egal, wo diese Juden beten. So ging die weibliche Emanation Gottes, nach den Lehren Ben Zakkais, quasi mit in die Diaspora.
In den Zeiten des Tempels allerdings war sie im Allerheiligsten. Und nun mussten also die Handwerker auch in diesen Raum. Was tun? Man fand eine pragmatische Lösung. Für die Renovierung wurde die Heiligkeit des Tempels »außer Kraft« gesetzt. Man entfernte für diese Zeit die Bundeslade und andere wichtige Ritualgegenstände aus dem Tempel. Und schon konnten sich die Handwerker darin bewegen wie in jedem anderen Gebäude auch, sie durften nun auch das Allerheiligste betreten. Wenn die Renovierungsarbeiten abgeschlossen waren, wurde der Tempel wieder neu geheiligt, es wurde heiliges Öl entzündet, die heiligen Gegenstände wieder in einem Ritual und mit Gebeten in den Tempel zurückgebracht, die Heiligkeit war wieder eingesetzt.
Raw Kook übernahm diese Vorgehensweise aus der Zeit des Tempels und interpretierte sie um. Die säkularen Zionisten wurden zu Handwerkern erklärt, die das Heilige Land auf die Ankunft des Messias vorbereiteten. Sie waren die Vorhut, die die Zeit der Erlösung vorantreiben sollten. Das geheiligte Land war Jahrhunderte in den Händen von Nichtjuden gewesen, es musste jetzt in einen Zustand versetzt werden, der die Ankunft des Messias ermöglichte. Dafür brauchte es die Zionisten. Sie waren in der Vorstellung Kooks Teil des göttlichen Plans und somit theologisch gerechtfertigt.
Nicht alle frommen jüdischen Gruppierungen übernahmen diese Sichtweise. Vor allem in ultraorthodoxen Kreisen gibt es bis heute Gruppen, die den Zionismus strikt ablehnen, ja, die die Zerstörung des jüdischen Staates herbeisehnen, weil er in ihren Augen ein Verbrechen an den Geboten Gottes ist. Diese Ultrafrommen findet man immer wieder bei anti-israelischen Demonstrationen in Teheran oder anderswo am sogenannten Al-Kuds-Tag, einem Protesttag, den das iranische Regime nach der Islamischen Revolution 1979 eingeführt hatte. An diesem Tag wird gegen die Besatzung des »zionistischen Gebildes«, wie Israel nur genannt wird, protestiert, die Besatzung in ganz Jerusalem. Und man schwört, dass man den jüdischen Staat vernichten werde. Diese anti-zionistischen Juden sind auf diesen Veranstaltungen gern gesehene Gäste, sie unterstreichen sozusagen die »Legitimität« der Absicht, Israel zerstören zu wollen, und werden von den Ayatollahs missbraucht, ohne dass diese jüdischen »Frommen« begreifen, was mit ihnen getrieben wird.
Diejenigen, die Raw Kooks theologischen Gedanken folgten, entwickelten sich zu den sogenannten nationalreligiösen Zionisten, also jenen, die schließlich die Siedlerbewegung Gush Emunim gründeten. Doch selbst wenn viele Fromme Kooks Idee ablehnten, so sind militante anti-zionistische Orthodoxe eine Minderheit innerhalb des großen Topfes an religiösen Strömungen im Judentum. Denn nach der Shoah sahen viele Rabbiner, die theologisch eigentlich gegen die Gründung des zionistischen Staates waren, dennoch ein, dass es den jüdischen Staat brauchte, um das Überleben des jüdischen Volkes zu sichern. Zumindest war man nach Auschwitz überzeugt, dass dies der einzige Weg sei, um die Zukunft der Juden garantieren zu können.
Im Sinne Raw Kooks konnte damit die gesamte zionistische Geschichte religiös interpretiert werden. Mit der Gründung des Staates Israel begann das, was in den Schriften als »Kibbutz Galuyot«, als »Einsammlung der Exilierten« beschrieben wird. Juden wanderten tatsächlich aus allen Winkeln dieser Erde nach Israel ein. Sie kamen aus Europa, den USA , aus Afrika und dem Nahen Osten. Die Zeit der Erlösung schien nun nah, die Gründung des Staates war ein Versprechen dafür. Nicht nur für ein geschundenes, abgeschlachtetes Volk, das drei Jahre nach Auschwitz seine Unabhängigkeit erhielt. Die Entstehung Israels schien wie ein Versprechen Gottes, dass ER nach der Katastrophe seinem Volk die Hand reicht und es zu seiner Erlösung führen wird. Die Theologisierung der Politik des Staates Israel war also unterschwellig immer schon vorhanden, selbst wenn die Zionisten der Gründergeneration mit dem praktizierten Glauben nur wenig am Hut hatten und sich Israel als einen säkularen und sozialistischen Staat vorstellten und ihn genau so aufzubauen versuchten.
Doch mit dem Sechstagekrieg 1967 begann sich alles zu verändern. Das »Versprechen Gottes« wurde nun scheinbar eindrucksvoll unterstrichen. Die Eroberung der Gebiete, die heute allgemein als »besetzte Gebiete« bezeichnet werden, die Eroberung des Westjordanlands, des eigentlichen biblischen Israel, die Rückeroberung der Heiligen Stätten und wichtiger Gräber der Stammväter und -mütter und Propheten wurden von vielen in der Tat als göttliches Zeichen gesehen. Nach 2000 Jahren Diaspora und nur 22 Jahre nach dem Holocaust. Und nicht nur fromme Juden sahen die Hand Gottes mit im Spiel, auch nichtreligiöse Juden begannen 1967 an ein Wunder zu glauben.
In dieser euphorischen Atmosphäre nach dem Sechstagekrieg entwickelte sich die »Handwerker«-Analogie fast zwangsläufig weiter. Es war der Sohn jenes Raw Abraham Isaac Kook, Raw Zvi Yehuda Kook, der dafür wiederum die theologischen Grundlagen lieferte. Er gilt als geistiger Vater der religiösen Siedlerbewegung, des Gush Emunim, des »Blocks der Getreuen«. Ihr theologisches Rüstzeug holten sich diese frühen Eiferer in der Merkaz-haRav-Yeshiva, der Religionsschule von Rabbi Zvi Yehuda Kook, die bis heute in Jerusalem existiert. Es galt nun das Werk der säkularen Zionisten zu vollenden. Jetzt aber bereits im religiösen Bewusstsein der Aufgabe. Ganz Israel, Eretz Jisrael, musste besiedelt werden, um es heilig zu machen, um es vorzubereiten auf die Ankunft des Messias, das war die Botschaft des Raw Zvi Yehuda Kook. Und dass er kommen wird, schien außer Zweifel zu stehen. Die Zeichen dafür waren doch offensichtlich. Nicht nur für die Juden. Für die ganze Welt. Die Fahne des jüdischen Staates wehte über ganz Zion, über ganz Jerusalem, war das nicht Zeichen genug?
Für die Schüler von Raw Kook, dem Sohn, war alles klar und deutlich. Sie entwickelten ihre Endzeit- und Erlösungsfantasien, die Raw Kook befeuert hatte, immer weiter. Diese religiösen Eiferer waren nicht bereit, sich von irgendjemandem aufhalten zu lassen. Nicht von den israelischen Politikern, nicht von den Palästinensern, von nichts und niemandem. Der inzwischen verstorbene Eliezer Waldman war einer derjenigen, der zu dem engen Kreis der Gush Emunim gehörte. Er und seine Freunde wussten genau, was das bedeutete: »Wir lebten in der Yeshiva in einer ständigen Anspannung und in Erwartung der nächsten Stufen auf dem Weg zur Erlösung. Wir wussten, dieser Prozess ist nicht einfach, wir wussten das immer«, erzählte er mir 2010, als ich ihn in Hebron besuchte. Aber sie gingen ihn. Ohne Zögern, ohne Zweifel, ohne Rücksicht auf die möglichen politischen oder persönlichen Konsequenzen. Wie die frühen Zionisten, so waren auch sie bereit, ihr Leben zu riskieren, mitten im Palästinensergebiet. Diesmal aber für eine religiöse Vision, keine irdische.
Als die frühen Zionisten begannen, Palästina zu besiedeln, gründeten sie noch vor der Entstehung des Staates 1948 auch in der Gegend zwischen Jerusalem und Bethlehem, dem Etzion Gebiet, ganz in der Nähe der Grabstätte der Stammmutter Rachel, einige Kibbutzim. Einer hieß Kfar Etzion. Doch während des israelischen Unabhängigkeitskrieges 1948 fiel das Gebiet in die Hände der Jordanier, die Männer von Kfar Etzion wurden alle getötet, Frauen und Kinder, darunter der kleine Hanan Porat, konnten gerettet werden. Porat träumte sein Leben lang davon, nach Kfar Etzion zurückzukehren. Als Israel dann 1967 das Westjordanland eroberte, machte er sich sofort daran, seinen Plan, den Kibbutz wieder aufzubauen, umzusetzen. Natürlich war auch Porat ein Schüler Raw Kooks. So bestürmte er den damaligen Verteidigungsminister Mosche Dayan mit einem Bibelzitat: »Und deine Söhne sollen zurückkehren in ihre Grenzen« und bat ihn um Genehmigung, ins Etzion-Gebiet zu dürfen. Dayan soll ihm mit folgenden Worten geantwortet haben: »Ich schätze eure Nostalgie, sie berührt mein Herz. Aber mit Nostalgie macht man keine Politik. Wir warten darauf, dass die Araber zum Telefon greifen und uns anrufen. Und dann brauchen wir die Gebiete als Verhandlungsmasse«. Nach dieser Absage wandte sich Porat an Premier Levi Eshkol und formulierte seinen Wunsch ein wenig anders. Er und seine Freunde wollten ins Etzion-Gebiet, um dort an Rosh Hashana, dem jüdischen Neujahrsfest, zu beten. »Nun, Kinderlech«, sagte Eshkol mit der liebevollen jiddischen Formulierung, »ihr wollt beten gehen? Dann geht«. Porat und seine Mitstreiter nahmen die Worte des Premiers ernst. Einige Organisationen, die sich ebenfalls der Besiedlung der »befreiten Gebiete« widmeten, halfen Porat bei den Vorbereitungen. Nur zwei Tage nach dem Okay des Premiers waren er und seine Freunde schon dort angekommen und gingen nie wieder weg. Kfar Etzion war bald wieder aufgebaut. In Porats Vorgehen ist schon die gesamte Strategie der Gush Emunim bis zum heutigen Tag angelegt: Unter Vorgaukelung falscher Tatsachen macht man sich auf den Weg, nutzt die Unentschiedenheit der Politiker aus und schafft Tatsachen vor Ort.
Die Unentschiedenheit von Dayan, Eshkol und vielen anderen lag vor allem daran, dass sie zunächst nicht so richtig wussten, was sie mit den Gebieten machen sollten, die Israel im Krieg so überraschend in die Hände gefallen waren. Die messianischen Schüler der Merkaz-haRav-Yeshiva wussten es umso besser. Nur ein Jahr später, 1968, bezog eine Gruppe nationalreligiöser Gläubiger unter Führung von Rabbi Moshe Lewinger das Park-Hotel in Hebron. Überflüssig zu sagen, dass auch Lewinger ein Schüler Raw Kooks war. Und wieder behalfen sich die Messianisten mit einer »Notlüge«. Man erklärte der israelischen Militärverwaltung, man wolle lediglich das Pessachfest in der Nähe der Gräber der Patriarchen feiern. Aber Eliezer Waldman sagte bereits damals in Hebron gegenüber dem israelischen Fernsehen ohne Wenn und Aber: »Unsere Antwort auf Gottes Ruf, das Land wieder zu übernehmen, ist, hier zu siedeln. Wir sind sicher, dass die israelische Regierung uns genehmigen wird, hier zu bleiben, von hier aus werden wir in die Wildnis hinausgehen und eine Stadt bauen.« Die jungen nationalreligiösen Idealisten blieben, ganz wie sie es vorausgesagt hatten. Aber in Hebron waren sie ein kleiner Haufen mitten in einer arabischen Stadt. Das war gefährlich. Daher unterstützte die Armee die Siedler inoffiziell, sie gab ihnen Waffen und Munition. Schließlich hatten viele der jungen Siedler zuvor in Eliteeinheiten gedient, sie waren Kriegshelden, sie gehörten zu ihnen. Die Begeisterung, dass seit dem schrecklichen Pogrom gegen die jüdische Gemeinschaft in Hebron 1929, bei dem 67 Juden ermordet wurden, Juden wieder zurück in der Stadt waren, direkt neben der Höhle Machpela, der Grabstätte der Stammväter und -mütter – außer Rachel, sie liegt in der Nähe von Bethlehem begraben –, war so groß, dass die Regierung es nicht wagte, sie von dort wieder zu vertreiben.
Die Politik blieb weiter uneins, was mit den besetzten Gebieten geschehen soll. Yigal Allon, damals Arbeitsminister, entwickelte einen Plan, nachdem Israel einen Teil der Gebiete behalten, der Rest aber nach Verhandlungen an Jordanien zurückgegeben werden sollte. Doch bereits 1967 hatte die Arabische Liga in Khartum ihre drei Neins festgeschrieben: Nein zum Frieden mit Israel, Nein zur Anerkennung Israels, Nein zu Verhandlungen mit Israel. Und so kam der Plan der Regierung einfach mal in die Schublade. Das Ergebnis war ein völliger politischer Stillstand. Und die Gruppe, die die Initiative ergriffen hatte und in die Gebiete gegangen war, gewann die Oberhand. Nach der Entscheidung von Khartum waren aber selbst linke, überaus säkulare Politiker überwältigt von der Hoffnung, Israel könnte beides, die Gebiete behalten und damit Besatzungsmacht über Millionen Palästinenser sein, und dennoch eine Demokratie bleiben. Dahinter stand die »Strategie«, darauf zu warten, dass die Araber endlich anrufen, aber gleichzeitig dafür zu sorgen, dass die Leitung belegt war.
Doch dann kam der Oktober 1973, der Yom-Kippur-Krieg, der der wirkliche, alles entscheidende Anstoß für die Siedlerbewegung werden sollte. Am höchsten jüdischen Feiertag griffen Ägypten und Syrien Israel überraschend an. Der jüdische Staat verlor nicht nur mehr als 2000 Soldaten, sondern auch seinen Nimbus, unbesiegbar zu sein. Nach Kriegsende befand sich das ganze Land daher in einem kollektiven, nationalen Trauma. Daraufhin hatten mehrere Anhänger von Raw Kook gleichzeitig die Eingebung, dass es Zeit sei zu handeln. Hanan Porat, der im Krieg schwer verletzt wurde und im Krankenhaus lag, hatte die Idee, Gush Emunim, den »Block der Getreuen«, zu gründen. Er schrieb seinen Freunden einen Brief mit einem Zitat aus der Thora: »Zion, fürchte dich nicht. Lasse deine Hände nicht schwach werden. Habt keine Panik.« Bei unserer Begegnung in Kfar Etzion, ein Jahr vor seinem Tod, war Porat schon schwer gezeichnet vom Krebs. Aber immer noch war er voller Verve, er glühte geradezu, als er mir von den Anfängen der Bewegung erzählte, und wiederholte noch einmal: »Zion, fürchte dich nicht!« Ähnlich wie Porat hatte auch Daniella Weiss eine solche Eingebung, wie sie mir in Kedumim erzählte: »Es war zwei Uhr nachmittags an Yom Kippur 1973. Da hörte ich, dass der Krieg ausgebrochen war, und ich begriff plötzlich: Wow! Gott spricht zu mir! Zu mir und auch zu anderen Juden in Israel. Aber ich fühlte, dass Gott mich ganz persönlich ansprach. Wie kommt es, dass du so gleichgültig bist gegenüber dem wunderbaren Geschenk, das ich dir gemacht habe? Vor sechs Jahren im Sechstagekrieg. Das ganze Israel für dich, Daniella, und das jüdische Volk!« Sie wussten alle: nun war ihre Stunde gekommen. Sie packten den Stier bei den Hörnern, sie wollten, sie mussten dem Ruf Gottes folgen – oder dem, was sie dafür hielten.
Die alte Bahnstation von Sebastia aus der Osmanischen Ära sollte 1975 zum Schicksalsort des Gush Emunim werden. Mehrere Male hatten Moshe Lewinger, Hanan Porat und andere führende Figuren versucht, sich hier niederzulassen. Doch immer wieder hatte die Armee dies verhindert. Im Dezember 1975 kamen schließlich immer mehr junge fanatische Gläubige nach Sebastia, wild entschlossen, sich von der Armee nicht noch einmal vertreiben zu lassen. Rasende Euphorie hatte die Siedler ergriffen. Benny Katzover, auch er ein Mann der ersten Stunde, hatte die Lage damals kühl analysiert. In der Siedlung Elon Moreh, wo ich ihn besuchte, sitzen wir auf einer Anhöhe und lassen den Blick über die wirklich atemberaubende, biblische Landschaft von Samaria schweifen. Er erinnert sich gut, wie er damals die Lage betrachtete, denn er denkt heute kein Jota anders: »Mir war damals klar: Wenn Samaria ohne Juden bleibt, verlieren wir die Legitimation für den ganzen Staat Israel. Die Anfänge des jüdischen Volkes waren hier in Shchem, in Nablus. Es war die erste Station von Abraham, sein Enkel Jakob kam immer wieder hierher zurück. Hier wurde zwischen Gott und den Juden der erste Bund geschlossen. Hier wurde das jüdische Volk als Nation geschaffen. Wenn dies nicht dem jüdischen Volk gehört, gehört dann Tel Aviv dem jüdischen Volk?«
Yitzhak Rabin, der damals das erste Mal Premier war und die Siedlerbewegung nicht mochte, hatte seinen Verteidigungsminister Shimon Peres nach Sebastia geschickt, um eine Lösung zu finden. Peres, schon damals politischer Rivale Rabins innerhalb der Arbeitspartei, war ein Anhänger der Siedler. Er erlaubte ihnen zu bleiben. Zwar nicht in Sebastia, aber im daneben liegenden Militärlager Kadum. Dort sollten sie fürs Erste übernachten. Das wurde dann als Kompromiss verkauft. Doch in Wahrheit hatte die Regierung kapituliert. Aber es war noch viel mehr: In diesem Zustand des kollektiven Traumas nach dem beinahe verlorenen Krieg boten die energiegeladenen Eiferer einen Weg aus dem Schmerz und der Schmach an, während die alte Garde das Gefühl hatte, Israel sei am Ende. Premierministerin Golda Meir und viele andere hatten nach dem Krieg ihren Hut nehmen müssen. Die ihr folgten, mussten einen politischen Trümmerhaufen übernehmen. Und da kamen die Porats und Lewingers, die Weiss’ und Katzovers und Waldmans und riefen den Israelis zu: »Hier, wir bieten euch einen neuen Zionismus an, greift zu!« Und sie griffen zu, vor allem nach 1977 unter Premier Menachem Begin und mit Hilfe des ehemaligen Generals Ariel Sharon, der in Begins Kabinett zum Vater der Siedlerbewegung wurde. Sharon träumte davon, über eine Million Juden nach Judäa und Samaria zu bringen. Er entwickelte einen genauen Plan, um das gesamte Westjordanland mit Siedlungen zu überziehen, um damit Israel strategisch abzusichern und gleichzeitig einen palästinensischen Staat für immer zu verhindern. Was sich hier zu vermischen begann, war auf der einen Seite die tief religiöse, messianische Ideologie, auf der anderen Seite eine vermeintlich sicherheitspolitische Überlegung, um das Überleben des Staates Israel zu garantieren. Ein Mix, der über Jahrzehnte andauern sollte und dessen Grenzen sich mehr und mehr verschoben – nicht nur auf der Landkarte, sondern auch in den Köpfen der Menschen.
Aber mehr noch: Mit der Gründung der »Peace Now«-Bewegung 1978 bekamen die Gegner der Siedlerbewegung eine Stimme. Der Riss, der die israelische Gesellschaft bis heute mehr und mehr spaltet, wurde damals allmählich sichtbar. Eliezer Waldman erzählte mir bei meinem Besuch in Hebron 2010, im Ton ganz wie ein gütiger Vater, der seinen törichten Kleinkindern ihre Fehler verzeiht, dass »einige unserer Brüder in Israel« das ganze Konzept der Erlösung nicht begriffen, dass es ihnen fremd sei. Waldman sprach im Stile eines Geistlichen, der so tief von seiner Mission ergriffen und überzeugt ist, dass er keine Zweifel hat, dass eines Tages alle Juden aufwachen und ihm und den anderen Siedlerführern folgen würden.
Mit Gush Emunim wurde allerdings offensichtlich, dass sich der sogenannte Religiöse Zionismus von dem, was Theodor Herzl unter Zionismus verstand, entfernte. Für Herzl bedeutete Zionismus die Freiheit und politische Unabhängigkeit des jüdischen Volkes, er wäre ja sogar bereit gewesen, dafür an irgendeinen anderen Ort auf der Welt zu gehen. Hauptsache weg vom Antisemitismus, hin zur politischen Selbstbestimmung. Für Gush Emunim wurde der Zionismus zur Herrschaft über den Boden, über das Land. Denn auf diesem Wege soll die spirituelle Freiheit, die Erlösung kommen, eine völlig andere Form der Freiheit. Von Erlösung konnte bei einem so säkularen Juden wie Herzl nie die Rede sein.
Es war klar, dass die Siedlerbewegung bei den Palästinensern Reaktionen provozierte. Sie sehen Palästina als ihr Land an, für sie war das Vorgehen der Siedler einfach nur Landraub. Etliche Jahre nach dem Sechstagekrieg 1967 lebten Palästinenser und Israelis in ihrem Alltag noch einigermaßen friedlich nebeneinanderher, abgesehen vom Terror der PLO . Auch ich erinnere mich noch gut, wie man ohne Angst und Sorgen in Gaza Fisch essen konnte, in Ostjerusalem herumbummelte, in Nablus Knaafe aß oder in Hebron Kaffee trank. Es gab kaum Checkpoints, nur wenige Kontrollen, lediglich israelische Soldaten, die überall patrouillierten. Natürlich war nichts an der Situation »normal«, aber für den einzelnen Besucher aus Israel war es nicht gefährlich, sich in der palästinensischen Gesellschaft zu bewegen.
Doch allmählich änderte sich das. Palästinensische Angriffe auf Siedler und die Gewalt nahmen zu, die Zahl der Todesopfer ebenso. Im Mai 1980 wurden sechs Yeshiva-Studenten in Hebron auf offener Straße ermordet, 16 verletzt. Daraufhin reagierte zum ersten Mal der sogenannte Jüdische Untergrund, eine Gruppe von Siedleraktivisten, die zurückschlug, indem sie islamische Einrichtungen und prominente Palästinenser angriff. So verlor der Bürgermeister von Nablus, Bassam Shakaa, bei einer Autobombenexplosion beide Beine, Karim Khalaaf, der Bürgermeister von Ramallah, ein Bein.
Yehuda Etzion, einer der Aktivisten damals, rechtfertigte die Taten. Man habe erwartet, die israelische Regierung würde etwas tun, zumindest »diese Leute« von hier verbannen. Aber als das nicht geschah, »sahen wir uns berechtigt, diese Menschen selbst anzugreifen«, wie er mir vor dem Hintergrund des Tempelbergs in Jerusalem erzählt. Doch Etzion wollte es bei den Anschlägen auf palästinensische Politiker nicht belassen. In den frühen Achtzigerjahren planten er und seine Freunde einen Anschlag, der im letzten Augenblick vom israelischen Inlandsgeheimdienst Shin Bet verhindert werden konnte. Diese Fanatiker hatten nichts weniger vor, als den Felsendom und die Al-Aksa-Moschee in die Luft zu jagen, um so einen Weltkrieg zwischen den Muslimen und dem jüdischen Staat zu provozieren. Einen Endkrieg, Gog Magog, am Ende der Tage, der schließlich zu einem Sieg des jüdischen Volkes über seine ewigen Feinde führen sollte und zum Bau des Dritten Tempels.
Etzions Vorbereitungen waren ziemlich weit gediehen, er hatte bereits mehrere massive Sprengkörper organisiert, die die vier Säulen der goldenen Kuppel zum Einsturz bringen sollten und die Säulen rund um die Kuppel. In einem Gespräch mit Ari Shavit, das in dessen Buch Mein gelobtes Land: Triumph und Tragödie Israels zu finden ist, erzählt Etzion, wie er in seiner Vorstellung bereits die Kuppel in einer riesigen Staubwolke einstürzen sah. Und dann, so Etzion, höre die Verwirrung auf und das »Stottern« Israels, es gebe dann endlich Klarheit, ein Kapitel sei zu Ende, ein neues könne beginnen.
Etzion erhielt für diesen versuchten Terroranschlag, der eine Katastrophe hätte auslösen können, sieben Jahre Haft, von denen er nur fünf absitzen musste. Unter den Richtern befand sich ein Anhänger der Siedlerbewegung, der für die milde Strafe sorgte. Auch da zeichnete sich eine Entwicklung ab, die heute offensichtlich geworden ist. Die Siedler und ihre Gefolgschaft begannen irgendwann den »Marsch durch die Institutionen«, sie besetzten immer mehr wichtige Positionen in Justiz, Politik und bei den Sicherheitskräften. Erlösungsgedanken sind inzwischen überall zu finden, in vielen Kreisen gibt es gar kein Verständnis dafür, dass ihr Handeln ein großes Risiko für Israel darstellen könnte, sie halten ihre Gegner für schwach, für Feiglinge. Die Rückgabe der besetzten oder befreiten Gebiete – je nach ideologischer Terminologie – ist überhaupt keine Option mehr.
Etzion zeigt bis heute keinerlei Reue, in Siedlerkreisen ist er nach wie vor hoch angesehen. In unserem Gespräch bedauert er, dass sein Plan damals nicht geklappt hat: »Schon möglich, dass ein Terrorangriff, der die Moschee auf dem Tempelberg vernichtet hätte, die muslimische Welt dazu gebracht hätte, sich gegen uns zu erheben. Aber ich bin mir nicht sicher, ob der Staat Israel im Lande Israel existieren kann, wenn der Tempelberg in muslimischer Hand bleibt, wenn sie das Sagen haben an dem Ort, der uns Juden an die Offenbarung Gottes bindet. Es gibt keine Rettung für Israel, solange der Tempelberg in nichtjüdischen Händen ist.«
Macht es Sinn, gegen solche Überzeugungen zu argumentieren? Die Radikalisierung auf beiden Seiten, auf der Seite der Siedler und der Palästinenser, nahm immer weiter zu. Als am 25. Februar 1994 der Arzt Baruch Goldstein aus Kiryat Arba, der Siedlung direkt neben Hebron, die Waldman und seine Freunde aufgebaut hatten, als sie in die »Wildnis hinauszogen«, in die Moschee des muslimischen Teils der Grabstätte der Patriarchen eindringt und dort wild um sich zu schießen beginnt, ist das ein entsetzlicher Höhepunkt jüdischer Siedlergewalt in jenen Tagen. Bei dem Anschlag wurde 29 Menschen getötet, 125 zum Teil schwer verletzt, Goldstein wurde von muslimischen Überlebenden zu Tode geprügelt.
Immerhin, Teile der Siedlerbewegung waren schockiert. Benny Katzover erinnert sich: »Es schien unmöglich, dass ein Jude so was tut. Nicht moralisch, nicht praktisch. Wir begriffen später, warum er das tat – er wollte die Araber abschrecken. Aber es war klar, es war kontraproduktiv.« Was man zwischen den Zeilen herauslesen kann: Wenn die »Abschreckung« funktioniert hätte, wäre das Attentat wohl in Ordnung gewesen. Ministerpräsident Rabin rief nur drei Tage später in der Knesset den Siedlern zu: »Ihr seid ein Fremdkörper, seid Unkraut. Das vernunftbegabte Judentum speit euch aus. Ihr habt euch außerhalb des jüdischen Rechts gestellt. Ihr seid eine Schmach für den Zionismus und ein Schandfleck für das Judentum!«.
Starke Worte, gewiss. Doch wieder tat eine israelische Regierung – nichts. Die Siedlung in Hebron löste Rabin nicht auf. Er ließ alles, wie es war. Und bezahlte mit seinem Leben. Der Mann, der mit dem Oslo-Abkommen einen Friedensprozess mit den Palästinensern unter der Führung von Yassir Arafat eingeleitet hatte, wurde von einem jungen Fanatiker am 4. November 1995 nach der größten Friedensdemonstration in der Geschichte Israels mitten in Tel Aviv erschossen. Der Attentäter, Yigal Amir, war kein Siedler, doch er war ein Anhänger ihrer Ideologie. Niemand durfte sich dem großen Projekt, der Entstehung des halachischen Staates und dem Aufbau des Dritten Tempels, entgegenstellen. Die Erlösung war ganz nah. Dafür mussten auch Juden sterben, dafür musste auch ein Premier sterben. Er war ja ein Verräter, da ging das in Ordnung. Ein Rabbiner, Yossi Dayan, hatte sogar ein kabbalistisches Zeremoniell, die sogenannte Pulsa Denura, gegen Rabin durchgeführt, ein Ritual, bei dem Gott gebeten wird, einen »Sünder« zu verfluchen und zu töten.
Israel hatte nun eindeutig vor Augen, wohin sich die Lage entwickeln würde, wenn man den Siedlern nicht Einhalt gebietet. Doch es wurde ihnen kein Einhalt geboten, im Gegenteil. Sie wurden weiter unterstützt. Immer mehr. Nur einer stellte sich ihnen entgegen. Ariel Sharon, ausgerechnet. Der »Vater der Siedlungen« entschied, dass Israel alle Siedlungen und das gesamte Militär 2005 aus Gaza abzog. Bis zum letzten Moment glaubten viele Siedler nicht, dass dies geschehen würde. Gott würde es nicht zulassen. Doch Gott ließ es zu. Israel zog aus Gaza ab. Und aus vier Siedlungen im Westjordanland. Ein halbes Jahr später fiel Sharon ins Koma und erwachte bis zu seinem Tod nicht mehr. Die Siedler sahen das als Zeichen, als Strafe Gottes für den Frevel, Gaza aufgegeben zu haben. Wiederum hatte es ein »Pulsa Denura«-Ritual gegeben – diesmal gegen Sharon –, das auch in einer Presseerklärung veröffentlicht wurde.
Die Siedler schworen sich damals, einen weiteren Abzug nicht mehr zuzulassen, schon gar nicht aus dem Westjordanland, aus Judäa und Samaria, dem eigentlichen biblischen Israel. Nie und nimmer. Und wenn es einen Bruderkrieg bedeuten würde. Und wenn es Krieg mit der Armee bedeuten würde. Dies war die Lehre aus der »Hitnatkut«, aus dem Abzug aus Gaza, der »Abtrennung« von den Palästinensern.
Was folgte, ist bekannt. Israel baut im Westjordanland immer weiter, die Siedler können mehr oder weniger machen, was sie wollen. Es kommt zu Anschlägen und Gegenanschlägen zwischen Israelis und Palästinensern, die Lage ist mal schrecklich, mal entsetzlich, aber die Wahrscheinlichkeit, dass es eines Tages doch noch eine Zwei-Staaten-Lösung geben könnte, schwindet mit jedem neuen Tag, mit jedem neuen Ziegelstein, der im Westjordanland verbaut wird.
Dies ist der ideologische Hintergrund der neuen Politiker wie Itamar Ben Gvir und Bezalel Smotrich, die nun im Zentrum der Macht im jüdischen Staat angekommen zu sein scheinen. Doch es ist nicht nur die Ideologie des Gush Emunim, die sie antreibt. Es ist auch das Denken und Handeln des Rabbi Meir Kahane, der vor allem für Ben Gvir von Bedeutung ist, dessen Partei Otzma Yehudit einst als Nachfolgepartei von Kahanes verbotener Kach-Partei begonnen hatte.
Rabbi Meir Kahane, der als Martin David Kahane 1932 in den USA geboren wurde, war ein orthodoxer Rabbiner und ultranationalistischer Politiker. Er trat frühzeitig für die Freiheit zur Auswanderung von unterdrückten Juden in der Sowjetunion ein und war ein überzeugter Vertreter von Gewaltmaßnahmen gegen alle, die er als Feinde des jüdischen Volkes ausmachte. Natürlich unterstützte er auch die Annexion des Westjordanlands und des Gazastreifens.
Kahane gründete die JDL , die Jewish Defence League, eine Art Wehrtruppe, die zunächst in den USA , aber später auch in anderen Ländern, mit brutaler Gewalt gegen angebliche oder tatsächliche Antisemiten vorging, vor allem gegen Neonazis, Muslime und Afro-Amerikaner. Gab es einen Terrorakt gegen Juden, ging die JDL sofort in das entsprechende Viertel und reagierte mit Gegenterror. 1971 gründete Kahane seine Kach-Partei in Israel, während er gleichzeitig in den USA und später auch in Israel wegen terroristischer Aktivitäten zu Bewährungsstrafen verurteilt wurde. 1984 wurde er schließlich in die Knesset gewählt.
Doch Kahane wurde vom Parlament boykottiert. Wenn er sprach, zogen die Abgeordneten aus dem Saal aus, selbst der rechte Hardliner Yitzhak Shamir, Likud-Vorsitzender und damals Premier, verließ mit der gesamten Likud-Fraktion den Plenarsaal. Wenn man bedenkt, dass Likud-Chef Benjamin Netanyahu nun mit Ben Gvir und Smotrich eine Koalition eingeht, begreift man, wohin sich der Likud in den letzten Jahrzehnten bewegt hat, die Entwicklung ist fast parallel zur »Grand Old Party«, den Republikanern in den USA zu sehen. Die scheinen sich nun zwar von Donald Trump abzuwenden, aber auch nur, weil der im Augenblick nur Rückschläge und Niederlagen zu bieten hat. Davon ist der Likud mit Netanyahu weit entfernt, Netanyahu hat im November 2022 die letzte Wahl gewonnen. Hinzu kommt, dass Netanyahu ein überaus kluger, gebildeter und extrem versierter Politiker ist, selbst wenn er in den letzten Jahren zunehmend populistische Züge entwickelte. Rein intellektuell ist er einem Donald Trump haushoch überlegen.
Doch zurück zu den Achtzigerjahren: Wie konnte ein so extremistischer Politiker wie Rabbi Kahane in die Knesset gewählt werden? Das Zentrale Wahlkomitee hatte versucht, der Kach die Teilnahme an den Wahlen zu verbieten, doch das Oberste Gericht hob die Entscheidung wieder auf, es gab kein Gesetz, auf dessen Grundlage ein Verbot einer solchen Partei möglich gewesen wäre. Daraufhin wurde in der Knesset eiligst ein Gesetz zum Verbot »rassistischer« und »undemokratischer« Parteien verabschiedet. Bei den nächsten Wahlen 1988 konnte Kach schon nicht mehr antreten. Möglicherweise hätte Kahane damals zulegen können. Ende 1987 war die erste palästinensische Intifada ausgebrochen, die Stimmung kippte weiter nach rechts, wie immer in solchen Kriegs- und Krisensituationen, sie hätte möglicherweise dem radikal anti-arabischen Rabbi genutzt.
Kahanes Ideologie, der sogenannte Kahanismus, war eindeutig rassistisch. Der extremistische Rabbi forderte nicht nur, dass Israel ein halachischer Staat werden müsste, also eine Theokratie, sondern er hatte auch klare Vorstellungen, was mit den Nichtjuden im Land geschehen soll. Sie könnten entweder als »ansässige Fremde« mit eingeschränkten Rechten im Land bleiben, Israel verlassen und für ihr Eigentum eine Kompensation erhalten oder sogar gewaltsam vertrieben werden, ohne jegliche Kompensation. Kahane wollte auch Liebesbeziehungen zwischen Juden und Nichtjuden verbieten lassen, jüdische und arabische Viertel strikt trennen, jegliche Begegnungen zwischen arabischen und jüdischen Studenten untersagen. Im November 1990 wurde Kahane in einem Hotel in New York von einem Mann ermordet, der in Ägypten geboren, aber US -Staatsbürger war. Ein gewaltsames Ende für einen gewaltbereiten Mann.
Ben Gvir war in seinen jungen Jahren ein Schüler Kahanes, er hatte in seinem Wohnzimmer lange ein Bild von Baruch Goldstein hängen, dem Attentäter von Hebron, der ebenfalls Kach-Anhänger war. Bis heute gibt es unter den Kahanisten den Spruch »Kahane zadak«, »Kahane hatte recht«. Möglicherweise glaubte und glaubt auch Ben Gvir daran. Doch irgendwann hängte er das Bild Goldsteins ab, er wollte in der Gesellschaft reüssieren und gab sich moderat, erklärte auch, er habe sich von den Lehren Kahanes inzwischen entfernt. Ihm das zu glauben, fällt schwer angesichts seiner politischen Äußerungen und fortlaufenden, zum Teil provokativen Aktionen, etwa während der massiven Zusammenstöße zwischen Palästinensern und israelischen Sicherheitskräften im Oktober 2022.
Ben Gvir war mit seinen Anhängern bewusst in die Gegenden gezogen, wo die Auseinandersetzungen stattfanden. Als in einem Stadtteil von Ostjerusalem Steine auf ihn und seine Gefolgschaft geworfen wurden, zog er seine Waffe und rief den israelischen Sicherheitskräften zu, sie sollten die angreifenden Palästinenser doch einfach alle erschießen. Ist Ben Gvir also moderater geworfen? Viele bezweifeln das. Seine Forderungen während der Koalitionsverhandlungen im November und Dezember 2022 scheinen darauf hinzudeuten, dass er seine radikalen Vorstellungen unbedingt auch als Minister für Nationale Sicherheit durchsetzen möchte. In dieser Position ist er jetzt nicht nur Chef über die israelische Polizei, sondern er hat auch, anders als alle seine Vorgänger, das Recht bekommen, das operative Handeln der Polizei zu bestimmen und damit den Polizeipräsidenten zur Marionette verkommen zu lassen.
Darüber hinaus will er die Schießerlaubnis für die Polizei erleichtern, sie soll nun schneller die Waffe ziehen dürfen. Last but not least hat Ben Gvir auch noch die Befehlsgewalt über etwa 2000 Grenzpolizisten im Westjordanland erhalten, die bislang der israelischen Armee unterstanden. Damit würde er in den besetzten Gebieten über eine »eigene kleine Armee« verfügen, wie israelische Journalisten kritisierten. Und als es unlängst nach einem WM -Fußballspiel der Nationalmannschaft Marokkos zu gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen Beduinen im Süden Israels und der Polizei kam, erklärte der zu dem Zeitpunkt noch designierte Minister, dass es solche Exzesse, wenn er erst einmal im Amt sei, nicht mehr geben werde. Nun ist er im Amt und nach dem schrecklichen Attentat eines Palästinensers vor einer Synagoge in Neeve Yacov in Ostjerusalem, bei dem neun jüdische Israelis getötet wurden, forderte Ben Gvir sofort, dass Israelis sich bewaffnen müssen. Dafür soll das Genehmigungsverfahren abgekürzt werden, das israelische Sicherheitskabinett hat dem schon zugestimmt.
Ganz egal, wie die israelische Politik unter der neuen Regierung von Premier Benjamin Netanyahu aussehen wird, sie ist die erste Regierung, in der eindeutig messianisch-ideologisierte Politiker nicht nur in extrem wichtigen Schlüsselpositionen sitzen, sondern aus diesen Machtpositionen heraus auch versuchen könnten, das demokratische Israel einer völlig anderen Bestimmung zuzuführen. Seit Jahrzehnten tobt dieser »Kulturkampf«, der nicht nur eine Auseinandersetzung zwischen »links« und »rechts« ist, nicht nur ein Kampf zwischen »Frommen« und »Säkularen«.
Israel, die tatsächlich einzige Demokratie im Nahen Osten mit all ihren Schwächen und Fehlern, dieses Israel hat nun eine Regierung bekommen, die aktiv ein messianisches Judentum, einen messianischen Staat anstreben könnte, um die »Endzeit« voranzutreiben, die Erlösung, wie sie die Heiligen Schriften prophezeien – und damit einen grundsätzlich anderen Staat. Realpolitisch ist dies ein völlig surrealer Gedanke, ein Programm, das auf eine Katastrophe zusteuern würde, die aber, wie schon Yehuda Etzion es formuliert hat, in Kauf genommen werden könnte, um die Ankunft des Messias zu beschleunigen.
Auf alle Fälle könnte diese Entwicklung unabsehbare Folgen haben: Massive Gewalt in den besetzten Gebieten zwischen Palästinensern und Israelis, noch mehr Terror, noch mehr Militäreinsätze, unter Umständen sogar völlig unkontrollierbares Chaos, da der greise Palästinenserpräsident Mahmud Abbas und seine Sicherheitskräfte schon jetzt die Oberhand über Teile des Westjordanlands, vor allem um Jenin und Nablus, an die Hamas, den Islamischen Jihad und andere palästinensische Gruppen verloren zu haben scheinen. Und wenn Abbas in dieser Phase auch noch stirbt und völlig unklar ist, wer ihm nachfolgen könnte, wäre das eventuell sogar noch das Ende der Palästinensischen Autonomiebehörde. Damit müsste dann Israel wieder die Verantwortung für das gesamte Westjordanland übernehmen, eine militärisch, logistisch und finanziell kaum zu bewältigende Aufgabe, auch wenn Smotrich, Ben Gvir und viele andere sich genau das wünschen, die komplette Machtübernahme und damit das endgültige Aus der Zwei-Staaten-Idee.
Im Inneren Israels droht ebenfalls eine massive Konfrontation zwischen arabischen Israelis, also den etwa zwei Millionen Palästinensern mit israelischer Staatsbürgerschaft, und den Sicherheitskräften unter Minister Ben Gvir. Bürgerkriegsähnliche Zustände könnten im Kernland Israel ausbrechen. Doch auch die liberalen Israelis werden eine messianisch-politische Revolution in ihrem Land nicht so ohne weiteres hinnehmen. Oppositionspolitiker kündigten schon während der Koalitionsverhandlungen der neuen Regierung an, man werde mit allen Mitteln gegen das Ende der Demokratie kämpfen. Man rief sogar schon dazu auf, im Falle einer Veränderung des politischen und juristischen Systems Israels sollten Millionen Bürger auf die Straße gehen, um das zu verhindern. Allerdings könnten sich die finanziell Unabhängigen, die einen wichtigen Teil des israelischen BIP ausmachen, entscheiden, das Land zu verlassen, was wirtschaftlich für Israel sicherlich problematisch wäre.
Inzwischen gibt es Massendemonstrationen gegen die Pläne der Regierung, das gesamte Justizsystem umzustürzen. Die ersten Hightech-Firmen verlagern bereits ihr Vermögen ins Ausland. Die »Justizreform«, wie die Koalition ihr Vorhaben nennt, sieht eine Entmachtung des Obersten Gerichts vor, das dann keinerlei Kontrolle mehr über die Politik hätte. Auf diese Weise könnte Premier Netanyahu seinen Prozess wegen mutmaßlicher Korruption in drei Fällen beenden, an deren Ende ihm im Falle einer Verurteilung Gefängnis drohen würde. Der Umsturz des Justizsystems, dieses sehr irdische Vorhaben von Netanyahu und seinem Justizminister Yariv Levin, die Gewaltenteilung aufzuheben, käme den Messianisten, die im Zentrum der Macht angekommen sind, sehr entgegen. Sie hassen alle staatlichen Institutionen, die sie als Teil des liberalen und damit feindlichen Systems verstehen. Ben Gvir und Smotrich werden daher alles versuchen, um dieses zu untergraben. Denn sie wollen das Dritte Haus bauen, sie wollen den halachischen Staat. So schnell wie nur möglich. Und wollen dafür an der Macht bleiben.