Zak fühlte sich schlecht. Er hatte Yara schon wieder belogen. Das Gespräch über den Handheld war nur kurz gewesen, aber die Zeit hatte gereicht, um ihn in ein weiteres Fettnäpfchen treten zu lassen. Er hatte sie tatsächlich gefragt, ob sie ihn noch wollte! Was war nur in ihn gefahren? Seit er sicher war, dass Yaras Vater ihm eine Falle gestellt hatte, fragte er sich ständig, wie sich ihre Beziehung entwickelt hätte, wenn Malik Bukhari sich nicht eingemischt hätte. Dass der Kerl bereit war, für eine erzwungene Trennung Zaks Existenz zu zerstören, rückte dessen Motivation in ein ganz besonderes Licht, aber das tat nichts mehr zur Sache. Die Frage war, warum Yara Zak hatte fallenlassen, ohne ihm einen gewissen Vertrauensvorschuss einzuräumen. Immerhin hatten sie sechs wahnsinnig gute Monate miteinander verbracht, und er durfte sich durch deren Echos und einer möglichen Hoffnung, daran anzuknüpfen, nicht beeinträchtigen lassen. Nicht, wenn Biancas Leben davon abhängen könnte, Yara aufzugeben. Der Gedanke, sich irgendwann zwischen den beiden entscheiden zu müssen,
ließ ihm keine Ruhe und hielt ihm ständig vor Augen, was auf dem Spiel stand.
Zak musste sich zwingen, seinen Fokus auf ein weiteres dringendes Problem zu lenken. Brannagh hatte ihm Koordinaten mitgeteilt, an deren Position er Brechers Hauptquartier vermutete. Nun lag es an Zak, seine Schwester zu finden und zu befreien. Denn erst wenn er Bianca in Sicherheit gebracht hatte, würde er Yara den Rücken freihalten können. Seine Schwester war der Schlüssel zur Lösung des Dilemmas, und er hatte vor, alles zu tun, um sie aus der Gewalt Brechers zu befreien.
Zak ging zügig durch den Schnee und hielt auf die Tiefgarage zu, in deren Nähe er vor fast zwei Stunden den BMW abgestellt hatte. Nachdem Berishas Handlanger ihn zusammen mit Brannagh durch den Tunnel nach draußen gebracht hatten, hatten sie ihn – entgegen seinen Befürchtungen – gehenlassen. Shenmi hatte ihn an seine Schuld erinnert, den Öko in einen Van geworfen und war in einer Wolke aus aufgewirbeltem Schnee verschwunden. Zak hatte aufgeatmet und sich auf den Weg zu seinem Wagen gemacht, bis Yara ihn angerufen hatte. Danach hatten sich seine Gedanken ausschließlich um sie und ihre gemeinsame Vergangenheit gedreht, wie eine Endlosschleife, die nie zu einem Ende kommen konnte.
Das Schneetreiben hatte zugenommen. Der Wind fuhr ihm unter die Jacke und ließ ihn frösteln, während er auf die Tiefgarage zuhielt und sich hin und wieder unauffällig umsah. Von Brechers Leuten war nichts zu sehen, aber Zak wollte kein Risiko eingehen und näherte sich seinem Wagen in einem Zickzackkurs an, der ihn mehrmals die Straße überqueren ließ. Danach verharrte er im Schatten eines Lkw und suchte aufmerksam die Gegend um den BMW ab, bevor er sich auf den Weg machte. Er näherte
sich dem Wagen von hinten, wechselte auf den verschneiten Gehsteig und öffnete die Fahrertür mit seinem Handheld, als sich ihm ein vermummter Mann in den Weg stellte. Zak hatte ihn aufgrund des Schneetarnmusters seines Overalls erst im letzten Moment wahrgenommen und blieb fluchend stehen. Danach erklang eine wütend klingende Stimme hinter ihm, die er nur zu gut kannte.
»Wo zur Hölle waren Sie, Mokai?«
»Werden Sie von Ihren Leuten nicht auf dem Laufenden gehalten?« Er wandte sich langsam um und erwiderte Brechers stechenden Blick.
»Sie haben Sie abgehängt!«
»Wenn es so gewesen wäre«, stellte Zak trocken fest, »haben sie sich abhängen lassen.«
»Reizen Sie mich nicht!«, warnte Brecher wütend. »Ich würde Ihnen am liebsten einen Sender ins Herz setzen, Mokai. Direkt in die verdammte Kammer«, er tippte auf die Stelle an Zaks Jacke, unter der sich sein wertvollstes Organ befand, »aber damit würden Sie nicht mehr in die Nähe Bukharis kommen, nicht wahr? Sie verdammter Penner!« Er hob mahnend den Zeigefinger. »Ich fürchte, ich muss Sie ein letztes Mal daran erinnern, dass ich Ihre Schwester innerhalb von Minuten verschwinden lassen kann …«
Zak unterdrückte den Drang, Brecher die Zähne auszuschlagen, während er unbekümmert fortfuhr und Zaks Wut mit jedem Wort stieg.
»… alles, was es dazu bedarf, ist die Reduzierung ihrer Körpertemperatur um drei verdammte Grad. Danach beginnt der Chip in ihrem Stammhirn zu arbeiten. Sie wird in eines der Labore gebracht, wo man sie bis auf ihren Bewegungsapparat und ein paar Muskelstränge au
sschlachten wird. Organe, Haut, Haare, Brüste, Fett.« Er imitierte mit zwei Fingern eine Schere, die er zweimal zuschnappen ließ. Die Bewegungen ließen Zak zusammenzucken.
»Nach dem Prozess wird sie in einen Overall gesteckt und bekommt zwei Strichcodes, die einer anonymen Nummer zugeordnet werden. Sie wird eine unter Tausenden sein, und Sie werden sie nie wiedersehen.« Er ließ die Worte für einen Moment wirken, dann fuhr er fort. »Wenn Sie mich noch einmal anschmieren, werde ich meine Leute über Ihre Schwester herfallen lassen, bevor sie in einen verdammten Zombie verwandelt wird, kapiert?«
Zaks Lid begann zu zucken, während sein Kopf vor Wut zu zerbersten drohte. Brecher machte derweilen einen Schritt auf ihn zu.
»Ob Sie das verstanden haben!«
»Hab ich.«
»Ausgezeichnet!« Er schlug ihm vor die Brust. »Und jetzt machen Sie, dass Sie zurück zu Ihrer Araberschlampe kommen! Wenn Sie es schaffen, bis zum Ende des Untersuchungsausschusses ein braves Hündchen zu sein, bekommen Sie Ihre Schwester vielleicht in einem Stück zurück. Wenn nicht …« Er bildete erneut eine Schere und ließ diese mit einem schmatzenden Geräusch zusammenklappen. »Und jetzt gehen Sie mir verdammt noch mal aus den Augen!«
Zak ignorierte den Kerl, ging zum Wagen und stieg ein, während sich im Hintergrund mehrere Männer in Schneetarnanzügen aus ihren Verstecken lösten. Danach startete er den Motor und fuhr los. Er wartete, bis sein Puls langsam runterkam und er sich wieder einigermaßen im Griff hatte, bevor er auf einen öffentlichen Parkplatz fuhr,
um seinem Ärger freien Lauf zu lassen. Über ihm schwebten mittlerweile zwei Überwachungsdrohnen, die ihm wie Spürhunde folgten.
Zak hämmerte wie ein Berserker auf das Lenkrad, bis das Plastik Sprünge bekam und er fluchend davon abließ. So ein Dreck! Er hatte große Lust, dem Kerl einen unschönen Abgang zu bereiten – aber dann wären seine Schwester und vielleicht sogar Yara verloren! Zak fühlte sich wie in einen Schraubstock gezwängt, aus dem es kein Entkommen gab. Brecher hatte ihn am Wickel und konnte ihm das Genick brechen, wann immer er wollte. Zaks Hoffnung lag auf den verdammten Koordinaten, die er von Brannagh bekommen hatte. Allerdings musste er seine Verfolger erneut loswerden – und ohne Hilfe würde ihm das nicht gelingen. Er biss knurrend die Zähne zusammen, aktivierte den Handheld und wählte Tillys Nummer. Anschließend atmete er ein letztes Mal aus und hoffte, dass die Konzernbrigadistin mitspielen würde, ohne sich zu verplappern.
»Tilly?«
»Chief. Ich wollte Sie …«
»Haben Sie das Medikament bei sich? Sie wissen schon. Über das wir gesprochen haben, als ich bei Ihnen im Krankenhaus war.«
»Ich bin mir nicht sicher …« Sie zögerte. »Ja?«
»Könnten Sie es mir bitte ins Apartment bringen? Mein Schädel ist kurz davor, zu explodieren.«
»Natürlich, Chief.« Tilly hatte nicht lange gebraucht, um die Lage zu durchschauen. »Wann würde es Ihnen passen?«
»Am besten sofort. Ich fürchte, ich muss mich für ein paar Stunden erholen, bevor ich wieder für Bukhari tätig sein kann.
«
»Alles klar. Ich mach mich sofort auf den Weg. Bis dann.«
»Danke für Ihre Hilfe, Tilly.«
»Keine Ursache«, erwiderte die Konzernbrigadistin entschlossen. »Sie haben sich meine Loyalität mehr als einmal verdient. Bis gleich.«
Zak trennte die Verbindung und fuhr zu einem Dönerladen, der auf dem Weg zu seinem Apartment lag. Der Shop-Betreiber war dafür bekannt, neben hervorragenden Dönern auch technisches Equipment zu verkaufen, das gerne im halblegalen Bereich benutzt wurde. Zak verstaute die beiden in Dönerpapier gewickelten Päckchen unter der Jacke und fuhr zu seinem Apartment. Anschließend legte er seinen Einsatzanzug sowie den Schutzpanzer an, zog einen schwarzen Mantel darüber und wartete auf Tilly, die zwanzig Minuten später bei ihm eintraf.
Es war fast 19 Uhr. Zak erläuterte ihr seinen Plan, entließ sie ins Treppenhaus und hielt eines der gekauften Geräte über sein Handgelenk, um die Signatur seiner ID zu kopieren. Anschließend transferierte er diese in den illegalen Phony,
der den üblichen Überwachungseinheiten suggerierte, Zak würde sich im Apartment aufhalten, während er gleichzeitig seine ID mithilfe einer Routine Claires – die ähnlich des Programms in seinem Handheld arbeitete – verschleierte.
Er legte das Holster samt Waffe an, schlich aus dem Apartment und fuhr mit dem Lift in die Tiefgarage. Bevor er die Kabine verließ, zog er die Kapuze des Mantels tief ins Gesicht, um eine Sekunde später durch die Reihen der geparkten Wagen zu schlendern. Er entdeckte drei Typen, die am Haupteingang herumlungerten, weshalb er den Komplex über einen Seiteneingang verließ und eine enge Gasse betrat, der er folgte, bis er eine Querstraße
erreichte. Es war verdammt kalt. Der Wind zerrte an seinem Mantel, als er durch den fast knietiefen Schnee stapfte. Er passierte drei Wohnblöcke und sah sich aufmerksam um, bevor er in eine Nebenstraße ging und nach Tillys Wagen Ausschau hielt. Sie hatte den alten Ford Ranger hinter einer Bushaltestelle geparkt. Zak sah sich ein letztes Mal um, ließ seinen Blick über die Gebäude, den dunklen Himmel und die anderen Fahrzeuge gleiten und stieg ein. Tilly trug ebenfalls ihren Einsatzanzug.
»Chief …« Sie ließ den Wagen an. »Wo soll’s hingehen?«
Zak gab Brannaghs Koordinaten ins Navi ein und tippte auf den roten Punkt, der über einem größeren Gebäude im benachbarten Sektor aufleuchtete.
»Denken Sie, Ihre Schwester wird dort gefangengehalten?«
»Das hoffe ich«, erwiderte er angespannt. »Haben Sie Gruber verfolgt?«
»Ja. Ich hab ihm einen Sender untergejubelt.« Sie wechselte das Display des Ford und tippte mit dem Finger auf eine blinkende gelben Raute, die sich im Moment in einem anderen Sektor aufhielt. Anschließend schaltete sie wieder zu dem vorhergehenden Schirm. »Er scheint tatsächlich für den Mann zu arbeiten, den Sie bei Ihrem Besuch im Krankenhaus erwähnt hatten.«
»Brecher?«
Sie nickte. »Ich bin ihm zu fünf gesicherten Einrichtungen gefolgt und hab den Kerl zweimal in seiner Gegenwart gesehen.« Sie wartete, bis die Ampel auf Grün schaltete und bog ab. »Denken Sie, Gruber weiß, wo Bianca versteckt wird?«
»Möglich«, erwiderte er nachdenklich. »Aber wenn wir Glück haben, befindet sie sich genau hier.« Er tippte
erneut auf den roten Punkt, der auf dem Display angezeigt wurde. »Gott, ich hoffe wirklich, dass sie dort ist …«
Tilly nickte zustimmend und fuhr auf eine gut befahrene Hauptstraße, deren Asphalt frei von Schnee war. Sie erhöhte das Tempo und mischte sich unter den Verkehr, während Zak sich nervös umsah und hin und wieder den Rückspiegel verstellte, um einen besseren Überblick zu bekommen.
Tilly beobachtete ihn, verzichtete aber darauf, sein Verhalten zu kommentieren.
»Fragen Sie ruhig …«
»Wenn Brecher wirklich über all die von Ihnen erwähnten Ressourcen verfügt …«
»Ja?«
»… wäre es dann nicht besser, Yara Bukhari reinen Wein einzuschenken? Mit ihrer Unterstützung könnten Sie viel mehr ausrichten, richtig?«
»Korrekt«, erwiderte er zerknirscht. »Aber es ist nicht so einfach, Tilly. Solange Brecher meine Schwester in seiner Gewalt hat, ist auch Yara nicht sicher.«
»Aber warum sagen Sie ihr nicht, was Sache ist?«
»Sie würde überreagieren«, entgegnete Zak knapp. »Und damit das Leben Biancas gefährden. Yara sieht sich als eine von den Guten. Schon immer. Sie würde nicht auf mich hören und mein Problem auf ihre Art lösen wollen. Aber das würde meine Schwester nicht überleben, denn Brecher scheint ein Teil des Systems zu sein, das Yara für ihren Befreiungsversuch nutzen würde.«
»Sie scheinen Ms. Bukhari nicht allzu viel zuzutrauen, Chief.«
»Was?« Zak starrte sie überrascht an, während sie erneut abbog und fast in eine Straßensperre gefahren wäre. In vielleicht fünfzig Metern Entfernung lieferten sich die
Cops eine Schlacht mit Aufständischen. Zak konnte viele Brandherde entdecken, die durch Molotowcocktails entstanden sein mussten. Die Menge warf Steine sowie Flaschen und zündete Feuerwerkskörper, während die Wasserwerfer der Panzerfahrzeuge sie wie Ameisen von den mobilen Barrieren fegten. Über dem Geschehen hatten sich bereits Überwachungsdrohnen in Stellung gebracht.
Zak fluchte und zeigte in eine Querstraße, worauf Tilly nach rechts ausbrach und das Tempo erhöhte. Sie mussten drei weiteren Straßensperren ausweichen, bis sie endlich den Zielsektor erreichten. Die angespannte Stimmung auf den Straßen war deutlich zu spüren und auch zu sehen: Die meisten Gehsteige dieses Areals waren wie leergefegt. Die Menschen zogen es vor, in ihren vier Wänden zu bleiben, während die gewaltbereiten Bürger auf die Straßen gingen, um die Auseinandersetzung mit den Cops zu suchen. Allerdings fanden diese meist an den bekannten Plätzen statt.
Zak blieb nicht mehr viel Zeit, um sein Dilemma zu lösen. Sobald der Untersuchungsausschuss beendet war, würde Brecher Bianca verschwinden lassen und seine Häscher auf Zak ansetzen. Vielleicht auch auf Yara, obwohl Zak vermutete, dass der Einfluss Ihres Vaters sie vor dem Kerl schützen würde – aber sicher war er sich dessen nicht. Die Situation war wirklich zermürbend, und es kostete ihn einiges an Kraft, seine Gedanken zu fokussieren.
Tilly folgte einer Unterführung, bog ein weiteres Mal ab und fuhr eine breite Straße entlang, die sie nach drei Kilometern verließ, um sich dem Zentrum von Sektor-33 zu nähern. Die hohen Gebäude wirkten wie dunkle Wächter, die von unzähligen Lichtern durchsetzt waren. Das
Gewirr aus Stahl, Beton und Kabeln erstreckte sich in alle Richtungen und sah aus wie ein Bollwerk gegen alles und jeden. Nach einigen Minuten parkte Tilly in der Nähe des Hauptbahnhofs und starrte Zak verwirrt an. Er hatte gedacht, das fragliche Gebäude würde sich neben des mit Menschen bevölkerten Bahnhofs befinden, aber anscheinend lagen die Zielkoordinaten genau in
ihm.
»Sind Sie sicher, dass die Koordinaten richtig sind?« Tilly starrte ihn fragend an, während erste Panzerwagen der Bundespolizei vorfuhren und an den äußeren Rändern des Bahnhofsplatzes Stellung bezogen. Auf dem weitläufigen Gelände hatten sich um die zweihundert Menschen eingefunden, die von Predigern aufgehetzt wurden. Das Areal würde schon bald abgeriegelt werden, was bedeutete, dass sie sich beeilen mussten.
Zak rief einen virtuellen Plan des Sektors auf und legte ihn auf das Display des Fords. Anschließend wechselte er die Ansichten, bis er mithilfe von Tillys Berechtigungscodes eine fand, die auch die Infrastruktur unter der Erde enthielt. Diese stellte U-Bahntunnel, S-Bahnstrecken und die Verbindungen der Züge dar. Außerdem waren Kraftwerke, Generatoren und eine Art Tunnelsystem enthalten, das sich um ein riesiges, ausgeblendetes Areal zu erstrecken schien. Das Ganze sah aus wie ein Loch in der Karte, das jemand einfach wegradiert hatte. Zak fertigte einen Screenshot an und sendete diesen zusammen mit den Koordinaten an Claire mit der Bitte um eine Analyse. Die Antwort der Datenspezialistin ließ nicht lange auf sich warten. Sie schien wirklich rund um die Uhr online zu sein. Zak legte den Finger demonstrativ über die Lippen und sah Tilly warnend an, bevor Claire loslegte.
»Das Areal unter dem Bahnhof besteht aus einem alten Bunkersystem, das während des Zweiten Weltkriegs
erbaut wurde«, erläuterte sie mit ihrer sexy Stimme, »es ist fast hundertundsechzig Jahre alt. Der Bahnhof entstand erst nach dem Blackout und dem darauffolgenden Bürgerkrieg in den Zweitausendreißigern. Da die Umrisse der Struktur vollständig aus der virtuellen Darstellung getilgt und eine extrem starke Firewall installiert wurde, gehe ich vom Projekt einer entsprechend hohen Instanz aus.«
»Die Regierung?«
»Möglich«, erwiderte Claire knapp, um eine Sekunde später nachzuhaken. »Was genau hat dieser Komplex mit unserem Fall zu tun, Zak? Diese Koordinaten liegen von allen Berührungspunkten, die wir bis jetzt hatten, weit entfernt und ich kann beim besten Willen keine Zusammenhänge erkennen.«
»Brannagh hat ihn erwähnt«, bemerkte er vorsichtig. »Deshalb wollte ich mir selbst ein Bild machen.«
»Soll ich Yara informieren?«
»Das ist nicht nötig«, winkte er ab. »Ich befinde mich bereits vor dem Gebäude.«
»Ich weiß«, stellte sie klar. »Willst du wirklich alleine reingehen? Was ist, wenn du …«
»Uns läuft die Zeit davon, richtig?«
»Ja, aber …«
»Kein Aber«,
blockte er. »Ich bin hier und ich geh rein. Hättest du eventuell eine Kopie des Trojaners, den wir in das System des Konzerns geschleust haben? Vielleicht kann ich ihn platzieren, und du könntest mich dort unten unterstützen.«
Sie schien zu überlegen, ob sie seinem Wunsch nachkommen sollte oder nicht. »Ich transferiere ihn in deine ID.«
»Wie bekomme ich ihn ins System?«
»Ich hab den Code modifiziert«, erklärte sie stolz. »
Sobald du dich einem entsprechend starken Knoten des Systems näherst, wird er sich selbständig ins Netz kopieren und mit der Infiltration beginnen.«
»Du bist wirklich ein Genie«, lobte Zak. »Danke für deine Hilfe.«
»Gern geschehen.« Sie hörte sich trotz des Lobs zerknirscht an. »Aber es gefällt mir nicht, dass du Yara aus deinen Unternehmungen ausschließt.«
»Wie meinst du das?«
»Nun, du sitzt in einem Ford Ranger, der auf eine Britt Tilly zugelassen ist. Den Koordinaten ihrer ID zufolge befindet sie sich neben dir. Du willst Yara nicht dabei haben und verzichtest auf Verstärkung. Was denkst du denn, was ich davon halten soll?«
»Hast du eine Drohne geschickt?«
»Ich hab eine in deiner Nähe gekapert, sorry.«
Zak verzog den Mund zu einem Schmunzeln, während Tilly skeptisch den Himmel absuchte. »Du bist wirklich verdammt gut, Claire, und ich bin froh, dich auf unserer Seite zu haben.«
»Unserer
Seite?«
»Na schön, auf meiner
Seite«, gab er zu. »Ich kann Yara nicht einweihen. Sie würde es nicht verstehen.«
»Was ist mit mir?«,
hakte die Datenspezialistin nach. »Ich würde gerne wissen, auf was ich mich einlasse.«
»Ich weiß nicht, was mich dort unten erwarten wird«, wich er aus. »Deshalb kann ich dir diese Frage nicht beantworten. Ich werde versuchen, den Trojaner zu platzieren. Dann kannst du dir einen Überblick verschaffen und selbst entscheiden, okay?«
»Das werde ich«, erwiderte Claire vorsichtig. »Und ich werde kein Risiko eingehen, verstanden? Sobald meine Sicherheit gefährdet wird, bist du auf dich alleine gestellt.
«
»Natürlich«, sagte Zak. »Ich geh jetzt rein.«
Er trennte den Kanal und synchronisierte sein Funkgerät mit Tillys. »Ich weiß nicht, ob ich Claire draußenhalten kann. Aber einen Versuch ist es wert.«
»Verstanden, Chief«, erwiderte die Konzernbrigadistin. »Ich frag lieber nicht, was Sie mit Claire
zu schaffen haben.«
»Danke, Tilly.«
»Wie gehen wir rein?«
»Einer der Wartungsschächte unter dem Gleisbett scheint tief genug angelegt worden zu sein. Dessen Ende verschwimmt mit der Struktur darunter. Einen andern Weg sehe ich im Moment nicht.«
Zak stieg aus und wartete, bis Tilly ihm folgte. Anschließend gingen sie mit tief in ihre Gesichter gezogenen Kapuzen vorsichtig durch die tobende Menge, die nach wie vor von den Predigern aufgeheizt wurde. Bevor sie den Haupteingang erreichten, flogen bereits erste Steine und Flaschen in Richtung der Cops, die dabei waren, den Platz abzuriegeln und die Aufrührer in die Zange zu nehmen.
Zak und Tilly liefen derweilen die Stufen empor und drängten sich an vielen verunsicherten Fahrgästen vorbei, die nicht wussten, was sie in Anbetracht der drohenden Eskalation machen sollten. Zak kämpfte sich durch eine der Türen, senkte den Kopf, als er den Cops auswich und ging zu einem der Ticketautomaten. Dann wandte er sich an Tilly.
»Würden Sie bitte zwei Tickets kaufen?«
»Wohin?« Sie warf ihm einen fragenden Blick zu, den er mit einem gleichgültigen Achselzucken beantwortete.
»Das macht keinen Unterschied.«
Tilly entsprach Zaks Wunsch und erstand zwei Tickets
nach Leipzig. Danach gingen sie zu den Barrieren im Bahnhof und ließen diese entwerten, um in den inneren Bereich zu kommen. Zak folgte einer breiten Treppe nach unten und hielt auf Gleis 9 zu, das sich auf der linken Seite des Komplexes befand. Nachdem sie den Bahnsteig erreicht hatten, ging Zak mit Tilly bis zum Anfang des folgenden Tunnels, sah sich ein letztes Mal um und betrat die Röhre über einen schmalen Wartungssteg. Die nächste Bahn würde in wenigen Minuten einrollen. Zak erhöhte das Tempo, zog eine Taschenlampe aus einer Hosentasche und beleuchtete die Gleise, bis er die verschlossene Luke mitten im Gleisbett entdeckte. Er ließ sich nach unten, stieg vorsichtig über die mit Starkstrom belegten Schienen und ging vor dem Einstieg in die Hocke. Es handelte sich um ein altes Schloss, das keine Impulse an eine übergeordnete Instanz senden würde. Zak versuchte, es mit einem Universalwerkzeug aufzubrechen, aber es erwies sich widerstandsfähiger als angenommen.
»Wir sollten uns beeilen«, stellte Tilly nervös fest. »Ich kann die Vibrationen der S-Bahn bereits spüren.«
Zak verstärkte die Anstrengungen, aber das verdammte Ding wollte einfach nicht nachgeben. Als ein Lichtschein die Dunkelheit vertrieb, holte Tilly einen kleinen Schneidbrenner aus ihrer Koppel, legte eine Gaskartusche ein und unterstützte Zak. Das metallene Ende des Riegels übertrug die Hitze in seine Finger, aber er biss die Zähne zusammen und setzte knurrend sein Körpergewicht ein. Einen Augenblick später erfassten ihn die gleißenden Scheinwerfer des Triebwagens, die ihm das Wasser in die Augen trieben.
»Schneller!« Tilly brachte den Brenner näher an die Verriegelung, worauf Zaks Finger zu schwelen begannen.
Er fluchte und zerrte an der Verankerung, bis sie endlich brach und er die Luke aufriss.
»Rein mit Ihnen!«
Tilly ließ den Schneidbrenner fallen und kletterte fluchend in den Schacht, während der Triebwagen immer näher kam. Zak folgte ihr im letzten Moment, zog die Klappe über sich zu und klammerte sich an eine Sprosse der verrosteten Leiter, die nach unten in die Dunkelheit führte.
Der Abstieg dauerte fast zwanzig Minuten. Sie passierten mehrere abzweigende Tunnel, die zu entsprechenden Wartungsknoten unterhalb des Gleisbetts führten, aber ihr Ziel befand sich viel tiefer unter der Anlage, weshalb sie die Kreuzungen ignorierten und weiter abstiegen. Zak konnte den Boden des Schachts erst während der letzten Meter erahnen. Einige Minuten später setzte er seine Stiefel auf den knirschenden Untergrund aus altem Beton und sah sich aufmerksam um. Der Strahl seiner Taschenlampe fand ein oberarmdickes Rohr, an dessen Ende ein vergitterter Kopf aufgesetzt war, der eine Art Sieb enthielt. Zak konnte den Luftzug spüren, der das Resultat einer modernen Entlüftungsanlage zu sein schien. Außerdem war es erstaunlich warm, was auf Generatoren hindeutete, die nicht weit von ihm entfernt arbeiteten.
»Und jetzt?«
»Jetzt müssen wir einen Weg hinein finden … hören Sie das?« Er bedeutete Tilly mit der Hand, leise zu sein, kniete sich hin und presste das Ohr auf den aufgewärmten Boden. »Dort unten scheint reger Betrieb zu herrschen.«
Zak stand auf und folgte dem Schacht einige Meter in die Dunkelheit, bis er eine alte gepanzerte Luke fand. Eine Kamera schien es nicht zu geben. Allerdings handelte es sich dieses Mal um ein vernetztes Schloss, das up to date
war. Wenn Zak es aufbrechen würde, würde das System die übergeordnete Kontrollinstanz informieren, ergo blieb ihm nichts anderes übrig, als ein technisches Problem vorzutäuschen, um ein Wartungsteam zur Luke zu locken.
Er stemmte den Kontrollblock mit dem Universalwerkzeug auf und steckte mit Claires Hilfe einige der Platinen um, bis dem übergeordneten System ein Öffnen der Luke suggeriert wurde und das Display des Schlosses von einem grünen Signallicht erfüllt wurde. Anschließend zog er sich mit Tilly in die Schatten zurück und hoffte, dass sein Bluff genug Aufmerksamkeit auf sich ziehen würde, um ein Wartungsteam zu aktivieren.
Zehn Minuten später näherten sich dumpfe Schritte hinter der Luke, die von Zaks Position aus kaum zu hören waren. Dann erklang Gemurmel, und der Eingang wurde geöffnet. Als Zak den Lauf einer Maschinenpistole erkannte, begann er innerlich zu fluchen und machte sich bereit für die unvermeidliche Auseinandersetzung. Aber bevor er reagieren konnte, zwängte sich Tilly an ihm vorbei. Kurz darauf knisterte etwas in ihrer Hand und Zak konnte einen blauen Blitz sehen, den sie dem Kerl mit der MP gegen den ungeschützten Hals presste. Der Mann begann zu zittern und stürzte rückwärts durch die Luke, wo aufgeregte Stimmen zu hören waren. Zak zog die Pistole aus dem Holster und stürmte mit vorgehaltener Waffe durch die Öffnung. Dahinter befanden sich zwei Techniker in entsprechenden Overalls, die erschrocken die Hände hochrissen und sich ergaben. Zak hielt sich die Hand vors Gesicht und befahl ihnen, sich umzudrehen. Anschließend setzte Tilly die Frau und den Mann mit dem Elektroschocker außer Gefecht. Die Körper fielen zuckend auf den Boden. Während die Konzernbrigadistin der Frau den Overall auszog und deren Berechtigungscodes
mithilfe eines von Claires kleinen Helferlein stahl, tat Zak dasselbe mit dem wuchtigen Kampfpanzer des Ex-Militärs und nahm ihm die Maschinenpistole ab. Nachdem er diesen angelegt und dem Mann die Codes gestohlen hatte, fesselte er die Bewusstlosen mit Plastikbändern. Danach klappte er das Visier des Helms herunter und folgte dem Korridor bis zu einem Schott, das dank der Codes zischend aufglitt. Zak lugte um die Ecke, betrat den Steg und atmete scharf aus. Er befand sich einige Meter unter der Betondecke, an der ein gigantisches Beleuchtungssystem mit riesigen Scheinwerfern installiert worden war, die in magnetischen Verankerungen hingen, um über ein Kontrollsystem schnell ausgewechselt werden zu können. Zak ging zum Geländer und blickte auf ein Areal herab, das den Dimensionen eines Fußballfeldes entsprach. Anscheinend hatte die Regierung den Bereich der alten Bunkeranlage nach unten erweitert und eine Struktur erschaffen, die sich über zehn Ebenen zu erstrecken schien. Zak sah miteinander vernetzte Container, Gebäude aus Leichtbaumaterialien, die an militärische Lazarette, Labore und Mannschaftseinheiten erinnerten und eine Menge technisches Equipment enthielten, das überall installiert worden war. Die Strukturen verengten sich wie eine umgedrehte Pyramide nach unten, wo sich am Boden ein zehn mal zehn Meter großes Becken befand, dessen Tiefe nicht abzuschätzen war. Aus dem grünlich schimmernden Wasser ragten unzählige Kabel, Schläuche und flexible Rohrverbindungen, die sich in alle Richtungen über die Ränder des Pools hinauszogen und die unterschiedlichsten Knotenpunkte der Struktur miteinander verbanden. Tief im Wasser war ein schwarzer kugelförmiger Umriss zu erahnen, der in unregelmäßigen Abständen an den verschiedensten Stellen zu pulsieren
schien. Die netzartigen Strukturen leuchteten hell auf, um einen Moment später wie eine heruntergedimmte Lampe zu verschwinden und an anderer Stelle in einem neuen Muster wieder aufzuflammen. Zak konnte unzählige Menschen in Laboroveralls sehen, die wie Bienen zwischen den Konsolen umherschwirrten und die Anlagen überwachten. Die Security war allgegenwärtig, die Stimmung fast andächtig. In vier Bereichen der wabenartigen Strukturen hingen eine Menge Bioneers wie Zinnsoldaten aufgereiht an Trägersystemen. Die gesichtslosen weißen Overalls mit den beiden kreuzförmig angeordneten Strichcodes waren nicht zu übersehen. Zak stockte der Atem, als er die Prototypen musterte.
»Was ist das?«
»Ich hab keine Ahnung«, antwortete er nachdenklich. »Ich geh runter.« Dann warf er Tilly einen skeptischen Blick zu. »Sie sollten hier oben bleiben. Ich …«
»Ich lass Sie nicht im Stich, Chief.«
»Sie schulden mir nichts, Tilly, und ich will Sie nicht in Gefahr bringen. Ich …«
»Ich werde mich auf keinen Fall hier oben verstecken, während Sie dort unten den Helden spielen!«, hielt sie aufgebracht dagegen und zeigte auf das Becken. »Lassen Sie mich Ihnen helfen, Chief. Quid pro quo
, okay?«
Zak gab zerknirscht nach, obwohl er ein verdammt schlechtes Gefühl bei der Sache hatte. Diese Anlage war zu riesig, als dass es sich um ein einfaches Labor handeln konnte. Außerdem deutete die Verschleierung des Komplexes daraufhin, dass hier etwas außerordentlich Wichtiges vonstattenging. Etwas, das vor der Bevölkerung verheimlicht werden sollte.
Während er dem Steg, der ähnlich einer Galerie über der eigentlichen Konstruktion angebracht worden war,
folgte, zerbrach er sich den Kopf, wie er herausfinden konnte, ob Bianca wirklich in diesem Komplex festgehalten wurde. Auf der anderen Seite schien es ebenfalls wichtig zu sein, Claires Trojaner zu platzieren. Nur die Datenspezialistin würde sich einen entsprechenden Überblick verschaffen und herausfinden können, wozu diese Strukturen unter der Erde angelegt worden waren. Abgesehen davon, würde Claire Bianca schneller finden können als Zak, weshalb es unerlässlich zu sein schien, den Trojaner ins System zu schleusen.
Er folgte der Metallkonstruktion bis zu einer Treppe, die ihn eine Ebene tiefer brachte. Anschließend ging er wie selbstverständlich durch eine Gruppe Techniker, nickte einem der überall patrouillierenden Söldner zu und arbeitete sich einen weiteren Level nach unten. Je tiefer er kam, desto mehr Wissenschaftler, Laborratten und Manager kreuzten seinen Weg. Aber niemand nahm Notiz von ihm oder Tilly, während sie sich die Anlage aus der Nähe ansahen. Als sie einen der Bereiche passierten, wo die Prototypen hingen, lief Zak ein kalter Schauer über den Rücken. Die leblosen Körper bewegten sich kein bisschen. Sie wirkten wie ausgestopfte Puppen, die darauf warteten, aktiviert zu werden. Arbeiter auf Knopfdruck. Eine verstörende Vorstellung. Und doch schien die Aussicht auf ein besseres Leben genug Menschen überzeugt zu haben, einen Harvest-Vertrag zu unterzeichnen. Für Zak ein unmöglicher Gedanke. Allerdings hatte er noch nie Hunger leiden oder seiner Familie dabei zusehen müssen und deshalb kein Recht dazu, andere für ihre Entscheidungen zu verurteilen. Genauso wenig wie Yara, die das Wort ›Hunger‹ vermutlich nicht mal buchstabieren konnte. Zak ertappte sich dabei, infrage zu stellen, ober er wirklich das Recht hatte, gegen das Harvest-
Programm vorzugehen und die Hoffnungen der Menschen in den Downers auf ein besseres Leben zu zerstören. Vielleicht hatte er die Sache falsch eingeschätzt und den Kardinalfehler begangen, von sich auf alle anderen zu schließen?
Zak verwarf die Zweifel und konzentrierte sich wieder auf seine bevorstehende Aufgabe. Er ging zu einem Geländer, stützte sich darauf ab und ließ seinen Blick über die Ebene und die darunter liegenden schweifen, bis er einen riesigen Zylinder ausmachte, der nach einer Art überdimensioniertem Router aussah. Das Ding war ganze vier Meter hoch und mit unzähligen Kabeln bestückt, die aus allen möglichen Kanälen ragten, um in dem Turm aus Technik zusammenzulaufen. Vor dem Verteiler war eine Steuerkonsole angebracht worden. Da Zak keine Ahnung von all den Geräten hatte, wählte er diese Konsole, um sein Glück zu versuchen.
Er ging zu einer weiteren Treppe, folgte dieser nach unten und hielt direkt auf den Zylinder zu. Als er an einem Geländer entlangging, fiel sein Blick erneut in das Becken, das sich nur noch fünfzehn Meter unter ihm befand. Der riesige Schatten im Wasser pulsierte nach wie vor und schickte die Impulse über Kabel, Schläuche und Verbindungen in alle Richtungen des Komplexes. Zak zwang sich, das Schauspiel zu ignorieren und hielt auf sein Ziel zu, als er wie aus dem Nichts angerempelt wurde.
»Passen Sie auf, wo Sie hintreten, Mann!«, erklang eine Stimme, die Zak kannte. Brecher starrte ihn wütend an, während seine Begleiter sich um Zak und Tilly postierten.
»Entschuldigung, Sir«, erwiderte Zak ruhig und senkte demütig den Kopf. »Wird nicht wieder vorkommen.«
Brecher bedachte ihn mit einem verächtlichen Blick und rammte ihn zur Seite, um mit seinem Gefolge zum
Geländer zu gehen und nach unten ins Becken zu deuten, während er unablässig auf sie einredete.
Zak atmete erleichtert auf und dankte seinem Schöpfer für das abgedunkelte Visier des Helms, das ihn vor einer Menge Ärger gerettet hatte. Danach ging er zur Konsole des Zylinders und aktivierte deren Display, um eine Sekunde später sein Handgelenk vor die biometrische Einheit des Sicherheitspanels zu halten, die im Grunde einen Retina-Scan erwartete. Zaks Haut begann zu kribbeln. Kurz darauf flackerte das Display auf, und das System der Konsole wurde neu gestartet. Claires Trojaner schien sich wie angekündigt in den Knoten kopiert zu haben. Zak wollte Tilly über den Erfolg ihrer Bemühungen ins Bild setzen und eine Verbindung zur Datenspezialistin aufbauen lassen, als ein lautes Alarmsignal erklang. Die Menschen auf der Plattform zuckten erschrocken zusammen und sahen sich verwirrt um. Es dauerte nicht lange, bis Brechers Blick auf Zak fiel. Im Gegensatz zu den anderen stand er nur da und musste wie ein Pfau unter all den aufgeschreckten Hühnern herausstechen.
»Verschwinden Sie, Tilly!«
»Was? Nein, ich …«
»Machen Sie, dass Sie hier rauskommen, verdammt!«, knurrte er und riss die Maschinenpistole hoch, um einen Augenblick später damit einige Warnschüsse in die Luft abzugeben. Danach brach Panik aus. Die Wissenschaftler und Techniker liefen kopflos durcheinander, während Zak sich zurückfallen ließ, um nach einem Fluchtweg Ausschau zu halten. Einige Sekunden später hatte er Tilly aus den Augen verloren und hoffte, dass sie bereits auf dem Weg zurück war. In Zaks Umgebung herrschte derweilen das reine Chaos. Mittlerweile dröhnten drei unterschiedliche Alarmsignale aus unzähligen Lautsprechern der verschiedensten
Ebenen. Zak registrierte aus den Augenwinkeln, dass Überwachungsdrohnen gestartet und viele Sicherheitsmitarbeiter die Plattformen stürmten. Kurz darauf begann das Feuergefecht. Projektile schlugen um ihn herum ein, während er zurückschoss und von Deckung zu Deckung hetzte. Nach einigen Sekunden bekam er einen Streifschuss am Schulterpanzer ab, der ihn aus dem Gleichgewicht brachte und über einen Kabelschacht stolpern ließ. Bevor er sich aufrappeln konnte, stürzte sich einer der Söldner auf ihn. Zak trat ihm vor die Brust, um sich genügend Platz zu verschaffen, zog sich an einem Pult nach oben und wollte die MP hochreißen, aber der Mann kickte sie ihm aus der Hand. Zak revanchierte sich mit einem Schlag gegen dessen Kinn, rammte ihm die Schulter in die Seite und ging mit ihm zu Boden, wo der Kampf verbissen fortgeführt wurde. Zaks Finger glitten über die Koppel seines Gegners und suchten nach Halt, um sich losreißen zu können, aber der Kerl zog ihn zu sich runter, während dessen Kameraden auf die Plattform liefen. Zak schlug ihm in die Seite, stütze sich mit dem Knie auf seiner Brust ab und befreite sich knurrend aus der Umklammerung. Einen Augenblick später richtete er sich auf und starrte verwirrt auf einen Ring, der an einem seiner Finger hing. Am Ende des Kreises aus Metal baumelte ein kleiner Bolzen.
»Granate!«, brüllte einer der anderen Männer und zeigte aufgeregt auf einen Sprengkörper, der am Gürtel von Zaks Gegner hing.
Zak sprang fluchend auf und wollte so viel Abstand wie möglich zwischen sich und den Mann bringen, der sich aufrappelte und verzweifelt versuchte, die Granate loszuwerden. Eine Sekunde später wurde er wie eine reife Melone zerrissen. Die Detonation war ohrenbetäubend.
Deren Druckwelle erfasste Zak und schleuderte ihn gegen das Geländer der Plattform, die sich kurz darauf ächzend absenkte. Zak rutschte über den Gitterboden, schlug mit dem Kopf gegen einen Pfosten und schlitterte unter der Begrenzung durch. Er wollte sich noch festhalten, verpasste den Rand um wenige Zentimeter und stürzte fluchend in die Tiefe.
Unten begann der dunkle Schemen im Wasser hell zu pulsieren. Einen Augenblick später fegte ein elektronisch verzerrtes Knurren durchs Areal, das Zak die Tränen in die Augen trieb und die Wasseroberfläche buchstäblich zum Brodeln brachte, während er unaufhaltsam darauf zustürzte.