Niccó, Niccó, subito, vieni qua, komm schnell! Drunten steht ein unheimlicher Mann, mit zottigen Haaren bis zur Brust und einem wilden Bart! Er spricht ganz komisch und fragt nach dir!« Pippina war sichtlich aufgeregt.
Niklas, der gerade mit seiner morgendlichen Rasur fertig war, zog schnell ein Hemd über und kam in die Schankstube herunter. Als er sah, wer da an der Tür wartete, stieß er einen freudigen Überraschungsschrei aus.
»Na, endlich hab ich diesen ›Stör‹ gefunden! Hättest du nicht ein bisschen näher am Markusplatz logieren können?« Dürer grinste breit, und er und Niklas fielen sich lachend in die Arme. Dann hielt der Maler den Freund ein Stück von sich weg und betrachtete ihn prüfend.
»Zehn Jahre ist das jetzt her! Menschenskind, du bist erwachsen geworden, mein Freund.«
»Und du hast dich überhaupt nicht verändert. Immer noch die gleiche Mähne wie früher! Und berühmt bist du geworden, hab ich gehört!«
Dürer lachte. »Berühmt vielleicht, aber leider nicht reich.«
»Seit wann bist du in der Stadt, wo wohnst du, und wie lang wirst du bleiben?«
»Ich bin vor drei Tagen angekommen und wollte eigentlich im Fondaco wohnen, doch dann hab ich erfahren, dass der vor kurzem abgebrannt ist. Jetzt habe ich eine Kammer in der deutschen Wirtschaft des Peter Pender im Canareggio-Viertel, angenehm, aber teuer. Ich will mir möglichst schnell eine eigene Unterkunft suchen, wo ich gut malen kann. Und bleiben kann ich so lange, wie ich hier gute Aufträge bekomme – ich hoffe, bis nächstes Jahr.«
»Das ist ja wunderbar!« Niklas überlegte kurz. »Hör zu, Albrecht, ich muss jetzt zur Arbeit. Aber wenn du Lust hast, hole ich dich am Abend bei deinem Quartier ab.«
»Einverstanden.« Dürer verabschiedete sich, und Niklas machte sich zusammen mit Matteo auf den Weg zur Werkstatt. Er hatte an diesem Tag eine wichtige Arbeit zu vollenden, einen Auftrag, der erst vor drei Wochen hereingekommen war. Bruno hatte ihn an jenem Tag zu sich gewinkt.
»Senti, Niccó, ich hab da eine schöne Aufgabe für dich: einen Ring für eine Dame. Aber nichts Gängiges – es muss etwas ganz Besonderes werden. Der Preis spielt keine Rolle. Also, lass dir was einfallen.«
Später, als Niklas schon über dem Entwurf brütete, war Noddino an seinem Zeichenplatz vorbeigeschlurft. Er hatte sich zu ihm hinuntergebeugt und ihm ins Ohr geflüstert: »Gib dir bloß ordentlich Mühe, Niccó, und plane die besten Steine mit ein, die wir haben. Der Ring ist für den padrone.«
Niklas war zunächst misstrauisch gewesen. »Woher weißt du das? Bist du sicher?«
Der Alte hatte gekichert. »Ich seh zwar nicht mehr viel, aber hören tu ich noch ganz gut, mein Lieber. Einer der Kerle, die abends manchmal zu Bruno kommen und ihm die Aufträge übermitteln, hat’s gesagt.«
Es widerstrebte Niklas, ein Schmuckstück für das Oberhaupt der Bande fertigen zu müssen. Seit er von der Existenz der famiglia wusste, hatte er gezwungenermaßen weitergearbeitet, immer geduldig Augen und Ohren offen haltend. Mit dem alten Noddino hatte er sich ausgesöhnt, und Bruno war seitdem betont freundlich zu ihm. Die Lage war mehr als erträglich, solange er nicht ins Grübeln kam und über Moral und Ehrlichkeit nachdachte.
Obwohl er sich mit gemischten Gefühlen an die Arbeit für den Ring gemacht hatte, war das Ergebnis prachtvoll geworden. Um einen moosgrün funkelnden ovalen Smaragd von außergewöhnlicher Klarheit hatte er kleine Rubine und Saphire so arrangiert, dass die Gestalt eines Vogels sichtbar wurde. Schnabel und Auge waren aus schwarzglänzendem Onyx, und die Schwanzfedern wurden von langen, spitz geschliffenen Citrinen gebildet. Der Vogel ließ sich hochklappen, und darunter befand sich ein Hohlraum, in den man ein parfümgetränktes Schwämmchen einlegen konnte. Um den Duft nach außen dringen zu lassen, hatte Niklas winzige Löchlein in die Zwischenräume zwischen den Steinfassungen gebohrt.
Jetzt war nur noch die Schlussarbeit zu erledigen, das Polieren des Ringbandes. Niklas ließ Matteo die Vorbehandlung mit Schmirgelpaste und Polierholz machen. Die Druckpolitur mit dem Hämatit, mit der sich der edelste Glanz erreichen ließ, übernahm er selber. Am Nachmittag war der Ring fertig, und er brachte ihn zu Bruno.
»Auf den letzten Drücker, was?«, brummte der. »Ich hab mir schon Sorgen gemacht, dass du nicht fertig wirst.« Aber er konnte sich ein bewunderndes Nicken nicht verkneifen, als er das kleine, funkelnde Kunstwerk mit dem bunten Vogel sah.
Gegen Abend, als die Sonnenstrahlen ihre sengende Kraft verloren hatten, machte sich Niklas auf ins Sestiere Canareggio, wo Dürer schon vor dem Penderschen Gasthaus wartete. Sie schlenderten durch die Gassen der Stadt, sprachen über alte Zeiten, und die frühere Vertrautheit stellte sich schnell wieder ein. Es war beinahe wie damals vor zehn Jahren, als sie gemeinsam die beschwerliche Reise über die Alpen gemacht hatten.
»Ich muss schon sagen, Niklas, dein Fränkisch ist nicht mehr ganz so flüssig wie früher«, frotzelte der Maler. »Und ich höre bei der Aussprache einen gewissen welschen Zungenschlag!«
Der Angesprochene machte eine entschuldigende Geste. »Du bist der Erste seit Jahren, mit dem ich wieder in meiner Muttersprache rede. Ich träume inzwischen sogar auf Venezianisch.«
»Und liebst du auch auf Italienisch?«
Niklas hörte den ernsten Unterton der Frage und lächelte dem Maler zu. »Auf Deutsch hab ich’s ja nie wirklich gelernt, wenn ich’s recht bedenk. Aber um deine Frage ernsthaft zu beantworten, ja, ich bin mit einer Frau zusammen, lange schon. Es ist die Wirtin vom ›Stör‹, Vanozza heißt sie. Sie ist ein paar Jahre älter als ich, hat zwei Kinder, und wir verstehen uns gut. Ich bin’s zufrieden.«
Sie setzten sich auf ein paar wackelige Stühle, die der Wirt eines Bacaro draußen an der Hauswand stehen hatte, und bestellten Wein. Die letzten Sonnenstrahlen brachen sich auf den Wellenkämmen des Kanals und tauchten die Fassaden der Häuser in rötliches Licht.
»Wenn wir schon beim Thema Liebe sind … «, fuhr Albrecht fort, » … dann hat’s dir also gar nichts ausgemacht, dass zwischen dir und deiner Helena keine Briefe mehr hin und her gehen? Die Agnes hat mir davon erzählt.«
Niklas nippte bedächtig an seinem Friularo. »Sie wollte plötzlich nicht mehr, dass wir uns schreiben«, sagte er. »Ich versteh’s nicht ganz. Und wenn ich ehrlich bin, macht’s mir doch was aus. Culo di merda!« Er fluchte leise auf Venezianisch und kippte den Rest seines Bechers hinunter. »Sag, weißt du was von der Lene? Wie geht’s ihr und was macht sie?«
Dürer brummte leise und schürzte die Lippen unter dem dichten braunen Bart. »Hm. Die Agnes hat mir zwar eingeschärft, dir nichts zu erzählen, aber ich sag’s dir trotzdem: Schlecht geht’s ihr, und unglücklich ist sie. Ihr Mann bringt langsam, aber sicher das Vermögen durch, spielt, säuft und prügelt sie übermäßig, und sie hasst ihn. Auf die Kinder geht er allem Anschein nach auch los. Sie hat euren Briefwechsel deshalb beendet, weil er einen Brief von dir entdeckt und sie dazu gezwungen hat. Sie hat sich nicht einmal getraut, mir einen Gruß an dich mitzugeben. Sie meint, es sei wohl besser so, wie es jetzt ist.«
Niklas war betroffen. »Mein Gott, die arme Lene. Das hat sie mir nie geschrieben. Kennst du diesen Konrad Heller näher?«
»Nur flüchtig. Wir haben uns ein paarmal in der Herrentrinkstube unterhalten, über unwichtiges Zeug. Er macht eigentlich einen leutseligen Eindruck, aber sein Ruf ist schlecht.«
»Mistkerl.«
Dürer schlug dem Freund gutmütig auf die Schulter. »Tja, so ist das nun mal. Denk nicht drüber nach, du kannst ihr sowieso nicht helfen, mein Lieber. Komm, trinken wir noch eins.«
Sie zogen noch durch ein, zwei weitere Schänken; der Wein begann Wirkung zu zeigen, und Niklas’ getrübte Laune besserte sich wieder. Viele Leute drehten die Köpfe nach Dürer um, der selbst im weltoffenen Venedig eine außergewöhnliche Erscheinung darstellte. Sie trafen ein Grüppchen grell geschminkter Kurtisanen, die ihnen eindeutige Avancen machten, aber beide hatten kein Interesse, obwohl der Maler die freizügig gekleideten Frauen neugierig beäugte.
»Die Venezianerinnen genießen nicht zu Unrecht den Ruf, zu den schönsten Frauen Europas zu gehören«, meinte er. »So herrliches rotes Haar sieht man selten.«
Niklas kicherte. »Eidechsenfett, Schwalbennesterschlamm, Affenschmalz gemischt mit Kamille … jede hat da ihr eigenes Rezept, das sie sich ins Haar schmiert. Das beste Ergebnis bringt angeblich eine Mischung aus Salz und zermusten roten Schnecken, die man in den Colli Euganei findet. Sagt zumindest Vanozza. Und anschließendes Abspülen des getrockneten Breis mit Salpeterlösung.«
»Pfui Teufel!« Dürer schüttelte sich. »Aber die Farbe, die müsste man auf der Palette nachmischen können … wie ich gehört habe, soll dieser junge Bellini-Schüler, wie heißt er doch gleich, Tiziano oder so ähnlich, ein besonderes Talent für Rottöne haben. Ich muss mich unbedingt mit ihm unterhalten … «
Die beiden schlenderten weiter durch die engen Gässchen, in denen jetzt, da die Nacht anbrach, die ersten Fackeln und Feuerpfannen angezündet wurden.
»Ah, der Laden von Nonna Ombretta ist noch offen. Warte, hier gibt’s was Feines.« Niklas lief zu der hölzernen Verkaufsbank, die vor einem Fenster heruntergelassen war, und kam kurz darauf mit zwei großen Muschelschalen zurück, auf die mit einem Spatel ein kleiner Berg weißliche, breiige Masse gestrichen war. »Da. Eine Spezialität, schmeckt gut!«
Dürer nahm eine Muschelschale und biss herzhaft in den weißen Brei. Ein plötzlicher Schmerz durchfuhr seine Zähne; er gab einen erschrockenen Laut von sich und warf die Muschel in hohem Bogen in den Kanal.
»Spinnst du?« Niklas sah den Freund verblüfft an.
»Das lässt einem ja sämtliche Zähne ausfallen!« Dürer verzog angeekelt das Gesicht. An seinen Bartspitzen zitterten kleine weiße Tröpfchen.
Der junge Goldschmied amüsierte sich. »Du darfst nicht hineinbeißen. Es schmilzt im Mund. Sie nennen es gelato, Gefrorenes, und machen es aus Zucker, Zitrone und Schnee, den sie aus den Bergen hertransportieren. Hier, nimm meins!«
»Lass nur. Wieso sollte ich Schnee essen?« Der Maler tippte sich an die Stirn. »So was Verrücktes kann auch nur den Welschen einfallen!«
Währenddessen waren sie bei Yussufs Palazzo angekommen. Der riesige Komplex war mit vielen Fackeln hell erleuchtet, und aus allen Fenstern drang flackerndes Kerzenlicht. An der Anlegestelle dümpelte eine ganze Menge herrschaftlicher Gondeln im Wasser; etliche Sänften, deren Träger lässig auf der Gasse herumlümmelten, waren im Eingangsbereich abgestellt. Ettore stand in seiner Feiertagslivree am Tor, um dafür zu sorgen, dass kein Unberechtigter Zutritt erhielt.
»Wo führst du mich denn hin?« Dürer sah Niklas überrascht an.
»Ein Freund von mir lebt hier. Er ist Diamantenhändler und hat mir alles über Edelsteine beigebracht. Wir haben sogar zusammen ein Buch darüber geschrieben. Außerdem helfe ich ihm nebenbei bei seiner Handelskorrespondenz. Er macht viel Geschäfte mit den Augsburger Welsern, die sich von allen deutschen Handelsgesellschaften am stärksten am Diamantenhandel beteiligen, und ich übersetze oft Briefe und Bestellungen, all so was. Heute gibt es ein großes Fest, und ich bin eingeladen. Komm nur.«
Drinnen war die Feier schon in vollem Gang. Die Säle waren voller edel gekleideter Gäste, die herumspazierten oder in Grüppchen zusammenstanden. Musikanten sorgten für gebührende Untermalung, und Bedienstete wieselten eifrig mit Tabletts herum, auf denen weingefüllte Pokale aus leuchtend buntem Muranoglas standen. Überall waren Tischchen verteilt, die sich unter Bergen von Süßigkeiten oder Obst bogen. Der Boden war dicht mit duftenden Rosenblüten bestreut, und auf unzähligen Kohlebecken glommen Kräutersträußchen und allerlei Räucherwerk. Von den Fenstern zum Innenhof aus konnte man einen Feuerschlucker beobachten, über dem auf einem quer durch die Luft gespannten Seil ein Seiltänzer seine atemberaubend gefährlichen Übungen machte. Auf einem Podest im Salotto verknotete sich gerade anmutig ein weiblicher Schlangenmensch sämtliche Gliedmaßen. Die Gäste klatschten begeistert Beifall.
Dürer wandte sich schmunzelnd an Niklas. »Das kommt mir vor wie eine fröhliche Beerdigungsfeier. Ich hatte ganz vergessen, dass der Stadtadel in Venedig ausschließlich Schwarz trägt.«
»Nur die Männer und die verheirateten Frauen. Ausnahme sind der Doge und die Dogaressa – die gehen zu besonderen Anlässen in Weiß und Gold. Vermutlich sind sie auch da. Heute Abend ist hier ist alles vertreten, was in der Stadt Rang und Namen hat. Schau dich nur um – so viel erlesenen Schmuck und teure Stoffe auf einmal wirst du vermutlich nie wieder sehen.« Niklas blickte sich suchend um. »Ah, da drüben ist Yussuf. Komm, ich mache euch bekannt.«
Der Mohr begrüßte Niklas mit einer herzlichen Umarmung. »Wen hast du denn da mitgebracht?«, wollte er wissen.
»Darf ich vorstellen: Maestro Albrecht Dürer, der weltberühmte Maler und Kupferstecher aus Nürnberg. Er weilt für einige Zeit in der Stadt, um den bedeutendsten Signori und Signore Gelegenheit zu geben, sich von ihm porträtieren zu lassen.«
Yussuf war hoch erfreut. »Willkommen in meinem Haus, Maestro! Ich habe von Euch gehört; die hiesigen Künstler sprechen mit größter Hochachtung von Euch, vor allem der greise Giovanni Bellini, den ich zu meinen Freunden zählen darf. Es ist mir eine Freude, Euch heute Abend bewirten und meinen Gästen vorstellen zu dürfen.«
Er nahm den Maler unter seine Fittiche und ging mit ihm und Niklas herum. Innerhalb kürzester Zeit hatte Dürer vier Aufträge für Porträts und einen für ein Altarbild in der Tasche. Auch für Unterkunft war schnell gesorgt; einer von Yussufs Kunden stellte ihm eine Zimmerflucht in einem seiner Häuser zur Verfügung, so lange er in der Stadt bleiben wollte. Dürer war glücklich.
Als es schließlich Mitternacht schlug, wurde die ganze Gesellschaft in den Innenhof beordert. Auf dem obersten Absatz der Freitreppe erschienen der Gastgeber und seine Frauen, gefolgt von der kleinen Giulia und Piero Contarini Zemelli, dem giudice del proprio, den Niklas schon kennen gelernt hatte. Giulia war Yussufs älteste Tochter, eine hübsche, liebreizend aussehende Vierzehnjährige, die von der Hautfarbe her ganz nach ihrer venezianischen Mutter kam. Nur die großen, schwarzen Augen und die kaum zu bändigenden braunen Kringellöckchen hatte sie vom Vater geerbt. Ihr sonnengelbes, tief ausgeschnittenes Kleid war der einzige Farbtupfer auf der Empore und leuchtete hell im Licht der Fackeln. Yussuf trat ans Geländer und klatschte in die Hände, dann breitete er lächelnd die Arme aus.
»Carissimi amici e ospiti, meine lieben Freunde und Gäste! Ihr werdet euch schon gefragt haben, was wohl der Anlass für dieses bescheidene Fest in meinem Hause sein mag. Jetzt, da wir alle gegessen und getrunken und damit die Bedürfnisse unseres Körpers gestillt haben, möchte ich auch eure Neugier befriedigen. Heute ist ein besonderer Abend für mich und meine Familie. Eine neue Verbindung wird geschlossen, eine Verbindung zwischen meinem Haus und einer der edelsten Familien Venedigs. Ich will nicht viele Worte machen. Hier seht ihr meine Älteste, Signorina Giulia, eine Blüte, die einer wunderbaren Union aus Afrika und Europa entsprossen ist.« Er hielt inne, sah seine erste Frau liebevoll an und führte dann seine Tochter an der Hand nach vorne. »Und dort steht einer der edelsten und ehrenwertesten Männer unserer Stadt, Ser Piero Contarini, ihr kennt ihn alle.«
Der Kriminalrichter trat vor und neigte grüßend den Kopf.
»Mein lieber Piero, nehmt nun Ihr die Hand meiner Tochter Giulia, Ihr wisst wohl, welchen Schatz ich Euch anvertraue. Freunde, feiert nun mit uns das Verlöbnis zwischen diesen beiden. Möge ihr gemeinsames Leben lange und glücklich sein! Evviva!«
Die Gesellschaft brach in donnernde Hochrufe aus. Das Paar hielt sich an der Hand und winkte in die Menge, und aus einem Netz, das hoch oben über den Köpfen gespannt war, ergoss sich ein Blumenregen über die Gäste. Dann krachte und knallte es ohrenbetäubend: Ein Feuerwerk begann, das bunte, glitzernde Fontänen in den Himmel zeichnete. Sonnenräder sprühten, Farben explodierten, überall am nächtlichen Firmament sprühte, glitzerte, funkelte und schimmerte es. Die ganze Stadt erglühte in einem märchenhaften Lichtermeer. Den Abschluss bildete ein wahrer Funkenregen in Rot und Blau, den Farben der Contarini.
Danach begannen die Musiker im großen Saal zum Tanz zu spielen. Alles lachte und lärmte durcheinander, und die Gratulationen nahmen kein Ende. Niklas und der Maler trafen sich irgendwann auf einer der vielen Innentreppen wieder und hatten gerade beschlossen heimzugehen, als die beiden Verlobten vorbeikamen. Niklas nickte Contarini zu und verbeugte sich vor Giulia.
»Ich freue mich sehr für dich, carina, und wünsche euch beiden Gottes Segen und alles Glück der Welt.«
Das Mädchen strahlte. »Ich danke dir, Niccó! Ich bin ja so glücklich! Heute ist der schönste Tag in meinem Leben. Sieh nur, was mir Piero zur Verlobung geschenkt hat.« Sie streckte in betont graziöser Haltung die linke Hand vor, an deren Ringfinger es blitzte und funkelte.
Niklas beugte sich vor – und war mit einem Schlag hellwach und so nüchtern wie man nur sein konnte. Der Vogelring! Contarini hatte der kleinen Giulia den Vogelring geschenkt! Der junge Goldschmied konnte kaum etwas sagen; er stammelte irgendein Kompliment, aber Giulia war von ihrem Verlobten schon wieder weitergezogen worden.
»Ein wunderbares Paar«, meinte Dürer anerkennend. »Sie in der Blüte ihrer Jugend, er ein schöner Mann in den besten Jahren. Man müsste die beiden schier malen … Hast du was, Niklas?« Er sah den Freund wie entgeistert dem Jubelpaar nachstarren. »Was ist los mit dir?«
Niklas packte den Maler am Arm. »Hör zu, Albrecht, ich habe gerade etwas Wichtiges entdeckt. Meinst du, du findest allein zu deinem Quartier zurück? Es ist nicht weit, und ich muss dringend etwas mit Yussuf besprechen.«
Dürer nickte verblüfft und sah zu, wie Niklas in der Menge verschwand.
»Das ist eine ungeheuerliche Anschuldigung, die du da vorbringst, Niccó.«
Yussuf kratzte sich am kahlen Schädel. Er hatte sich mit Niklas ins Studiolo zurückgezogen, um ungestört reden zu können, und jetzt drehte er mit großen Schritten Runden um seinen Schreibtisch. Seine nackten Füße machten auf den Fliesen klatschende Geräusche. »Ich kann das einfach nicht glauben.«
Niklas lehnte am Fenster; müde fuhr er sich mit beiden Händen über die Augen.
»Yussuf, du kannst mir glauben, dass mir dies alles nicht leicht fällt. Ich bin zu dir gekommen und habe mich dir als Verbrecher offenbart. Du hast mich jetzt in der Hand, mein Freund. Ein Wort von dir zur Stadtwache oder zu Contarini, und ich bin ein toter Mann. Aber ich kann einfach nicht tatenlos dabei zuschauen, wie du deine Tochter an einen Verbrecher gibst. Und ich bin mir sicher, dass Contarini der padrone ist. Außerdem meine ich, dass ihm an dieser Ehe nur liegt, weil er auf diese Art und Weise am leichtesten an dein Geschäft herankommt.«
»Aber Contarini ist ein reicher Mann, er hat das gar nicht nötig!«
Niklas blieb beharrlich. »Yussuf, du hast nur Töchter, und Giulia ist deine Älteste. Wer erbt dein Handelsimperium? Habt ihr schon Vereinbarungen getroffen?«
Yussuf tat einen tiefen Atemzug. »Er hat darauf gedrängt, dass wir alles vor der Hochzeit regeln, ja. Sobald die Eheschließung vollzogen ist, tritt Contarini mit zwei Schiffen als mein Partner ins Geschäft ein. Ein Testament zu Giulias und seinen Gunsten, in dem allerdings auch die anderen Mädchen und meine Ehefrauen abgesichert werden, lasse ich gerade von einigen Juristen entwerfen.«
»Aber das Unternehmen fällt dann an Contarini?«
»Im Falle meines Todes. Ja.«
»Mein Gott, Yussuf, das ist genau, was er will.«
Der Mohr schüttelte den Kopf. »So alt bin ich nun auch wieder nicht, dass er damit rechnen könnte, mich in den nächsten Jahren zu beerben.«
Niklas schlug mit der Faust gegen die Wand. »Gesù, verstehst du denn nicht! Mein Freund, die famiglia und dieser Mann gehen über Leichen. Ein spitzes Messer, ein Sturz aus dem Fenster, ein schnell wirkendes Gift – es gibt viele Möglichkeiten, jemanden aus dem Weg zu räumen. Wenn deine Tochter Piero Contarini heiratet, dann bist du in höchster Gefahr. Bitte, du musst mir glauben. Übergib mich der Stadtwache, kündige mir die Freundschaft, mach, was du willst, aber glaub mir einfach!«
Yussuf ließ sich auf einen Sessel sinken und vergrub das Gesicht in den Händen.
»Ich weiß nicht mehr, was ich denken soll. Hast du Beweise?«
Niklas schüttelte den Kopf. »Außer dem Ring noch nichts.«
»Den Ring kann auch jemand anders für ihn bestellt haben, oder die Aussage deines Meisters könnte falsch sein, das kann ich nicht gelten lassen.« Yussuf sah Niklas ernst an. »Du bist mein Freund, und ich schätze dich. Aber nur dein Wort kann hier nicht genügen. Du hast Zeit, die Hochzeit ist in einem Jahr. Bring mir Beweise.«
»Du kannst dich drauf verlassen«, gab Niklas mit entschlossener Stimme zurück. Noch in derselben Nacht erzählte er Nazareno von seiner Entdeckung.