Die Schattenseiten des Krieges
Kriege sind erstaunlich beliebt. Viele Leute denken darüber nach, wie man in der Vergangenheit ausgerechnet Schlachten und Kriege aufsuchen und was man dort als Zeitreisender anstellen könnte. Woher diese Begeisterung für Kriege kommt, ist unklar. Wahrscheinlich hat sie nicht nur mit einer unglücklichen Kindheit oder einem Uniformfetisch zu tun. Schlachten sind populär, weil sie Momente in der Geschichte darstellen, an denen offensichtlich auch alles ganz anders hätte kommen können: Was passiert, wenn Varus und nicht Arminius die Schlacht im Teutoburger Wald gewinnt? Wenn Napoleon beschließt, doch nicht mit seiner Armee nach Moskau zu ziehen? Aber natürlich ist die Geschichte voll mit weniger dramatischen Momenten, die ebenfalls weitreichende Auswirkungen haben: Es regnet zur falschen Zeit, ein Krankheitserreger mutiert, ein Kontinent driftet nach Norden und nicht nach Süden, eine Handwerkerzunft beschließt eine Regelung.
Wer Schlachten für ganz besonders entscheidend hält, lässt sich von dem blenden, was leicht zu sehen ist und viel Krach und Aufmerksamkeit erzeugt. Der Glaube, dass Geschichte vor allem in militärischen Auseinandersetzungen und durch die Taten einzelner Personen geschrieben wird, ist wie die Annahme, dass Geologie aus Sprengungen besteht. Abgesehen davon gibt es viele gute Gründe, sich nicht dort aufzuhalten, wo in der Vergangenheit gerade Krieg geführt wird. Die meisten davon sind offensichtlich. Wir erwähnen sie vorsichtshalber trotzdem.
Wahrscheinlich hat Ihr Reiseveranstalter Sie unterschreiben lassen, dass Sie sich nicht mutwillig in Gefahrengebiete begeben werden. Aber nehmen wir einmal an, Sie haben bei einem zweifelhaften Unternehmen gebucht, das sich auf kriegslüsterne Kundschaft spezialisiert, oder aber Sie kümmern sich generell nicht um das Kleingedruckte in Verträgen. Sie werden dann zunächst einigen praktischen Schwierigkeiten des Schlachtentourismus begegnen, wie sie der französische Autor Stendhal in «Die Kartause von Parma» beschreibt. Der Roman spielt in der Zeit der Napoleonischen Kriege, zu Beginn des 19. Jahrhunderts. Seine Hauptfigur, ein junger Italiener namens Fabrizzio, sympathisiert mit Napoleon und meldet sich als Freiwilliger, um auf der Seite der Franzosen zu kämpfen. Viele der Probleme, auf die er stößt, existieren in ganz ähnlicher Form für Zeitreisende: Er spricht nicht die richtige Sprache, kann kein Gewehr laden, wird für einen Spion gehalten und ins Gefängnis gesteckt, und als er schließlich in eine Schlacht gerät, ist er ratlos. Er hört «schreckliches Getöse» von allen Seiten und sieht Rauch, hat aber keine Ahnung, wo das Regiment ist. «War das, was er gesehen hatte, eine Schlacht? Und war diese Schlacht die von Waterloo?», fragt er sich hinterher.
Die wenigsten Kriegshandlungen tun Zeitreisenden den Gefallen, an einem überschaubaren Ort mit günstigen, ungefährlichen Aussichtspunkten stattzufinden. Selbst wenn sie es tun, wird man nach der Einführung des Schwarzpulvers (in China im 11., in Europa im 14. Jahrhundert) genau wie Fabrizzio außer Rauch nicht viel sehen. Wer schon einmal versucht hat, in Berlin das Silvesterfeuerwerk zu betrachten, ahnt, wie wenig man von so
einer Schlacht erkennen wird. Auf Schlachtengemälden sind zwar häufig Generäle zu sehen, die von einem Hügel herab mit dem Fernglas das Geschehen verfolgen, aber zum einen haben solche Gemälde mit der Realität nicht immer viel zu tun, zum anderen ist der Feldherrnhügel kein Platz für dubiose Fremde, die «einfach nur zugucken» wollen. Bei Seeschlachten ist die Lage noch aussichtsloser.
Die schlechte Sicht ist noch eines der harmloseren Probleme. Im Umfeld von Kriegen und Belagerungen gedeihen Infektionskrankheiten besonders gut (siehe Ratgeberteil). Ob Sie an der Schlacht teilnehmen oder nur zuschauen wollen, ist den Krankheitserregern egal. Unter Umständen gibt es Ärger mit Wölfen, wie es der Rittmeister von Holsten nach der Schlacht bei Tschudniw im Jahr 1660 beschreibt: «An dem Orth, alwo diese große Schlachten geschehen, versammleten sich nachmals vielhundert Wölffe, daß keiner alda sicher reisen kondte, denn weilen über 60000 todte Cörper auf der Nähe herumblagen …»
Den Wölfen, Raben und Krähen geht es gut, aber die Nahrungsmittel für Menschen sind wahrscheinlich knapp. Armeen ernähren sich bis ins 19. Jahrhundert von dem, was die Soldaten vor Ort beschaffen können – und das heißt in den meisten Fällen: rauben und stehlen. Aus diesem Grund ist die Erntezeit eine beliebte Zeit zum Kriegführen.
Die kämpfenden Parteien wissen nicht, dass Sie bloß Tourist sind, und werden Sie unter Umständen genauso umbringen wie ihre Gegner. Die Bewohner der Umgebung sind nach schlechten Erfahrungen mit der Armee misstrauisch und erschlagen Sie eventuell vorsichtshalber ebenfalls. Für Frauen liegt das Vergewaltigungsrisiko höher als sonst. Männer können zur Armee gepresst werden und sind dabei
gefährdeter als die Einheimischen, wenn sie größer und gesünder aussehen. Auch gute Zähne machen attraktiv für Werber. Dabei geht es nicht ums Aussehen, sondern ab dem späten 17. Jahrhundert um die Fähigkeit, die Papierhülsen aufzubeißen, in denen Pulver und Kugel aufbewahrt werden. Selbst mit schlechten Zähnen kann man immer noch für andere Tätigkeiten rekrutiert werden.
Das ist übrigens nicht nur in unmittelbarer Umgebung von Schlachten ein Problem. In militaristischen Staaten sollten Sie sich als Mann generell von Angehörigen der Armee fernhalten, das heißt, nicht ins Gespräch verwickeln oder gar zum Trinken verleiten lassen. Vor allem Preußen ab 1713 ist in dieser Hinsicht ein riskantes Reiseziel für Männer, die größer als einen Meter siebzig sind. Auch von der Royal Navy kann man vom 17. bis ins frühe 19. Jahrhundert zwangsrekrutiert werden. Das geschieht allerdings vor allem in Küstenorten. Sie sind etwas sicherer, wenn Sie erkennbar keine Ahnung von der Seefahrt haben.
Werden Teile der Armee zwangsrekrutiert, ist das Desertieren naturgemäß eine beliebte Tätigkeit. Das bedeutet für Sie, dass man Sie beim geringsten Verdacht auch außerhalb der Armee für einen Deserteur halten und standrechtlich erschießen kann. Die Probleme rund um Pässe, Papiere und Identität vervielfachen sich in Kriegszeiten.
Wenn Sie trotz allem unbedingt einen Blick aufs Kriegsgeschäft werfen wollen, raten wir zu einem Aufenthalt in Berlin am 24. August 1813. Am Vortag haben bei Großbeeren im Süden der Stadt die aus Franzosen und Sachsen bestehenden napoleonischen Truppen gegen die Preußen, Russen und Schweden gekämpft und verloren. Der Kanonendonner war in Berlin gut zu hören. Den
Lebensaufzeichnungen des Berliner Bankiers Johann David Müller zufolge strömt am 24. vom Halleschen Tor aus eine «unabsehbare Menschenmenge, welche die Neugierde herrausgelockt», nach Großbeeren. Dort kann man «Leichen, Kugeln, Armaturstücke und todte Pferde» liegen sehen. Müller verteilt «schwartzen Coffée, Zucker und Rumm» an die Offiziere und bekommt dafür das Schlachtfeld erklärt. Nachmittags werden Zäune, Pfähle und Bruchstücke der eingerissenen Häuser von Großbeeren aufgehäuft und entzündet, um auf den Feuern Mahlzeiten zuzubereiten, und «um 5 Uhr wurde überall, umgeben von Leichname, gespeist und viele Tausend Berliner nahmen an den Mittagessen theil». Passieren kann Ihnen hier nicht viel, aber es bleibt eine zynische Unternehmung. Wenn Sie in der Gegenwart nicht zum Vergnügen in Kriegsregionen reisen, sollten Sie es auch in der Vergangenheit nicht tun.
Selbst wenn Sie Schlachten als Reiseziel nicht gerade aktiv suchen, sollten Sie Zeiten und Orte meiden, an denen Krieg herrscht oder Krieg bevorsteht. Das betrifft vor allem Staaten, die zerfallen oder nicht mehr richtig regiert werden. Stattdessen suche man nach Stabilität, allgemeinem Wohlstand, Frieden. Das heißt nicht unbedingt, dass Sie vollständig auf Reisen in Kriegsjahre verzichten müssen. Der Dreißigjährige Krieg dauerte nicht überall dreißig Jahre, er war eher wie ein langanhaltendes missliches Wetterphänomen, das über Europa waberte. Aber die Zonen und Phasen der Stabilität sind schwerer zu finden und knapper, die Menschen misstrauischer, die Infrastruktur kaputter. Bequemer ist es, den bekannten Kriegen vollständig aus dem Weg zu gehen. Die Reise in die Vergangenheit birgt auch so schon genügend Risiken.