Kapitel Vier
Yara saß in ihrem Büro und starrte abwesend auf das Datenpaket, das vor einer halben Stunde über einen anonymisierten Proxyserver an ihre temporär eingerichtete Adresse übermittelt worden war. Sie hatte es vorerst liegengelassen und sich um ihre tägliche Morgenroutine gekümmert, die überwiegend die Koordination der anderen Ermittler umfasste. Sie hatte deren Berichte gesichtet, diese nach Prioritäten sortiert, Konferenzen geführt und einigen der Teams neue Aufgaben zukommen lassen. Ihr Job war mit einer nicht zu verachtenden Verantwortung verbunden, die ihr mit jedem Tag besser gefiel. Sie mochte ihre Position, den damit einhergehenden Sonderstatus und das Gefühl, wichtiger als die anderen zu sein. Auch wenn sie sich manchmal dafür schämte.
Yara hatte ebenfalls als Kriminalbeamtin für die lokalen Polizeibehörden gearbeitet, bis sich der Skandal um Zak ereignet hatte und ihre Abteilung aufgelöst worden war. Doch anstatt abzusteigen, war sie durch den Einfluss ihres Vaters über Amin an den Job als Sonderermittlerin des Untersuchungsausschusses gekommen. Und obwohl sie zuerst eine Menge Vorbehalte gegen diese Position gehabt hatte, wollte sie auf keinen Fall mehr darauf verzichten.
Das Datenpaket beinhaltete beunruhigende Anschuldigungen gegen einen Mann, der auf der Gehaltsliste Yaffar Amins stand und damit auch indirekt gegen ihren Vater, dem die Scheinfirma gehörte, über die der Sicherheitsberater vor sechs Monaten anonymisierte Zahlungen erhalten hatte. Gleichzeitig bestätigten die Daten Zaks Theorie, von jemandem über den Tisch gezogen worden zu sein, mit der Folge, seinen Job verloren zu haben. Yara hatte ihm nicht geglaubt, obwohl er seine Unschuld beteuert und mehrfach ihre Hilfe erbeten hatte. Aber sie hatte sich einfach nicht vorstellen können, dass ihr Vater so weit gehen würde, um sie auseinanderzubringen. Verdammt, ihr alter Herr war einer von den Guten, wie Amin so gerne und oft feststellte. Und die Guten spannen keine Intrigen, die das Leben eines unbescholtenen Cops zerstörten, nur weil einem Vater nicht gefiel, dass seine Tochter sich mit jemandem außerhalb ihres Kulturkreises abgab.
Yara fluchte und ließ sich in den Sessel sinken. Sie brauchte Gewissheit. Sie wollte schwarz auf weiß sehen, dass ihr Vater an dieser Intrige beteiligt war, denn sie konnte nicht glauben, dass er sich auf eine so dumme Aktion eingelassen oder diese sogar angestoßen hatte. Seine Position und seine Geschäfte zogen die neidischen Blicke unzähliger Kontrahenten auf sich, und die Wahrscheinlichkeit, dass er selbst Opfer einer verdeckten Aktion geworden war, schien ausreichend hoch zu sein. Immerhin handelte es sich um ihren Vater, und auch wenn ihre Beziehung nicht immer einfach war, konnte sie nicht glauben, dass er so weit gehen würde. Vermutlich war Zak im Sog der Intrige eines anderen gegen ihren Baba mit untergegangen. Eine simple Erklärung.
Yara atmete erleichtert auf und wandte sich wieder dem halbtransparenten Display zu, das vor ihr über den Schreibtisch projiziert wurde. Sie rief den Inhalt eines zweiten Tabs auf, der bereits seit zwei Stunden offen war. Zaks animiertes Porträt sah sie ernst an und jagte ihr einen kalten Schauer über den Rücken. Es schien, als ob seine virtuelle Präsentation wusste, was sie getan hatte.
Yara schüttelte den Gedanken ab und konzentrierte sich wieder auf das allgegenwärtige Problem, das ihre Zukunft – trotz der Beziehungen ihrer Familie – maßgeblich beeinflussen würde. Ihr blieben noch zwei Tage, um die verlorengegangenen Aufnahmen und Daten wiederzubeschaffen. Zwei Tage, um das Harvest-Programm zu stoppen und zusammen mit den Guten über den Konzern und seine menschenverachtenden Praktiken zu triumphieren – und dazu brauchte sie Zak.
Sein Wissen über Strukturen, Abläufe und Anlagen Biophols bezüglich des Harvest-Programms konnten Gold wert sein. Vor allem für jemanden wie Yara, die es stoppen wollte. Zak hatte nach der Suspendierung bei einem Subunternehmen des Konzerns angefangen, das für die Extraktion der Körper zuständig war, die Biophol für das Programm benötigte. Er musste innerhalb dieser sechs Monate Erfahrungen und Kenntnisse gesammelt haben, die wichtig für Yaras Bemühungen sein konnten. Die Frage war nur, wie sie ihn dazu bringen konnte, diese mit ihr zu teilen. Immerhin hatte ihre kurze Beziehung ein eher unschönes Ende gefunden.
Als Yara Zaks Daten aufrufen wollte, um ihn zu kontaktieren, erhielt sie einen Anruf. Sie legte diesen von ihrem Handheld auf das große Display, hob überrascht eine Augenbraue und aktivierte die Verbindung.
»Sonderermittlerin Yara Bukhari …«
»Federika Guterres. Ich wurde vom Staatsanwalt Richthofens damit betraut, den Fall bezüglich Zak Mokais Disziplinarverfahren im Rahmen seiner Tätigkeit als Kriminalbeamter im Dienste der Staatspolizei erneut zu beurteilen. Dazu brauche ich auch Ihre Aussage, Ms. Bukhari.«
»Arbeiten Sie nicht für Biophol?« Yara konnte sich an den Namen der Anwältin erinnern. Er war mehrfach in Bezug zu Zaks neuem Betätigungsfeld aufgetaucht, das Yara trotz ihrer Trennung von Zeit zu Zeit verfolgt hatte.
»Seit heute nicht mehr«, erwiderte sie knapp. »Also? Wann hätten Sie Zeit?«
»Warum wird der Fall wieder aufgerollt? Ich dachte …«
»Es gibt neues Beweismaterial, Ms. Bukhari.«
»Von welcher Quelle?«
»Ich werde sicher nicht mit Ihnen über die Quellen der Staatsanwaltschaft diskutieren«, erwiderte Guterres amüsiert. »Wenn Sie mit der Findung eines Termins überfordert sind, werde ich Sie vorladen lassen. Ihre Entscheidung.«
»Bitte?«
»Sie haben mich schon verstanden, Sonderermittlerin«, stellte die Anwältin klar. »Sie haben bis heute Mittag Zeit, um sich von meiner Office-Managerin einen Termin geben zu lassen. Andernfalls werden wir die Angelegenheit auf meine Art klären.«
Guterres legte auf, ohne Yara die Chance zu geben, etwas zu erwidern. Sie schluckte ihren Ärger runter und atmete hörbar aus, bevor sie sich wieder auf das Display konzentrierte. Die Staatsanwaltschaft würde es nicht riskieren, Ressourcen zu verschwenden, wenn sie den neuen Beweismitteln keine Bedeutung beimessen würde. Yara ging davon aus, dass ihr jemand eine Kopie dieser Beweise hatte zukommen lassen. Aber warum? Vielleicht steckte doch mehr hinter der Sache, als auf den ersten Blick erkennbar war. Die damals aufgestellte Sonderkommission war zu dem Ergebnis gekommen, dass Zak einen Informanten hatte auffliegen lassen, der den Cops die Koordinaten eines illegalen Waffendeals mitteilen wollte. Die Ermittler hatten einen hohen Geldbetrag auf Zaks Konto sichergestellt, der über Tel Aviv transferiert und mit einem bekannten Hehler in Verbindung gebracht werden konnte. Diese Überweisung und der damit einhergehende Verdacht, dass Zak vielleicht korrupt sein könnte, waren das Aus für seine Karriere gewesen – und das Aus für seine Beziehung mit Yara. Allein der Gedanke, mit einem Kriminellen zusammen zu sein, hatte ihr schwer zugesetzt und dazu geführt, dass sie sich von ihm distanziert hatte. Der Rest war bittere Geschichte.
Allerdings hatte sich die Lage mittlerweile verändert und sie brauchte seine Hilfe. Er schien jedoch nach wie vor nicht gut auf sie zu sprechen zu sein, was ihr einen Kniefall abverlangen würde, den sie nur zu gern bereit war zu machen – sofern sie ihre Ziele damit erreichte.
Yara verdrängte die liebgewonnenen Erinnerungen an ihre gemeinsame Zeit und kontaktierte einen Schnüffler, mit dem sie schon öfter zusammengearbeitet hatte. Sie beauftragte ihn, sich die neuen Beweise anzusehen und sie über alle möglichen Konsequenzen für ihren Vater zu informieren, die sich daraus ergeben könnten. Anschließend legte sie den Tab mit Zaks Akte auf das Display und ließ eine Verbindung zu seinem Handheld aufbauen.
Zak verließ den Forschungskomplex und machte sich auf den Weg ins Zentrum. Seine Tasche mit der Ausrüstung, die er selbst hatte finanzieren müssen, befand sich im Kofferraum des BMW, zusammen mit seinen Habseligkeiten, die aus ein paar Kleidungsstücken und einem analogen Foto von Bianca und seinen Eltern bestanden. Er hatte die Aufnahme in der hintersten Ecke einer Ablage gefunden und sich gewundert, warum er sie nicht schon längst entsorgt hatte – zusammen mit dem Rest seiner Vergangenheit.
Die Wachmannschaft hatte ihm die Zutrittsberechtigungen aus seiner ID gelöscht, nachdem er die Waffe zurückgegeben und sich offiziell abgemeldet hatte. Es gab weder eine Abfindung noch einen Vermerk in seiner Akte. Alles war, als ob er die letzten sechs Monate nie für Biophol gearbeitet hatte. Dafür schien Levi Brecher Wort gehalten zu haben. Federika hatte Zak bereits vor vier Stunden über das Auftauchen neuer Beweise und ihrer Zuständigkeit für deren Bearbeitung informiert. Was sich nach einem großen Zufall anhörte, war auf Zaks ausdrücklichem Wunsch geschehen. Nachdem er erfahren hatte, dass Federika tatsächlich zurück in den Staatsdienst gewechselt war, hatte er darauf bestanden, sie seinen Fall übernehmen zu lassen – und Brecher hatte seinem Wunsch entsprochen. Trotzdem fühlte er sich mehr als schlecht. Immerhin hatte ihn der Kerl am Haken. Zak wusste nicht mal, für wen Brecher eigentlich arbeitete. Da seine Bemühungen gegen Yara und damit gegen den Untersuchungsausschuss gerichtet waren, ordnete Zak ihm dem Lager des Konzerns zu. Aber sicher war er sich dessen nicht. Allerdings schien der Mann über einiges an Ressourcen zu verfügen. Söldner mit der entsprechenden Erfahrung waren nicht billig, genauso wenig wie das militärische Equipment, mit dem er sich umgab. Levi Brecher war von sich überzeugt und hatte Zak mehrmals auf seine Überlegenheit hingewiesen. Außerdem hatte er ihm unmissverständlich zu verstehen gegeben, was Bianca drohte, wenn er nicht spurte. Zak tolerierte diesen Zustand nur, weil das Leben seiner Schwester und ihres ungeborenen Kindes von seiner Kooperation abhingen. Sobald er diesen Hebel aus dem Spiel genommen hatte, würde er sich um den Kerl kümmern. Aber vorerst musste er mitspielen und Yara das Leben schwer machen – so ungern er das auch tat.
Brecher hatte Zak in einem Apartment eines unscheinbaren Gebäudes in der Nähe von Yaras Büro untergebracht. Da ihn die neuen Beweise massiv entlasteten, übernahm vorerst die Stadt die Kosten für seine Unterbringung. Sobald das Disziplinarverfahren gegen ihn eingestellt sein würde, würde er wieder selber für seinen Lebensunterhalt aufkommen können. Als Kriminalbeamter Richthofens. Die Aussicht, seinem alten Job wieder nachgehen zu dürfen, richtete ihn etwas auf, während er einer Überführung folgte, die ihn erneut zum Krankenhaus bringen würde, in dem er erst vor Kurzem Yara über den Weg gelaufen war. Allerdings hatte dieser Besuch einen anderen Grund.
Zak versicherte sich mit einem Blick in den Rückspiegel, dass der unscheinbare Volvo mit den getönten Scheiben noch immer an ihm dranhing und bog auf den Parkplatz des von Biophol finanzierten Hospitals ab. Der dunkle Wagen wechselte ebenfalls die Spur und folgte Zak in einigem Abstand auf das bewachte Gelände. Zak parkte in der Nähe des Eingangs, stieg aus und hielt auf den Empfang zu. Er kündigte sich bei dem Patienten an, wartete auf dessen Freigabe und wurde anschließend zu einem der Aufzüge eskortiert, der ihn in den vierten Stock brachte. Danach folgte er dem Korridor zu einem Trakt, in dem ausschließlich Angehörige des Konzerns behandelt wurden, bis er vor einer Türe stehenblieb und auf einen Schalter der Konsole drückte. Kurz darauf wurde er eingelassen.
Tilly lag auf einem Krankenbett und lächelte ihn an, während er einen Sessel zu ihr zog und sich niederließ. Im Hintergrund lief einer der Streamingdienste Richthofens, das andere Bett war leer.
»Meine Mitbewohnerin ist im OP«, stellte Tilly fest, nachdem sie seinem Blick gefolgt war. »Sie müssen drei Projektile aus ihrer Wirbelsäule entfernen. Eine schiefgegangene Extraktion …«
»In den Downers?«
Sie nickte.
»Verstehe. Wie geht es Ihnen?«
»Sehr gut, Chief. Ich werde heute entlassen, bin aber bis zum nächsten Jahr krankgeschrieben – auch wenn es sich genaugenommen nur um zwei Tage handelt.« Sie hob demonstrativ den geschienten Arm. »Der Bastard hat meine Arterie knapp verfehlt und mir die Elle angebrochen.«
»Das freut mich, Tilly. Ich meine, dass Sie entlassen werden.« Er erwiderte ihr Lächeln. »Stehen Sie noch bei Biophol unter Vertrag?«
»Natürlich, Chief.« Sie sah ihn verwirrt an. »Warum fragen Sie?«
»Es hat sich einiges verändert, seitdem sie eingeliefert wurden.« Er rümpfte die Nase, bevor er fortfuhr. »Mein Dienstvertrag wurde gekündigt. «
»Wegen des angeschossenen Arabers? Ich hab doch ausgesagt, dass Gruber in Notwehr auf ihn gefeuert hat. Warum …«
»Das ist es nicht«, erwiderte Zak und sah sich beiläufig um. »Ich brauche Ihre Hilfe, Tilly.«
»Was soll das heißen?«
Zak erhöhte das Audiosignal des Streamingdienstes und beugte sich verschwörerisch zur Konzernbrigadistin, bevor er sie mit gedämpfter Stimme über die kürzlich stattgefundenen Ereignisse ins Bild setzte.
Yara saß auf der Rückbank des gepanzerten Mercedes und überprüfte den Nachrichteneingang ihres Handhelds zum hundertsten Mal, während ihr Chauffeur die Limousine sicher durch den Großstadtdschungel lenkte. Der Kerl war ein Grunt wie aus dem Militärbilderbuch: stämmig, austrainiert, rasierter Schädel, Dreitagebart. Yara war nicht begeistert, aber Amin hatte darauf bestanden und ihr offenbart, dass Abbas ab heute ihr Schatten sein würde. Er gehörte zur Familie Ihres Vaters und war von Amin persönlich ausgewählt worden. Yara wusste, dass sie sich nicht dagegen wehren konnte und hatte auf weiteren Widerstand verzichtet. Trotzdem fiel es ihr äußerst schwer, den sperrigen Kerl zu tolerieren, der ihr das Gefühl vermittelte, in ihrer Freiheit beschnitten zu sein.
Draußen machte sich eine kühle Brise bemerkbar, die die Schneeflocken gegen die Windschutzscheibe des Wagens trieb und den Blizzard ankündigte, der in den nächsten Tagen über Richthofen herfallen würde. Yara hoffte, dass der Sturm verhalten ablaufen und die Zahl der unvermeidlichen Kälteopfer nicht drastisch erhöhte. Denn die Wut der Downers auf die Regierung und die Konzerner war im Moment so groß wie schon lange nicht mehr, und es bedurfte nur eines kleinen Tropfens, der das Fass zum überlaufen bringen würde.
Der Termin des Untersuchungsausschusses war für 11 Uhr angesetzt worden. Yara blieben noch zwanzig Minuten, um ihr Team zu komplettieren, aber Claire Dubois ging einfach nicht an ihren verdammten Handheld. Yara versuchte seit Stunden, die Datenspezialistin zu erreichen – ohne Erfolg. Allerdings kam eine andere Option auf keinen Fall infrage. Yara wollte wegen des immensen Zeitdrucks nur die besten für diesen Job, und Claire war unglaublich gut. Die Frau war eine äußerst talentierte Hackerin, die sich mit einigen wenigen, aber dafür umso beeindruckenderen Projekten einen Namen innerhalb der Szene gemacht hatte. Einen, der sogar bis über die Grenzen Europas hinaus bekannt war – was ein Problem darstellte. Wenn sie sich im Ausland aufhielt, würde es einige Tage dauern, bis sie Richthofen erreichen würde. Zeit, die Yara nicht hatte. Sie wollte Juanita, ihre Office-Managerin, auf Claire ansetzen, als ihr Handheld zu vibrieren begann. Der Anrufer schien hervorragend abgesichert zu sein. Das ausgefeilte Trackingsystem des Mercedes konnte weder digitale noch analoge Spuren zurückverfolgen, die dessen Identität preisgegeben hätten, aber Yara hatte eine gute Vorstellung davon, wer dieser ominöse Geist war und atmete erleichtert auf.
»Claire?«
»Wow«, erklang eine umwerfend sexy Stimme aus den Lautsprechern des Wagens. »Du scheinst wirklich verzweifelt zu sein. Meine Mailbox ist randvoll!«
»Ich hab nicht mehr viel Zeit, Claire, und … «
»Ich bin ausgelastet, Yara«, erwiderte sie. »Du wirst dir jemand anderen suchen müssen.«
»Du weißt doch noch gar nicht, um was es geht.«
»Was sollte das für einen Unterschied machen? Wer zuerst kommt, mahlt zuerst. Und du warst nicht die Erste.«
»Claire, bitte«, startete Yara einen weiteren Versuch. »Diese Aufgabe verlangt nach einer Spezialistin und ich kennen niemanden, der besser ist als du.«
»Ist das alles?« Claire klang amüsiert. »Du musst dir schon mehr Mühe geben, Bukhari.«
»Wenn ich wüsste, wo du dich aufhältst, würde ich mich vor dir auf die Knie fallen lassen und dir die Füße küssen.«
»Schlechter Versuch …«
»Sorry, Claire, aber das Scheißwasser steht mir bis zum Hals, okay?«, fauchte Yara gereizt. »Da ich nicht mehr tun kann, als dich um deine Hilfe zu bitten, ziehe ich die folgende Karte nur sehr ungern – aber denk an den Gefallen, den du mir schuldest.«
Stille.
»Claire?«
»Du scheinst wirklich in der Klemme zu sitzen«, erwiderte sie fast beiläufig. »Na schön. Ich werde dir den Zugang zu einem meiner Proxys verschaffen. Transferiere die Daten in den entsprechenden Ordner. Ich melde mich später, und Yara,« sie machte eine Pause, um ihren Worten mehr Gewicht zu verleihen, »ich erwarte eine angemessene Bezahlung. Außerdem sind wir nach diesem Job quitt, okay?«
»Einverstanden«, erwiderte sie mit zusammengebissenen Zähnen und deaktivierte die Verbindung. Einen Gefallen bei jemandem wie Claire Dubois zu verlieren, war ein großer Verlust – aber in diesem Fall nicht zu vermeiden, wie Yara fand. Sie beauftragte Juanita mit den Formalien und ließ sie einen Vertrag vorbereiten, der Claires üppige Entlohnung und alle sonstigen Formalitäten enthielt. Anschließend gab Yara die Dokumente frei und transferierte diese zusammen mit dem Briefing und den Datenpaketen des Untersuchungsausschusses in Claires Ordner. Danach lehnte sie sich zurück und schloss für einen Moment die Augen. Bevor sie diese wieder öffnen konnte, erschien Zaks Gesicht in ihrer Vorstellung. Er starrte sie tadelnd an. Ihr Aufeinandertreffen hatte tiefe Narben geöffnet, und Yara hoffte, dass ihre Entscheidung, ihn ins Team zu holen, die Richtige war, denn ihre gemeinsame Vergangenheit konnte die Ermittlung im schlechtesten Fall auch zur Hölle machen. Auf der anderen Seite musste sie sich an jeden Strohhalm klammern, der sich ihr bot, weil es um zu viel ging, als dass sie auf persönliche Befindlichkeiten Rücksicht nehmen konnte. Das Risiko, dass die Wahrheit ans Licht kam, war tragbar und selbst wenn dieser Fall eintrat, würde nicht mehr zu Bruch gehen, als ohnehin schon zerbrochen war.
Ein Blick auf die virtuelle Karte verriet ihr, dass sie den Reichstag in wenigen Minuten erreichen würden. Das Gebäude war nach dem ersten Blackout in den Dreißigern und dem damit einhergehenden Niedergang Berlins wieder aufgebaut worden und beherbergte noch immer das Parlament des Stadtstaats. Der Untersuchungsausschuss tagte heute zum zehnten Mal, aber etwas war anders. Die ersten Panzerfahrzeuge waren bereits vor dem weitläufigen Areal vorgefahren. Die Polizisten hatten die Straßen zum Reichstag blockiert und führten Personenkontrollen durch. Die Zufahrten wimmelten vor Soldaten und SEK-Einheiten, während militärische Überwachungsdrohnen die Plätze absicherten und die Bürger anhand deren biometrischer Daten erfassten. Auf einem Rasenstreifen knieten bereits um die zwanzig Menschen, die die Drohnen als potenzielle Bedrohungen identifiziert hatten: Aufwiegler, Ökos und Anarchos. Vermutlich waren diese Unruhestifter durch die Bank harmlos, aber die Sicherheitslage war aufgrund der Anwesenheit zweier äußerst wichtiger Persönlichkeiten, die immens viel Einfluss innerhalb des Systems hatten, heute besonders angespannt. Und die Leiter der Teams würden kein Risiko eingehen, dessen Auswirkungen im schlimmsten Fall auf sie zurückfallen konnte.
Soldaten hielten die Zivilisten in Schach, während Abbas den Mercedes durch drei Panzersperren fuhr, nachdem die Drohnen den Wagen und dessen Insassen überprüft hatten. Die Läufe der auf den Panzerwagen montierten Fünfzigmillimetergeschütze folgten ihnen bis zur Einfahrt in die gut bewachte Tiefgarage des Komplexes, wo sie von vermummten SEK-Leuten empfangen und zu einem mit Panzerglastüren gesicherten Durchgang gebracht wurden. Die Männer und Frauen nahmen sie in die Zange und schoben sie stumm durch den Eingang, bis sie auf der anderen Seite von zwei Beamten des BND in Empfang genommen und zu einem abgelegenen Flügel begleitet wurden. Die Kerle trugen schwarze Maßanzüge und hatten unscheinbare Knöpfe in den Ohren, über die sie ihr Teamleiter koordinierte.
Nach einigen Metern erreichten sie einen weiteren mit Panzerglas versehenen Durchgang, hinter dem sich ein Plenarsaal befand. Die im Halbkreis angeordneten Sitzreihen waren gut besetzt. Zur Rechten saßen die Vertreter Biophols, ihnen gegenüber eine Gruppe von Wissenschaftlern, Medienleuten und Philosophen, die sich gegen das Programm in Stellung gebracht hatten und seit sechs Monaten versuchten, es mit allen Mitteln zu Fall zu bringen. Amin saß zwischen den Abgeordneten des Untersuchungsausschusses und bedachte Yara mit einem skeptischen Blick. Da sie die Chef-Ermittlerin war, hatte sie zu diesem Termin erscheinen müssen, um dem Vorsitzenden und den anwesenden Vertretern der beteiligten Parteien Rede und Antwort zu stehen. Kein leichter Job, aber ihre Mutter hatte sie zu einer wehrhaften und bissigen Bukhari erzogen, die von der Idealvorstellung ihres Vaters über seine Tochter zu weit entfernt war, als dass sie mit ihm eine innige Beziehung hätte aufbauen können.
Die Erinnerung an ihre viel zu früh verstorbene Mutter brachte Yara kurz aus dem Konzept, worauf sie gegen Abbas stieß, der stehenblieb, um einem bewaffneten Parlamentspolizisten auszuweichen. Ihr Bodyguard zeigte keine Reaktion, weshalb Yara davon absah, sich bei ihm zu entschuldigen. Stattdessen ordnete sie ihre Gedanken und machte sich auf den Weg zu ihrem Sitzplatz, der sich nicht weit vom Pult des Vorsitzenden, einem Mitglied der Grünen Hand, entfernt befand. Zur Linken und Rechten des Mannes saßen neun Vertreter des Untersuchungsausschusses und zwei Protokollanten, hinter denen sich Sicherheitsbeamte postiert hatten. Die Abgeordneten vertraten ihre Parteien und sollten am Ende in deren Namen über die Zulassung des Harvest-Programms abstimmen. Freie Patrioten, Al Khana-Front, Die Grüne Hand, Sozialdemokraten und Randparteien, deren Einfluss sich in Grenzen hielt. Trotzdem würden die Abgeordneten am Ende des Ausschusses gemeinsam über die Zukunft des Harvest-Programms entscheiden.
Yara saß zwischen einer Anwältin und Wissenschaftlern, die aufgeregt ihre Daten auf den Displays ihrer Handhelds ordneten, um sich auf die folgenden Diskussionen vorzubereiten. Ihre Mitstreiter schienen guter Dinge zu sein. Sie tuschelten und zeigten mit ihren Fingern auf Datenreihen, Bilder und Videos, die das Harvest-Programm zu Fall bringen sollten.
Carlo Riccante wartete, bis es Punkt 11 Uhr war, tippte gegen das empfindliche Mikrofon und eröffnete die Sitzung. Es dauerte nicht lange, bis sich die verfeindeten Parteien in den Haaren lagen und der Vorsitzende schlichten musste, bis die Befragung einigermaßen zivilisiert weitergeführt werden konnte. Amin hielt sich erstaunlicherweise zurück und ließ den anderen Abgeordneten den Vortritt. Vielleicht, um dem gegnerischen Anwalt keine Angriffsfläche bezüglich des über Scheinfirmen gestrickten Fonds der Al Khana-Front zu bieten, der den Großteil der Ermittlungen gegen Biophol finanzierte.
»… ist bis zu diesem Zeitpunkt nicht eindeutig nachgewiesen, dass alle Erinnerungsfragmente restlos aus den Gehirnen der Bioneers getilgt werden. Artikel 1 unseres Grundgesetzes besagt eindeutig, dass …«
»Ach, kommen Sie uns nicht mit diesen alten Kamellen, Mrs. Dusgür«, unterbrach ein Anwalt des Konzerns die untersetzte Frau, die neben dem Vorsitzenden saß und für die Sozialdemokratische Partei Richthofens sprach. Der gegnerische Anwalt trug einen teuren Anzug, hatte aalglatte schwarze Haare und war vielleicht Mitte dreißig. Ein Egomane, wie er im Buche stand.
»Wir haben zahlreiche Studien in Auftrag gegeben, die eindeutig beweisen, dass die Funktionskapazitäten der Gehirne unserer Testsubjekte noch unter denen von Komapatienten liegen. Diese Menschen sind tot und alles, was wir von ihnen verwenden, ist organisches Material. Das hilft uns Kosten zu sparen und nachhaltig mit unseren Ressourcen umzugehen. Das wollten Sie doch immer …«
»Vom Konzern bezahlte Studien!«, wandte Dusgür ein, während der Kerl unbeeindruckt fortfuhr.
»… gleichzeitig sind wir durch das Programm in der Lage, die sozialen Härten abzumildern und den Menschen etwas von ihrer Lebensqualität zurückzugeben …«
Die Frau schien rot anzulaufen.
»… die auch von Ihrer Partei in den Fünfzigern und Sechzigern durch den damals vorherrschenden Deindustrialisierungswahn nahezu komplett zerstört wurde.«
»Was soll daran sozial sein, einen Kredit aufzunehmen und diesen bis über den Tod hinaus abzuarbeiten?«, platzte ein kleiner Kerl dazwischen, der der Grünen Hand angehörte und rechts vom Vorsitzenden saß. »Nicht auszudenken, was mit diesen Arbeitern alles angestellt werden könnte, wenn das Harvest-Programm auf den privaten Sektor ausgedehnt wird.«
»Davon kann im Moment keine Rede sein!«, erwiderte der gegnerische Anwalt. »Die Regierung …«
»Hat schon viel versprochen und wenig gehalten. Das Kapital«, er sah ihn ernst an, »Ihr Kapital, findet immer einen Weg, um Dinge zu ermöglichen, die vorher undenkbar waren. Die Downers leben schon heute am Limit und sehen die Regierung als verlängerten Arm der Uppers. Wenn auch noch deren Tote als Gärtner, Diener oder Sex-Sklaven missbraucht werden, wird das zu einem Bürgerkrieg führen.«
»Sex-Sklaven?« Der Anwalt sah den Mann amüsiert an. »Es ist allseits bekannt, dass vor allem Ihre Partei und Ihre Vorgänger sich gerne und oft mit Dingen beschäftigen, die nicht realisierbar sind oder zu Katastrophen führen, nicht wahr? Man denke nur an Ihren lächerlichen Versuch, nach dem Scheitern der Energiewende in den Fünfzigern Gott zu spielen und der Atmosphäre CO2 zu entziehen. Sie haben in Ihrem Wahn die Erscheinung unseres Horizontes für immer verändert. Diese Auswirkungen sind für jeden Bürger allmorgendlich zu bewundern. Pech nur, wenn man sich keine Antigene gegen die Folgen leisten kann!«
»Das waren wir nicht alleine!«, wandte der Mann aufgebracht ein. »Unsere damaligen Koalitionspartner …«
»Ausnahmslos Dilettanten und Möchtegernweltverbesserer! Christsoziale, Sozialdemokraten und Liberale! Die Konsequenzen Ihres Handelns sind bis heute deutlich zu spüren. Vor allem für Menschen eines weit verbreiteten genetischen Typs, die sich die teuren Antigene nicht leisten können. Nur dank Ihnen und Ihrer Vorgängerpartei ist der Organhandel explodiert. Ihr Eingriff in die natürliche Zusammensetzung der Luftschichten hat den Anstoß für die Ausbreitung des systemischen Lupus Erythemtodes gegeben, der in Form mehrerer chronischer Autoimmunerkrankungen und deren Mutationen seit Jahrzehnten die Organe dieser Risikogruppe zersetzt und die Nachfrage nach frischen Replacements exorbitant gesteigert hat.« Er holte kurz Luft und nahm einen Schluck Wasser zu sich, bevor er fortfuhr.
»Und was Ihre Befürchtung angeht, die Bioneers könnten zur Befriedigung abnormer Triebe missbraucht werden: Die Subjekte werden nach dem Tod von allen Merkmalen bezüglich Geschlecht und Aussehen befreit. Es wird nur erhalten, was für Mobilität und Arbeitsfähigkeit nötig ist. Zusätzliches Gewicht frisst zu viel Energie. Diese Bioneers sind effizient und kostensparend. Außerdem retten sie Leben! Die Reinigung und Instandhaltung der Kraftwerke und Reaktoren unter diesem Moloch fordert jedes Jahr fast tausend Tote. Die giftigen Substanzen fressen sich durch die Schutzanzüge der Downers und verlangen bei der kleinsten Unachtsamkeit ihren Tribut. Diese Arbeiten durch unsere Bioneers erledigen zu lassen, würde sich förmlich anbieten.«
»Sie entmenschlichen die Toten und schlachten ihre Organe aus!«, fauchte Dusgür. »Und sie nehmen meinen Glaubensbrüdern und -schwestern die Möglichkeit, ihre Liebsten angemessen zu beerdigen! Es bleibt weder Zeit für die rituelle Reinigung, die Salbung und die Einkleidung noch für Totengebet, Leichenzug und die verdammte Beerdigung!«
»Das Zeitfenster ist aus biotechnologischen Gründen relativ gering«, erwiderte der Anwalt und warf dem Vorsitzenden einen entschuldigenden Blick zu. »Der Prozess erfordert schnelles Handeln, ansonsten kann der Harvest-Chip den Körper nicht übernehmen. Die Subjekte überschreiben uns zum Zeitpunkt ihres Todes alle Organe, die noch nicht verpfändet, verkauft oder versteigert wurden. Gleichzeitig lassen wir bei Vertragsunterzeichnung eine Hypothek auf Gehirn und Neocortex eintragen, weil diese Bestandteile unabdingbar für das Harvest-Programm und somit Voraussetzung sind, um überhaupt in Betracht zu kommen. Es kann also keine Rede von Ausschlachten sein.« Er setzte ein kaltes Lächeln auf. »Außerdem wird niemand gezwungen, einen Harvest-Vertrag zu unterzeichnen. Ich vertrete einen weltoffenen Konzern, der allen Ethnien und Religionsgemeinschaften ein besseres Leben ermöglichen will. Wir waren immer gegen Ausgrenzung. Deshalb sind auch Muslime herzlich im Harvest-Programm willkommen.«
»Ihre Güte kotzt mich an!«
»Noch so eine Bemerkung und Sie bekommen einen Ordnungsverweis«, ermahnte der Vorsitzende Dusgür. »Gibt es weitere Bedenken das Harvest-Programm betreffend?«
Natürlich gab es diese. Die Abgeordneten brachten alle möglichen Horrorvorstellungen vor, die der Anwalt lächerlich machte oder gleich abschmetterte. Professor Haverland saß währenddessen stumm auf seinem Sitz und verfolgte die Diskussion, die sich ewig hinzuziehen schien. Der fast Siebzigjährige trug eine Brille und wurde von einem Zittern seiner Hände beeinträchtigt, das es ihm unmöglich zu machen schien, einen Handheld zu halten. Eine Assistentin nahm ihm diese Tätigkeit ab und wischte mit dem Finger unentwegt über das Display, während sie auf ihn einredete. Seine Augen waren trotz seines Alters klar und stechend, und er machte einen äußerst wachen Eindruck.
Yaras Gedanken dagegen waren zu ihrem persönlichen Problem mit Zak abgeschweift und gingen verschiedenste Szenarien durch, bis ihre Anwältin sie am Arm berührte und sie aus ihrer Abwesenheit riss. Nun wurden die ernsten Fälle diskutiert, die dem Programm wirklich schaden konnten – und Yaras war einer davon.
Die Anwältin – eine Chinesin – beantragte die Aufnahme eines erst kürzlich eingetretenen Ereignisses, das die Einstufung der Bioneers als menschenähnlich erneut in den Fokus rückte. In den vergangenen sechs Monaten waren diese Fälle angeführt worden, aber kein einziger hatte die rechtliche Relevanz, um Biophol unter Druck zu setzen. Doch dieses Mal war es anders.
»… am 27. Dezember um exakt 4:30 Uhr wurde die Polizei in Sektor-22 alarmiert.« Sie warf dem Vorsitzenden einen triumphierenden Blick zu. »Ich möchte anmerken, dass große Teile dieses Sektors zu den ausgewiesenen Te starealen gehören, die Biophol vom Stadtstaat Richthofen für den Zeitraum von sechs Monaten zur Verfügung gestellt wurden.« Sie räusperte sich. »Die in einem Wohnblock lebende Witwe wurde durch ein Geräusch alarmiert. Als die Polizei eintraf, fand man einen Bioneer vor, der anscheinend versuchte, in die Wohnung einzudringen. Da sich diese Einheit von ihrem Kollektiv entfernt hatte, um speziell zu dieser Wohnung zu gelangen, liegt die Vermutung nahe, dass ihr die Umgebung vertraut war.«
»Worauf wollen Sie hinaus?«, mischte sich der gegnerische Anwalt ein. »Die Wetterverhältnisse der letzten Tage haben mehrfach dafür gesorgt, dass Bioneers von ihren Trupps getrennt wurden. Das ist nichts Besonderes.«
»Da der Ehemann der Frau vor Kurzem verstorben und dem Harvest-Programm zugeführt wurde, liegt es nicht außerhalb jeglicher Wahrscheinlichkeit …«
»Das ist doch lächerlich!«
»… dass es sich um ihn handelt. Der Mann hat vierzehn Jahre lang in einer Fabrik gearbeitet und seine Schicht um vier Uhr morgens beendet, um exakt eine halbe Stunde später sein Zuhause zu erreichen.«
»Die Bioneers werden noch vor der Präparation in Sektoren eingeteilt, die so weit wie möglich von ihren einstigen Wohnorten entfernt liegen, bevor man ihre Daten verschlüsselt und sie zwei konzerneigene Codes bekommen.«
»Aber wozu?«, hakte die Anwältin nach. »Ich dachte, Sie können belegen, dass die Erinnerungen der Gehirne nicht mehr existent sind.«
»Das ist nur eine Vorsichtsmaßnahme.«
Die Chinesin schnaubte verächtlich. »Wie auch immer. Ich beantrage, den fraglichen Bioneer einer DNA-Analyse zu unterziehen und diese mit den ärztlichen Daten des Verstorbenen abzugleichen.«
»Gibt es Einwände?« Der Vorsitzende sah den Anwalt auffordernd an.
»Natürlich gibt es Einwände!« Er projizierte einen Standard-Harvest-Vertrag auf das große Display im Raum und markierte einen Bereich auf Seite 126. »Mit der Unterzeichnung des Vertrags haben die Subjekte die Rechte an ihren Körpern an Biophol abgetreten. Es handelt sich um einen vollständigen Buy-out. Deshalb weigert sich der Konzern, dem lächerlichen Wunsch der gegnerischen Seite nachzukommen. Immerhin geht es um unser Eigentum, in das viel Geld investiert wurde. Nicht auszudenken, wenn diese Investition in falsche Hände geraten würde.«
Der Vorsitzende verzog den Mund zu einem schiefen Lächeln. »Ich werde eine Konfiszierung des fraglichen Objekts im Namen des Stadtstaates Richthofen beantragen.« Der Anwalt wollte Einspruch einheben, aber der Mann am Pult ließ sich nicht weiter beeindrucken. »Eine Klärung sollte auch im Interesse Ihres Mandanten sein. Nur eine DNA-Analyse wird sicherstellen, dass es sich um einen Zufall handelte. Sie brauchen sich nicht weiter zu bemühen, mein Entschluss steht fest. Nächster Antrag.«
Nun brachte die Anwältin Yaras Fall vor. Sie präsentierte die aufgezeichnete Aussage und ging auf den Verlust der Daten und Bilder ein, legte aber gleichzeitig die Akte der ermittelnden Behörde vor, die zumindest den gewaltsamen Tod der Jugendlichen bestätigte. Sie waren ausnahmslos durch stumpfe Traumata getötet worden. Allerdings konnten diese keiner Tatwaffe zugeordnet werden. Der Gerichtsmediziner vermutete eine Schaufel oder einen Spaten, aber anscheinend hatte nichts dergleichen am Tatort sichergestellt werden können, was bedeutete, dass Sorokin das Werkzeug verschwinden ließ. Ob die Alkoholika platziert oder von den Opfern mitgebracht wurden, konnte nicht eindeutig geklärt werden. Aber es stand fest, dass sich kein Alkohol in ihrem Blut befunden hatte, was den Verdacht einer nachträglichen Platzierung durch Angestellte von Biophol zumindest erhärtete. Außerdem waren Rückstände von Bleichmitteln auf dem Overall des fraglichen Bioneers gefunden worden, die eine Manipulation durch den Konzern nahelegten.
Nachdem die Anwältin ihren Antrag beendet hatte, stürzte sich ihr gegnerisches Pendant auf den Fall und verbiss sich wie ein Pitbull in ihm. Yara konnte Begriffe wie ›unglaubwürdig‹, ›Unterstellung‹ und ›Verleumdung‹ aus der Arie heraushören, die der Kerl dem Vorsitzenden entgegenschleuderte, während Yara große Mühe hatte, den Worten folgen zu können. Nach einer kleinen Ewigkeit griff er sie persönlich an und unterstellte ihr, ihrem Job nicht gewachsen zu sein. Er erwähnte den Unfall und eine Aussage Sorokins bezüglich Yara, die erweiterte Pupillen, eine verlangsamte Reaktion derselben und eine angebliche Gereiztheit beinhaltete. Gleichzeitig präsentierte er eine Kopie der Daten einer konzerneigenen Überwachungsdrohne, die Yaras Vitalwerte während ihres Besuchs des Konzerngeländes überwachte und auffälliges Herzrasen sowie eine verdächtig hohe Körpertemperatur bestätigte. Die verdammten Bastarde wollten ihr eine Abhängigkeit unterstellen, die nicht existierte, und es dauerte nicht lange, bis der Kerl einen Drogentest von ihr verlangte. Kurz darauf schoss ihre Anwältin zurück.
»Wir erkennen die Daten ihrer Drohne nicht an, weil sie manipuliert sein könnten und legen hiermit«, sie transferierte die Ergebnisse eines Tests in den Speicher des Untersuchungsausschusses, »einen erst kürzlich erstellten Drogentest meiner Mandantin vor. Dieser sollte die Andeutung, sie könnte unter einer Abhängigkeit leiden, vollständig ausräumen.«
»Wir erkennen diesen Test aufgrund der von Ihnen selbst vorgebrachten Zweifel bezüglich unserer Drohne nicht an und beantragen einen amtlich erstellten Drogentest.« Er zwinkerte der Anwältin zu. »Das sollte auch in Ihrem Interesse liegen, nicht wahr? Nicht auszudenken, welch ein Aufruhr durch die Medienlandschaft gehen würde, wenn sich herausstellte, dass die Chef-Sonderermittlerin ein Junkie ist.«
»Das ist eine Unterstellung!«
»Ich gebe dem Antrag statt«, beendete der Vorsitzende die Auseinandersetzung und warf Yara einen skeptischen Blick zu. »Außerdem beende ich diese Sitzung und erlaube mir die Parteien darauf aufmerksam zu machen, dass dieser Untersuchungsausschuss in zwei Tagen zu einem Ende kommen muss.« Anschließend wandte er sich direkt an Yara. »Ohne die Aufzeichnungen ihrer Ermittlungen bezüglich des Vorfalls auf dem Testgelände, können wir Ihrer Aussage leider nicht die Aufmerksamkeit zukommen lassen, die ihr gebühren würde, verstehen Sie? Und es wäre sehr bedauerlich, wenn Sie sich all die Mühe umsonst gemacht hätten. Die Beweise und Aufzeichnungen der lokalen Behörden werden von den Anwälten des Konzerns leider mithilfe einer einstweiligen Verfügung unter Verschluss behalten, bis der Untersuchungsausschuss vorbei ist.« Er nickte ihr auffordernd zu. »Finden Sie die verschwundenen Daten und reichen Sie diese fristgerecht ein. Dann werden wir sie entsprechend würdigen.«
Yara erwiderte die Geste und ignorierte den abfälligen Kommentar des gegnerischen Anwalts, der anschließend vom Vorsitzenden mit einem Ordnungsverweis bedacht wurde. Danach beendete er die Sitzung und gab den letzten Termin bekannt, der am 31. Dezember um 18 Uhr stattfinden sollte.
Yara blieben lächerliche zwei Tage, um die verdammten Daten wiederzubeschaffen – andernfalls würde sie mit wehenden Fahnen untergehen.
Zak betrat den Fahrstuhl, nachdem er sich mit der in seiner ID gespeicherten Berechtigung ausgewiesen hatte und von den Sicherheitsleuten am Empfang gescannt worden war. Er aktivierte das Display der Kabine, das direkt vor ihn projiziert wurde und sich seiner Position im Raum anpasste. Danach wählte er die zweihundertvierundfünfzigste Etage, in der sich Yaras Büro befand. Er nutzte die Dauer der Fahrt, um ein letztes Mal in sich zu gehen und sich auf die Konfrontation mit seiner Ex vorzubereiten.
Nachdem er das Krankenhaus verlassen und seine Habseligkeiten im Apartment deponiert hat, hatte er sich frischgemacht und war anschließend direkt zum Wolkenkratzer Yaffar Amins gefahren, dessen Adresse ihm Yara eine Stunde vorher am Telefon mitgeteilt hatte. Es war ein nüchternes Gespräch mit einem Touch Bedauern gewesen, dessen Echos noch immer in seinem Schädel widerhallten. Sie hatte ihn erwischt, nachdem ihm die Sicherheitsleute die Waffe abgenommen und ihn offiziell aus dem Dienst des Konzerns entlassen hatten. Ein Moment der Schwäche, der seine Gedanken nach unten gezogen hatte.
»Zak? Ich bin’s …«
»Was willst du?«
»Ich … ich wollte mich entschuldigen.« Sie klang ni edergeschlagen. »Ich hab von den neuen Beweisen gehört.«
»Du scheinst nach wie vor gut vernetzt zu sein.«
»Das bin ich.«
»Und jetzt hast du ein schlechtes Gewissen.«
»Nein.« Sie räusperte sich. »Ich meine, vielleicht ein bisschen. Es tut mir leid, dass ich dir damals nicht den Rücken freigehalten habe. Die Anschuldigungen und die Beweise waren zu erdrückend. Ich …«
»Du hast mich im Stich gelassen.«
»Das ist hart.«
»Aber fakt.«
Zak durfte nicht zu weit gehen. Immerhin wollte er in Yaras Nähe kommen und bleiben, um Biancas Sicherheit zu gewährleisten, bis er einen Weg gefunden hatte, gegen Brecher vorzugehen. Allerdings würde sie misstrauisch werden, wenn er sich ihr ohne Vorbehalte anschloss. Abgesehen davon wartete er seit sechs Monaten auf eine verdammte Entschuldigung von ihr, und er hatte vor, diesen Moment so lange es ging auszukosten.
»Es tut mir wirklich leid, okay?«, fuhr sie vorsichtig fort. »Ich wollte dich nicht verletzen.« Sie atmete seufzend aus. »Das wollte ich nie.«
»Ich dich auch nicht«, erwiderte er betreten. »Und trotzdem ist es passiert.«
»Ich weiß. Wenn ich dir irgendwie helfen kann …«
»Wie meinst du das?«
Stille. »Ich hab gehört, dass du entlassen wurdest.«
Zak schnaubte verächtlich. »Ich will dein Geld nicht.«
»Ich will dir auch keine Almosen anbieten«, stellte sie fest. »Allerdings hab ich nach wie vor eine Position offen, die besetzt werden muss. Du würdest dir das Geld verdienen, okay? «
»Ich weiß nicht …«
»Deine Fähigkeiten hätten einen hohen Wert für den Finanzier meines Teams.«
»Du meinst die Al Khana-Front.«
»Und wenn es so wäre? Du würdest nur mit mir zusammenarbeiten. Es geht um eine gute Sache. Der Konzern will die Downers vollends auspressen, indem er sie in Konkurrenz zu den Bioneers setzt und verkauft es ihnen auch noch als Segen. Ich weiß, dass du das nicht gutheißt, und ich geb dir eine Möglichkeit, etwas dagegen zu unternehmen. Du müsstest deinen verletzten Stolz nur für wenige Tage zurückstellen. Danach kannst du wieder als Kriminalbeamter arbeiten, gegen die Bösen kämpfen und deine Fälle lösen. Ich weiß, dass du gerne zu den Guten gehörst, und ich repräsentiere die gute Seite.« Sie machte eine kurze Pause. »Was geschehen ist, tut mir wirklich aufrichtig leid. Ich kann es nicht mehr ändern, aber ich bitte dich, dir die Sache noch einmal zu überlegen.«
»Okay«, erwiderte er knapp. »Aber ich kann nichts versprechen. Ich melde mich nachher über die gespeicherte Nummer.«
Danach hatte er aufgelegt. Eine Stunde später hatte er Yara eine Textnachricht geschickt, in der er zugesagt hatte. Kurz darauf hatte sie ihm zehn Berechtigungscodes in seinen Chip transferiert und ihm eine Adresse mitgeteilt, bei der er sich melden sollte.
Zak fühlte sich nicht gut bei der Sache. Immerhin waren seine Gefühle für Yara noch existent. Er vermisste sie und die Aussicht, sich bei ihr einzuschleichen, um sie auflaufen zu lassen, wollte ihm nicht gefallen. Allerdings liebte er seine Schwester über alles, und da ihr Leben von ihm abhing, konnte er darauf keine Rücksicht nehmen. Brecher würde Bianca ohne Skrupel töten und sie unter all den anderen Bioneers verschwinden lassen, wenn Zak nicht gehorchte. Der Kerl hatte ihm dies mehr als einmal verdeutlicht, und Zak hatte nicht vor, den Wahrheitsgehalt dieser Drohungen infrage zu stellen.
Als der Aufzug die zweihundertvierundfünfzigste Etage erreichte, erklang ein Signalton und die Tür der Kabine glitt leise zur Seite. Zak betrat den Korridor und wurde von einem Sicherheitsmitarbeiter empfangen, der ihn auf direktem Weg zu Yaras Büro brachte. Die Office-Managerin nahm seine Daten auf und führte ihn in einen angrenzenden Raum, in dem sich Yara und ein bulliger Araber aufhielten, den sie als Abbas vorstellte.
Von hier oben aus waren die Uppers trotz des aufziehenden Sturms deutlich zu sehen. Die luxuriösen Wolkenkratzer ragten hoch in den Himmel auf, bis einige von ihnen eins mit der Wolkendecke wurden, die sich mittlerweile wie eine schwere dunkle Schicht über Richthofen gelegt hatte. Der grüne Stich des Horizonts dagegen war nur noch zu erahnen.
Die Fenster reichten vom Boden bis zur Decke des Raums, der sich in einer Ecke des Gebäudes befand. Die Einrichtung war gehoben aber funktional und passte zu Yara, die niemals hatte mehr sein wollen.
Sie saß hinter ihrem Schreibtisch und nickte Abbas zu, der Zak einen Koffer überreichte.
»Angemessene Kleidung und eine Waffe. Ich hoffe, du wirst sie nicht brauchen.« Sie räusperte sich und sah betreten auf den mit einem grauen Teppich belegten Boden. »Die Waffe, meinte ich …«
Zak verzog den Mund zu einem Schmunzeln. »Hab dich schon verstanden.« Anschließend ließ er sich in einen der bequemen Sessel fallen und erwiderte ihren neugierigen Blick. »Könntest du mich bitte ins Bild setzen? «
»Natürlich. Ich hab dir eine Akte zusammengestellt. Sie befindet sich auf dem Handheld, der ebenfalls im Koffer ist. Aber ich versuche, die wichtigsten Punkte für dich zusammenzufassen.«
Zak lehnte sich zurück und folgte Yara, so gut er konnte. Manche Sachverhalte waren kompliziert, andere wirklich einfach zu verstehen, und mit jedem weiteren Wort wurde ihm klar, warum sie ausgerechnet ihn in ihrem Team haben wollte. Durch seinen Job hatte er Kenntnisse über bestimmte Prozesse bei Biophol erhalten, die Yara nützlich sein konnten. Jedenfalls schien sie darauf zu setzen. Sie hatte die Unterwürfige gespielt, um ihn umzustimmen und an sein Wissen zu kommen. Und obwohl dieser Gedankengang nachvollziehbar war, tat er Zak mehr weh, als er sich eingestehen wollte.
Nach einigen Minuten kam sie zum Schluss und schenkte sich ein Glas Wasser ein. Zak lehnte dankend ab.
»Uns bleiben nur zwei Tage, um die verschwundenen Daten zu finden«, bemerkte er nachdenklich. »Ohne ein Team von Datenschnüfflern dürfte das unmöglich sein.«
»Die anderen Ermittlungsteams haben bereits angefangen, nach den Signaturen der Drohne, der Blackbox und des Handhelds zu suchen. Sie haben fähige Hacker.« Yara lächelte ihn verschwörerisch an. »Aber wir haben die Beste.«
Er hob fragend eine Augenbraue.
»Nur Geduld. Ich werde sie in wenigen Minuten in unser temporäres Netz schalten.«
»Ist es abhörsicher?«
»Natürlich«, erwiderte Yara tadelnd.
»Wie kannst du dir sicher sein?«
»Weil sie es aufgesetzt hat.« Sie schob das Glas lächelnd zur Seite. »Allerdings wollte ich vorher über etwas anderes mit dir sprechen. Einer der toten Jugendlichen, Javier Carlos«, sie legte eine Akte auf das Display, die das Foto eines jungen Mannes präsentierte, »hatte Kontakte zur Ökofront, dem militanten Flügel der Grünen Hand. Er ist ein einflussreicher Influencer der Downers mit fast einer Million Followern. Die Frage ist, ob er sich auf das Konzerngelände geschlichen hat, um seinen Einfluss geltend zu machen – oder nicht. Leider wurde mir der Name seines Kontaktes innerhalb der Ökofront von den leitenden Ermittlern verwehrt und ich hab keine Ahnung, warum. Falls du deine alten Kontakte im Präsidium …«
»Kein Problem«, unterbrach Zak. »Ich werde der Sache nachgehen. Was ist mit den anderen Toten?«
»Alles Angehörige der gehobenen Schicht Richthofens. Verwöhnte Kinder, die mit den Downers so viel gemein haben, wie die Uppers mit zersetzten Organen. Vielleicht haben sie sich wirklich nur zur falschen Zeit am falschen Ort aufgehalten, oder sie fanden es cool, sich mit einem bekannten Downer wie Carlos sehen zu lassen.«
»Du denkst wirklich, der Bioneer war involviert?«
Yara nickte. »Allein die Vermutung könnte schon dafür sorgen, dass das Harvest-Programm gestoppt werden muss. Aber ohne das Bildmaterial und die Daten kann ich meine Aussage nicht verifizieren. Abgesehen davon sollten wir jeder Spur nachgehen. Falls die Ökofront etwas mit dem Vorfall zu tun hat, will ich das wissen.«
»Verstehe.« Zak sah sie ernst an. »Warum gehst du davon aus, dass dein Handheld und die Blackbox des Wagens nicht vernichtet wurden? Der Konzern würde das Risiko nicht eingehen, diese Beweise in Umlauf zu lassen, richtig?«
»Nein, würde er nicht«, stimmte sie ihm zu. »Aber die Zeiten sind schlecht, und diese Geräte bringen viel Geld am Schwarzmarkt. Vielleicht hat einer der Beteiligten eine Chance gesehen und entschieden, in diesem Fall eine Ausnahme zu machen. Unsere Spezialistin lässt ihre Bots bereits nach entsprechenden Spuren suchen. Sobald sie etwas findet, müssen wir schnell handeln.« Yara aktivierte eine Verbindung über die Tastatur des in den Raum projizierten Displays. »Die verlorengegangene Überwachungsdrohne des Audi scheint bis jetzt nicht gefunden worden zu sein. Ich bin sicher, dass ihr System beschädigt wurde, aber das heißt nicht, dass sie völlig zerstört ist. Sie ist unsere größte Chance, die Daten wiederzubekommen. Deshalb sollte unser Fokus auch auf ihr liegen.« Sie aktivierte die Lautsprecher. »Claire?«
»Ich bin schon seit zwanzig Minuten bei euch, Yara«, erklang eine verdammt sexy Stimme, die das Bild einer ebenso aufreizenden Frau in Zaks Kopf erscheinen ließ.
»Aber wie …«
»Ich hab das Netz für diese Operation eingerichtet, schon vergessen?«
Yara verzichtete auf einen Kommentar und verzog stattdessen das Gesicht. Eine Geste, die deutlich ihren Unmut über den Alleingang der Datenspezialistin ausdrückte.
»Bist du sauer?«
»Wie kommst du darauf?«
»Ich kann es in deinem Gesicht sehen …«
Yara atmete scharf aus und warf einen tadelnden Blick zu einer der Sicherheitskameras, die übergangslos in die Decke eingearbeitet worden waren.
»Du übertreibst.«
»Nicht wirklich«, erklang die Stimme erneut. »Ich werde alle Gespräche von Anfang an aufzeichnen.«
»Traust du mir etwa nicht? «
»Dir schon«, erwiderte Claire. »Im Gegensatz zu deinen Auftraggebern.«
Yara nickte verständnisvoll. »Ich nehme an, wir werden kein Bild von dir bekommen?«
»Du kennst die Regeln, Yara. Ich werde auch in diesem Fall keine Ausnahme machen.«
»Kluges Mädchen.« Yara legte die Hände flach auf den Tisch. »Also gut. Wie lautet der Status deiner Bemühungen?«
»Ich hab fast tausend Bots gestartet, die die Systeme Richthofens und Biophols nach dem Verbleib der abhandengekommenen Objekte durchsuchen. Bisher gab es keine brauchbaren Treffer. Gleichzeitig arbeite ich daran, die Firewall des Konzerns zu durchbrechen, aber dieser Vorgang braucht Zeit, die wir vermutlich nicht haben.«
»Gibt es einen Weg, das Ganze zu beschleunigen?«
»Den gibt es durchaus, Yara«, erwiderte Claire amüsiert. »Aber dafür wirst du dir deine Hände schmutzig machen müssen.«