8 Privatsachen
– Hilde –
Kommunistischer Aberglaube: dass das Wetter es gut meint mit der Revolution. Aber tatsächlich kann Hilde sich an keinen verregneten Ersten Mai erinnern. Und auch dieses Mal ist der Himmel wieder strahlend blau, und vor den Kremlmauern kann die große Parade stattfinden.
Leider haben sie nur Stehplätze bekommen, schräg gegenüber vom Mausoleum. Ein schlechtes Zeichen? Julius muss Sina auf die Schultern nehmen, sie ist ganz wild auf das Spektakel. Nur sind viele der Bilder und Darbietungen zum Mausoleum hin ausgerichtet, wo das Politbüro Aufstellung genommen hat. Die Vorbeiziehenden wenden sich im Moment des Vorbeiziehens alle von ihnen ab und richten ihre Blicke auf Stalin.
Die Arbeiter der Stalin-Automobilwerke haben eine halsbrecherische Pyramide aus Menschen auf einem neuen SIS
-5-LKW
errichtet. Stahlwerker haben einen fahrenden Hochofen erbaut, in dem symbolisches Feuer brennt – leider von der «falschen» Seite aus schlecht zu sehen. Berittene Kosaken ziehen vorbei. Fahnenträger in Reihen zu achtzig. Athleten. Schwimmer im Badeanzug. Die Arbeiterinnen einer Textilfabrik führen im Gleichschritt hundertfach dasselbe schillernde Kleid vor: Können denn so viele Frauen in einer Fabrik arbeiten? Und alle gleich groß!
Die neuesten Panzer rollen in Kolonne vorbei. Die können auch auf Rädern fahren
, weiß Sina. Zu Hildes Überraschung
kann sie sogar den Typ des Flugzeugs nennen, das auf einem Spezial-LKW
vorbeischwebt (es ist eine Polikarpow). Ob sie allerdings wirklich den Flieger erkennt, der in der Kanzel sitzt, oder ob sie ihn nur hineinimaginiert, sei dahingestellt: den berühmten Waleri Tschkalow, von dem man erzählt, er habe eine Brücke über die Moskwa durchflogen – schräg, weil die Spannweite seines Flugzeugs größer war als der Abstand zwischen den Pfeilern.
Dann kommt eine bestimmt zehn Meter hohe Weltkugel angefahren. Auf der Rückseite sind Amerika und der Pazifik zu sehen, was auf der Vorderseite stattfindet, entzieht sich ihren Blicken.
Ich wusste gar nicht, dass wir auch die Welt hergestellt haben, sagt Julius halblaut.
Und Sina, im Tonfall einer Lehrerin, die zum hundertsten Mal einen einfältigen Schüler verbessert: Ach, Papa, wir haben die Welt nicht hergestellt – wir werden die Welt erobern!
Eine Frau im Flanellmantel dreht sich zu ihnen um und kommentiert: Richtig, junger Mensch! Und an Julius gewandt: Ihre Tochter scheint über ein höheres politisches Bewusstsein zu verfügen als Sie, Bürger.
Hilde kocht vor Wut: dass Julius nicht seine Klappe halten kann! Zumal überall Kollegen in Hörweite stehen. Sie tritt ihm auf den Fuß, Julius mault: Pass doch auf, wo du hintrittst!
Pass du lieber auf.
Nach zwanzig Minuten wird ihm das Kind zu schwer. Dafür kann er nichts, immerhin wiegt Sina inzwischen dreiundfünfzig Kilo. Er muss sie absetzen, sie fängt an zu jammern, weil sie nichts mehr sieht. Die Frau dreht sich wieder zu ihnen um, vorwurfsvoll. Hilde reagiert:
Genossin, würden Sie das Kind bitte vorlassen?
Genau der richtige Ton. Die Frau nimmt sich der Sache an, gibt Sina weiter: Genossen, bitte lasst das Kind durch! Sina zögert, sieht ihre Mutter fragend an mit ihren großen blauen Augen. Hilde nickt ihr zu. Sie ist sicher, dass das Kind auf demselben Weg wieder zurückkommt, und wenn nicht: Sie ist dreizehn, sie kennt den Weg nach Hause. Sina verschwindet in der Menge. Genossen, das Kind möchte die Parade sehen, bitte durchlassen!
Julius greift nach Hildes Hand, sie macht sich los, ärgert sich noch immer. Als wüsste er nicht, was los ist.
Allerdings weiß sie allmählich selber nicht mehr, was los ist. Vor drei Tagen haben sie Neumann verhaftet. Julius weiß noch gar nichts davon. Heinz Neumann! Die Stimme Stalins
haben sie ihn in Deutschland genannt. Was werfen sie ihm vor? Dass er noch auf Stalins Kurs war, als dieser den Kurs längst geändert hatte? Ja, Heinz war ultralinks. Wird man jetzt deswegen verhaftet? Da müsste man die halbe Partei verhaften. Jeder war mal irgendwann zu weit links. Oder zu weit rechts. Oder zu sehr in der Mitte. Am Mausoleum ziehen jetzt Delegierte ukrainischer Kolchosen vorbei, Frauen mit Kränzen im Haar, eine riesenhafte Weizenähre wird von einem blitzblanken Traktor gezogen.
Dass sie Friedrich Stumm verhaftet haben – gut, vielleicht war er wirklich ein Maulwurf. Aber warum Heinz Neumann? Warum Arthur Golke? Hat nicht dessen Bruder sogar für Wilhelm gebürgt? Warum Paul Rakow, der mit Heinz Neumann in China war? Wenn das so weitergeht, bleibt von der Komintern bald nicht mehr viel übrig. Und von der OMS
nichts.
Wir begrüßen sie mit einem dreifachen Hurra! Hurra! Hurra!
Hilde erwacht erst beim dritten Hurra. Dafür macht
Julius pflichtbewusst mit. Solche Rituale fallen ihm schwer, sie weiß es. Sie greift nach seiner Hand zum Zeichen der Versöhnung. Vor der Tribüne zieht inzwischen das normale Volk vorbei: Auserwählte aus Institutionen und Behörden, in lockerer Reihung. Rote Fahnen und Stalin-Plakate, hundertfach. Das Orchester spielt das neue sowjetische Lieblingslied:
Vaterland, kein Feind soll dich gefährden!
Teures Land, das unsre Liebe trägt …
Die Leute fallen ein, falsch und träge, auch Hilde kann den Text nicht richtig. Ihr Kopf ist zu alt, um sich all diese neuen Lieder zu merken.
Denn es gibt kein andres Land auf Erden
wo das Herz so frei dem Menschen schlägt!
Eine Zeitlang hatte sie den Verdacht, die OMS
solle vom Nachrichtendienst der Roten Armee übernommen werden. Nur, wenn die so weitermachen, gibt es bald nichts mehr zu übernehmen. Ein Nachrichtendienst besteht ja nicht nur aus Funkgeräten oder Spionagekameras. Ein Nachrichtendienst ist ein Netzwerk: Menschen, Quellen, Kenntnisse. Alles, was sie, auch sie persönlich, in den Zwanzigern mühevoll in Deutschland aufgebaut haben. Wenn das jetzt in die Rote Armee eingegliedert werden soll, gut. Aber was passiert? Sie lassen die Leute verhungern da draußen. Die Auslandseinsätze sind praktisch gestoppt. Kein Geld, keine Logistik. In Deutschland gehen sie reihenweise hoch. Quellen versiegen, Kontaktadressen werden unbrauchbar. Der ganze Apparat geht vor die Hunde, während sie hier damit beschäftigt sind,
irgendwelche Einschätzungen zu schreiben und sich gegenseitig das Leben schwer zu machen. Leute werden suspendiert, kein Mensch weiß, warum. Glauben die wirklich, wenn sie Abramow-Mirow haben, haben sie die OMS
? Und den Rest können sie erschießen? Wenn sie Paul Rakow erschießen, dann erschießen sie nicht einfach nur einen Menschen. Dann löschen sie Wissen aus. Jeder, der fehlt, ist ein unersetzbarer Knoten in einem hochempfindlichen Netz, das niemals wieder geflickt werden kann.
Da kommt Sina zurück. Offenbar findet sie die Tausendende Stalin-Plakate nicht mehr so interessant, jedenfalls will sie plötzlich nach Hause. Völlig ausgeschlossen, die Maiparade vorzeitig zu verlassen. Aber Sina quengelt, angeblich muss sie auf Toilette: unschlagbares Argument.
Du bleibst hier, sagt Hilde zu Julius. Wir finden dich schon wieder.
Dann macht sie sich mit Sina auf den Weg. Das Architekturmuseum hat natürlich geschlossen. Das Restaurant Slawjanski Basar
hat auch geschlossen. Alles hat geschlossen. Am anderen Ende des Platzes: das Hotel Metropol. Sie weiß, dass inzwischen die halbe Funkerschule dort wohnt, aber ihr werdet ja hoffentlich alle zur Maiparade sein, Genossen!
Bürgerin, das Kind müsste mal dringend zur Toilette.
Das Fräulein an der Rezeption mustert sie misstrauisch, bevor sie in herablassendem Ton antwortet: Hinter der Säule links.
Vermutlich denkt sie, Hilde würde Sina nur vorschieben. Und wenn es so wäre: Ist es denn ein Verbrechen, wenn ein Mensch auf die Toilette muss? Trotzdem will sie den Verdacht abwenden: Du bist ja schon groß, sagt sie zu Sina. Du findest den Weg allein.
Hilde setzt sich ins Foyer, streckt ihre Beine aus. Blickt sich
um, überall Marmor: roter Marmor, weißer Marmor, schwarzer Marmor. Der gläserne Fahrstuhl schillert wie ein geschliffenes Weinglas. Alles ist weit und hell, ganz anders als im Lux, wo alles eng und dunkel ist und heruntergekommen, die Teppiche abgelatscht, und in den Gemeinschaftsbädern tropfen die Wasserhähne. Nachts huschen die Ratten durchs Haus … Eigentlich hätte sie gern mal die Toiletten hier gesehen. Wie die Herrschaften hier wohnen: Wilhelm mit seiner Madame. Nein, im Grunde wünscht sie ihnen nichts Schlechtes. Sie ist glücklich mit Julius. Wenn die Situation nur nicht so bedrückend wäre. Und ein zweites Zimmer wäre ganz schön: für die Liebe, wenn Sina schläft.
Früher hat ihr das alles nichts ausgemacht. Aber früher hatte sie auch keine Tochter. Oder fängt sie allmählich an zu verbürgerlichen? Mit zweiundvierzig. Ein extra Schlafzimmer: Wer hat so was schon in Moskau. Nun ja, es gibt welche, die haben …
Am Nachmittag fahren sie zum Kulturpark. Leider ist es irrsinnig voll, das hätten sie eigentlich voraussehen können. Sina will unbedingt Fallschirm springen. Die Schlange vor dem Sprungturm ist entsetzlich. Zum Glück stellt sich heraus, dass Sina dafür noch zu klein ist. Aber auch am Karussell stehen sie in langer Reihe an, und da auch Sina müde ist, lässt sie sich überreden, heute zu verzichten: Ein anderes Mal!
Die einzigen Vergnügungen, für die man nicht lange anstehen muss, sind die sogenannten Katheder
am Parkeingang, wo man Vorträge zu verschiedenen Themen anfordern kann. An jedem Katheder hängt eine Tafel mit einer Auswahl:
Ziele und Ergebnisse des zweiten Fünfjahrplanes.
Warum der Sieg des spanischen Volkes über den Faschismus gesetzmäßig ist.
Die Hintergründe der deutschen Durchdringung Marokkos.
Wozu braucht die Sowjetunion den Nordpol?
Sina entziffert die Tafeln gewissenhaft, kann sich aber glücklicherweise für keines der Themen erwärmen. Stattdessen streunen sie ein bisschen durch die Alleen, die von Fahnen, Losungen, Transparenten und Diagrammen zum derzeitigen Stand der Erfüllung des Fünfjahrplans gesäumt sind. In endloser Reihe prangen Porträts von Politbüromitgliedern, von Bestarbeitern, von den Piloten, die die Tscheljuskin-Besatzung aus dem Eismeer gerettet haben, und natürlich von Stalin. Wir danken dir, Genosse Stalin, für unser glückliches Leben!
Zwischen alldem stehen Statuen von Athleten – nackt, antiker Stil, aber mit sorgfältig aufmodellierten Badehosen.
Herrje, was für eine Prüderie, kann Julius sich nicht verkneifen zu sagen, und jetzt will Sina natürlich wissen, was Prüderie ist.
Prüde ist, wenn man sich schämt, nackend zu sein, erklärt Hilde. Und Sina erkennt:
Ich bin prüde.
Hilde überlegt, ob es ein Problem sein könnte, wenn Sina das in der Schule nachplappert, und fragt sich zugleich, ob sie langsam hysterisch wird. Die Russen sind eben prüde, das wird man doch wohl sagen dürfen. Andererseits: Wäre es
nicht auch seltsam, wenn hier überall kleine Sportler-Pimmelchen herumhingen?
Sie essen Eis, bewundern die kubistischen Toiletten im Kulturpark (jeder seine Seite) und schauen dann den Hunderten Tanzpaaren in der Manege zu: Seit zwei Jahren ist Jazz in der Sowjetunion erlaubt, und die Leute widmen sich mit Inbrunst dem Erlernen moderner westlicher Tänze. Julius wippt im Takt mit, wohlwollend. Hilde mag die Musik nicht besonders. Muss man wirklich alles importieren, was aus Amerika kommt?
Auch die Pioniereisenbahn ist hoffnungslos ausgebucht. Dafür gelingt es ihnen, ein Boot auszuleihen, und zum Schluss, eigentlich schon zu spät für das Kind, bekommen sie noch fast ohne Anstehen Karten für das riesige Freilichtkino und schauen sich den Film Zirkus
an, aus dem das derzeitige Lieblingslied der Sowjetbürger stammt.
Die Handlung ist etwas an den Haaren herbeigezogen. Es geht um den Direktor einer amerikanischen Zirkusshow, der versucht, eine sowjetische Darbietung zu sabotieren, weil sie die amerikanische zu übertreffen droht. Dazu gibt es eine Liebesgeschichte zwischen einer blonden Amerikanerin, gespielt von Ljubow Orlowa, die im Film ein schwarzes Kind hat und sich in Sergej Stoljarow verliebt, den strahlenden Helden aller russischen Mädchen. Das Ganze mit vielen hinreißenden Zirkusnummern, alles sehr aufregend. Sina hat die ganze Zeit rote Ohren.
Auf dem Heimweg redet sie ununterbrochen von dem schwarzen Kind, stellt lauter Fragen, die weder Hilde noch Julius befriedigend beantworten können: Warum Schwarze schwarz sind, woher die blonde Frau das schwarze Kind hat und warum die Schwarzen nicht alle in die Sowjetunion kommen, wenn es ihnen in Amerika so schlecht geht … Zu
Hause ist sie dann so müde, dass sie fast schon beim Essen einschläft.
Julius zwinkert Hilde zu, sie zwinkert zurück.
Sinas Schlafnische befindet sich hinter dem Kleiderschrank, ein Samtvorhang an einem Besenstiel grenzt ihr Reich ab. Zwar wird das Zimmer durch diese Aufteilung noch enger, als es ohnehin schon ist. Aber sie sparen Platz, indem sie den Tisch vor das Bett gestellt haben, das zugleich als Sitzgelegenheit dient; außerdem bildet der Tisch vor dem Bett eine Art Sichtschutz, falls Sina nachts doch einmal wach wird. Allerdings haben sie inzwischen Erfahrungen mit den Schlafphasen des Kindes gesammelt. Eine knappe Stunde nach dem Einschlafen schläft Sina für eine Weile so fest, dass man eine Feldhaubitze neben ihr abfeuern könnte.
Stillschweigend sind sie sich einig, Sinas erste Tiefschlafphase heute nicht mit Spaziergängen und politischen Diskussionen zu verbringen. Hilde geht rasch ins Gemeinschaftsbad, die Teller abspülen, duschen. Warmes Wasser gibt es gerade nicht. Sie wäscht die Teller und sich selbst kalt. Betrachtet sich beim Abtrocknen im Spiegel: Ja, sie ist dicker geworden, aber Julius gefällt es – behauptet er jedenfalls. Und eigentlich glaubt sie ihm: Wenn sie daran denkt, mit welcher Lust er ihre Brüste umfasst, jede Brust einzeln mit beiden Händen, während er an ihren Nippeln leckt und saugt … Einerseits schämt sie sich für ihre Fettheit, findet es fast ein bisschen abnorm, dass Julius sie so begehrt, andererseits gefällt ihr gerade das Abnorme daran, und in ihren besten Momenten gelingt es ihr, sich dieser seltsamen, abstrusen und vermutlich politisch fragwürdigen Lust hinzugeben, vollkommen darin zu verschwinden, nichts mehr zu sein als ein begehrtes, benutztes Etwas.
Als sie zurückkommt, hat Julius schon das Bett
aufgeschlagen und den georgischen Wein geöffnet, den er letzte Woche von irgendeinem Autor bekommen hat. Es gehört zum Ritual, dass Julius erst jetzt ins Bad geht. Hilde darf inzwischen schon von dem Wein nippen. Oh, wie liebt sie diese Minuten! Sie zieht sich das seidene Nachthemd über, um nicht gleich vollkommen nackt zu sein, legt sich aufs Bett. Fängt schon mal vorsichtig an, sich zu berühren. Noch eine abnorme Idee: Vielleicht sollte sie sich doch mal einen Lippenstift kaufen, wie all die Schnepfen es neuerdings tun?
Der nächste Tag ist wieder trüb, der Himmel aprilweiß. Es nieselt sogar ein wenig. Sie geht trotzdem zu Fuß, so ist der Übergang weicher: von der Nacht, die sie noch in sich trägt, zu dem Arbeitstag, der ihr bevorsteht. Und auch wegen der leichten Kopfschmerzen. Sie haben am Abend noch eine zweite Flasche Wein ausgetrunken. Und dann haben sie es noch mal getan, Julius wie wahnsinnig, als sei es das letzte Mal.
Julius, wir werden leben, hat sie gesagt. Noch viele Jahre leben. Aber du musst ein bisschen vorsichtiger sein mit deinem losen Mundwerk.
Am Strastnoi
-Kloster werden anscheinend Vorbereitungen für die Sprengung getroffen, schon versammeln sich die Gaffer.
Auf Puschkins Kopf sitzt eine Taube, wie immer, und wie immer tut er so, als würde er es nicht bemerken. Ein Puschkin-Gedicht fällt ihr ein:
Gib Gott, dass mich nicht Wahnsinn packt.
Nein, lieber alt und arm und nackt;
Nein, lieber Müh und Leid …
Seltsam, so was merkt man sich. Aber was soll das eigentlich heißen? Gib Gott, dass mich nicht Wahnsinn packt. Nein, lieber alt und arm …
Nein, lieber nicht
alt und arm! Lieber ein bisschen wahnsinnig … Sie errötet bei der Erinnerung an die Sätze, die sie ihm gestern Nacht ins Ohr geflüstert hat.
Aber schon am Herzen-Haus verfliegen die Erinnerungen. Wieder fällt ihr ein, was Julius über die Tagung des Schriftstellerverbands erzählt hat, die hier, im Herzen-Haus, stattfand: Wie eine hysterische Kollegin den Schriftsteller Wassiljew kritisiert hat, weil er einem zuvor verhafteten Kollegen warme Socken ins Lager geschickt habe.
Nein, es richtet sich nicht speziell gegen die OMS
. Auch nicht gegen die Komintern. Überall werden Leute verhaftet. Und zwar keineswegs nur Ausländer. Schließlich waren auch die meisten der Angeklagten Russen. Ein Armenier war dabei, ein Kasache, ein Lette. Olberg kommt aus der Schweiz. Allerdings mehrere Juden: Sinowjew, Kamenew, David. Reingold ist ja wahrscheinlich ebenfalls Jude. Oder ist alles nur Zufall? Eine außer Rand und Band geratene Maschine, die blindlings Opfer fordert? Politiker, Wissenschaftler, Schriftsteller. Sogar diese Schauspielerin haben sie verhaftet: Carola Neher, eine Berühmtheit. Brecht-Schauspielerin! Natürlich war Julius entsetzt. Oder diesen zugeknöpften, peniblen Schriftsteller, mit dem Julius in der Verlagsgenossenschaft quasi den Schreibtisch geteilt hat. Wie hieß er gleich? Ottwald.
Dummer Aberglaube: dass Julius dadurch irgendwie geschützt sei. Weil es doch bestimmt nicht noch mal in denselben Schreibtisch einschlägt.
Pünktlich um neun betritt sie ihr Zimmer, öffnet das Fenster, raucht eine Papirossa an. Wie üblich ist es noch still auf den Fluren, nur die Kurotschkowa scharrt schon in ihrem Büro herum. Manchmal hat Hilde den Verdacht, sie komme
so früh, um in fremden Schreibtischen zu stöbern. Ihrer ist abgeschlossen. Im Übrigen würde sie nichts finden.
Hilde blättert im Stehen die Post durch. Anfrage von Abramow-Mirow, die Fälscherabteilung soll zwei Pässe für die GRU
herstellen. Auch interessant: Die Fälscherabteilung ist bisher von allem verschont geblieben. Abrechnungen sind zu prüfen. Jemand beantragt Urlaubsgeld. Die Krumina will irgendwelche zwölf Rubel erstattet haben. Haben die Leute keine anderen Sorgen? Von der Kaderleitung kommt die Mitteilung, dass Nikolai Rakow vorläufig vom Dienst freigestellt sei. Grund: weil sein Bruder verhaftet ist. Unglaublich. Haben wir Sippenhaft?
Und dann das: Erna Mertens verlangt eine persönliche Einschätzung Berta Zimmermanns durch die Leitung S.S
. Und zwar vertraulich.
Das ist der Gipfel. Dieser Grünschnabel, dieses Aas. Will die jetzt Berta Zimmermann anschmieren? Hilde bläst den Rauch durchs offene Fenster. Ihr Blick schweift über die gewaltigen roten Zinnen. Dreifaltigkeitsturm. Links daneben: das Gebäude des Senats. Dort sitzt er. Umgeben von Mauern, von Sekretären und Schranzen, Telefonistinnen, Köchen, Wachoffizieren. Weiß er eigentlich, was vor sich geht?
Nichts gegen die Parteisäuberung. Nichts gegen die Prozesse. Aber dass jetzt Leute wie Erna Mertens langjährigen Mitarbeitern hinterherschnüffeln dürfen. Die und dieser Brückmann, die beiden sind die Schlimmsten. Solche Leute machen die Partei kaputt. Die
sollte man mal überprüfen … Stand die Mertens nicht eine Zeitlang auch der Fischer-Maslow-Fraktion ziemlich nahe?
Hilde spannt ein Blatt in die Maschine und tippt drauflos, ohne zu überlegen:
Berta Zimmermann, Ehefrau von Fritz Platten, der 1917 Lenins Rückkehr nach Russland organisierte und ihm beim Attentatsversuch am 14. Januar 1918 das Leben rettete, war schon unter Ossip Pjatnitzki und Abramow-Mirow für die OMS
tätig. Seit Jahren organisiert sie als parteilose Kommunistin maßgeblich die Auslandseinsätze und die Kuriertätigkeit der OMS
. Nach unserem Kenntnisstand hat sie niemals gegen politische oder konspirative Grundsätze verstoßen, war niemals in der Opposition und hat sich keiner Abweichung schuldig gemacht.
gez. Müller
Um elf ist Melnikow da, sie legt ihm die Sachen zur Unterschrift vor: Boris Nikolajewitsch, die Kaderleitung will eine Einschätzung von Berta Zimmermann. Ich habe hier schon mal was formuliert. Ich glaube, das können wir bedenkenlos so abschicken.
Melnikow nickt zustimmend, bittet um eine Tasse Tee. Als sie ihm den Tee bringt, sitzt er reglos am Schreibtisch, auf die Ellenbogen gestützt. Die Schriftstücke, die sie ihm hereingebracht hat, liegen unberührt vor ihm.
Hilde erinnert ihn noch einmal an die Einschätzung von Berta Zimmermann, schließt die Tür.
Melnikows Passivität ärgert sie. Anscheinend hat er Liebeskummer, aber gehört das hierher? Eine Inspiration für die OMS
war er nie. Aber früher hat er zumindest die Routinearbeit erledigt, hat Gelder beantragt oder mit Anvelt telefoniert und versucht, in dieser oder jener Angelegenheit zu beschwichtigen, seine Mitarbeiter vor Mertens und Brückmann zu bewahren … Jetzt macht er nicht einmal mehr
das. Melnikow ist, wie soll man es nennen: erloschen? Er ist bleicher und knochiger als je zuvor. Sieht aus, als würde er den Tag nur mit zusammengebissenen Zähnen überstehen. Und warum eigentlich? Warum hat er seine Angebetete überhaupt weggeschickt? Nach Spanien.
Alle glauben, aus Rache, weil sie ihn nicht erhört hat. Aber Hilde weiß es besser. Zu häufig hat sie ihm irgendwelche Hotelzimmer gebucht, während er für dieselben Tage fadenscheinige Dienstaufträge für Jill Greenwood ausheckte. Und anschließend Blumen bestellte. Oder eine Schachtel Pralinen. Angeblich für seine Frau. Und Hilde, statt es der Kurotschkowa zu überlassen, ist selber losgegangen, hat Blumen besorgt, einfach weil es gegen ihren konspirativen Instinkt verstieß, noch weitere Mitwisser einzubeziehen … Muss der Chef der OMS
unbedingt eine Affäre mit einer neunzehnjährigen Kursantin haben? Einmal waren sie eine geschlagene Woche zusammen in Nishni Nowgorod unterwegs. Und dann schickt er sie plötzlich nach Spanien, in den Bürgerkrieg. Nicht an die Front zwar, sondern als Funkerin in den Stab, aber immerhin. Haben sie sich verkracht? Hat seine Ehefrau ihm die Hölle heißgemacht?
Am Nachmittag hat Melnikow immer noch nichts unterschrieben. Am nächsten Tag erscheint er überhaupt nicht zum Dienst. Am Tag darauf kommt er zwar, unterschreibt aber nichts, fragt nichts, ordnet nichts an, sondern setzt sich – ganz neu! – auf den winzigen Eckbalkon in die Sonne und lässt sich den Tee dort servieren.
Seltsam, sagt Melnikow, dass es in Selenginsk kälter ist als in Moskau, obwohl es doch südlicher liegt.
Hilde weiß nicht, was sie sagen soll. Sie kennt kein Selenginsk.
Das liegt am Baikalsee, erklärt Melnikow. Ich bin dort geboren.
Ach ja? Hilde tut interessiert, und Melnikow, der normalerweise kein Wort zu viel sagt, beginnt, über seinen Geburtsort zu schwadronieren. Spricht über das späte Frühjahr, den frühen Winter …
Der Sommer ist kurz, aber wissen Sie was? Nirgends auf der Welt ist der Sommer so schön wie bei uns in Selenginsk.
Hilde steht da wie bestellt und nicht abgeholt. Sie hat Besseres zu tun, als sich Vorträge über den Sommer in Selenginsk anzuhören. Melnikow blinzelt in die Sonne, fast scheint es, als habe er vergessen, dass sie noch immer neben ihm steht.
Dumm, dass ich so lange nicht da war, sagt Melnikow mit geschlossenen Augen.
Fahren Sie hin, sagt Hilde. Nehmen Sie Urlaub.
Melnikow nickt.
Aber es wäre schön, wenn Sie bis dahin die Unterlagen unterschreiben.
Als sie nach Hause geht, hat er immer noch nichts unterschrieben, verspricht aber, es am Abend noch zu tun. Aber als sie am nächsten Morgen kommt, liegt immer noch alles unberührt da – nur der Entwurf in Sachen Berta Zimmermann fehlt. Ist einfach nicht aufzufinden.
Hilde ist außer sich. Dreht der jetzt vollkommen durch? Oder ist er tatsächlich verrückt geworden? Krank, arbeitsunfähig? Sie ist drauf und dran, bei ihm zu Hause anzurufen. Dann überlegt sie, ob sie lieber mit Anvelt sprechen soll. Aber noch während sie überlegt, wie sie das
anstellen könnte, betritt Anvelt ihr Büro, verblüffend früh und weniger geräuschvoll als sonst, ohne Matrosenmantel und Stiefel, die hat er gegen durchbrochene Sommerschuhe eingetauscht.
Anvelt fingert sich eine Papirossa aus ihrer Schachtel. Steht eine Weile stumm am Fenster, dann spricht er gegen das geschlossene Fenster, wie an niemanden gewandt: Es tue ihm leid, er habe es ihr nicht früher sagen können, sie wisse ja selbst, wie das sei …
Hilde sieht zu, wie er den Rauch gegen die Scheiben bläst, hört drüben in Melnikows Zimmer jemanden scharren. Weiß sofort, dass es nicht Melnikow ist. Plötzlich begreift sie.
Verhaftet, rutscht es ihr heraus. Mehr eine Feststellung als eine Frage.
Anvelt macht eine hilflose Geste. Ihr wird flau im Magen. Sie zündet sich ebenfalls eine Papirossa an. Jetzt begreift sie auch, wer da drüben scharrt. Dürfen die das? Ihr erster Gedanke. Laut sagt sie:
In seinem Büro gibt es Material, das nur der OMS
bekannt ist.
Die Genossen tun ihre Arbeit, beschwichtigt Anvelt. Alles bleibt an Ort und Stelle. Sie schauen sich nur nach Beweisstücken um.
Beweisstücke wofür?
Wofür? Nun ja, für seine Tätigkeit.
Was denn für eine Tätigkeit?
Hilde, du weißt doch, worum es geht. Irgendwelche Aktionen, Verbindungen ins Ausland …
Wie bitte? Die wollen dem Chef eines Nachrichtendienstes Verbindungen ins Ausland vorwerfen?
Ihr Ton wird für einen Augenblick so scharf, dass Anvelt sich erschrocken zu ihr umdreht. Er druckst herum:
Im Sinne von, versteh doch mal, terroristischer Tätigkeit. Gegen die Sowjetunion und so weiter.
Hilde sachlich: Man wirft Melnikow also terroristische Tätigkeit gegen die Sowjetunion vor?
Hilde! Anvelt verdreht die Augen, weist mit dem Kopf in Richtung Scharren: Die Einzelheiten werde die Untersuchung zutage bringen.
Hilde schweigt. Anvelt schweigt ebenfalls. Raucht seine Papirossa zu Ende, stehend. Dann wendet er sich der Tür zu.
Ach ja, eins noch. Das Exekutivkomitee hat mich beauftragt, kommissarisch die Leitung zu übernehmen. Wir sehen uns dann wohl öfter.
Er zwinkert ihr aufmunternd zu, verlässt den Raum. Hilde bleibt an ihrem Schreibtisch sitzen, unfähig, sich zu rühren. Allmählich, eins nach dem anderen, begreift sie: Warum er nichts unterschrieben hat. Warum er die Stellungnahme für Berta Zimmermann vernichtet hat. Und warum er seine Angebetete weggeschickt hat: in den Bürgerkrieg.
Fast bewundert sie ihn. Zugleich kommt es sie bitter an, dass sie ihn dermaßen unterschätzt hat. Dass sie wütend auf ihn war, ihn beinahe für verrückt hielt. Sie überprüft im Geiste, was sie tatsächlich gesagt, was sie getan hat. Zum Glück kann sie sich an nichts Schlimmes erinnern. Warum war sie nicht ein wenig freundlicher zu ihm? Warum hat sie es nicht begriffen? Dabei war es doch so klar, so sonnenklar … Wissen Sie was? Nirgends auf der Welt ist der Sommer so schön wie bei uns in Selenginsk.
Zur Mittagszeit sind ihre Zigaretten alle. Ausnahmsweise funktioniert der Fahrstuhl gerade mal wieder. Sie drückt die erste Etage: stolowaja.
Aber in der dritten Etage hält der Fahrstuhl, und es steigt zu: Charlotte Germaine. Frisch
frisiert und geschminkt, im Sommermantel und in kaum zu ertragender Hochstimmung:
Hilde!
Nanu, was machst du denn hier? Hilde atmet durch, versucht, sich nichts anmerken zu lassen.
Ich musste noch mal zur Kaderleitung wegen der Entlassung … Hat dir Julius denn nichts erzählt?
Julius hat es ihr erzählt, aber das war gar nicht nötig. Hilde wusste, dass Charlotte eine Anstellung bei der Verlagsgenossenschaft bekommen würde. Erna Mertens hatte bei ihr, Hilde, nachgefragt, ob sie irgendwelche Hindernisse für die Anstellung sieht, und Hilde hat die Anfrage nicht negativ beantwortet, sondern: gar nicht. Hat sie versacken lassen, vergessen, bis die Sache sich irgendwann von selbst regelte.
Doch, sagt sie, Julius hat mir erzählt.
Ach, Hilde! Du kannst dir ja gar nicht vorstellen, wie erleichtert ich bin! Auch Wilhelm, wir beide!
Die Flötentöne, die Lotte hervorbringt, zerren an ihren Nerven. Der Fahrstuhl setzt auf, die Tür öffnet sich. Charlotte flötet noch immer, Hilde hört nicht hin, überlegt, wie sie sie loswird.
Ich müsste dann in die Kantine. Ich habe nicht so viel Zeit.
Du hast doch nichts dagegen, dass ich mitkomme? Mein propusk
gilt ja fürs ganze Haus – außer natürlich für die vierte Etage.
Aber du hast doch gar keine Essenmarke!
Macht nichts, ich setz mich einfach dazu.
Entsetzliche Vorstellung: mit Charlotte in der stolowaja
zu sitzen, in Hörweite der Kurotschkowa. Wer weiß, was die alles noch herausflötet.
Dann gehen wir lieber raus, wenn du keine Marke hast. Ich hab sowieso keinen Hunger.
Was aber bedeutet, dass sie Lottes Geflöte noch eine Weile ertragen muss: Wie nett Julius zu ihr gewesen sei am ersten Tag! Und überhaupt alle. Und sie sei ja so glücklich, dass sich alles zum Guten gewendet habe.
Zum Guten gewendet
, denkt Hilde, während sie die Rolltreppen zur Metro-Station Komintern
hinunterfahren. Der einzige Ort, wo man in der Nähe Zigaretten kriegen kann. Wie beschränkt ist diese Frau? Nur ihr eigenes kleines Schicksal vor Augen, ihre kleine Stelle bei der Verlagsgenossenschaft. Ringsum rollen die Köpfe, das Land geht vor die Hunde. Und die platzt gleich vor lauter Glückseligkeit.
Was arbeitest du da eigentlich?
Ehrlich gesagt, ich war erst ein einziges Mal da, weil die Entlassung aus der OMS
noch nicht abgeschlossen ist. Ich fange als Volontärin an. Aber der Genosse Bork, du kennst ihn ja, Chef der deutschen Sektion, hat mir versprochen, dass ich schnell aufsteigen kann.
Ja, wenn du ihn
aufsteigen lässt, denkt Hilde, während sie die Rolltreppe wieder hochfahren. Bork ist bekannt dafür, dass er eine Schwäche für Volontärinnen hat. Laut sagt sie:
Lass uns rübergehen auf die andere Seite.
Sie bietet Charlotte eine Papirossa an, die aber ablehnt. Entzündet sich selbst eine. Leider gab es am Buffet nur Kasbek
, gewöhnlich raucht sie Belomorkanal
, wie alle bei der Komintern, hat sich irgendwie eingebürgert, vielleicht um das Großprojekt Weißmeerkanal zu ehren. Eigentlich rauchen alle guten Genossen Belomorkanal
, obwohl die Kasbek
nicht schlechter schmeckt.
Sie stapfen durch die feuchte Erde, die irgendwann wieder
eine Wiese werden soll. Hilde weiß selbst nicht recht, wohin. Früher gab es ein paar kleine Buffets, auch eine Sitzbank, aber neuerdings kann man sich hier nirgends mehr niederlassen.
Charlotte ist immer noch ganz aufgedreht, plappert ohne Unterlass. Sie trägt weiße Sommerschuhe, und Hilde beobachtet mit bösartiger Genugtuung, wie die feuchte Erde an ihnen kleben bleibt. Ob Hilde wisse, wie es um Wilhelms Angelegenheit steht, will Charlotte wissen. Aber Hilde weiß nicht, wie es um Wilhelms Angelegenheit steht. Vermutlich hat die Kaderleitung Schwierigkeiten, Wilhelm irgendwo unterzubringen, denn eigentlich kann er nichts außer Geheimdienst.
Sie verspricht, sich zu informieren, obwohl sie schon jetzt weiß, dass sie es nicht tun wird. Sie hat gerade andere Sorgen, weiß der Teufel.
Jetzt kommt Charlotte auch noch auf die Idee, dass man sich ja mal treffen könnte, sobald auch Wilhelms Angelegenheit geklärt sei, und Hilde stimmt zu, wenn auch nur halbherzig – und hasst sich dafür. Warum kann sie dieser Frau nicht einfach sagen, dass sie nichts mit ihr zu tun haben will?
Sie tritt ihre Papirossa in der Erde aus: Sie müsse jetzt wieder an die Arbeit.
Das sieht Charlotte ein, aber eins will sie unbedingt noch wissen, bevor sie sich trennen, nämlich, ob Hilde eine Ahnung habe, warum die halbe Funkerschule auf einmal im Metropol wohnt.
Hilde ärgert sich über so viel Zudringlichkeit. Selbst wenn sie es wüsste: Glaubt diese Frau ernsthaft, sie würde das ausplaudern? Laut sagt sie:
Da wird es Gründe geben. Allerdings glaube ich nicht, dass ich befugt bin, darüber Auskunft zu geben.
Ob sie ihr wenigstens etwas über Jill Greenwood sagen könne.
Jill Greenwood? Hilde lacht.
Ich will keine Einzelheiten, nur ob ihr irgendetwas passiert ist oder ob es ihr gut geht.
Es geht ihr gut.
Charlotte reicht ihr die Hand, sogar beide Hände, bedankt sich so überschwänglich, dass Hilde fast ein schlechtes Gewissen bekommt. Dann trippelt sie los mit ihren verschmutzten Schuhchen, bleibt aber noch einmal stehen, dreht sich um:
Ach, und bitte grüß den Genossen Müller!
Mach ich, sagt Hilde.
Am Nachmittag wartet Hilde, bis die Kurotschkowa endlich weg ist, dann geht sie in sein Büro. Das Zimmer ist scheinbar unberührt, die Leute vom NKWD
haben keine Spuren hinterlassen. Sie öffnet die Balkontür, als müsse sie Melnikows Seele herauslassen. Probehalber zieht sie einen Ordner heraus, in dem Kontaktadressen und Parolen verzeichnet sind: Wie viele davon gelten noch? Wer ist noch am Leben?
Dann holt sie die Reisetasche aus dem Schrank, die er auf seinen echten oder fingierten Dienstreisen benutzt hat, und fängt an, seine persönlichen Sachen hineinzutun: gerahmte Fotos seiner Frau und seiner Kinder, ein silbernes Zigarettenetui mit Zarenadler (woher hat er so was?), die Schreibtischgarnitur aus Messing, mit Füllfederhalter und stumpfem Bleistift, einen krummen Dolch mit japanischen Zeichen auf der Klinge, ein Projektil, von dem er nie erzählt hat, warum
es auf seinem Schreibtisch lag, sowie ein paar schafwollene Fußwärmer: Er fror immer so leicht.
Sie fährt mit der Metro bis Krasnyje worota.
Melnikow wohnt im Choromny tupik,
nur wenige Schritte von der Metro-Station. Mit klopfendem Herzen betritt sie den Hausflur. Hier ist es so dunkel, dass sie das Licht anmachen muss. Dritte Etage, sie geht zu Fuß, keinesfalls möchte sie im Fahrstuhl steckenbleiben. Wohnung 78, sie verschnauft einen Augenblick, klingelt.
Eine junge Frau öffnet die Tür, blond, nicht sehr freundlich. Hilde weiß sofort, dass es nicht seine Frau ist.
Ich wollte zu Familie Melnikow.
Das vergessen Sie mal lieber ganz schnell.
Hilde schaut in einen langen Flur: Gemeinschaftswohnung. Noch immer funktionieren ihre konspirativen Instinkte, ihre Augen tasten die Türen ab, die zweite links ist verplombt. Die Frau scheint ihren Blick zu bemerken.
Sind ausgeflogen, die Täubchen, heute Nacht. Und wenn ich Ihnen einen Rat geben darf, verschwinden Sie hier, bevor Ihnen jemand dumme Fragen stellt.
Tür zu. Hilde sinkt auf die Treppenstufen. Das Licht geht aus. Es ist eine Ewigkeit her, dass sie zum letzten Mal geweint hat, sie hält Tränen für selbstmitleidig. Aber was ihr die Kehle zuschnürt und das Wasser in die Augen treibt, ist kein Selbstmitleid, sondern diese verdammte Tasche mit seinen Sachen: Dass sie nicht einmal das
für ihn tun kann, immer wieder gehen ihr diese Worte durch den Kopf, nicht einmal das,
denkt sie, als sei diese blöde Tasche noch für irgendwen von Bedeutung, als würde sie irgendetwas ändern, für Melnikow, für seine Frau, seine Kinder. Es ist hirnrissig und nutzlos, und trotzdem sitzt sie auf der Treppe und heult.
Das Licht geht an, ein Relais klackt, der Fahrstuhl setzt sich
in Bewegung. Hilde steht auf, wischt sich die Tränen ab. Die Fahrstuhlkabine rauscht an ihr vorbei. Die Tasche ist schwer, als sie die Treppen hinabsteigt.
Das Strastnoi-Kloster ist inzwischen gesprengt, vom Kirchturm ist nur noch ein Stumpf übrig, an dem sich jetzt eine Abrissbirne abarbeitet, sie hört die Geräusche schon von weitem: das Heulen des Baggers, das Klatschen der Abrissbirne, überraschend hell, wie Schläge auf einen nackten Körper. Sie weiß, wie das klingt.
Die Feuerwehr ist auch gekommen, besprengt das Ganze mit Wasser. Trotzdem ist Puschkins Gesicht voller Staub. Ungerührt blickt er auf das Geschehen.
Sie wohnen im Zimmer 14 im ersten Stock, russisch: zweite Etage. Ob das NKWD
die Treppe nimmt? Als sie Genrichowskij verhaften kamen, glaubte sie das Klacken des Relais gehört zu haben – nachts um halb vier.
Julius und Sina sind schon zu Hause. Julius hat ein Glas Wiener Würstchen aus der Verlagskantine mitgebracht, jetzt übt er mit Sina einen Liedtext, wahrscheinlich für die Schule.
Er schwingt über Gipfel und Täler und Auen …
Nein, sagt Julius, nicht er
schwingt, sondern es
schwingt.
Er begrüßt Hilde mit einem Kuss, fixiert sie dann einen Augenblick: Alles in Ordnung?
Alles in Ordnung, lügt sie. Ich mach Kartoffelsuppe.
In der Küche steht Muhammed Ali am Herd, der Inder aus der Verlagsgenossenschaft, der drei Zimmer neben ihnen
wohnt, und brät seinen Reis mit Curry an – weiß der Teufel, wo er den Curry herhat. Neben seiner Pfanne köchelt ein Topf mit Windeln, vermutlich von Friedel Lange, der Frau von Sauerland, genauer gesagt, ihrem Sohn Karlchen, dem Etagenbaby.
Am Küchentisch sitzen Viktoria Wilhelmson, die aparte Schwedin, und Alichanow, Chef der Kaderleitung der Komintern. Alichanow grüßt sie mit einem traurigen Nicken, das sie sofort versteht. Offenbar ist die Verhaftung von Melnikow nicht sein Werk, das hat sie auch nicht erwartet. Alichanow gehört zu den klugen, warmherzigen Menschen im Apparat der Komintern. Es sind seine eifrigen Referenten Mertens und Brückmann, die ihn vor sich hertreiben. Wieso haben die solche Macht? Wer steht hinter den beiden? In wessen Auftrag arbeiten sie?
Hilde schneidet Kartoffeln und Möhren in kleine Stücke, brät Zwiebeln in Öl an, Suppengrün dazu. Sie hat sogar Majoran. Schade, dass Backpflaumen fehlen. So hat ihre Mutter die Kartoffelsuppe gemacht.
Während alles kocht, blättert sie ein wenig in der Prawda
, die Alichanow mitgebracht hat, lauscht dem Gespräch zwischen ihm und der Wilhelmson, das sich um eine Theateraufführung am Moskauer Künstlertheater dreht, Die Tage der Turbins
von Bulgakow, ein Stück über die Niederlage der Weißen in der Ukraine. Bemerkenswert daran: 1929 wurde das Stück wegen kleinbürgerlicher Tendenzen und Propaganda für die Weißgardisten verboten und später, nach persönlicher Intervention Stalins, wieder erlaubt. – Darüber reden die drei, Muhammed diskutiert am Herd mit, obwohl er das Stück nicht gesehen hat. Aber darum geht es nicht, es geht um etwas anderes, Alichanow spricht es schließlich aus:
Ich bin sicher, wenn Stalin davon wüsste, würde er manch andere Ungerechtigkeit ebenfalls korrigieren.
Ella Brückmann kommt in die Küche, auch die Brückmanns wohnen in der ersten Etage. Das Gespräch verstummt.
Vor dem Schlafengehen will Sina unbedingt ihr frisch gelerntes Lied vortragen, aber nicht singen (diese Art Scheu ist neu). Sie ist noch nicht hundertprozentig textsicher, Julius muss hin und wieder einspringen:
Es schwingt über Gipfel und Täler und Auen
mit Schwingen des Adlers ein herrliches Lied.
Das Lied über Stalin …
… dem alle vertrauen
, ergänzt Julius. Und Sina setzt fort:
zu dem wir in Liebe und Freundschaft erglühn.
Wir lassen mit Stolz unser Sturmlied erklingen.
Wir führen zum Siege den Stalin’schen Plan.
Wenn wir unser glückliches Leben besingen,
wir wissen …
Hier hat Sina noch einen Aussetzer, Julius muss vorsagen: Für wen wir … Für wen wir das Werktag getan, leiert Sina.
Das Tagwerk getan, korrigiert Julius. Jetzt ist Sina den Tränen nahe. Julius lobt sie, macht ihr Mut. Sina setzt noch einmal an. Zum Glück klappt die letzte Strophe problemlos.
Es schwingt über Gipfel und Täler und Auen,
wo Flieger sich grüßen in Wolken und Wind,
das Lied über Stalin, dem alle vertrauen,
dem alle wir treu und verantwortlich sind.
Eine Stunde nachdem Sina eingeschlafen ist, spricht Julius den Schlüsselsatz: Gehen wir noch eine Runde spazieren?
Hilde nickt, zieht Mantel und Schuhe an, wirft die Tasche mit den Sachen von Melnikow über und bedeutet Julius, keine Fragen zu stellen. Draußen erklärt sie ihm, dass sie heute ausnahmsweise woanders spazieren gehen, sie müsse noch etwas erledigen.
Sie nehmen die Straßenbahn bis Ochotny rjad,
steigen um in die Metro und fahren noch eine Station bis Dworez sowetow
. Von hier aus gehen sie zum Fluss, dann die Straße am Ufer nach Süden. Sie verfallen ins Schlendern. Kaum Menschen hier, ein guter Ort, um zu reden. Aus Julius platzt es heraus: Was den Kindern eingetrichtert wird!
So schlimm ist es nicht, findet Hilde.
Hilde, ich werde langsam wahnsinnig, ich begreife das nicht alles mehr. Weißt du, dass sie Heinz Neumann verhaftet haben? Heinz Neumann! Der überzeugteste Stalinist von allen. Und jetzt ist er plötzlich ein Volksfeind? Taubenberger, Rakow, Erich Tacke. Jetzt auch noch Neumann! Warum tut er das? Was will er?
Wer?
Julius schaut sie verblüfft an: Wer? Der Adler!
Vielleicht, sagt Hilde, weiß er gar nicht, was vor sich geht.
Julius schüttelt den Kopf: Natürlich weiß er es. Das ganze NKWD
arbeitet ihm zu.
Das NKWD
. Unter Führung des Volksfeindes Genrich Jagoda.
Jagoda ist verhaftet.
Stimmt, sagt Hilde. Aber was sollte Stalin für ein Interesse haben, jemanden wie Heinz Neumann zu verhaften?
Das frage ich dich! Warum tut er das? Dass er Sinowjew loswerden wollte, begreife ich. Die Machtkämpfe da oben. Die Geschlossenheit der Partei, meinetwegen. Karl Radek, schon schwieriger. Aber wieso Heinz Neumann? Wohin gehen wir eigentlich?
Nirgendwohin, sagt Hilde.
Hilde, du wirst mir langsam unheimlich.
Sie bleibt stehen, schaut sich um. Die Stelle ist günstig. Das Ufer ist hoch. Die Büsche ergeben eine perfekte Deckung zur Straße.
Sie drückt Julius die Tasche in die Hand.
Wirf das in den Fluss. Frag nicht, wirf, und zwar sofort und so weit du nur kannst. Und danach gehen wir ruhig weiter, ohne zu sprechen, bis wir außer Sicht- und Hörweite sind.
Julius sieht sie einen Augenblick erstaunt an, dann wirft er mit aller Kraft.
Es klatscht, Hilde sieht nicht hin. Sie hakt sich bei Julius ein und zieht ihn weg. Zweihundert Meter und ein paar verwinkelte Straßen weiter, will er wissen, was er ins Wasser geworfen hat.
Die persönlichen Sachen von Melnikow.
Es dauert ein, zwei Sekunden, bis er begreift. Nein! Julius schreit fast. Hilde greift nach seinem Arm, bedeutet ihm, dass er leiser sein soll. Vielleicht hätte sie es ihm lieber nicht sagen sollen.
Oh Gott, wo soll das alles enden, flüstert Julius. Er schaut
sie mit großen Augen an. Hilde, flüstert er, Hilde … Er scheut sich, es auszusprechen, aber sie weiß, was er denkt.
Nein, mir wird nichts passieren. Ich hatte mit Melnikow wenig zu tun, das weißt du doch. Solange sie nicht Abramow-Mirow verhaften … Sie lacht. Pass du lieber auf dich auf. Du musst vorsichtiger werden, Julius. Denk an uns, denk an Sina.
Sie umarmen sich. Sie spürt sein heißes Gesicht, die fast kindlich weiche Haut. Er drückt sie fest an sich, und Hilde wird schmerzlich bewusst, wie sehr sie ihn liebt. Sie liebt ihn, wie eine Frau und wie eine Mutter und wie eine Schwester. Sie möchte ihn überschwemmen mit Liebe.
Nein, ihr wird nichts passieren. In ihrer Biographie gibt es nichts Verdächtiges, da ist sie sicher. Aber auch sie muss vorsichtig sein. Melnikow die Sachen nach Hause bringen zu wollen war dumm, sinnlos. Sie darf sich nicht hinreißen lassen zu so was. Nie wieder, sie schwört es sich. Sie darf ihre kleine Familie nicht in Gefahr bringen, weder die blauäugige Sina, das schönste Kind dieser Welt, noch ihn, Julius, ihren wunderbaren, klugen, für jegliche Konspiration ungeeigneten Geliebten.
Aus der Umarmung wird ein Kuss. Auf der anderen Seite der Straße geht ein Fußgänger vorbei, flucht:
Ausländer!
Recht hat er. Russen küssen sich nicht auf der Straße.
Am 12. Mai wird Awgust Iwanowitsch Kork verhaftet, Chef der sowjetischen Militärakademie, sie erfährt es aus der Zeitung.
Am 15. Mai, genauer gesagt, in der Nacht, wird Kurt
Sauerland verhaftet, Julius’ Kollege, der Vater von Karlchen, dem Etagenbaby. Er wohnt nur ein paar Zimmer weiter, in Nummer 6. Hilde erwacht vom Knacken des Fahrstuhlrelais. Tatsächlich ist das NKWD
zu faul, die eine Treppe zu Fuß zu gehen.
Am 17. Mai wird Hermann Schubert verhaftet. Er hat direkt neben Sauerland gewohnt, auf Zimmer 7. Sie kennt ihn aus Hamburg, die letzten Jahre war er Politleiter dort. Mit ihm zusammen hat sie ein geheimes Gefängnis der OMS
eingerichtet, mitten in Deutschland. Unter seiner Regie haben sie den Verräter Rauschenberg entführt, den Wilhelm dann in einer Holzkiste nach Russland verschiffte.
Beide Zimmer werden mit Plomben versiegelt, die Angehörigen in den schäbigen Seitentrakt des Hotels verfrachtet. Hilde kommt nun täglich an zwei plombierten Türen vorbei.
Am nächsten Tag erfährt sie von Alichanow, dass auch Béla Kun verhaftet sei, Mitglied des Exekutivkomitees der Kommunistischen Internationale, Chef der Kommunistischen Partei Ungarns.
Sie holen Hermann Remmele aus dem Hotel Lux, einen engen Freund von Heinz Neumann, ehemals Reichstagsabgeordneter der KPD
. Das Relais knackt um halb vier Uhr morgens.
Am Morgen des 26. Mai ist auch Alichanows Zimmer verplombt. Es ist die Nummer 10. Hilde wohnt in Nummer 14.
Bald darauf kommt Julius mit der Nachricht nach Hause, dass Julia Annenkowa verhaftet sei, die Chefredakteurin der Deutschen Zentralzeitung
, bekannt als entschiedene, ja beinahe fanatische Stalin-Anhängerin.
Am 13. Juni erfährt sie aus der Prawda,
dass Michail Tuchatschewski, Marschall der Sowjetunion, Held des
Bürgerkrieges, Führer der Roten Armee, zum Tode verurteilt und erschossen sei.
Am selben Tag entnimmt sie einem Schreiben des für die Komintern zuständigen NKWD
-Mannes an Anvelt, dass Berta Zimmermann verhaftet worden ist.
Wenige Tage später schleicht Jan Anvelt in seinen durchbrochenen Halbschuhen in ihr Büro, klaut eine Papirossa und stellt ihr, ein schlechter Schauspieler, mit gespielter Beiläufigkeit die entsetzliche Frage:
Wie eng warst du eigentlich mit Abramow-Mirow?
Hilde hält sich noch eine Woche auf den Beinen, bevor sie zusammenbricht. Der Arzt diagnostiziert eine fiebrige Infektion, kann aber nicht genau sagen, womit sie sich infiziert hat.
РГАСПИ
ф. 495 / оп. 205 / д. 488 / л. 27
Erklärung
Gegen Ende 1934 ereignete sich folgendes auf Punkt 2:
In ein Paar Damenstiefel die Gen. Lotte Germaine gehörten wurde Schwefelsäure gegossen. Die Stiefel wurden dadurch zerstört. Etwas später wurde in einen großen Koffer mit Wäsche und Kleidungsstücken der Lotte und Hans Germaine gehörte ebenfalls Schwefelsäure gegossen dabei wurden ein Wintermantel, Strümpfe undsoweiter zerstört. Den Täter konnte man nicht ausfindig machen. Ich verdächtigte zur Zeit einen nervenkranken Gen. (John Murray) jedoch konnte nichts nachgewiesen werden. Später verdächtigte ich Hans Germaine selbst. Mein Verdacht wurde durch die Haltung Germaines in unserem Kollektive bekräftigt. Germaine machte auf mich den Eindruck eines politischen Karrieristen der von keinem Mittel zurückschreckt um sein Ziel zu erreichen. Mir scheint dass Germaine dies alles inszeniert hatte um die allgemeine Achtung auf sich zu lenken. Hans Germaine leitete während einiger Zeit den politischen Unterricht; dies tat er ziemlich mechanisch und oberflächlich. Als dann später Gen. Krumina den politischen Unterricht organisierte führte er und Lotte Germaine Intrigen um die Übersetzung des Unterrichts unmöglich zu machen.
Den 4. V. 1937
Gaston Provost
РГАСПИ
ф. 495 / оп. 205 / д. 488 / л. 98–99
1. Charlie Black
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11. Olaf Berg
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2. Katie Black
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12. Ewald Stern
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3. Bayron Fesseden
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13. Nelli Hill
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4. Harry French
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14. Jill Greenwood
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5. Hilde Herford
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15. Morry Kent
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6. Carmen Silva
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16. Harold Milter
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7. Luisa Diego
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17. Li Sim
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8. Pedro Marchista
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18. Der Gärtner Godunow
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9. George Villaneva
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19. Edmund Müller
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10. Sofie Michel
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4 Ich habe ungefähr 22 Fotos im Format 9 × 12 von verschiedenen Außenobjekten des Punktes gemacht. Jede Aufnahme hatte zwei Negative und ein Positiv auf Papier. Das alles habe ich ebenfalls Schock übergeben.
Außerdem ist mir bekannt, dass ähnliche Arbeiten sowie Fotos von Innenräumen ohne meine Mitwirkung von Hans Germaine ausgeführt wurden.
Gezeichnet: Li Chang
23.7.1937
Ich teile mit, dass die Negative des Gärtners Godonow und des Elektromonteurs E. Müller / die letzten in der Liste / im Schrank des Kontors befinden
Gezeichnet: S.Miller
Kopie beglaubigt: Aschtscharowa
28. VII
. 37
GA
/3.
Kopie
Streng geheim
An den Genossen Miller
von Li Chang
Ich erachte es für notwendig, Sie darüber in Kenntnis zu setzen, dass ich im Juli des vergangenen Jahres 1936 vom ehemaligen Administrator des Punktes G. Schock folgende Anweisung erhielt:
1 Fotos einer Reihe von Mitarbeitern des Punktes zu machen (Lehrer, Studenten und Personal)
2 Fotos verschiedener Objekte des Punktes zu machen (Gebäude, Park usw.)
Diese Fotografien hatte ich anzufertigen als Hilfskraft von Hans Germaine, der diese Arbeiten durchführte, wobei Schock die Aufgabe als Auftrag des ehem. Leiters der OMS
Müller darstellte. Die Fotos der Mitarbeiter seien notwendig für die Dokumente, die Fotos von den Gebäuden fürs Album.
Die gesamte Arbeit habe ich schließlich ausgeführt, weil H. Germaine erkrankte und in den Urlaub ging, und zwar folgende Arbeiten:
3 Ich fotografierte ungefähr 20 Personen und habe ein Negativ und 6 Abzüge jedes Gen. an Schock übergeben
An die Familiennamen aller Genossen kann ich mich heute nicht mehr genau erinnern, ich gebe sie ungefähr an: