Zak bog in die Tiefgarage eines Gebäudes in Sektor-33 ab und parkte den BMW im hinteren Bereich der Anlage. Danach wartete er auf das vereinbarte Zeichen. Der Vorschlag der Datenspezialistin hallte noch in seinem Kopf nach und jagte ihm einen kalten Schauer über den Rücken, während er die Sekunden auf dem Display der Konsole zählte. Yara war sofort darauf angesprungen und hatte Zak mit eingeplant, bevor er auch nur irgendetwas dazu hatte sagen können. Und obwohl ihm der Vorschlag nicht gefiel, waren die Würfel gefallen, und er musste sich ihrem Willen beugen, bis er Bianca aus der Schusslinie gebracht hatte.
Während Claire letzte Vorbereitungen traf, hatte sich Zak auf den Weg gemacht, um einen seiner alten Kontakte bei den Cops zu aktivieren. Dieser hatte ihm einen Ort und ein Zeitfenster genannt, das er einhalten musste, wenn er mehr über die Verbindungen des getöteten Influencers zu den Ökos in Erfahrung bringen wollte.
Zak betrat den Aufzug und fuhr in die fünfte Etage des
Einkaufszentrums, das sich in der Mitte des Sektors befand. Er bahnte sich einen Weg durch die Menschen, hielt auf ein chinesisches Restaurant zu und ließ sich von einer der Managerinnen zu einem Tisch in einem abgeschlossenen Separee führen. Die Köche arbeiteten live an einer langen Theke, die mit allen möglichen Köstlichkeiten vollgestellt war. Geklonte Enten, Hühner und exotischere Arten warteten darauf, von den Gästen verspeist zu werden, die zuschlugen, als ob es kein Morgen geben würde. Es gab gebratene Nudeln, gezüchtete Krabben und eingelegte asiatische Gurken, verschiedenste Saucen und Fleisch in allen denkbaren Geschmacksrichtungen. Der Sektor befand sich in einer der wohlhabenderen Gegenden Richthofens, was deutlich an den Kunden und dem reichen Angebot zu sehen war. González wartete bereits auf ihn.
Es roch nach gebratener Ente und einer Menge Glutamat, das in den Soßen verarbeitet worden war, die in Schüsseln vor ihm auf dem Tisch standen. Sein Hauptgericht wurde vom Teller warm gehalten, während er Zak einen Platz anbot und die Managerin den Deckel von Zaks Schale hob.
»Gebratener Reis mit Ei«, eröffnete der Mittvierziger und zeigte auf das dampfende Gericht. »Wie immer, nicht wahr?«
Zak nickte und reichte dem ausgezehrt wirkenden Mann die Hand, dessen Augen unter dem angenehm dosierten Licht der indirekten Beleuchtung schimmerten. Der Gelbstich war nicht zu übersehen.
»Schön, dich wieder zu sehen.«
»Finde ich auch, Partner. Hab gehört, dein Fall wurde neu aufgerollt.«
»Das stimmt. Angeblich sind Beweise aufgetaucht.
«
González sah ihn ernst an. »Ich war immer auf deiner Seite.«
»Ich weiß, Tomaz. Und ich kann dir versichern, dass ich nichts mit der Sache zu tun hatte.« Zak räusperte sich und trank einen Schluck von dem stillen Wasser, das neben dem Besteck stand.
»So wie es aussieht, wird das Disziplinarverfahren die nächsten Tage nicht überstehen«, stellte González lächelnd fest. »Es scheint, als ob dein Frondienst bald der Vergangenheit angehört.«
»Dieser Fall ist bereits eingetreten. Sie haben mich entlassen.«
González zuckte mit den Achseln. »Das muss dich nicht mehr kümmern. Wenn alles so kommt, wie die Anwältin es vorhergesagt hat, wirst du bald wieder als Kriminalbeamter aktiv sein. Du musst dir keine Sorgen machen.«
»Bis es so weit ist, hab ich ein anderes Problem zu lösen …«
González sah ihn fragend an.
»… für den Untersuchungsausschuss bezüglich Biophol. Ich arbeite für Yara Bukhari.«
»Für deine Ex?« Er begann vergnügt zu lachen. »Ich wusste ja, dass du nicht immer ganz auf Linie warst, aber masochistische Züge hätte ich dir wirklich nicht zugetraut. Aber im Ernst …«, er schnitt ein Stück vom geklonten Entenfilet ab, schichtete etwas Reis darüber und schob sich den Happen mit einer Gabel in den Mund, »… ich hätte an deiner Stelle die Finger davon gelassen. Es ist allgemein bekannt, dass die Al Khana-Front die Ermittlungen gegen den Konzern finanziert. Warum auch immer. Aber …«, er lud sich ein weiteres Stück Ente auf, »… der Konzern wird sich das nicht gefallen lassen. Biophol hat zu viel
in das Harvest-Programm investiert, und ich weiß aus sicherer Quelle, dass die Freien Patrioten das Programm ebenfalls wollen, um die angespannte Lage in den Downers zu entschärfen.« González spuckte einen dünnen Knochen aus, den die Köche übersehen hatten. »Ansonsten droht uns ein ausgewachsener Bürgerkrieg, und ich kenne niemanden, der die Mittel hätte, diesem zu entkommen.«
»Ich auch nicht. Aber mir bleibt im Moment nichts anderes übrig, als meinen Kopf hinzuhalten. Wie geht es dir?«, fügte er schnell hinzu, um González am Nachhaken zu hindern. Denn er hatte keine Lust, ihn über die Sache mit Bianca einzuweihen. Noch nicht.
»Ah …«, winkte der Cop ab und lehnte sich zurück, während Zak sich über den gebratenen Reis hermachte. »Meine Leber macht nicht mehr lange mit, und ich hab keine Lust, mir einen Synthetikersatz einsetzen zu lassen.«
»Eine gesunde Leber ist teuer, das Risiko, eine synthetische abzustoßen, hoch.«
»Ich weiß, aber das ist mein
Problem, Hombre.
Du musst dir darüber keine Gedanken machen.«
Sogar verdammt teuer
, allerdings wollte Zak nicht nachbohren, da er wusste, dass González seine Position als Kriminalbeamter hin und wieder nutzte, um in die eigene Tasche zu arbeiten. Zak hatte diese Tatsache bisher ignoriert, und er hatte auch darauf verzichtet, seinen Ex-Partner der inneren Abteilung auszuliefern, um seine eigene Position bezüglich des Disziplinarverfahrens zu verbessern. Denn er vermutete, dass González nur wegen seiner Erkrankung manchmal am Gesetz vorbei agierte – und das war ein mehr als legitimer Grund, solange er gewisse Grenzen nicht überschritt.
»Wie kann ich dir also helfen, Zak?
«
»Ich nehme an, du hast von den Morden innerhalb des Testgeländes gehört?«
González nickte.
»Einer der Toten, Javier Carlos, hat angeblich Kontakte zur Ökofront unterhalten, aber Yara wurde die Offenlegung des entsprechenden Kontakts verwehrt.«
González hob mahnend den Zeigefinger, öffnete einen kleinen Koffer, der neben ihm auf der Bank lag und platzierte den darin enthaltenen Störsender vor der Ente. Danach aktivierte er das empfindliche Instrument und wischte sich die Finger an einer Serviette ab.
»Das liegt daran, weil es sich bei diesem Kontakt um einen unserer Informanten handelt. Der Kerl arbeitet seit Jahren fürs BKA und seine Informationen stehen hoch im Kurs.« Er sah Zak ernst an. »Diesen Mann zu jagen, kann einiges an Ärger einbringen.«
Zak hielt seinem Blick stand, bis González ausweichen musste und unentschlossen mit der Gabel im Essen herumstocherte.
»Auf der anderen Seite schulde ich dir noch einen Gefallen.«
Zak starrte seinen Ex-Partner an, bis dieser zerknirscht fortfuhr.
»Ich weiß, dass sie von dir verlangt haben, mich im Rahmen deines Disziplinarverfahrens auszuliefern. Und ich bin dir verdammt dankbar, dass du es nicht gemacht hast. In der heutigen Zeit kämpft jeder für sich selbst, und Loyalität ist nur schwer zu finden. Deshalb werde ich dir den Namen nennen, okay? Aber sei vorsichtig. Der Kerl und sein Umfeld sind gefährlich. Er ist ein echter Ökoterrorist, auch wenn Typen dieses Schlags im Moment als Aktivisten
bezeichnet werden.« Er betonte das Wort Aktivist besonders abfällig. »Sag nachher nicht, ich hätte dich
nicht gewarnt. Und Zak«, er sah ihn ernst an, »dein Zeitfenster ist mehr als knapp. Der Typ wechselt seine Verstecke schneller als seine Unterwäsche, wenn du verstehst, was ich damit sagen will.«
»Danke, Tomaz«, erwiderte Zak. »Werd ich dir nicht vergessen.«
»Kein, Problem. Und jetzt iss den verdammten Reis, sonst wird der Scheiß kalt.«
Zak trug den Einsatzanzug unter einem alten Mantel versteckt, den er vor wenigen Minuten in einem Secondhandladen erstanden hatte. Der Stoff war löchrig und an den Ellbogen verblichen, aber er passte zu den Downers, von denen über die Hälfte keine ID besaßen. Illegale Migranten, Kriminelle und Ausgestoßene prägten das Straßenbild dieses Sektors, das genauso trist wie die vorherrschende Stimmung war.
Die Schneeschicht am Boden wurde immer höher, während nach wie vor dicke Flocken vom Himmel fielen und die zunehmende Kälte die Menschen frieren ließ. Zak fror ebenfalls. Die verdammte Abmachung spukte unentwegt durch seinen Kopf. Brecher würde Konsequenzen ziehen, wenn Zak nicht spurte, und an Bianca ein Exempel statuieren, um ihn auf Linie zu zwingen. Die Dinge hatten sich zu schnell entwickelt, als dass er hätte angemessen reagieren können, und vielleicht standen ihm seine Gefühle für Yara doch im Weg – und Bianca würde eventuell den Preis für seine Schwäche bezahlen müssen.
Zak verdrängte den verdächtig nach Verrat riechenden Gedanken und hoffte, dass Brecher nicht so vernetzt und einflussreich war, wie er sich präsentiert hatte. Er würde
sich später mit dem Kerl befassen müssen. Dann, wenn sich der Knoten in seinem Kopf gelöst und er eine Möglichkeit gefunden hatte, Brecher loszuwerden ohne Yara in dessen Falle tappen zu lassen. Denn er war sich sicher, dass Brecher ihr eine stellen würde.
Zaks Finger glitten über den Waffengürtel an seiner Hüfte, der alle möglichen Gerätschaften enthielt, die er im Rahmen seiner Tätigkeit für Biophol hatte mitführen müssen. Gegenstände, die sich auch für den aktuellen Job als nützlich erweisen konnten. Ansonsten versuchte er, so unscheinbar wie möglich aufzutreten. Das schwarze Bandana reichte ihm bis über die Nase, während er die Kapuze des Mantels tief ins Gesicht gezogen hatte. Die Gegend war mit Überwachungskameras der Regierung übersät, und Zak hatte keine Lust, die zuständigen Behörden unnötigerweise auf sich aufmerksam zu machen.
Er folgte einer engen Gasse, deren Boden unter der Schneeschicht mit Unrat bedeckt war, während Überwachungsdrohnen durch die Straßenschluchten schwebten, um die Downers im Auge zu behalten. Die Fluggeräte verharrten über einem abseits liegenden Platz, wo sich vielleicht hundert Leute versammelt hatten, die einem Prediger zuhörten und immer wütender wurden. Sie verfluchten die Regierung, die Konzerne und forderten die Köpfe der Politiker, die der Mann als Sündenböcke präsentierte. Einige Minuten später erklang die autoritäre Stimme eines Polizeikommissars aus den Lautsprechern der Drohnen, der die Menge aufforderte, den Platz zu räumen. Als die Menschen Steine auf die Fluggeräte schleuderten, aktivierten die Maschinen die Waffensysteme und gaben Warnschüsse ab, worauf die Leute das Weite suchten.
Von hier unten aus war vom Himmel fast nichts zu
sehen. Die Gebäude im Zentrum ragten hoch über Zak auf und wurden durch Brücken, Stege und Tunnel miteinander verbunden, die sich unendlich in die Höhe zu erstrecken schienen. Verwaiste Stromkabel hingen an defekten Ampeln, Straßenschildern sowie stillgelegten Baumaschinen und bildeten einen Wirrwarr aus gefrorenen Strängen, die wie zerrissene Spinnennetze wirkten. Aus den gesicherten Abwasserkanaldeckeln stiegen beißende Dämpfe, die den Schnee in ihrer Nähe schmolzen und Zak an die Ausdünstungen einer Chemiefabrik erinnerten.
Nach einigen Minuten blieb er im Schatten eines Kiosks stehen und ließ seinen Blick über ein schmales Gebäude schweifen, das sich auf der gegenüberliegenden Straßenseite befand. Das Viertel bestand vorwiegend aus den Strukturen des alten Berlins, die den Aufstand der Bürgerlichen nach dem ersten Blackout im Jahr 2033 überstanden hatten und noch immer genutzt wurden. Damals wurde der Name des Stadtstaats in Richthofen geändert, zu Ehren des Politikers, der die Unruhen und den folgenden Bürgerkrieg beendet hatte, bevor er sich auf ganz Deutschland ausbreiten konnte. Der Mann – ein Vorfahre Josef Haverlands – war der Begründer der Freien Patrioten und noch heute ein hoch geschätztes Vorbild aller Konservativen. Auch wenn sich seitdem viel verändert hatte.
Die meisten Gebäude der Downers befanden sich mittlerweile im Besitz der Al Khana-Front, die sich über Spenden arabischer Konzerne, eigene Geschäfte und extrem guter Verbindungen in die Arabischen Emirate finanzierte. Sie kaufte die Blöcke auf und versuchte, die Wohnungen vorwiegend an Menschen muslimischen Glaubens zu vermitteln – obwohl das per Gesetz verboten war. Aber Diskriminierung betraf nun mal nicht alle Gruppen
gleichermaßen, weshalb die Al Khana-Front diesen Vorteil durchaus für sich und ihre Ziele zu nutzen wusste.
Neben einem abgesperrten U-Bahnabgang hatte sich ein bärtiger Kerl eingefunden, der die Menge erneut gegen das System aufzuhetzen versuchte. Er wurde von bewaffneten Männern begleitet, die sich im Hintergrund aufhielten, um den Prediger im Auge zu behalten. Die Kerle sahen aus wie Militärs. Ihre abgetragene Kleidung dagegen deutete eher auf radikale Ökos hin, die überall in den Downers anzutreffen waren. Die Menschen aufzuhetzen war ein gefährliches Spiel, das schnell ausarten konnte. Vor allem, da über dem Platz bereits zwei Überwachungsdrohnen der Polizei schwebten. Zak musste sich beeilen.
Bei dem Zielgebäude handelte es sich um ein heruntergekommenes Stundenhotel. Vor dem Eingang trieben sich Gestalten herum, die eindeutig dem extremen Umfeld der Ökofront zugeordnet werden konnten und keinen Hehl aus ihrer Überzeugung machten. Jeder wusste, dass dieser Ableger der Grünen Hand durch selbige finanziert wurde, aber daran störte sich für gewöhnlich niemand, solange die militanten Aktionen vorwiegend in den Downers stattfanden.
Die Ökofront schien das Hotel übernommen zu haben und nutzte dessen Fassade, um die Machenschaften im Inneren zu verschleiern. Aber das machte keinen Unterschied. Zak hatte einen Namen und eine Zimmernummer. Mehr brauchte er nicht, um in die Offensive gehen zu können – allerdings nicht ohne Yaras Zustimmung.
»Ja?«
»Ich bin’s.« Er sah sich unauffällig um, bevor er fortfuhr. »Ich hab einen Namen und eine Adresse bekommen, aber das Zeitfenster ist knapp.«
»Das heißt?
«
»Ich muss jetzt
reingehen. Der Kerl ist ein gesuchter Ökoterrorist und vor dem Gebäude braut sich Ärger zusammen. Er kann jederzeit verschwinden.«
»Wo bist du? Ich kann dir Unterstützung zukommen lassen und …«
»Nein«, unterbrach Zak. »Hier wimmelt es vor Ökos und die Stimmung ist ziemlich angespannt. Außerdem läuft uns die Zeit davon. Gib meine ID an die nahegelegenen Stützpunkte des SEK und aller Polizeiwachen dieses Sektors weiter und bitte sie, mich nicht zu erschießen, falls ich ihnen über den Weg laufen sollte. Sektor-15, Altstadt.«
»Alles klar. Sei vorsichtig, ja?«
»Keine Sorge«, erwiderte er leise und zog sich die Kapuze des Mantels tiefer ins Gesicht.
Er kappte die Verbindung, überprüfte die Waffe im Holster ein letztes Mal und schlenderte über die Straße, um direkt auf den Eingang zuzuhalten. An den Ökos vorbei, bog er in die Gasse am Ende des Gebäudes ab, wo er den Störsender in seinem Gürtel aktivierte, um nicht vorzeitig entdeckt zu werden. Zak passierte zwei Sicherheitskameras und erreichte einen kleinen Hof, auf dem ein junger Mann den Hintereingang zum Gebäude bewachte. Der Kerl hatte den vom Schnee durchnässten Mantel eng um seinen Körper geschlungen und schien zu frösteln. Auf einem Stehtisch neben ihm lag eine glimmende Zigarette in einem schweren Aschenbecher aus Glas, daneben ein Paar abgetragener Handschuhe.
Zak hielt wie selbstverständlich auf ihn zu und zerschmetterte ihm mit dem Ellbogen das Nasenbein, bevor er reagieren konnte. Der Körper prallte gegen die Wand und sank leblos in sich zusammen, als die Türe eines Verschlags aufging und die zweite Wache auf den Hof
schritt. Zak wandte dem Mann den Rücken zu und schirmte den Bewusstlosen am Boden ab, bis er sich ihm genähert hatte.
»Hey, Branco. Brennt meine Zigarette noch?«
Zak nahm den Aschenbecher, fuhr blitzschnell herum und zog ihn dem Kerl übers Gesicht, worauf dessen Jochbein brach. Er packte ihn am Nacken und rammte ihm das Knie in die Körpermitte. Der Stoß schleuderte ihn gegen einen Müllcontainer, wo er zusammenbrach und liegenblieb. Zak fesselte die Handgelenke der Männer mit Plastikschellen und versteckte sie im Verschlag neben der stinkenden Toilette. Danach hackte er ihre IDs mit einer ausgefeilten Routine, die er sich während seiner Dienstjahre bei der Polizei kopiert hatte und ging zum Hintereingang, um die Stahltüre mit den gestohlenen Codes zu öffnen.
Im Korridor dahinter war es düster. Zak konnte das Flüstern einiger Stimmen hören, als er sich langsam nach vorne arbeitete. Am Empfang hielten sich mehrere Personen auf, die die Prediger und die wütenden Menschen neben dem U-Bahnabgang auf der anderen Straßenseite im Auge behielten. Der sich anbahnende Tumult lenkte sie von Zak ab, der zur Treppe ging und den knarrenden Stufen nach oben folgte. Er passierte zwei Frauen und einen Mann, die ihm unmerklich zunickten, während er zu einem der Zimmer ging, die sich an der Rückwand des Gebäudes befanden.
Der Vorteil dieser Absteigen war, dass sich die Gäste
meistens nicht persönlich kannten. Das Terroristenpack war immer auf der Flucht, hetzte von einem Versteck zum nächsten und hatte wenig Zeit, während dieser aufgezwungenen Bewegungen Kontakte mit Gleichgesinnten aufzubauen – selbst wenn sie in derselben Organisation tätig
waren. Zak wurde kaum beachtet, als er sich Schritt für Schritt zur Nummer 29 vorarbeitete.
Als er die Türe passierte und auf die Toiletten zuhielt, entließ er einen Spider, dessen System mit seinem Handheld verbunden war. Der winzige Roboter kroch unter dem Türspalt durch, kletterte am Rahmen nach oben und lieferte ein glasklares Bild des Innenraums. Zak ging in eine Toilettenkabine, klappte den Deckel des WCs herunter und setzte sich, um sich einen ersten Eindruck zu verschaffen. Im Zimmer befanden sich ein zerschlissenes Sofa, eine Unterhaltungseinheit, ein Tisch, auf dessen Platte eine Maschinenpistole lag, und ein Klappstuhl. Die Schranktür war geöffnet, eine halbgepackte Tasche lag auf dem Boden. Anscheinend war Colin Brannagh dabei, auszuchecken. Der Ökoterrorist stand vor dem Display, auf dem die bedrohliche Situation vor dem Gebäude dargestellt wurde, und kehrte dem Spider den Rücken zu. Es schien, als ob die Displays der Zimmer mit dem Sicherheitssystem verbunden waren – oder der Mann benutzte ebenfalls technisches Gerät, um sich abzusichern.
Auf den Livebildern waren mehrere Überwachungsdrohnen zu sehen, die ihre Waffensysteme aktiviert hatten. Es würde nicht lange dauern, bis die Polizei durchgreifen würde. Zak musste sich wirklich beeilen.
Er verließ die Toilette, ging direkt zur Tür und zog die serienmäßig schallgedämpfte Glock. Anschließend zerschoss er das Schloss und wollte ins Zimmer stürmen. Als er die Schwelle übertrat, wurde er durch eine fast lautlose Explosion in einem Splitterhagel rückwärts gegen die Wand geschleudert. Der Aufprall presste die Luft aus seinen Lungen, als sich kleine Splitter der Türe, des Rahmens und des Bodens in die ungeschützten Hautstellen bohrten. Zak verdrängte die weißen Blitze auf
seinen Augen und versuchte zu Atem zu kommen, nachdem er sich aufgerappelt hatte und mit vorgehaltener Waffe ins Zimmer stolperte. Anscheinend hatte er eine Druckwellengranate übersehen, die geschickt unter dem welligen Teppich hinter der Tür angebracht worden war. Glück im Unglück. Wenn es sich um eine Splittergranate gehandelt hätte …
Zak ignorierte den unschönen Gedanken und konzentrierte sich wieder auf seine Umgebung. Der Spider hatte die Druckwelle nicht überlebt. Das Fenster stand offen und der Kerl war verschwunden. Zak fluchte und stürmte zur Öffnung, die auf den Hof hinausführte, der sich sechs Meter unter ihm befand. Als er sich neben dem Rahmen platzierte, fauchte die Salve einer Maschinenpistole über die Wand, riss diese auf und ließ die Scheiben zersplittern. Brannagh hatte den Steg einer Feuerleiter genommen und befand sich rechts von Zaks Position. Er erwiderte das Feuer, hechtete durch das Fenster und ging hinter dem Geländer in Deckung, während eine weitere Salve gegen die Konstruktion aus Metall prasselte. Zak schoss blind in Richtung seines Gegners, sprang auf und hetzte zu einem Müllcontainer, der sich in der Ecke des Gebäudes befand, als noch eine Granate auf den Steg geworfen wurde. Zak stand auf, fing sich einen Treffer in die Schutzweste ein und wurde von der Druckwelle des Sprengkörpers aufs Dach des Nebengebäudes geschleudert, wo er knurrend aufschlug, als die Feuerleiter samt Steg abstürzte und lautstark auf den Boden des Hofs krachte. Brannagh befand sich ebenfalls auf dem Dach. Er trug eine schwarze Sturmhaube.
Zak rettete sich hinter einen Rauchabzug, der unter einer Salve der Maschinenpistole ächzte. Dann war es still. Der Drecksack schien nachzuladen. Zak stand auf und
feuerte auf die dunkle Silhouette vor ihm, die fluchend die Waffe fallen ließ und auf den glatten Schindeln davon schlitterte. Zak folgte ihm und erhöhte das Tempo, während sie über mehrere Vordächer liefen, die mittlerweile eisglatt waren. Ein falscher Tritt, und es würde vorbei sein. Als sich der Gedanke in Zaks Kopf gefressen hatte, rutschte er aus und stolperte über eine Regenrinne. Der Öko kam ebenfalls ins Schlittern und prallte gegen eine Wand, in der sich ein Fenster befand. Zak fing sich, lief ungebremst auf ihn zu und biss knurrend die Zähne zusammen. Einen Augenblick später krachte er mit dem Mann durch die Scheiben und schlug in einer Art Abstellkammer auf. Brannagh reagiert blitzschnell, trat Zak die Waffe aus der Hand und griff seinen Hals an. Zak parierte den Schlag, konterte zur Körpermitte seines Gegners, die von einer Schutzweste bedeckt wurde, und verpasste ihm einen Kopfstoß, der über dessen Schläfe schrammte. Der Mann stolperte zurück und hielt sich fluchend an einem alten Schrank fest, um nicht zu stolpern. Danach kippte er diesen in Zaks Weg und verschwand durch eine schmale Tür, die zu einem mit Latten ausgelegten Dachboden führte, der sich über die gesamte Fläche des Gebäudes erstreckte.
Zak hob die Pistole auf und folgte ihm. Die teilweise lose auf den Balken liegenden Bretter entwickelten ein beängstigendes Eigenleben. Jeder Schritt wirbelte eine Menge Staub auf und verschob die Unterlagen um wenige Zentimeter, bis er nahe genug an dem Kerl dran war, um ihn an der Schulter zu packen und zu stoppen. Der Mann fuhr fluchend herum und griff sofort an. Zak blockte einen Schlag zum Kopf, wurde von einem Kniestoß getroffen und wich einem Tritt zum Sprunggelenk aus, während sein Gegner ihn grunzend vor sich hertrieb. Zak versuchte, auf
dem massiven Trägerbalken zu bleiben und einen Fehltritt zu vermeiden. Er wartete auf eine Lücke und unterbrach die Serie mit nach vorne gerecktem Ellbogen, dessen Spitze Brannagh mitten im Gesicht traf. Anschließend griff Zak an. Er setzte mit einer diagonal geschlagenen Geraden nach, rammte ihm ein Knie in die Seite und stolperte mit dem Mann vom massiven Trägerbalken, um eine Sekunde später mit ihm durch die Bretter zu brechen. Der Aufprall war erneut hart. Zak fluchte und rollte sich ächzend auf die Seite. Brannagh spuckte währenddessen einen Batzen Blut auf den staubigen Boden, rappelte sich auf und wankte zu einer Tür, die nach draußen zu führen schien. Zak riss sich zusammen, zog sich an einer verstaubten Ablage hoch und folgte ihm. Als der Mann die Tür aufriss, peitschte der kalte Wind Schneeflocken in den Raum und wirbelte eine Menge Staub auf. Zak konnte dahinter eine Plattform aus Metall erkennen, die zwei Gebäude miteinander zu verbinden schien. Als er den im Wind wankenden Steg betrat, zog er die Waffe und schoss Brannagh ins Bein. Kurz darauf blieb dieser stehen und streckte die Arme weit von sich, während er die angeschossene Extremität entlastete und aufgab.
Zak näherte sich ihm vorsichtig und stellte überrascht fest, dass die Plattform drei
Gebäude miteinander verband und groß genug war, um einen Transporter darauf landen zu lassen. Der Mann hatte verschwinden wollen, aber seine Mitstreiter schienen ihn im Stich gelassen zu haben!
Unten am Boden wurde die aufgebrachte Menschenmenge von mehreren Zügen des SEK auseinandergetrieben. Schüsse fielen. Gleichzeitig drangen Anti-Terror-Einheiten ins Hotel ein. Die Lage konnte jederzeit eskalieren, weshalb Zak eine Antwort wollte. Und zwar schnell!
»Umdrehen!
«
Er zielte mit der Waffe auf den Kopf Brannaghs, während dieser sich langsam umwandte.
»Nimm die Sturmhaube ab!«
Der Kerl gehorchte nur widerwillig, zog sich den Stoff aber trotz seines Unmuts nach einigen Sekunden vom Kopf. Seine Wurzeln schienen in Irland zu liegen. Jedenfalls deuteten seine feuerroten, kurzgeschnittenen Haare auf die einst grüne Insel hin. Seine Lippen und seine Nase bluteten, ansonsten schien er bis auf den Treffer ins Bein unverletzt zu sein. Als Zak ihn zurück in den Raum zwingen wollte, stiegen zwei Überwachungsdrohnen auf, die Zak mit den an ihren Unterseiten angebrachten Minikanonen anvisierten.
»Zak Mokai, Sonderermittler!«, brüllte er in Richtung der Fluggeräte. »Scannen Sie meine ID! Ich bin berechtigt, eine Waffe zu tragen und habe einen Flüchtigen gestellt!«
»Nehmen Sie die Pistole runter oder wir eröffnen das Feuer!«, dröhnte eine befehlsgewohnte Stimme aus den Lautsprechern der Drohne. »Sie haben drei Sekunden, um meinen Anweisungen Folge zu leisten!«
Zak biss knurrend die Zähne zusammen und steckte die Waffe erst ins Holster, als sich die Läufe der Kanonen zu drehen begannen. Das verräterische Surren ging ihm bis ins Mark. Kurz darauf näherte sich ein Transporter. Das Fluggerät wurde durch vier große Rotoren oben gehalten, während der Wind an ihm zerrte und es zum Schwanken brachte. Als es über ihnen schwebte, wurde ein Seil mit einer Schlaufe am Ende heruntergelassen und Brannagh begann breit zu grinsen. Anschließend verneigte er sich provokativ vor Zak, stieg in die Halterung und schlang das Seil um seinen Arm, um einen Augenblick später in den grauen Dunst getragen zu werden.
Die Rotoren waren noch zu hören, als die Tür des
Gebäudes gegenüber aufgestoßen wurde und fünf mit Sturmgewehren bewaffnete Männer in Kampfanzügen die Plattform betraten. Sie trugen weder Abzeichen noch konnte man ihre IDs scannen. Einer trat vor und baute sich vor Zak auf. Der Mann legte den Kopf schief und bedachte ihn mit einem skeptischen Blick, bis er den Helm abnahm und ihn ernst anstarrte.
»Ich denke, Sie haben den Charakter unserer Abmachung nicht richtig verstanden«, begann Brecher lauernd. »Sie sollten mich über die Pläne Bukharis auf dem Laufenden halten, nicht wahr? Sie sollten sich melden, wenn Sie ausrücken und mir berichten, warum. Stattdessen gefährden Sie einen unserer wichtigsten Informanten und mischen sich in Dinge ein, die Sie verdammt noch mal nichts angehen! Vergessen Sie nicht, dass Ihre Schwester nur wegen mir und meiner Nachsichtigkeit am Leben ist! Und wenn Sie wollen, dass das so bleibt, reißen Sie sich in Zukunft besser zusammen!«
»Colin Brannagh ist ein Verdächtiger Yaras Fall betreffend«, erwiderte Zak ruhig, obwohl er dem Kerl am liebsten an die Kehle gegangen wäre. »Wir mussten schnell handeln. Ich hatte vergessen, Sie zu informieren …«
»Dann überdenken Sie das nächste Mal besser Ihre Prioritäten, verstanden? Oder ich lasse ein Organ Ihrer Schwester versteigern! Auf was, denken Sie, könnte Sie wohl verzichten?« Brecher funkelte ihn wütend an. »Ihre Leber vielleicht? Oder eine ihrer Lungen? Vielleicht das Herz?« Er hob warnend den Zeigefinger, während Zaks Wut ins Unermessliche stieg. »Wenn Sie Ihre Schwester in einem Stück zurückwollen, springen Sie verdammt noch mal, wann immer ich es von Ihnen verlange! Das ist das Einzige, an was Sie in Zukunft denken sollten! Andernfalls …« Er
hob entschuldigend die Schultern. »Ihre Entscheidung.«
Zak hob beschwichtigend die Handflächen. »Wird nicht wieder vorkommen, Sir.«
»Sind Sie sicher? Was zur Hölle wollten Sie heute Morgen im Krankenhaus?«
»Ich hab meine ehemalige Arbeitskollegin besucht. Sie wurde bei unserem letzten Einsatz verletzt.« Jetzt war er es, der den Kopf schief legte. »Ich wusste nicht, dass ich Sie auch über meine privaten Angelegenheiten auf dem Laufenden halten muss.«
»Treiben Sie es nicht zu weit, Mokai«, warnte Brecher ihn ein letztes Mal. »Gibt es sonst etwas, das ich wissen sollte?«
»Nicht das ich wüsste …«
Brecher spuckte vor ihm aus, setzte sich den Helm auf und bedeutete seinen Männern, ihm zu folgen.
Einen Augenblick später waren sie hinter der quietschenden Tür verschwunden, während Zak nach wie vor auf der Plattform stand und vom eiskalten Wind fast über deren Rand gedrückt wurde.
Yara parkte vor dem tristen Gebäude und war so in Gedanken versunken, dass sie vergaß, ihre Hände vom Lenkrad zu nehmen. Ihre Knöchel waren weiß, weil ihre Finger den Lederbezug krampfhaft umklammerten. Der Tag hatte sich in eine Richtung entwickelt, die sie nicht hatte vorhersehen können. Federika Guterres hatte ihr einen Termin aufgezwungen und volle zwei Stunden ihrer kostbaren Zeit in Anspruch genommen. Zwei Stunden, die sie davon abgehalten hatten, an ihrem allgegenwärtigen
Problem zu arbeiten. Die Anwältin hatte ihr gefühlte tausend Fragen gestellt, die sich um Zaks Disziplinarverfahren drehten. Bei einigen hatte Yara den Zusammenhang weder verstanden noch eingesehen, aber Guterres hatte den privaten Charakter ihrer Fragen abgestritten und einfach weitergemacht. Sie hatte Yara aus der Reserve gelockt und sie dazu gebracht, Dinge zu sagen, die sie sich in dieser Situation lieber hätte verkneifen sollen. Aber jetzt war es zu spät, um den Verlust ihrer Selbstkontrolle zu bedauern. Das Miststück war gut, das musste Yara ihr wirklich lassen. Sie hatte ihren Vater über ein Netzwerk von Schein- und Tarnfirmen mit dem Fall in Verbindung gebracht und sie bedrängt, diese zu bestätigen. Yara hatte so unter Druck gestanden, dass sie sich nicht mehr sicher war, ob sie Antworten geliefert hatte, die ihren Vater entlasteten oder belasteten. Allein der Versuch der Anwältin, ihn in kriminelle Machenschaften zu verwickeln, brachte sie zur Weißglut und Guterres schien diese Schwäche bekannt gewesen zu sein, denn sie hatte es darauf angelegt und hatte mit ihrer Taktik am Ende triumphiert. Yara lehnte die Stirn gegen das Lenkrad und versuchte krampfhaft, sich zu erinnern. Nach dem dritten Versuch biss sie die Zähne zusammen und schloss die Augen, um sich die wichtigen Abschnitte des Gesprächs noch einmal Stück für Stück in Erinnerung zu rufen.
»… und Sie streiten ab, auch nur den kleinsten Verdacht zu hegen, dass Ihr Vater Zak Mokai vorsätzlich in eine Falle hat laufen lassen, richtig?«
»Natürlich. Wie kommen Sie nur darauf?«
»Nun, Malik Bukhari ist für die Wertschätzung und Hochhaltung seiner Traditionen bekannt und …«
»Welcher Traditionen?«
»Der Traditionen Ihres Kulturkreises …
«
»Ich hab den deutschen Pass«, erwidert Yara aufgebracht. »Mein Kulturkreis ist Deutschland. Ich wurde hier geboren. Genau wie Sie. Und wissen Sie, wie man diesen Umstand allgemein bezeichnet?«
Guterres hob amüsiert eine Augenbraue.
»Deutsche Staatsbürgerin. Ich hab jedes Recht, hier sein zu dürfen und meinen Weg zu gehen. Ich darf tun und lassen, was ich will.«
»Sie haben eine doppelte
Staatsbürgerschaft, nicht wahr?«, hakte die Anwältin nach. »Obwohl Sie hier geboren wurden, besitzen Sie auch die Iranische. Ich finde das nicht sehr konsequent. Die Frage ist, wann Sie sich als Deutsche und wann als Iranerin sehen.«
»Was zur Hölle soll das heißen?« Yara wurde immer ungehaltener. »Ich fühle mich ausschließlich Deutschland verbunden, und es gibt nicht die geringsten Einschränkungen für mich durch die arabische Kultur meiner Familie, falls Sie das andeuten wollen. Ich trage kein Kopftuch, keinen Nikab und auch sonst nichts, was meine Freiheit einschränken würde. Die iranische Staatsbürgerschaft existiert nur auf dem Papier. Ich kann über mein Leben frei bestimmen und – wie bereits gesagt – tun, was immer ich verdammt noch mal will. Ich hoffe, das ist Ihnen deutsch
genug.«
»Sieht Ihr Vater das genauso?« Guterres ließ sich in den Sessel sinken und begann einen Kugelschreiber durch ihre Finger gleiten zu lassen, während sie Yara herausfordernd anstarrte. »Ich hab gehört, dass er Ihnen aus religiösen Gründen das Studium verweigert hat.« Yara wollte auffahren, aber die Anwältin hob nur beschwichtigend die Handflächen. »Geht mich natürlich nichts an, war nur neugierig.« Sie setzte ein süffisantes Lächeln auf. »Allerdings hat Ihr Vater mehrmals in aller Öffentlichkeit
bekundet, dass er Ihre damalige Verbindung mit Zak Mokai aufs Schärfste verurteilt und Sie lieber von ihm getrennt sähe. Und wissen Sie, wie man dieses Verhalten in meinem Tätigkeitsfeld bezeichnet?«
Yara presste wütend die Lippen aufeinander und verzichtete auf eine Antwort.
»Motiv, Ms. Bukhari. Das nennt man ein Motiv.«
Sie richtete sich wieder auf und aktivierte die Projektion eines Displays. »Er schien Zak aus persönlichen und religiösen Gründen abzulehnen, und ich wette, dass er jedes Mittel in Betracht zog, um Sie auseinanderzubringen. Jedes Mittel,
verstehen Sie?«
»Haben Sie Beweise für Ihre Anschuldigungen?«
»Noch nicht«, erwiderte Guterres lächelnd. »Aber ich bin ein hartnäckiges Mädchen und ich bin mir sicher, schon bald etwas Verwertbares in der Hand zu haben.« Sie sah Yara ernst an. »Wollen Sie nicht auch, dass die Wahrheit ans Licht kommt? Immerhin geht es hier um die Existenz eines unbescholtenen Bürgers Richthofens, dessen Karriere zerstört werden soll, nur weil er mit Ihnen zusammen war.« Sie bedachte Yara mit einem außerordentlich tadelnden Blick. »Eines Bürgers, den Sie angeblich geliebt haben.«
»Könnten Sie bitte diese verdammten Unterstellungen lassen?« Yara hatte langsam genug von der Anwältin. Hatte sie wirklich angedeutet, Yara hätte Zak nicht geliebt? Das würde im Umkehrschluss implizieren, dass sie ihn nur ausgenutzt hatte. Sie verdrängte die aufsteigende Wut und holte zum Gegenschlag aus. »Ich denke, Sie haben im Allgemeinen ein Problem mit Muslimen, richtig?«
»Ah …«, Guterres begann zu lachen, »… die Rassismuskarte.« Sie beugte sich grinsend vor und stützte sich auf dem Schreibtisch ab. »Der allgegenwärtige Joker der letz
ten neunzig Jahre.« Sie schnaubte verächtlich. »Meine Vorfahren erkämpften sich ihren Weg nach Europa über Ceuta, meine Liebe. Mein Großvater ist ein echter Schwarzafrikaner. Aber er hat sich nie beschwert, war dankbar, dass Spanien ihm seinen kleinen Sieg gelassen und ihn aufgenommen hat. Und er hat verdammt noch mal noch nie in seinem Leben diese lächerliche Karte ausgespielt. Wenn Sie etwas haben wollen, müssen Sie selbst dafür sorgen, es zu bekommen und nicht darauf hoffen, dass man es Ihnen überlässt, wenn Sie nur lange genug jammern. Wenigstens was das angeht, sollten Sie sich an Ihrem Vater orientieren.«
»Das ist unverschämt, Ms. Guterres …«
»Vielleicht«, erwiderte die Anwältin amüsiert. »Aber nicht unverschämter, als einen Mann über die Klinge springen zu lassen, weil er Sie gevögelt hat. Einigen Aussagen zufolge war Ihr Einsatz für Mister Mokai mehr als beschämend, nachdem er vom Dienst suspendiert wurde. Ist das korrekt?«
Bei Allah, jetzt unterstellt sie mir auch noch, Zak im Stich gelassen zu haben!
»Was hat das alles mit dem Fall zu tun?« Yara wurde immer wütender, während Guterres’ stechender Blick auf ihr ruhte und sie wie einen Schmetterling auf dem Sessel festnagelte.
»Wollen Sie Zak nun helfen oder nicht?«
»Ja, natürlich. Aber …«
»Dann stimmen Sie mir zu, dass Ihre Aussage wichtig ist.«
»Ja, sicher. Warum …«
»Und Sie wollen nicht, dass Ihr Vater in die Sache mit hineingezogen wird, richtig?«
»Ja, verdammt. Würden Sie mir bitte erklären, was …
«
»Haben Sie diesen Mann schon einmal in der Nähe Ihres Vaters gesehen?«
Guterres öffnete blitzschnell einen Tab auf dem Display und präsentierte Yara das Bild eines Arabers, der ihr vertraut vorkam.
»Ja … warten Sie, ich meine, ich … bin mir nicht sicher.« Sie starrte die Anwältin fragend an.
»Bei dem Mann handelt es sich um Ali Haddad. Er arbeitet für eine Firma, an der Ihr Vater beteiligt zu sein scheint.« Guterres begann zu lächeln. »Nicht direkt, aber es scheint eine Verbindung über ein Geflecht aus Tochterunternehmen von Bukhari Industries zu geben, die am Ende zu Mister Haddad führt. Ich kann diese Verbindung im Moment nicht beweisen, aber dank Ihnen werde ich vielleicht schon bald in der Lage dazu sein.«
»Ich verstehe nicht …«
Guterres lehnte sich zurück und setzte ein triumphierendes Lächeln auf, das Yara klarmachte, dass sie einen schweren Fehler begangen haben musste.
»Nun, ich kann mithilfe der aufgetauchten Informationen beweisen, dass Haddad die Daten weitergegeben und den Verdacht auf Zak gelenkt hat. Allerdings hat mir die Verbindung zu Ihrer Familie gefehlt«, sie begann lächelnd mit den Fingernägeln auf der Lehne zu tippen, »bis eben. Da Sie bestätigt haben, den Mann aus Ihrem Umfeld zu kennen, erlaubt mir Ihre Aussage tiefer zu graben. Ansonsten wäre meine Arbeit an dieser Stelle beendet gewesen. Zugegeben, das hätte an der Einstellung des Disziplinarverfahrens nichts geändert, weil die Beweislage eindeutig ist, aber Sie haben mich in die Lage versetzt, vielleicht die ganze Wahrheit ans Licht zu bringen.« Sie setzte ein breites Lächeln auf. »Danke für Ihre Hilfe. Sie kennen ja den Weg nach draußen.
«
Yara spürte ihre Finger nicht mehr, bis sie die Hände entspannte und das verdammte Lenkrad endlich losließ. Guterres hatte sie reingelegt. Sie hatte sie mit den ganzen Unterstellungen ihr Privatleben betreffend und den Anschuldigungen gegen ihren Vater aus der Fassung gebracht. Sie hatte sie dazu angehalten, ständig ›Nein‹ zu sagen, bis sie es kaum erwarten konnte, einige Fragen mit ›Ja‹ beantworten zu dürfen. Die Anwältin hatte dies ausgenutzt und ihr am Ende die entscheidende gestellt – und Yara war wie eine Anfängerin in die Falle getappt. Sie fluchte und wischte sich eine Träne von der Wange. Am meisten ärgerte sie allerdings, dass sie wirklich glaubte, den Kerl schon einmal in der Nähe ihres Vaters gesehen zu haben, obwohl sie sich nicht zu hundert Prozent sicher war. Verdammt, verdammt, verdammt. Ihr alter Herr war doch einer von den Guten!
Yara brauchte einen Moment, bis sie sich wieder unter Kontrolle hatte und eine Entscheidung traf: Sie musste wissen, ob an dieser angeblichen Verbindung etwas dran war. Und zwar schnell. Als sie die Liste mit den Kontakten aufrufen wollte, war plötzlich ein drängender Signalton zu hören. Jemand rief sie an. Das Display des Wagens identifizierte den Anrufer als Beamten der Forstbehörde. Schon wieder. Der Kerl war anscheinend äußerst hartnäckig, aber Yara ignorierte ihn auch dieses Mal. Ein überfahrenes Wildschwein schien ihr nicht wichtig genug zu sein, um jetzt den Fokus zu verlieren. Sie wies den Anruf ab und rief ihren Kontakt an, um ihm Haddads Namen mitzuteilen. Sie hoffte inbrünstig, dass er schneller als dieses Miststück von Anwältin arbeiten würde – obwohl sie sich dessen nach dem heutigen Verhör nicht mehr sicher war.
Zehn Minuten später verließ Zak das Gebäude und ging direkt zu ihrem Mercedes. Er trug eine abgewetzte
Jacke, eine löchrige Jeans und Schuhe, deren Sohlen dabei waren, sich vom Rest zu lösen. Trotzdem gefiel er ihr, und sie erinnerte sich an den Tag, als sie ihm zum ersten Mal begegnet war. Das Gefühl war wirklich überwältigend gewesen und sie konnte noch immer ein schwaches Echo davon wahrnehmen.
Zak klopfte gegen die Scheibe und wartete, bis Yara sie heruntergelassen hatte. »Du siehst gut aus.«
»Bitte?« Sie spürte, wie ihre Wangen zu kribbeln begannen.
»Deine Kleidung.« Er zeigte auf ihren grauen maßgeschneiderten Anzug. »Sie passt nicht zu einem Downer-Pärchen.«
»Oh … ich hab passende Sachen im Kofferraum.«
»Wo ist dein Leibwächter?«
Yara verdrehte demonstrativ die Augen. »Ich hab ihn mit einer Aufgabe bedacht und mich abgesetzt. Er würde nur stören, richtig?«
Zak nickte. »Wir sollten trotzdem meinen Wagen nehmen«, erwiderte er lächelnd. »Passt besser zu unserer Geschichte.«
»Okay. Dann lass ich meinen stehen.« Sie aktivierte die Überwachungsdrohne zur Absicherung des Mercedes, holte eine Tasche aus dem Kofferraum und folgte Zak zum BMW, der nicht weit entfernt geparkt war.
»Wo willst du dich umziehen?«
»Im Auto«, antwortete sie knapp. »Benimm dich …«
Er lächelte und hielt ihr die Tür auf, bis sie hinter den Fahrersitz gekrabbelt war. Anschließend stieg er ein und startete den Wagen.