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F ina sichtete ihr Protokoll. Aus ihrer Sicht ergaben sich jetzt mindestens zwei zwingende Schritte: Prüfen, was Glaser am Abend des neunzehnten April wirklich getan hatte, und in seinem Wohnhaus nachfragen, ob jemand in der letzten Woche einen Handwerker bestellt oder – noch wichtiger – gesehen hatte. Ihn beschreiben konnte.

»Mach das ruhig«, sagte Oliver. »Musst aber ohne mich auskommen, ich kläre mit der Staatsanwaltschaft, ob das, was wir haben, für Untersuchungshaft ausreicht.«

»Dann nehme ich Ahmed mit.« Sie sah sich suchend um.

»Wird schwierig, er und Manfred sind zu Quick-TV gefahren. Was Sieghart immer sagt, stimmt: Bei einer Serie ist der erste Mord der, den man sich am genauesten ansehen muss. Ahmed und Manfred befragen noch einmal die Mitarbeiter, die an dem Abend im Haus waren. Glaser muss einen Komplizen gehabt haben, jemanden, der den Stick für den Teleprompter ausgetauscht hat.« Er griff nach seinen Autoschlüsseln. »Ich wünschte, ich hätte ihn heute richtig in die Enge treiben können, wir sind so nah dran …«

Fina verkniff sich die Bemerkung, dass Nadine Just nicht das erste Mordopfer gewesen war. »Für dich gibt’s keinen Zweifel mehr, oder?«, fragte sie. »Glaser ist dein Täter, Punkt. Jetzt müssen wir nur noch die Fakten passend machen.«

Es war Oliver am Gesicht abzulesen, dass er ihr die Bemerkung übel nahm. Dass er gleich wieder unter die Gürtellinie zielen würde. »Wäre nicht schlecht, Serafina, wenn du akzeptieren würdest, dass alle in der Gruppe mehr Erfahrung haben als du. Und vielleicht solltest du dir nicht so stark anmerken lassen, wie sehr du auf den Werbefuzzi stehst, sonst könnte jemand auf die Idee kommen, dass du die Ermittlungen mehr behinderst als voranbringst.«

»Ich stehe nicht …«

»Ach komm.« Er war schon fast bei der Tür. »Du schmilzt jedes Mal dahin, wenn er im gleichen Raum ist.« Oliver schmunzelte. »Oder schwitzt du nur?«

Sie fühlte, wie ihr das Blut ins Gesicht stieg, aus Wut, aber das würde Oliver natürlich völlig anders interpretieren. »Was für ein Sch…«

»Tsss, nicht fluchen!« Nun lachte er tatsächlich. »Locker sein, hm? Bisschen mehr Spaß verstehen. Sonst denken noch alle, dir fehlt ein Kerl!« Damit war er aus dem Büro.

Fina saß an ihrem Schreibtisch und wünschte sich, sie hätte ihm etwas nachgeworfen, bevor er verschwunden war. Ihre Heftmaschine zum Beispiel, mit der sie nun das ausgedruckte Protokoll zusammentackerte. Das Schlimme war, er würde vermutlich recht behalten. Am Ende würde sich herausstellen, dass Glaser die Morde begangen hatte, aus wer weiß welchem Grund. Seit Marziks Notizbuch aufgetaucht war, hielt sie das ja selbst für wahrscheinlich.

Also gut. Dann hieß es jetzt, die Wut auf Oliver in etwas Sinnvolles zu wandeln. Nägel mit Köpfen zu machen. Erst würde sie in die Agentur fahren, dann in die Ferrogasse, dort die Nachbarn befragen. Und dann endlich die Vorräte für zu Hause auffüllen. Wie schön wäre es, wieder einmal eine Stunde Zeit zum Kochen zu haben, dazu ein Glas Wein zu trinken und sich über belanglose Dinge zu unterhalten.

Sie konnte Chrissie anrufen, merkte aber sofort, dass sie dazu nicht richtig Lust hatte. Was sie sich wünschte, war ein Abend so wie früher mit Flo.

Verdammt noch mal, nun dachte sie schon das Gleiche wie Oliver. Dass ihr ein Kerl fehlte. Was für ein Quatsch. Vorübergehende Single-Phasen waren gut für die persönliche Entwicklung, und außerdem hatte sie Wichtigeres zu tun, als über ihr kaputtes Privatleben nachzudenken. Sie würde in die Agentur fahren. Jetzt.

»Sie hätten vorher anrufen sollen.« Die junge Frau vom Empfang sah bekümmert drein. Sabina Arnetz hieß sie, Fina hatte extra noch einmal in ihren Aufzeichnungen nachgesehen. »Herr Glaser ist beurlaubt und Herr Aschbach auf einem Termin.«

»Ich verstehe.« Fina verschränkte die Arme auf der Marmorplatte des Empfangstresens. »Aber das macht nichts, ich denke, Sie können mir genauso gut weiterhelfen.«

Die perfekt gezupften Augenbrauen der Frau hoben sich. »Ich? Ach, Sie meinen, weil ich mit Nadine Just befreundet war?«

»Nein, weil Sie den Terminkalender von Herrn Glaser verwalten.«

Arnetz lächelte. »Ja, das stimmt. Was möchten Sie denn wissen?«

»Können Sie mich einen Blick auf die April-Einträge werfen lassen?«

»Natürlich.« Die Frau drehte den Bildschirm so, dass Fina gute Sicht darauf hatte, klickte mit der Maus auf die Kalender-App und wählte den vergangenen Monat an.

Neunzehnter April. Fina beugte sich vor.

9 .00 Uhr: Besprechung BA und TG mit Fotostudio Lehr.

13 .00 Uhr: Präsentation Touristik Weinland Thermenregion.

19 Uhr: Reservierung: Kundendinner im Salonplafond. BA , TG , CW , AD .

22 Uhr: Reservierung: Atmosphere Rooftop Bar. BA , TG , CW , AD .

Fina seufzte. TG war natürlich das Kürzel für Tibor Glaser, BA für Bernhard Aschbach. CW musste Celine sein, deren Nachnamen Fina ebenso wenig im Kopf hatte wie den von AD . Amir irgendwas. Die beiden leiteten Text und Grafik. »Diese Abendessen«, sagte sie, »haben stattgefunden? Der Barbesuch auch?«

»Ja«, sagte Sabina Arnetz. »Warten Sie, ich kann Ihnen die Bewirtungsbelege zeigen.« Sie zog einen Ordner aus dem Schrank und hatte die passenden Rechnungen innerhalb weniger Sekunden parat. »Hier, bitte.«

Die Summen, die die Agentur ausgegeben hatte, waren beträchtlich. Sie waren mit Kreditkarte beglichen worden, und Fina erkannte auf beiden Belegen Glasers Unterschrift. Der aus dem Restaurant war um 21 .48 Uhr ausgestellt worden, der aus der Bar um 01 .33 Uhr. Dann gab es auch noch eine Taxirechnung, ebenfalls von Glaser unterschrieben. Frühmorgens mit dem zwanzigsten April datiert.

Damit stand so gut wie fest, dass er nicht um neunzehn Uhr dreißig bei der Wasserwiese gewesen war und Gunther Marzik erschlagen hatte. Was er aber ohne Weiteres am Tag davor oder danach hätte tun können. »Davon bräuchte ich eine Kopie«, sagte Fina. »Danke.«

Als sie eine halbe Stunde später vor dem Haus in der Ferrogasse stand – jemand hatte dem Ö in MÖRDER Hörner aufgesetzt –, war sie im ersten Moment stark versucht, bei Glaser anzuläuten. Ihn unter vier Augen zu sprechen, weil sie beinahe sicher war, dass er ihr gegenüber offener sein würde.

Nein. Sie drückte den Klingelknopf, neben dem Skrapek/Hausmeister stand, und wartete, bis der schnarrende Öffnungston erklang.

»So schnell sieht man sich wieder!« Skrapek schien erfreut. »Kommen Sie heute den Herrn Glaser verhaften?«

»Nein. Aber ich würde Sie gerne etwas fragen: Gab es in der letzten Zeit jemanden mit einem Wasserschaden im Haus?«

Der Hausmeister schüttelte entschieden den Kopf. »Nein. Das wüsste ich.«

»Waren trotzdem Handwerker hier? Ein Mann im blauen Overall, normal groß, dunkle Haare?«

Skrapek stieß die Luft aus, als würde diese Frage ihn völlig überfordern. »Also, das kann ich Ihnen nicht genau sagen. Wann soll das gewesen sein?«

»Irgendwann letzte Woche.«

»Ich glaube nicht. Aber ich sehe nicht jeden, der hier rein- oder rausgeht.«

Die wenigen Bewohner, die Fina danach bei ihrer Tour durchs Haus antraf, waren ebenfalls keine große Hilfe. Nein, einen Handwerker hatten sie weder gerufen noch gesehen. Die Frau, die direkt unterhalb von Glaser wohnte, schien nicht zu Hause zu sein.

Fina stieg langsam eine Etage höher. Betrachtete die Schrammen an der Sicherheitstür und legte dann ein Ohr an das massive Holz.

Etwas bewegte sich in der Wohnung. Scharrte, wie Stuhlbeine auf Parkettboden. Leises Klirren. Ein dumpfer Schlag, wie von einer schwungvoll zugeworfenen Tür.

Er war zu Hause. Und es hörte sich an, als wäre er sehr beschäftigt. Beinahe, dachte Fina, als würde er packen.