Kapitel Neun
Yara saß in einer luxuriös ausgestatteten Drohne, die durch sechs Rotoren in der Luft gehalten wurde und an eine überlange Limousine erinnerte. Die Minibar enthielt nur Wasser und antialkoholische Getränke, denn glaubensstarken Muslimen – und vor allem Muslimas – war es verboten, Alkohol zu sich zu nehmen. Yara hatte männliche Mitglieder ihrer Familie allerdings schon oft dabei erwischt, wie sie bei geschäftlichen Treffen weder abgeneigt noch besonders renitent waren, was Whisky, Wein oder Bier anging. Sie redeten sich gerne darauf hinaus, ihre Geschäftspartner nicht enttäuschen zu wollen und dass diese aufgezwungenen Verfehlungen nur zum Besten von Bukhari Industries wären. Verlogene Bande! Yara nahm es mit den Auflagen und Verboten Ihres Vaters nicht allzu genau, weil ihre Mutter – eine französische Muslima mit algerischen Wurzeln – sie zu einer selbständigen Frau erzogen hatte. Drei Jahrzehnte innerhalb eines freien demokratischen Landes wirkten selbst bei den linientreusten Hardcore-Muslimen Wunder, weshalb die Mitglieder von Yaras umfangreicher Familie ihre Verwandten im Iran lieber dort besuchten, als diese zu sich einzuladen.
Als sie einen Blick auf ihre Reflexion im Seitenfenster erfasste, zuckte sie unmerklich zusammen, denn das unter dem Nikab versteckte Gesicht war ihr fremd. Ihr Magen rebellierte, als sie sich daran erinnerte, wie sie das Paket ihres Vaters geöffnet und auf den edlen Hidschab geblickt hatte, der über elegante Drapierungen in den Nikab überging, dessen Augenpartie mit einem Netz aus reinster Seide bedeckt war. Außerdem hatte sich ein verdammt teurer maßgeschneiderter Business Anzug in der Schachtel befunden, bestehend aus schwarzem Jackett und passender Hose sowie einer weißen Bluse und nicht allzu aufdringlichen Schuhen. Yara war wie ein eingeschüchtertes Kind fast eine Stunde vor den Kleidungsstücken gesessen und hatte hin und her überlegt, wie sie dem verdammten Nikab am besten entgehen konnte. Wenn sie ohne ihn erschien, würde sie ihren Vater vor den Anwesenden bis auf die Knochen blamieren. Falls sie ihn tragen würde, würde sie einen Teil von sich selbst verraten, dem sie vor langer Zeit geschworen hatte, sich nie mehr einsperren zu lassen. Mit dem Gewissenskonflikt tauchten unzählige Erinnerungen über Streitereien mit ihrem Vater auf, der sie jahrelang unter dem verdammten Sack hatte verstecken wollen. Seine verhassten Versuche, sie kleinzuhalten, hatten tiefe Narben hinterlassen, die sie bis heute verfolgten.
Während sie auf die Sachen starrte, fiel ihr ihre erste Begegnung mit Zak ein und wie gut ihr seine Gesellschaft getan hatte. Er hatte nichts für Religion übrig, hatte weder versucht, sie zu bekehren noch sie unter irgend einem Kleidersack vor den Blicken anderer Männer zu verstecken. Er hatte ihr ihre Freiheit von Anfang an gelassen und sie ermutigt, ihren eigenen Weg zu gehen. Vielleicht war das der Grund, warum sie sich in letzter Zeit immer häufiger nach ihm sehnte, wenn ihr Vater sie in seiner Nähe haben wollte – oder Amin, der ihrem alten Herrn bezüglich Tradition in nichts nachstand.
Die Erinnerung an Zak ließ sie den Handheld aus ihrer Tasche holen und ihn kontaktieren. Sie musste es mehrmals klingeln lassen, bevor er den Anruf entgegennahm.
»Hi. Wo bist du?«
»Hey«, erwiderte er knapp. »Ich hab den Ökoterroristen befragt.« Er hörte sich niedergeschlagen an. »Sie haben die Jugendlichen nicht auf das Konzerngelände geschickt. Es gibt keine Verbindung zwischen der Ökofront und den Toten oder dem Konzern.«
»Oh, das ist schlecht.«
»Das ist es. Wo bist du? Ich würd dich gerne auf einen Drink einladen.«
»Ich hab noch viel zu tun, und es bleibt so wenig Zeit«, log sie. »Vielleicht ein andermal, okay?«
»Kein Problem. Soll ich dir helfen?«
»Nein, schon gut«, winkte sie ab. »Schlaf dich mal aus. Morgen ist unsere letzte Chance, etwas gegen das Harvest-Programm zu unternehmen.«
»Du hast recht …« Er zögerte.
»Was ist?«
»Ich … denkst du, wir hatten jemals eine Chance?«
»Natürlich. Wenn ich die Daten finden kann …«
»Ich meinte uns«, unterbrach er sie tadelnd. »Denkst du, wir hatten jemals eine Chance auf eine gemeinsame Zukunft?«
Yara wusste nicht, was sie darauf antworten sollte. Sie hatte Zak wirklich geliebt – bei Allah, sie liebte ihn vielleicht noch immer, aber sie hatte einen schweren Fehler begangen und ihm in einem schwierigen Moment das Vertrauen entzogen. Danach hatte sie ihn fallenlassen. Wie einen faulen Apfel, dessen Fäule kurz davor war, auf sie überzuspringen. Zumindest hatte sie sich das damals eingebildet, und ihr Vater hatte sie in dieser Entscheidung bestärkt – was nicht bedeutete, dass er etwas mit dem Vorfall zu tun hatte. Und dann war es vorbei gewesen.
»Ich glaube schon.«
»Aber was ist passiert, Yara?«
»Ich … Ich weiß nicht«, log sie. »Wir …«, sie zögerte erneut, »… ich weiß es einfach nicht.«
»Willst du mich noch?«
»Zak, was ist los mit dir? Ist etwas passiert?«
»Sorry, ich bin zu weit gegangen«, ruderte er zurück. »Ich wünsch dir eine gute Nacht, okay? Wir sehen uns morgen.«
»Zak, ich …« Aber er hatte bereits aufgelegt.
Yara war noch eine Weile vor dem Bett gesessen und hatte sich die Unterlippe fast blutig gebissen, bis sie fluchend aufgestanden war und sich für die Gala fertiggemacht hatte. Eine halbe Stunde später war sie vom Chauffeur abgeholt worden.
Abbas saß neben dem Piloten und starrte wie ein kleines Kind aus dem Fenster der Kanzel. Yara wusste, dass er es hasste zu fliegen, aber seine Loyalität gegenüber Amin und ihrem Vater schien keine Grenzen zu kennen.
Die folgenden Stunden würden hart werden: Ihr alter Herr und der Vorsitzende der Al Khana-Front zusammen am selben Ort würden Yara einiges an Selbstbeherrschung abverlangen. Vor allem, da sie diesen verfluchten Nikab tragen musste.
Als sie aus dem Fenster sah, tauchten die Uppers bereits aus den grauen Wolkenfetzen auf. Sie konnte die hell beleuchteten Wolkenkratzer trotz des dichten Schneetreibens deutlich erkennen, das die unzähligen Dächer unter ihr in eine weiße Winterlandschaft verwandelt hatte.
Yara blieben vielleicht noch zehn Minuten. Sie aktivierte ihren Handheld und wählte Claires Nummer.
»Yara?«
»Hi. Wie weit bist du mit der Analyse der beschlagnahmten Drohnen?«
»Ich wollte dich schon vor ein paar Minuten anrufen, aber …«
»Du hast keine guten Nachrichten, richtig?« Yara konnte Claires zögerlichen Unterton, der so gar nicht zu ihrer sonst sexy Art passen wollte, deutlich heraushören.
»Nein, leider nicht. Ich konnte einige Daten extrahieren, aber die entscheidenden Pakete waren nicht mehr herstellbar. Sie haben die Datenspeicher wirklich von allem befreit, was ihnen gefährlich werden könnte.«
Yara wollte vor Ärger laut losbrüllen. Stattdessen riss sie sich zusammen und überlegte, wie sie Claire während ihrer Abwesenheit beschäftigen konnte. Jede Minute zählte, denn der Untersuchungsausschuss würde morgen ein letztes Mal zusammenkommen und anschließend über das Harvest-Programm abstimmen. Eine letzte Chance, den Wahnsinn zu verhindern!
»Würdest du bitte noch einmal die toten Jugendlichen überprüfen? Zak hat den Kontakt der Ökos gestellt, aber er konnte keine Verbindung zwischen der Ökofront und dem Anschlag nachweisen.«
»Gerne. Übrigens hat sich der Forstbeamte …«
»Nicht jetzt … bitte.« Yara zupfte sich fluchend den Nikab zurecht, weil sie Mühe hatte, das Display lesen zu können .
»Ich hab die Adresse von Zaks Schwester gefunden.«
»Danke. Würdest du sie mir bitte in meinen Handheld transferieren?«
»Klar, schon geschehen.«
Ein unaufdringlicher Signalton bestätigte den Eingang der Nachricht.
»Danke. Ich melde mich später noch mal bei dir, okay?«
»Kein Problem. Bis dann.« Claire trennte die Verbindung und ließ Yara alleine in der Drohne zurück, die sich bereits im Landeanflug auf eine riesige Plattform befand, die in siebenhundert Metern Höhe um das Firmengebäude von Bukhari Industries errichtet worden war. Die Landebuchten waren gut gefüllt. Der Pilot landete in einer entsprechenden Lücke nahe des Eingangs und stellte die Rotoren ab, bevor er Yara und Abbas in die Kälte entließ.
Die Wolken hingen so tief, dass Yara den Eindruck hatte, sie mit der Hand berühren zu können, wenn sie sich nur genug streckte. Sie verwarf den Gedanken, zog den Mantel enger um ihre Taille und ließ sich von ihrem Leibwächter über den rutschigen Boden führen, dessen Gitterstruktur gegen das vorherrschende Blitzeis wirkungslos war. Im Eingangsbereich wurden ihre Jacken von Angestellten übernommen und in einer riesigen Garderobe verstaut, danach gab es einen Begrüßungsdrink aus frischen Orangen, Pfirsichen und einem Schuss Apfel, bevor es ins Auditorium ging.
Die Decke des in einem Halbkreis angelegten Raums war fast zehn Meter hoch und mit Kameras sowie einer gewaltigen Lichtanlage ausgestattet, die die Beleuchtung im Inneren je nach Bedarf verändern konnte. An der hinteren Wand befand sich eine riesige Bühne, auf der ein Rednerpult und Sessel für die Vorstände installiert worden waren. Ein großes Display würde die Redner präsentieren, während eine ausgefeilte Audioanlage die ermüdenden Vorträge auch in den hintersten Ecken akustisch überzeugend klingen lassen würde. An den Seiten waren Theken errichtet worden, die Erfrischungen und Snacks anboten, während ein Heer an hübschen Bedienungen bereitstand, um die Häppchen unter den erlesenen Gästen zu verteilen. Yara erkannte Politiker, Firmenbosse, hochrangige Militärs und Lobbyisten, die dabei waren, künftige Deals und Gesetze zugunsten ihrer Auftraggeber zu beeinflussen. Hier wurde über das Leben in den Downers und den anderen Sektoren Richthofens bestimmt, während in den Uppers alles gleich blieb. Denn keine Veränderung bedeutete keinen Verlust an Kapital, Macht und Wohlstand. Und das war für gewöhnlich alles, was Menschen dieser Gruppe erreichen wollten.
Es war 19 Uhr, als die Veranstaltung begann und Yara von Abbas zu ihrem Vater auf die Bühne begleitet wurde. Malik trug einen dunklen Anzug, ein weißes Hemd und eine rote Krawatte, an der eine Silbernadel steckte, die das Emblem der Al Khana-Front abbildete. Sein Kopf war kahler geworden und sein voller Bart grauer, aber die ständig abwägenden Augen waren die gleichen. Yara hasste es, von ihm gemustert zu werden.
Er nickte ihr wohlwollend zu, erwähnte sie und ihre Geschwister in einem kurzen Satz und bedeutete ihr Platz zu nehmen, während er weiter über die Erfolge seines Unternehmens und seiner Ahnen lamentierte. Er redete fast eine halbe Stunde lang. Die erlesenen Gäste hörten ihm aufmerksam zu, klatschten an den richtigen Stellen und genossen die Häppchen. Danach übergab Yaras Vater die Moderation an seinen CEO und verließ die Bühne mit seiner Tochter, um sich unter die Gäste zu mischen.
»Du siehst gut aus. «
»Du kannst mich doch gar nicht sehen«, erwiderte Yara verärgert über die Floskel, die er – anscheinend ohne nachzudenken – verwendet hatte.
Malik ignorierte ihre Bemerkung, setzte ein kamerafreundliches Lächeln auf und nahm ein Glas Traubensaft vom Tablett einer vorbeieilenden Hostess.
»Ich freue mich, dass du meinem Wunsch entsprochen hast und mich bei diesem Event mit deiner Anwesenheit unterstützt.«
»Ich hab nur noch wenige Stunden, um das Harvest-Programm …«
»Keine Politik heute«, winkte er ab. »Wie geht es dir?«
Yara trat verdutzt zurück. »So weit ganz gut.«
»Dann hast du die Trennung von deinem Freund überwunden?«
»Warum interessiert dich das?«
»Nun, du bist mittlerweile vierundzwanzig Jahre alt, und es ist an der Zeit, deine Pflicht für deine Familie zu erfüllen.«
»Pflicht?«
»Du erinnerst dich an Junis Asmari?«
»Wen?«
»Deinen Cousin aus dem Iran.« Er sah sie tadelnd an. »Er hat es weit gebracht und besitzt mittlerweile acht Unternehmen. Eines davon fördert Öl. Eine Verbindung mit ihm würde Bukhari Industries zugutekommen und …«
Yara konnte vor lauter Rauschen in ihrem Kopf nichts mehr hören. Sie spürte, wie ihr Puls raste und die aufgestaute Wut sich langsam einen Weg nach oben bahnte. Ihr alter Herr wollte sie tatsächlich an einen Cousin verheiraten, um günstig an Öl zu kommen? Und Yara hatte gedacht, die Grabenkämpfe mit ihrem Vater wären ausgestanden. Was für ein fataler Irrtum. Yara spürte, wie ihre Beine nachgeben wollten, aber sie zwang sich, aufrecht stehenzubleiben und seinem Blick standzuhalten, auch wenn er den ihren vermutlich nur erahnen konnte.
»… Junis befindet sich bereits unter den Gästen. Ich werde als glorreichen Abschluss der Festivitäten deine Vermählung mit ihm bekanntgeben und alle Formalitäten in die Wege leiten. Die eigentliche Verbindung wird am Neujahrstag eingegangen werden. Meine Anwälte wurden bereits mit der Vertragserstellung beauftragt, um sicherzustellen, dass die Mehrheit deiner Anteile im Unternehmen verbleibt.« Er zupfte den Stoff zurecht, der einen Teil ihres Gesichts verdeckte. »Junis ist ein sehr traditioneller Mann. Du trägst den Nikab zu seinen Ehren und ich erwarte, dass du dich angemessen verhalten wirst.«
»Ist das alles?«, erwiderte Yara kalt, während es in ihr brodelte, wie schon lange nicht mehr.
»Das ist es. Du bist meine einzige Tochter, und du wirst deinen Beitrag leisten.« Ihr Vater prostete ihr erleichtert zu. »Abbas!«
Der Leibwächter drängte sich an Yara vorbei, um wie ein Soldat vor ihrem Vater stehenzubleiben.
»Du sorgst dafür, dass meine Tochter bis zum Ende bleibt, verstanden?«
»Verstanden, Sir.«
Danach ließ ihr Vater sie stehen und wandte sich einem Politiker zu, der wie ein Hund um ihn herumschwänzelte.
Yara wankte wie in Trance durch die Menge. Sie streifte Gäste, brachte eine Hostess dazu, den Inhalt ihres Tabletts auf den Boden fallen zu lassen und hatte das Gefühl, langsam unter dem verdammten Fetzen ersticken zu müssen. Ihre Atmung wurde flacher, ihr Puls beschleunigte und sie zitterte wie Espenlaub, bis sie das Gefühl hatte, jeden Moment die Kontrolle über ihren Körper zu verlieren. Die Kälte ihres Vaters und dessen Frechheit, über ihr Leben bestimmen zu wollen, hatten ihr vollends den Boden unter den Füßen weggerissen. Sie war doch kein Stück Vieh, das an den Meistbietenden ging! Wie konnte er auch nur in Erwägung ziehen, das Recht zu haben, sie verheiraten zu dürfen? Yara musste sich an einer der Theken abstützen und wurde dank einer reflektierenden Stelle auf deren blankpolierter Oberfläche mit ihrem Antlitz konfrontiert, das unter dem Nikab weder eine Persönlichkeit, einen eigenen Willen noch einen freien, selbstbestimmten Menschen vermuten ließ. Ihr Vater hatte sie zu einem verdammten Objekt degradiert, mit dem er glaubte, machen zu können, was er wollte – allerdings hatte er die Rechnung ohne seine Tochter gemacht!
Yara legte den Fokus auf sich selbst und versuchte sich zu beruhigen, während sie einen Entschluss fasste, der ihrem alten Herrn nicht gefallen würde. Danach straffte sie die Schultern und wollte gehen, als sie Amin unter den Gästen entdeckte, der sich nicht weit von ihr entfernt mit einem Mann unterhielt. Yara fragte sich, ob der Vorsitzende der Al Khana-Front von den Plänen ihres Vaters wusste. Immerhin war sie seine Chef-Sonderermittlerin gegen Biophol, und sie konnte sich nicht vorstellen, dass er sie in dieser Situation einer solchen Herabwürdigung aussetzen würde. Abgesehen davon, brauchte Yara jemanden, an dem sie sich aufgrund der Misere abreagieren konnte, und Amin schien zum richtigen Zeitpunkt aufgetaucht zu sein. Sie bahnte sich einen Weg zu ihm und wollte sich bemerkbar machen, als sich sein Gesprächspartner kurz umwandte, um ein Erfrischungsgetränk vom Tablett einer Hostess zu nehmen. Als Yara den Mann erkannte, konnte sie den Drang abrupt stehenzubleiben im letzten Moment unterdrücken und schlenderte wie selbstverständlich an Ali Haddad vorbei, um einen Meter hinter ihm zu verharren und die beiden zu belauschen. Sie schickte Abbas los, um ihr ein Glas Wasser zu besorgen und konzentrierte sich auf das Gespräch der beiden Männer.
»… ich muss mich noch bei Ihnen für Ihre exzellente Arbeit bedanken«, sagte Amin und tätschelte die Schulter Haddads, der wie ein Ex-Militär wirkte: Breit, kurzer Haarschnitt, rasierte Schläfen, Narben im Gesicht. »Wir sind unserem Ziel so nah wie noch nie. Und das ist unter anderem auch Ihr Verdienst.«
»Ihr Lob ehrt mich«, erwiderte Haddad. »Ich lasse die Männer bis zum Jahreswechsel in zwei Schichten arbeiten. Es bedarf nicht mehr viel, bis die Menschen zu allem bereit sind. Dann liegt es an Ihnen, die Bombe platzen zu lassen.«
»Und das werde ich«, sicherte Amin zu. »Die Al Khana-Front wird sich erkenntlich zeigen, Ali. Wenn der Ausnahmezustand ausgerufen wird und alles vorüber ist, werden wir …« Er verstummte und machte mit einer winkenden Bewegung seiner Hand auf sich aufmerksam. »Malik! Sieh, wer hier ist!«
Yaras Vater verzog den Mund zu einem freundlichen Lächeln, bahnte sich einen Weg durch die Menschen und breitete die Arme aus, um Haddad wie seinen besten Freund zu umarmen. »Ali … es freut mich außerordentlich, dass du meiner Einladung nachgekommen bist, denn ich weiß, dass du viel um die Ohren hast. Ich hoffe, alles läuft nach Plan?«
»Natürlich, Mister Bukhari. Dank Ihrer Unterstützung war es kein Problem, die Maßnahmen durchzuführen. Tekknotron hat sich als hervorragender Schachzug herausgestellt, um die Operation zu verschleiern. Wir …«
Yara wurde von einem Gast angerempelt und hatte Mühe, das Gleichgewicht zu behalten. Abbas stellte das Glas auf dem Tablett einer Hostess ab und wollte ihr zu Hilfe kommen, aber sie befürchtete, dass der Trubel ihren Vater auf sie aufmerksam machen würde, weshalb sie sich einfach umwandte und ziellos in der Menge verschwand. Danach ließ sie sich von den miteinander redenden Gästen wie von einer Welle durchs Auditorium treiben. Ihre Gedanken konnten währenddessen keinen Halt finden und verfingen sich in den finstersten Vorstellungen, die alle auf eine einzige Wahrheit hinausliefen: Ihr Vater kannte Haddad. Was bedeutete, dass er Zak tatsächlich eine Falle gestellt hatte, um ihn von Yara zu trennen – und sie hatte es geschehen lassen! Sie hatte den Vorfall weder hinterfragt noch eigene Ermittlungen angestellt, um Zak aus der Schusslinie zu bringen. Stattdessen hatte sie ihm ihr Vertrauen entzogen und ihn fallenlassen. Gottverdammt! Sie hätte niemals damit gerechnet, dass ihr Vater so weit gehen würde, aber heute hatte er ihr die Augen geöffnet und ihr demonstriert, was er im Grunde für ein Mensch war: kalt und kalkulierend. Er hatte weder ihr Vertrauen noch ihre Hilfe verdient!
Diese Erkenntnis riss sie mit einem Schlag zurück ins Jetzt und ein Verlangen nach Zak machte sich in ihr breit, das sie kaum fassen konnte. Gleichzeitig manifestierte sich eine unglaubliche Wut auf Amin, der scheinbar an dem Komplott beteiligt war. Er schien keinen Deut besser zu sein als die Mitglieder der Regierung oder die Konzerner! Von wegen, ›wir sind die Guten‹. Yara konnte es nicht fassen, dass sie auf das Gerede Amins hereingefallen war. Gab es denn nur noch Schauspieler und Betrüger in ihrem Umfeld? Gott, sie wollte weg von hier. Weg von ihrem patriarchalischen Vater, weg von den machtbesessenen Politikern und den gierigen Konzernern und vor allem weg von all den Täuschern und Lügnern. Zurück zu Zak und dem Drink, den er ihr angeboten hatte – mit allen möglichen Konsequenzen. Die Frage war nur, wie sie von dieser verdammten Gala verschwinden sollte, ohne aufzufliegen?
Yara blieb stehen und sah sich um, bis sie die Wegführung zu den Sanitäranlagen entdeckte. Sie folgte den Symbolen, bis sie die WCs erreichte, Abbas fixierte und den Kopf schief legte.
»Was ist? Willst du mir bis in die Kabine folgen?«
Der Bodyguard wandte verlegen den Blick ab und postierte sich neben dem Eingang zu den Toiletten, während Yara ins Innere stürmte und aufgeregt den Handheld aus der Hosentasche zog.
»Claire?«
»Ja?«
»Ich brauche deine Hilfe!«