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Zeitgleich mit dem Verlöschen der Lichter erwachten die Geräusche wieder zum Leben. Der Sprung war vorbei. Und Nicks Plan war aufgegangen: Der rote Not-Ausschalter hatte schlagartig sämtlichen Geräten und anderen Lichtquellen im Raum den Strom abgedreht. In der pechschwarzen Dunkelheit um ihn herum entstand Verwirrung, die schnell in ein hektisches Chaos überging. Überraschte Aufschreie, lautes Fluchen und abgehackte Kommandos hallten durch den Raum. Schritte stolperten durch die Gegend, ein dumpfer Schlag, dann ein Poltern wie von einem umgestürzten Stuhl.
Nick legte einen Arm um Costas Oberkörper, presste ihm den Revolver an die Schläfe und zischte: »Waffe fallen lassen!« Costa zuckte erschrocken zusammen und versteifte sich. Er versuchte kurz, sich zu wehren, doch als Nick seinen Griff verstärkte und den Kameramann damit vollkommen bewegungsunfähig machte, sah er ein, dass er keine Chance hatte. Nick hörte, wie die Waffe klappernd zu Boden fiel.
Er wusste nicht, wie lange es dauerte, bis das Licht wieder anging. Vermutlich waren nicht mehr als fünf oder sechs Sekunden vergangen, doch die Verhältnisse im Kontrollraum hatten sich in der Zeit grundlegend verändert.
Miles hatte am schnellsten reagiert. Er lehnte lässig neben Tom am Tisch, der ihn mit großen Augen anstarrte. »Hi«, sagte er lächelnd und setzte dann mit einem ruckartigen Tritt Toms Drehstuhl in Bewegung. Erst jetzt fiel Nick auf, dass Miles ein Kabel in der Hand hielt, das er zuvor an der Lehne befestigt haben musste. Durch die Drehung wickelte sich das Kabel mehrmals um die Arme des völlig verdatterten Tom und fesselte ihn so wie ein fest verschnürtes Päckchen an den Stuhl.
Rudy blickte zu seiner Überraschung in das grimmige Gesicht von Jack. Obwohl ihm bewusst sein musste, dass sich das Blatt gerade rapide zu seinen Ungunsten wendete, klammerte sich der Aufnahmeleiter an einen letzten Strohhalm. Er hob die Waffe und zielte genau zwischen Jacks Augen. Nick war sicher, dass er keinen Augenblick zögern würde zu schießen. Doch dazu sollte es nicht kommen.
In einer raschen, vollkommen synchronen Bewegung traten Petra und Paula, die links und rechts von Jack gestanden hatten, drei Schritte vor, wandten sich einander zu und hoben einen Arm. Sofort begann die Luft zwischen ihnen zu flimmern, und Rudy, der genau in der Mitte ihres Kraftfelds stand, hing darin fest wie eine Fliege in einem Spinnennetz. Sein ganzer Körper zitterte und vibrierte, und er war nicht in der Lage, auch nur einen Muskel zu rühren.
Jack trat wie beiläufig einen Schritt zur Seite, sodass der Lauf der Waffe nicht mehr auf ihn, sondern auf die nackte Wand zielte. Dann beugte er sich so nah wie möglich zu Rudy, ohne selbst von dem Kraftfeld erfasst zu werden. Mit interessiert zur Seite geneigtem Kopf betrachtete er Rudys weit aufgerissene Augen, denen man die Verwirrung ansah und den Frust über den vergeblichen Versuch, gegen die unsichtbaren Fesseln anzukommen.
Petras und Paulas Blicke trafen sich. Sie nickten sich zu, als hätten sie eine stumme Vereinbarung getroffen, und ließen ihre Arme ein Stück zur Seite wandern. Das Kraftfeld wanderte mit, genau so weit, dass sich die Waffe in Rudys ausgestreckter Hand außerhalb der flimmernden Luft befand. Jack sah Paula mit hochgezogenen Augenbrauen an. Sie erwiderte seinen Blick und nickte. Jack lächelte und beobachtete noch eine Weile voller Genugtuung, wie Rudy gegen das Kraftfeld ankämpfte. Jack konnte förmlich spüren, wie in dem Aufnahmeleiter die bittere Erkenntnis aufstieg, dass die Welt, die er vor ein paar Minuten zu erobern geglaubt hatte, plötzlich eine ganz andere Zukunft für ihn bereithielt.
Jack beschloss, ihn zu erlösen. Ohne das Kraftfeld zu berühren, löste er Rudys Finger vom Griff der Waffe und nahm sie ihm ab. Dann öffnete er das Magazin, woraufhin die Patronenhülsen klirrend zu Boden fielen. Den Revolver steckte er sich in den Hosenbund.
Die Zwillinge ließen die Arme sinken. Das Flimmern verschwand und mit ihm das Kraftfeld. Noch bevor Rudys Beine nachgeben und er entkräftet zu Boden sinken konnte, packte Jack ihn am Kragen und verpasste ihm einen rechten Haken, der Rudy einige Schritte nach hinten taumeln ließ. »Für Paula«, knurrte Jack, verzog das Gesicht und schüttelte seine schmerzende Hand.
Es war vorbei. Nick steckte die Waffe weg und sah sich im Kontrollraum um. Rudy und Costa ließen sich widerstandslos von den Zwillingen die Hände zusammenbinden. Miles schob den Stuhl mit dem gefesselten Tom zu den beiden in eine Ecke. Auf der großen Monitorwand lief wieder ein bunt gemischtes Programm an Fernsehsendungen. Der leere Raum mit Lea am Schreibtisch war auf keinem einzigen der Bildschirme mehr zu sehen. Offenbar war durch den Stromausfall die Übertragung abgebrochen worden.
Miles und Jack klatschten sich ab. »Lange nicht gesehen, Kumpel«, sagte Miles.
»Allerdings«, erwiderte Jack und legte einen Arm um Paulas Schulter. »Kaum sind wir keine Partner mehr, kriegst du die megageheimen Projekte.«
»Und du die hübschen Frauen«, entgegnete Miles mit einem vielsagenden Blick zu Paula.
»Eure Wiedersehensfreude in allen Ehren, aber könnten wir erst mal überlegen, was wir jetzt mit denen machen?«, warf Petra ein und deutete zu den drei Gefangenen.
Paula und Jack sahen sich an und grinsten. »Wir hätten da eine Idee«, erwiderte Jack. »Kommt mal mit.«