Auf fremden Pfaden
Die meisten von uns lernen in der Schule nur einen sehr kleinen Teil der Geschichte kennen. Wer in Deutschland Abitur macht, hat eine vage Ahnung vom alten Ägypten, von der griechischen Antike, vom Römischen Reich, vielleicht von den frühen Hochkulturen in Mesopotamien. Alle diese Kulturen währen zusammen etwa 3500 Jahre, entsetzlich viel Zeit für Geschehnisse, von denen viele nichts ahnen. Man hört vielleicht noch von den Azteken, den diversen chinesischen Kaiserreichen oder den islamischen Kalifaten (siehe dazu das Kapitel «Ein unvergessliches Wochenende»).
Dutzende weitere zivilisatorische Projekte in der Geschichte bleiben den meisten von uns verschlossen. Diese fremden Kulturen sind nicht automatisch dümmer oder schlechter als die der Griechen oder der Römer. Dass wir die Letzteren kennen und andere nicht, hat etwas Beliebiges. Anstelle des antiken Rom könnte man im Schulunterricht auch, sagen wir, das antike Meroe behandeln, die Hauptstadt des Königreichs von Kusch auf dem Gebiet des heutigen Sudan, ein reicher Staat, der im 1. Jahrhundert vor und nach dem Beginn unserer Zeitrechnung mehrfach gegen die Römer Krieg führte. Fremde Kulturen wie Meroe bieten Zeitreisenden phantastische Gelegenheiten, in alternative Welten einzutauchen. Welten, in denen es gesellschaftliche Verhältnisse, Gebräuche und Erfindungen gibt, von deren Existenz Sie nichts ahnen. Orte und Zeiten, an denen Sie direkt erfahren können, was an der menschlichen Erfahrung universal und was kulturell geprägt ist.
Ein Wort der Warnung. Es gibt natürlich gute Gründe, Länder, die Ihnen und den meisten anderen heute lebenden Personen völlig fremd sind, nicht zu besuchen. Die Angebote sind seltener und teurer. Dolmetscher schwieriger zu finden. Und viele Veranstalter verlangen den Abschluss von Zusatzversicherungen. Wenn Sie in der weit zurückliegenden Vergangenheit verunglücken, wenn Sie versehentlich eine Nachspeise essen, die für moderne Mägen unbekömmlich ist, wenn Sie von einem mittlerweile ausgestorbenen Tier gebissen werden oder wenn man Ihnen den Kopf abhackt, kann die Rettung extrem kompliziert werden (mehr dazu im Ratgeberteil).
Es ist erstaunlich, wie wenig von tausend Jahren Geschichte übrig bleiben kann, manchmal nur ein paar Skulpturen, einige Grundmauern oder ein altes Gebiss. Schriftliche Aufzeichnungen sind, wenn man denn welche findet, oft unentzifferbar. So wie die Schriften der bronzezeitlichen Indus-Kultur, einer der frühesten Zivilisationen der Welt auf dem Gebiet des heutigen Pakistan, wo es vor viertausend Jahren schon Städte mit mehreren zehntausend Einwohnern gibt, zudem Kanalisation, Wasserreservoire, hochentwickeltes Handwerk und eine Gesellschaft, in der Mann und Frau die gleichen Rechte haben. Vorsicht: Praktisch alle Aussagen im vorigen Satz sind unsicher. Man weiß noch nicht einmal hundertprozentig, ob die Indus-Schrift wirklich eine Schrift ist oder nicht eher ein Bilderrätsel. Auf dieser Grundlage Ratschläge für Zeitreisen zu geben, ist schwierig. Wir wissen in vielen Fällen einfach nicht, was zu erwarten ist. Wenn Sie keine Überraschungen mögen, dann ist dieses Kapitel vielleicht nicht das Richtige für Sie. Halten Sie sich besser an die bis ins Hinterletzte erforschten Kulturen.
Im Unterschied zu anderen Zielen für Zeittouristen sollten Sie bei den hier vorgeschlagenen Reisen nicht erwarten, unauffällig untertauchen zu können. Es gilt jedoch ein allgemeines Grundprinzip, auf das Sie sich normalerweise verlassen können: Völker, die Städte bauen und die Versorgung von Hunderttausenden Menschen organisieren, entwickeln auf irgendeine Weise ein Konzept des «Anderen», also von Menschen, die anders aussehen, anders sprechen und sich anders verhalten. Eine große Rolle dabei spielen Handel und Krieg, die unvermeidlichen Konstanten der Zivilisationsgeschichte. Beide können dazu beitragen, an mehr Rohstoffe zu gelangen, neue Kenntnisse zu erwerben und den Wohlstand zu sichern. Beide sind eine Form des Umgangs mit anderen Kulturen. Die Einheimischen wissen, wie man mit Leuten umgeht, die nicht von hier sind, und werden nicht zwangsläufig völlig überrascht reagieren. Man wird Sie wahrscheinlich nicht sofort auf dem Altar opfern oder vor Ihnen auf die Knie fallen.
Die Städte der Maya zum Beispiel profitieren von Händlern, die weite Strecken durch Amerika zurücklegen, hunderte Jahre bevor die Europäer eintreffen. Die Inka im heutigen Peru betreiben Handelsrouten und Straßen über Tausende von Kilometern entlang der südamerikanischen Westküste. Das Königreich von Benin, eine hochentwickelte Kultur Westafrikas, unterhält vom 15. Jahrhundert an Handelsbeziehungen zu Europa, unter anderem, weil man Sklaven aus Zentralafrika gegen Waffen eintauscht. Deshalb ist man dort mit Weißen vertraut. Erst 1879 wird das Königreich von den Engländern erobert, ausgeraubt und zerstört. Sie können sich in solchen Gegenden einigermaßen darauf verlassen, dass Zeitreisende als normale Menschen erkannt werden und dass es möglich ist, sich Nahrung und Unterkunft zu organisieren, auch wenn Sie die gebräuchliche Sprache nicht verstehen.
Übrigens sollten auch Sie sich darauf gefasst machen, dass Ihre Gastgeber fremdartig aussehen, und nicht nur so ein bisschen. Viele Völker haben eine Vorliebe für das, was man heute als «Body Art» bezeichnen würde, also die kunstvolle Umgestaltung des eigenen Körpers. In die Haut eingebauter Schmuck gehört dazu, aber das ist oft nur der Anfang. Die Maya finden flache Köpfe, spitze Zähne, Hakennasen und leichtes Schielen attraktiv. Sie verwenden daher viel Mühe auf die Umformung der entsprechenden Körperteile, mit Hilfe von Verfahren, die wir heute als Körperverletzung einordnen würden. Von diesem Prozess werden Sie vielleicht nichts mitbekommen, wohl aber von dem Ergebnis. Seien Sie auf absonderliche Anblicke vorbereitet. Weil Sie anders aussehen, sollten Sie damit rechnen, dass Sie während Ihres Urlaubs Außenseiter bleiben werden. Erwarten Sie keine Wunderdinge.
Für Völker, die in Kontakt mit Europäern geraten, können Sie aus der überlieferten Reaktion eventuell lernen, wie man dort mit fremden Besuchern umgeht. Allerdings wirklich nur eventuell – von diesen Begegnungen kennen wir meist nur Berichte aus der Sicht der europäischen Eroberer, die mit ausgeprägten Vorurteilen und außerdem Kanonen vor den fremden Küsten aufkreuzen, eine höchst subjektive Perspektive. Wenn es zu Reibereien kommt, heißt das noch lange nicht, dass die Ortsansässigen zänkisch und mordlustig veranlagt sind. Wenn alles friedlich abläuft, kann man daraus noch nicht folgern, dass es immer so sein muss. Im Allgemeinen sollten Sie sich bei der Vorbereitung Ihrer Reise nicht auf die Aussagen von Eroberern verlassen, auch wenn das oft die einzigen übrig gebliebenen Quellen sind – eben weil die Eroberer beim Erobern so gründlich waren.
Hier ein instruktives Beispiel. Im Jahr 1511 kentert ein spanisches Schiff vor der Küste von Yucatán, der Halbinsel, die wie ein ausgestreckter Daumen in den Golf von Mexiko ragt. Zu dieser Zeit ist Yucatán von den Maya besiedelt. Die erste Begegnung verläuft nicht sehr erfreulich. Mehrere Spanier werden zeremoniell geopfert, die verbliebenen versklavt. Warum der Empfang so unfreundlich ist und ob nicht Feindseligkeiten vorausgingen, wissen wir bisher nicht. Acht Jahre später, als Hernán Cortés beginnt, das Land zu erobern, sind noch zwei Männer aus der Besatzung von 1511 am Leben, Gonzalo Guerrero und Gerónimo de Aguilar. Beiden geht es zu dieser Zeit, soweit man weiß, gut. Aguilar bleibt seinem Glauben und seiner Kultur treu und lehnt es ab, sich anzupassen. Er will noch nicht einmal eine Maya zur Frau nehmen. Schließlich macht er sich davon und arbeitet als Dolmetscher für Cortés.
Guerrero hingegen findet sich besser zurecht. Er lernt die Sprache der Maya und wird wenig später Militäroberhaupt der Stadt Chaktumal, einer Hafenstadt mit mehreren tausend Einwohnern auf dem Gebiet des heutigen Belize. Guerrero heiratet eine Einheimische, gründet eine Familie, trägt Maya-Tattoos und lange Haare. Tattoos und lange Haare sind bei den Maya Zeichen gesellschaftlicher Anerkennung, anders als in mitteleuropäischen Ländern der Gegenwart. Guerrero lehnt es ab, sich von den Spaniern «retten» zu lassen, bleibt den Rest seines Lebens bei den Maya und stirbt schließlich im Kampf gegen seine Landsleute. Es ist also durchaus möglich, sich in fremden Kulturen niederzulassen und Karriere zu machen, wenn man das will – aber manchmal dauert es ein paar Jahre, bis man akzeptiert wird. Im Wesentlichen ist das in der Gegenwart ganz genauso.
Falls Sie sich wegen der eben erwähnten Menschenopfer Sorgen machen: Das zeremonielle Umbringen von Menschen ist in der Tat weitverbreitet im antiken Süd- und Mittelamerika. Die Azteken zum Beispiel opfern oft und gern. Insbesondere hat man eine Vorliebe für zeremonielle Enthauptungen, aber es werden auch Herzen oder andere Innereien entnommen. Lassen Sie sich davon nicht den Spaß verderben. Meiden Sie vielleicht die Azteken. Bei den Maya sind Sie vermutlich sicherer. Menschenopfer finden dort meist im Rahmen von Ritualen statt, etwa in Zeiten des Krieges. Betroffen sind vorwiegend Mitglieder der herrschenden Elite. Nach der Schlacht opfert man möglichst die hochgestellten Militärs des Gegners, am besten den König. Ihnen als Tourist kann das egal sein, solange Sie nicht mit dem Schwert herumfuchteln. Allgemeiner Sicherheitsratschlag: Halten Sie sich nicht für eine Gottheit. Benehmen Sie sich nicht wie ein Vollidiot.
Unter den fremden Welten sind diejenigen ein bisschen weniger fremd, die noch Bestand haben, als die Europäer sie erreichen. Zum einen, weil es für die dort lebenden Völker Berichte in heute noch verständlichen Sprachen gibt – mit den schon erwähnten Einschränkungen bezüglich ihrer Zuverlässigkeit. Zum anderen, weil nicht alle Reste ihrer Kultur zerstört, zerfallen und überwuchert sind. In Lateinamerika betrifft dies unter anderem die Inka, die Azteken und die Maya, alle drei hochentwickelte Kulturen mit Technik, Wissenschaft, Kunst, urbanen Zentren, spezialisierten Berufen und komplexen Gebräuchen. Das Azteken-Land erreicht seine größte Ausdehnung kurz vor dem Eintreffen der spanischen Eroberer. Die Hauptstadt Tenochtitlan, an der Stelle, an der heute Mexiko-Stadt steht, beherbergt mehrere hunderttausend Einwohner. Die Inka beherrschen den Großteil der Anden vor dem Eintreffen der Europäer. Genau wie das der Azteken verschwindet auch ihr riesiges Reich im 16. Jahrhundert von der Landkarte. Städte werden zerstört, Völker ausgerottet. Die Zivilisation der Maya ist eher eine lose Ansammlung von Stadtstaaten als ein einheitliches Reich, angesiedelt im heutigen südlichen Mexiko und angrenzenden Staaten wie Guatemala und Belize. Schon bevor die Europäer eintreffen, gibt es einige Probleme bei den Maya, hervorgerufen durch Dürre, Krankheiten und Kriege mit den Nachbarn.
Besuchen Sie am besten eines der vielen Volksfeste dieser Kulturen. Die Maya zum Beispiel feiern besonders gern, im Rahmen von Festivitäten, die über das ganze Jahr verteilt sind. Berufsgruppen wie Fischer, Ärzte, Jäger oder Imker halten ihre eigenen Partys ab, denen Sie bestimmt beiwohnen dürfen, wenn Sie sich vorher mit den entsprechenden Kollegen anfreunden. Ob auch die Fischerinnen, Ärztinnen, Jägerinnen und Imkerinnen feiern, wissen wir nicht, die Quellenlage ist dürftig. Vorgeschriebene Fastenzeiten und ausschweifende Mahlzeiten sind ein wichtiger Bestandteil vieler Feste. Die Maya haben die Schokolade erfunden, oder zumindest so etwas Ähnliches: Sie vermengen die aus Kakaobohnen gewonnene Paste mit Wasser, Mais, scharfen Gewürzen und produzieren daraus ein schaumiges, bitteres Getränk, von dem die Spanier begeistert sind. Am Ende der Maya-Partys wird oft getrunken, bis keiner mehr stehen kann.
Im Spätherbst feiert man den Volkshelden Kukulkan, eine zentrale Gestalt in der Spätphase der Maya. Kukulkan spielt eine wichtige Rolle in Chichén Itzá (die dortigen Monumentalbauten zählen heute zu den bedeutendsten Sehenswürdigkeiten im Maya-Land) und gründet später Mayapán, so etwas wie die Hauptstadt. Er wird als Gott verehrt, oder genauer gesagt als gefiederte Schlange, und verschwindet irgendwann, vielleicht in den Himmel. Die Geschichte von Kukulkan ist heute voller Geheimnisse, aber nur, weil die Europäer die Erinnerungen ausgelöscht haben. Bei den Maya hingegen ist Kukulkan kein Geheimnis, wie Sie schnell feststellen werden, sondern eine Persönlichkeit, eine Mischung aus Mensch und Gott, eine Lichtgestalt.
Das Fest zu Kukulkans Ehren, genannt Chic Kaban , besteht aus gewaltigen Prozessionen, bei denen viel gebetet, geopfert und sich verkleidet wird. Wer teilnehmen möchte, begibt sich am besten nach Mayapán, der Stadt von Kukulkan, oder nach dem Untergang von Mayapán im Jahr 1441 (an dem die Europäer ausnahmsweise unschuldig sind) nach Maní, zwanzig Kilometer westlich davon. Leider können wir Ihnen nicht genau sagen, an welchem Datum oder zu welchem konkreten Anlass das Fest stattfindet, oder zu welcher Tageszeit die Feierlichkeiten beginnen, weil der Kalender der Maya oder vielmehr das, was wir von ihm wissen, viele Möglichkeiten der Interpretation erlaubt. Am besten prüfen Sie das vor Ort. Natürlich wissen wir überhaupt nur von den Festen, die kurz vor der Landung der Europäer noch begangen werden. Es ist leicht möglich, dass Sie versehentlich in bislang völlig unbekannte Partys zu Ehren von bislang völlig unbekannten Halbgöttern stolpern.
Wenn Sie an dieser Stelle frustriert sind angesichts der vielen Ungewissheiten, können Sie vielleicht dabei helfen, einige Unstimmigkeiten aus der Welt zu schaffen. Berichten Sie ausführlich über Ihre Reisen. Machen Sie sich Notizen. Oder versuchen Sie, wichtige Dokumente vor der Zerstörung zu retten. Der spanische Priester Diego de Landa, aus dessen Berichten wir vieles über die Maya-Kultur wissen, ist hauptberuflich vor allem damit beschäftigt, ebendiese Kultur zu vernichten. Vor allem stört er sich daran, dass die Maya die aus seiner Sicht falschen Gottheiten anbeten und zu oft Sex mit wechselnden Partnern haben. Heute sind nur vier der sogenannten Codices erhalten, der wichtigsten Aufzeichnungen der Maya. Im Sommer 1562 zerstören de Landas Leute mindestens siebenundzwanzig davon in der erwähnten Stadt Maní. Wenn Sie rechtzeitig eintreffen und es schaffen, die Codices erst zu entwenden und dann zu verstecken, vielleicht in einer trockenen Höhle, erweisen Sie der künftigen Archäologie in Ihrem Strang der Zeit einen großen Dienst. Noch besser: Fotografieren Sie die Seiten der Codices und bringen Sie die Fotos mit. Oder versuchen Sie, die Gelehrten der Maya dazu zu überreden, ihre Bücher in lateinische Schrift zu übertragen. Fotografieren Sie dann diese Abschrift.
Was fremde Kulturen angeht, sind die Maya schon so etwas wie die sichere Variante. Wer gänzlich unerforschtes Terrain sucht, dem sei stattdessen eine Reise zum Titicacasee im Westen des heutigen Bolivien empfohlen, zu einem Ort, der heute als Tiwanaku bekannt ist. Wie er damals hieß, wissen wir nicht – das müssen Sie erst noch herausfinden. Tiwanaku existiert über das gesamte erste Jahrtausend unserer Zeitrechnung. Die beste Reisezeit ist die Hochphase um das Jahr 800 herum. Sie werden sich in einer großen Stadt wiederfinden, mit mehreren zehntausend Einwohnern und monumentalen Gebäuden, deren Zweck Sie selbst ergründen müssen. Die Metropole ist das Zentrum eines Reiches, das sich eventuell von der Hochebene im Osten des Titicacasees bis an die Pazifikküste im Westen erstreckt. Es ist gut möglich, dass Sie Händler oder Pilger oder Besucher aus entlegenen Regionen antreffen werden, aus den Regenwäldern des Amazonas oder von den nördlichen Küsten des Kontinents. Vielleicht finden Sie sich in einer multikulturellen Weltstadt wieder. Vielleicht werden Sie als Zeitreisende nicht groß auffallen.
Wenn Sie sich vorher ein wenig mit den modernen Sprachen der Aymara oder Quechua oder Mapuche vertraut machen, werden Ihnen manche Wörter vielleicht bekannt vorkommen. Eventuell können Sie sich zur Vorbereitung ein paar Phrasen über den Sonnengott (großartig) oder die Llama-Steaks (schmackhaft) zulegen. Überhaupt ist das Essen womöglich äußerst zufriedenstellend und geradezu modern – Quinoa, frisch gefangene Forellen, Salsa mit seltsamen Gewürzen, Kartoffeln, bevor sie Mainstream wurden, bestreut mit Salz, das gleich nebenan aus den Salzseen geschabt wird. Hinterher kaut man Kokablätter, um die Verdauung anzuregen. Es könnte eine luxuriöse und einmalige Reise werden.
Eine Garantie dafür gibt es jedoch nicht. In Tiwanaku muss man auf alles vorbereitet sein. Vielleicht ist es dort auch ganz langweilig. Keine Straßenfeste, keine exotischen Märkte, keine Touristen aus anderen Ländern, und Sie werden die ganze Zeit angestarrt. Es könnte sein, dass das Essen grauenvoll schmeckt, weil man immer genau die Gewürze verwendet, die unsere Geschmacksnerven überfordern. Vielleicht gibt es nur Chuño , eine Art getrocknete haltbare Kartoffel, die vor dem Essen in Wasser eingeweicht wird. Vielleicht hat die Sprache keinerlei Ähnlichkeit mit heute noch existierenden Sprachen und ist gänzlich unverständlich. Es wäre denkbar, dass es sich um eines dieser Völker handelt, die zwar ein Konzept von Fremden haben, aber eines, das rituelle Schlachtungen umfasst. Wahrscheinlich ist das nicht, aber ausschließen kann man es auch nicht.
Eines jedoch wissen wir sicher: Der Titicacasee, der größte Süßwassersee Südamerikas, liegt auf einer Höhe von 3800 Metern über dem Meeresspiegel, und das war auch schon vor 1200 Jahren so. Auf dieser Höhe ist die Luft so dünn, dass Sie ohne Vorbereitung bei der Ankunft nach Luft schnappen werden. Es ist ratsam, sich vorher ein paar Tage an die Höhenluft zu gewöhnen, zum Beispiel bei einem Ausflug nach Machu Picchu, das nur 2400 Meter hoch liegt – geographisch gleich nebenan, im Gebirge von Peru, aber zeitlich 700 Jahre nach der (vermuteten) besten Reisezeit für Tiwanaku.
Apropos Machu Picchu: Die alten Stätten, die heute zu großen Touristenattraktionen geworden sind, also zum Beispiel Machu Picchu in Peru oder Chichén Itzá in Yucatán, besuchen Sie am besten in der Gegenwart, ganz ohne Zeitmaschine. Es handelt sich um die Monumente, die zufällig am besten erhalten sind, aus den späten Phasen dieser Kulturen. Sie als Zeitreisende sind nicht an solche Zufälle gebunden. Machu Picchu wird nie von den spanischen Eroberern gefunden und erst viel später entdeckt, irgendwann im späten 19. oder frühen 20. Jahrhundert. Heute sind es Ruinen, aber gut erhaltene oder restaurierte und gut dokumentierte Ruinen. Sie können sich ohne Komplikationen für relativ wenig Geld Zugang verschaffen und sich genau erklären lassen, wie alles war. Sie vermeiden die Begegnung mit den Pocken, einer Krankheit, die von den Spaniern unabsichtlich nach Amerika gebracht wird und die ihnen bei der Dezimierung der Einheimischen behilflich ist (siehe Ratgeberteil).
Orte zu besuchen, die zur Zeit der Kolonialisierung gerade noch existieren, heißt an der Oberfläche schwimmen. Zeitreisende haben die einmalige Möglichkeit, tiefer in die Vergangenheit einzutauchen. Besuchen Sie Städte, die seit tausend Jahren niemand in voller Blüte gesehen hat. Zum Beispiel El Mirador im heutigen Guatemala, eine Stadt mit mehreren hunderttausend Einwohnern, gewaltigen Pyramiden aus rotem Stein, breiten Straßen, im Zentrum eines hochentwickelten Staates, versorgt durch Landwirtschaft auf künstlich angelegten Terrassen, für die nahrhafter Schlamm aus den nahegelegenen Sümpfen herangeschafft wird. Heute ist El Mirador im Dschungel begraben. Vor zweitausend Jahren jedoch können Sie dort ein kulturelles Highlight der Menschheitsgeschichte besichtigen.
Noch ein Ratschlag: Die Nazca-Linien, riesige in den Boden gescharrte Figuren im Süden Perus, entstehen über einen Zeitraum von tausend Jahren, vor und nach dem Beginn unserer Zeitrechnung. Auch diese Attraktion sollten Sie sich heute ansehen, nicht in der Vergangenheit. Die Linien sind am besten aus der Luft zu erkennen, und sie von oben zu betrachten ist in der Gegenwart deutlich einfacher.