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Der Van bog in die Einfahrt zu den Paramount Studios ab. Ein Wachmann kontrollierte ihre Beraterausweise, gab dann Anweisung, die Schranke zu öffnen, und winkte sie durch. Nachdem der Fahrer den Wagen geparkt hatte, bedankten sich Nick, Carol und Petra bei ihm und stiegen aus. Das Studio-Gelände war gigantisch groß. Nick fühlte sich wie beim Besuch eines Freizeitparks, auch wenn keine Achterbahnen auf ihn warteten, sondern Filmkulissen. Er konnte es kaum erwarten, alles zu erkunden.

»Wohin müssen wir noch mal?«, fragte er.

»Halle 26 und 27«, erwiderte Carol. »Aber wo die sind, weiß ich auch nicht.«

»Da vorne ist ein Schild mit dem Geländeplan«, sagte Nick.

»Wer braucht denn einen Plan, wenn er mich hat?«, quakte es fröhlich in seinem Ohr. Bruno war nach zwei Tagen im Stand-by-Modus froh, wieder mit von der Partie zu sein – sehr zum Leidwesen von Nick, der während der gesamten Autofahrt sein ununterbrochenes Geplapper hatte ertragen müssen. »Nach dem Parkplatz links, am Souvenirshop und Restaurant vorbei, dann rechts in die Avenue C und immer geradeaus. Hinter der Kreuzung 9th Street beginnt die Halle 26«, ratterte das CBPI herunter.

»Also schön«, erwiderte Nick und wandte sich in die angegebene Richtung. »Mir nach. Bruno kennt den Weg.«

Staunend gingen sie die palmengesäumte Straße entlang, vorbei an riesigen Gebäuden und Hallen, an dem von Bruno angesprochenen Souvenirshop, einem edel aussehenden Restaurant und wunderschön angelegten Parks. Es gab Lagerhallen, Bühnen für Live-Shows, Requisitenlager, Besprechungsräume, Garderoben, Gebäude für die Post Production, ein Filmarchiv und eine studioeigene Feuerwehr. Der gesamte Komplex war eine eigene kleine Stadt für sich.

Am Eingang von Halle 26 trafen sie auf den Produktionsassistenten, dessen Name Nick entfallen war. »Hallo, da seid ihr ja«, begrüßte er sie und lächelte ihnen freundlich zu.

»Sind Jack und meine Schwester schon da?«, fragte Petra ihn ohne Umschweife.

»Nicht dass ich wüsste«, erwiderte der Assistent erstaunt.

»Sind sie vielleicht in einem der Crew-Busse mitgefahren?«

»Keine Ahnung. Darauf habe ich nicht geachtet. Ich bin davon ausgegangen, dass sie mit euch mitfahren.«

Petra biss sich auf die Unterlippe. »Sind sie aber nicht.«

»Tut mir leid, aber da kann ich euch nicht weiterhelfen. Fragt mal drinnen bei den anderen nach.« Er deutete auf das breite Tor hinter sich und wandte sich dann einem Lieferwagen zu, der gerade vor der Halle zum Stehen kam.

Im Innern von Halle 26 sah es aus wie in dem Backstagebereich einer großen Bühne. Es herrschte dämmriges Licht, überall lagen Kabel herum, und die Rückseiten der mit Balken abgestützten Holzkulissen versperrten den Blick auf das eigentliche Set. Nick deutete auf eine schmale Öffnung, die in das Innere der Kulissen hineinführte. Sie zwängten sich hindurch und blieben wie angewurzelt stehen.

»Das gibt’s doch nicht!«, entfuhr es Carol.

Nick stockte der Atem. Er ging ein paar Schritte in das Set hinein und drehte sich einmal um die eigene Achse. Der erste Eindruck hatte nicht getäuscht. Das Set, das in der riesigen Halle aufgebaut worden war, glich beinahe aufs Haar den Quartieren ihrer unterirdischen Agentenschule. Da waren die halbkugelförmigen Glasbauten, die hellblaue, gewölbte Decke mit der großen, leuchtenden Kugel in der Mitte, und an einer Wand befand sich sogar der Aufzug, der zu den tiefer gelegenen Ebenen ihrer Schule führte. Einige Details stimmten zwar nicht überein, aber im Großen und Ganzen wirkte es so, als hätten die Setdesigner ihre Schule als Vorlage benutzt.

Auch die beiden Mädchen sahen sich verblüfft um.

»Ob Faber davon weiß?«, fragte Carol.

»Damit wäre er niemals einverstanden gewesen«, erwiderte Nick. »Unsere Schule ist topsecret

»Trotzdem scheint jemand ganz genau zu wissen, wie es dort aussieht.«

»Vielleicht gibt es einen Maulwurf in unseren Reihen«, bemerkte Petra trocken.

»Hör bloß auf«, entgegnete Nick. »Das ist überhaupt nicht witzig.«

»Faber wird ausrasten, wenn er das hier erfährt«, sagte Carol.

»Zweifellos«, bestätigte Petra.

Einer der Lichttechniker kam hinter einer Glaskuppel hervor. »Sieht cool aus, oder?«, sagte er im Vorbeigehen. »Ist nur furchtbar schwer auszuleuchten mit dem ganzen Glas.«

»Warte. Kann ich dich kurz was fragen?«, rief Petra ihm hinterher. »Weißt du zufällig, wo meine Schwester ist?«

Der Techniker sah sie verständnislos an.

»Sie sieht genauso aus wie ich. Sie hätte zusammen mit uns vom Stützpunkt zurückfahren sollen, aber wir haben uns verpasst.«

Der Techniker zuckte nur mit den Schultern. »Nee, tut mir leid. Hab sie nicht gesehen.« Dann wandte er sich um und verließ das Set über den schmalen Gang, durch den sie die nachgebaute Schule betreten hatten.

Sie erkundeten das Set und befragten dabei jedes Crew-Mitglied, das ihnen begegnete, doch niemand schien eine Ahnung zu haben, wo sich Paula und Jack aufhielten. Am Ende der Halle traten sie durch einen weiteren schmalen Spalt aus den Kulissen heraus in den Bereich, der den Licht- und Tontechnikern vorbehalten war. An einem großen Lichtpult waren gerade mehrere Techniker dabei, Kabel anzuschließen und Scheinwerfer auszurichten. Als der Mann von vorhin sie erkannte, unterbrach er kurz seine Arbeit und trat zu ihnen.

»Sucht ihr deine Schwester immer noch?«

Petra nickte.

»Mir ist was eingefallen«, sagte er. »Steven und ein paar andere sind in einem eigenen Wagen zurückgefahren. Sie wollten sich noch eine Location in der Wüste anschauen, von der ihnen jemand erzählt hat. Vielleicht haben sie deine Schwester mitgenommen. Aber die sind sicher nicht vor heute Abend zurück.«

Sie bedankten sich bei dem Techniker und setzten sich auf ein altes Sofa in einer Ecke. Auf einem Tisch daneben hatte jemand Thermoskannen mit Kaffee bereitgestellt.

»Möchtet ihr welchen?«, fragte Carol, doch Petra und Nick winkten ab.

»Ich verstehe das nicht«, sagte Petra. Ihre Stimme klang erschöpft. »Wo kann sie denn bloß sein?«

»Vielleicht sind die beiden ja wirklich bei Steven mitgefahren«, versuchte Carol, sie zu beruhigen.

»Sehr unwahrscheinlich«, erwiderte Petra unwirsch.

»Aber nicht unmöglich. Jetzt warten wir erst mal ab.«

»Ich will aber nicht abwarten«, entgegnete Petra trotzig. »Ihr Handy ist immer noch aus. Wenn sie nicht mehr auf dem Stützpunkt ist, warum erreiche ich sie dann nicht? Was ist, wenn ihr irgendwas passiert ist und sie Hilfe braucht?«, rief Petra aufgebracht.

»Es gibt noch eine Möglichkeit«, sagte Nick und lächelte Petra unschuldig an. »Vielleicht wollen die beiden gar nicht gefunden werden.«