Wie ein Blatt im Wind

Einführung

ZU DEN INTERESSANTEN DINGEN, die man mit einer »Beule« anfangen kann, gehört es, Rätsel, Hinweise und lose Fäden aus den Büchern der eigentlichen Serie aufzugreifen. Eine solche Spur folgt der Geschichte von Roger MacKenzies Eltern. In Feuer und Stein erfahren wir, dass Roger im Zweiten Weltkrieg beide Eltern verloren hat und dann von seinem Großonkel, Reverend Wakefield, adoptiert wurde. Dieser erzählt Claire und Frank, dass Rogers Mutter im Bombenhagel umgekommen ist und sein Vater ein Spitfirepilot war, der »über dem Kanal abgeschossen wurde«.

In Der Ruf der Trommel erzählt Roger Brianna die rührende Geschichte vom Tod seiner Mutter beim Einsturz einer U-Bahn-Station während der Bombardierung Londons.

Doch in Echo der Hoffnung gibt es eine fesselnde Unterhaltung im Mondschein zwischen Claire und Roger, die diese kleine Gemeinheit enthält:

 

»Ich weiß nicht, was deinem Vater zugestoßen ist«, sagte sie. »Aber es war nicht das, was man dir erzählt hat.«

Ein wenig später:

»Natürlich gibt es Zufälle«, sagte sie, als könnte sie seine Gedanken lesen. »Oder Irrtümer und Verwechslungen. Derjenige, der es deiner Mutter gesagt hat, könnte etwas missverstanden haben, oder sie hat dir etwas erzählt, was der Reverend nicht richtig mitbekommen hat. Das ist alles möglich. Aber ich habe im Lauf des Krieges viele Briefe von Frank erhalten – er hat mir geschrieben, wann immer er dazu die Gelegenheit hatte, bis er vom MI6 rekrutiert wurde. Danach habe ich oft monatelang nichts von ihm gehört. Aber ganz kurz vorher hat er mir geschrieben und dabei – nur als allgemeines Geplauder – erwähnt, dass ihm in den Berichten, mit denen er zu tun hatte, etwas Merkwürdiges aufgefallen war. Eine Spitfire war in Northumbrien zu Boden gegangen, abgestürzt – nicht abgeschossen; es wurde angenommen, dass der Motor versagt hat. Wie durch ein Wunder war sie zwar nicht ausgebrannt – doch von ihrem Piloten war keine Spur zu finden. Nichts. Und er hat den Namen des Piloten erwähnt, weil er fand, dass Jeremiah so ein passender, unheilvoller Name war.«

»Jerry«, sagte Roger, und seine Lippen fühlten sich taub an. »Meine Mutter hat ihn immer Jerry genannt.«

»Ja«, sagte sie leise. »Und überall in Northumbrien gibt es Steinkreise.«

Was ist also wirklich aus Jerry MacKenzie und seiner Frau Dolly geworden? Lesen Sie weiter.

 

Für die Flieger der Royal Air France
»Noch nie haben so viele so wenigen so viel verdankt.«

ES WAREN NOCH ZWEI WOCHEN BIS HALLOWEEN, doch die Kobolde waren jetzt schon am Werk.

Jerry MacKenzie lenkte Dolly II auf die Startbahn – Vollgas, den Kopf eingezogen, Blutdruck auf zweihundert, dem Geschwaderführer schon fast auf den Fersen –, zog am Knüppel, und statt des berauschenden Sogs beim Abheben war seine Antwort ein Rütteln, das ihm den Atem verschlug. Alarmiert nahm er das Gas zurück, doch bevor er es noch einmal versuchen konnte, knallte es, sodass er instinktiv auffuhr und mit dem Kopf gegen das Plexiglas stieß. Doch es war kein Projektil gewesen; ihm war ein Reifen geplatzt, und die Maschine torkelte schwindelerregend von der Startbahn und rumpelte ins Gras.

Es roch durchdringend nach Benzin, und Jerry ließ das Cockpit der Spitfire aufspringen und sprang in Panik hinaus, den Flammentod vor Augen, just als die letzte Maschine des Geschwaders Grün an ihm vorbeibrauste und abhob. Ihr Motorengeräusch war in Sekunden zu einem Summen abgeschwollen.

Ein Mechaniker kam vom Hangar herbeigerannt, um zu sehen, was das Problem war. Doch Jerry hatte Dollys Motorraum schon selbst geöffnet, und es war nicht zu übersehen: Die Benzinleitung hatte ein Loch. Nun, Gott sei Dank war er damit nicht abgehoben, das war schon einmal etwas. Er packte die Leitung, um zu sehen, wie groß das Leck war, und sie zerriss in seinen Händen und durchtränkte ihm den Ärmel fast bis zur Schulter mit hoch entzündlichem Benzin. Gut, dass der Mechaniker nicht mit einer brennenden Zigarette im Mund aufgetaucht war.

Jerry wälzte sich unter der Maschine hervor, nieste, und Gregory, der Mechaniker, stellte sich über ihn.

»Die fliegst du heute nicht mehr, Kumpel«, sagte Greg und hockte sich hin, um in den Motorraum zu schauen. Er schüttelte den Kopf über den Anblick, der sich ihm bot.

»Aye, erzähl mir lieber etwas Neues.« Er hielt den benzingetränkten Arm vorsichtig von seinem Körper ab. »Wie lange dauert die Reparatur?«

Greg zuckte mit den Achseln und kniff zum Schutz vor dem kalten Wind die Augen zusammen, während er Dollys Innenleben betrachtete.

»Eine halbe Stunde für den Reifen. Vielleicht kannst du morgen wieder mit ihr los, wenn die Benzinleitung der einzige Motorschaden ist. Sonst noch etwas, worauf wir einen Blick werfen sollten?«

»Aye, am linken Flügel klemmt manchmal der Gewehrabzug. Vielleicht ein bisschen schmieren?«

»Ich sehe mal, was die Kantine an Fett übrig hat. Du solltest lieber duschen gehen, Mac. Du wirst schon ganz blau.«

Tatsächlich, er zitterte, denn das rapide verdunstende Benzin ließ seine Körperwärme verfliegen wie Kerzenrauch. Dennoch wartete er noch einen Moment und sah zu, wie der Mechaniker die Maschine abtastete und dabei durch die Zähne pfiff.

»Nun geh schon«, sagte Greg und stellte sich entnervt, als er den Kopf aus dem Motorraum zog und Jerry immer noch wie angewurzelt stehen sah. »Ich passe schon gut auf sie auf.«

»Aye, ich weiß. Ich wollte nur – aye, danke.« Das Adrenalin des abgebrochenen Flugs rauschte ihm noch durch den Körper, und die Reflexe, die er nun nicht mehr brauchte, machten ihn nervös. Er ging davon und musste es sich mühsam verkneifen, sich nach seinem verwundeten Flugzeug umzusehen.

 

EINE HALBE STUNDE SPÄTER kam Jerry aus dem Waschraum der Piloten. Seine Augen brannten von Seife und Benzin, sein Rücken bestand aus einem einzigen Krampf. In Gedanken war er halb bei Dolly, halb bei seinen Kameraden. Blau und Grün waren heute Morgen in der Luft; Rot und Gelb hatten frei. Geschwader Grün würde inzwischen über Flamborough Head auf der Jagd sein.

Er schluckte, nach wie vor ruhelos; sein Mund war trocken, obwohl es keinen Grund dafür gab, und er ging in die Kantine, um sich eine Tasse Tee zu holen. Das war ein Fehler; er hörte die Kobolde kichern, sobald er eintrat und Sailor Malan sah.

Malan war Oberst und eigentlich ein anständiger Kerl. Er war Südafrikaner, ein großartiger Taktiker – und der tollkühnste, hartnäckigste Luftkämpfer, den Jerry je erlebt hatte. Ein Jack Russell war nichts dagegen. Was der Grund dafür war, dass er es in seinem Rücken kribbeln spürte, als sich Malans tief liegende Augen auf ihn richteten.

»Leutnant!« Malan erhob sich von seinem Stuhl und lächelte. »Genau der Mann, den ich im Sinn hatte!«

Den Teufel hatte er, dachte Jerry und setzte eine Miene respektvoller Erwartung auf. Malan konnte noch nichts von Dollys kleinem Problem gehört haben, und wenn das nicht gewesen wäre, wäre Jerry jetzt mit dem A-Geschwader in der Luft, um über Flamborough Head Jagd auf 109er zu machen. Malan war nicht auf der Suche nach Jerry gewesen; er fand ihn nur geeignet für irgendeine anstehende Aufgabe. Und die Tatsache, dass ihn der Oberst mit seinem Rang angesprochen hatte, nicht mit seinem Namen, bedeutete, dass es wahrscheinlich um etwas ging, wozu sich niemand freiwillig melden würde.

Ihm blieb allerdings keine Zeit, sich Sorgen zu machen, was das sein könnte; schon stellte ihm Malan seinen Begleiter vor, einen hochgewachsenen, dunkelhaarigen Kerl in Armeeuniform mit einer angenehmen und dazu blitzintelligenten Ausstrahlung. Augen wie ein guter Schäferhund, dachte er, während er Hauptmann Randalls Begrüßung mit einem Kopfnicken erwiderte. Freundlich vielleicht, aber viel entging ihnen nicht.

»Randall kommt aus der Kommandozentrale in Ealing«, sagte Sailor über seine Schulter hinweg. Er hatte nicht darauf gewartet, dass sie Höflichkeiten austauschten, sondern führte sie bereits über das Rollfeld auf die Amtsräume des Flugkommandos zu. Jerry verzog das Gesicht und folgte ihm mit einem sehnsuchtsvollen Blick auf Dolly, die gerade den schmählichen Umstand über sich ergehen lassen musste, in den Hangar geschleppt zu werden. Das Bild eines Stoffpüppchens auf ihrer Nase war verlaufen, ein Teil der schwarzen Locken von Wetter und Benzin verwischt. Nun, er würde es später nachbessern, wenn er Näheres über den Auftrag erfahren hatte, den der Fremde im Gepäck hatte.

Seine Augen ruhten entnervt auf Randalls Nacken, und der Mann wandte sich plötzlich um und erwiderte seinen Blick, als hätte er Jerrys Groll gespürt. Jerry spürte ein dumpfes Gefühl in der Magengegend, weil der Blick des Fremden sein halb geformtes Bild weiter festigte – die fehlenden Rangabzeichen an seiner Uniform; dieses Selbstbewusstsein, das man oft bei Geheimnisträgern erlebte.

Kommandozentrale in Ealing, haha, dachte er. Es überraschte ihn nicht, dass sich Sailor, während er Randall durch die Tür winkte, zu ihm hinüberbeugte und ihm zumurmelte: »Vorsicht – das ist ein Spürhund.«

Jerry nickte, und sein Magen ballte sich zusammen. Spürhund konnte in diesem Zusammenhang nur eines bedeuten. MI6.

 

HAUPTMANN RANDALL KAM vom britischen Geheimdienst. Er machte keinen Hehl daraus, nachdem Malan sie in ein leeres Büro gesetzt und sie allein gelassen hatte.

»Wir brauchen einen Piloten. Einen guten Piloten«, fügte er mit einem schwachen Lächeln hinzu, »der allein Kundschafterflüge durchführt. Ein neues Projekt. Sehr wichtig.«

»Allein? Wo denn?«, fragte Jerry argwöhnisch. Spitfire-Maschinen flogen normalerweise zu viert oder in größeren Verbänden bis hin zu kompletten Schwadronen von sechzehn Maschinen. Im Formationsflug konnten sie sich gegenseitig ein gewisses Maß an Feuerschutz gegen die schwereren Henkels und Messerschmitts geben. Aber sie flogen nur selten freiwillig allein.

»Das erzähle ich Ihnen später. Erst einmal – glauben Sie, Sie sind einsatzfähig?«

Diese Frage ließ Jerry beleidigt zurückfahren. Was glaubte dieser Mensch aus dem Wolkenkuckucksheim denn, wer er … Da fiel sein Blick auf sein Spiegelbild in der Fensterscheibe. Rote Augen wie ein wild gewordener Eber, das feuchte Haar stand in alle Himmelsrichtungen ab, auf seiner Stirn breitete sich eine frische Prellung aus, und die Bomberjacke klebte stellenweise an ihm fest, weil er sich nicht die Mühe gemacht hatte, sich vernünftig abzutrocknen.

»Überaus einsatzfähig«, kläffte er. »Sir.«

Randall hob die Hand einen halben Zentimeter, um sich jedes »Sir« zu verbitten.

»Ich habe Ihr Knie gemeint«, sagte er geduldig.

»Oh«, sagte Jerry überrascht. »Ach, das. Aye, alles in Ordnung.«

Im letzten Jahr hatte er zwei Kugeln ins Knie bekommen, als er einer 109 nachgesetzt und eine weitere übersehen hatte, die hinter ihm aus dem Nichts aufgetaucht war und ihm den Arsch gepfeffert hatte. Obwohl er brannte, hatte er Todesangst davor gehabt, sich mit dem Schleudersitz in einen Himmel voller Rauch, voller Geschosse und unvorhersehbarer Explosionen zu begeben, und war daher mit seinem brennenden Flugzeug zu Boden geflogen. Schreiend waren sie beide vom Himmel gefallen, und die Metallhülle von Dolly I war so heiß geworden, dass sie ihm den linken Unterarm durch die Jacke hindurch versengt hatte, während sein rechter Fuß beim Durchtreten des Pedals in dem Blut watete, das ihm den Stiefel füllte. Doch er hatte es geschafft und danach zwei Monate lang auf der Krankenliste gestanden. Er humpelte immer noch merklich, doch er trauerte nicht um seine zerschmetterte Kniescheibe; er hatte seinen zweiten Krankenmonat zu Hause verbracht – und neun Monate später war der kleine Roger zur Welt gekommen.

Er lächelte breit bei dem Gedanken an seinen Jungen, und Randall erwiderte das Lächeln unwillkürlich.

»Gut«, sagte er. »Dann sind Sie also bereit für eine lange Flugmission?«

Jerry zuckte mit den Achseln. »Wie lang kann sie denn in einer Spitfire schon sein? Es sei denn, Sie hätten eine Methode erfunden, sie in der Luft nachzutanken.« Er hatte es als Scherz gemeint, und seine Bestürzung nahm zu, als er sah, wie Randall kaum merklich die Lippen spitzte, als überlegte er, ob er ihm erzählen sollte, dass es in der Tat so war.

»Es ist doch eine Spitfire, die ich fliegen soll?«, fragte er plötzlich unsicher. Himmel, was, wenn es einer dieser Testvögel war, von denen sie hin und wieder hörten? Eine Mischung aus Angst und Aufregung ließ seine Haut kribbeln. Doch Randall nickte.

»Oh ja, natürlich. Es gibt sonst nichts hinreichend Manövrierfähiges, und es kann sein, dass Sie ordentlich Haken schlagen müssen. Was wir getan haben, ist, bei einer Spitfire ein Paar Flügelgewehre zu entfernen und sie durch zwei Kameras zu ersetzen.«

»Ein Paar?«

Wieder diese kaum merkliche Lippenbewegung, bevor Randall antwortete.

»Es könnte ja sein, dass Sie das zweite Gewehrpaar brauchen.«

»Oh. Aye. Ja, dann …«

Der unmittelbare Plan, so Randall, war, Jerry nach Northumberland zu schicken, wo man ihn zwei Wochen lang in der Bedienung der Flügelkameras unterweisen und wo er festgelegte Landschaftsteile aus unterschiedlicher Höhe fotografieren würde. Und wo er mit einem Team von Technikern zusammenarbeiten würde, die dazu ausgebildet waren, die Kameras auch bei schlechtem Wetter funktionsfähig zu halten. Sie würden ihm zeigen, wie man den Film entfernte, ohne ihn zu ruinieren, falls es nötig wurde. Und dann …

»Ich kann Ihnen nicht genau sagen, wohin man Sie schicken wird«, sagte Randall. Während des gesamten Gesprächs war sein Verhalten eindringlich, aber freundlich gewesen, und hin und wieder hatte er einen Scherz gemacht. Jetzt war jede Spur von Jovialität verschwunden; er war todernst. »Osteuropa ist alles, was ich im Moment sagen kann.«

Jerry spürte, wie sein Inneres hohl wurde, und holte tief Luft, um die Leere zu füllen. Er konnte Nein sagen. Doch er hatte sich bei der Armee verpflichtet, um RAF-Pilot zu werden, und genau das war er auch.

»Aye, gut. Kann ich – vielleicht meine Frau noch einmal sehen, bevor ich gehe?«

Bei diesen Worten wurde Randalls Miene ein wenig sanfter, und Jerry sah, wie der Daumen des Hauptmanns automatisch zu seinem goldenen Ehering wanderte.

»Ich denke, das lässt sich arrangieren.«

 

MARJORIE MACKENZIE – von ihrem Mann Dolly genannt – öffnete die Verdunkelungsvorhänge. Nicht mehr als zwei Zentimeter … nun ja, fünf Zentimeter. Es würde keine Rolle spielen; im Inneren der kleinen Wohnung war es so finster wie in einer Kohlenschütte. London draußen war genauso dunkel; dass die Vorhänge offen waren, merkte sie nur, weil sie die kalte Fensterscheibe durch den schmalen Spalt spürte. Sie beugte sich vor, hauchte das Glas an und spürte ihren feuchten Atem kühl vor ihrem Gesicht kondensieren. Sie konnte den Nebel zwar nicht sehen, spürte aber ihre Fingerspitze über das Glas quietschen, als sie flink ein kleines Herz darauf malte und in die Mitte den Buchstaben J.

Es verschwand natürlich sofort, doch das spielte keine Rolle; der kleine Zauber würde da sein, wenn das Licht ins Zimmer kam, würde unsichtbar, aber dennoch zwischen ihrem Mann und dem Himmel stehen.

Wenn das Licht kam, würde es gerade eben auf sein Kissen fallen. Sie würde sein schlafendes Gesicht darin sehen; sein Haar, das in alle Himmelsrichtungen abstand, den verblassenden blauen Fleck an seiner Schläfe, die tief liegenden Augen, die unschuldig geschlossen waren. Er sah so jung aus im Schlaf. Fast so jung, wie er tatsächlich war. Erst zweiundzwanzig; zu jung, um solche Falten im Gesicht zu haben. Sie fasste sich an den rechten Mundwinkel, konnte das Fältchen aber nicht spüren, das ihr der Spiegel zeigte – ihr Mund war geschwollen und empfindlich, und sie fuhr sich mit der Daumenspitze über die Unterlippe, sacht, hin und zurück.

Was noch, was noch? Was konnte sie noch für ihn tun? Er hatte etwas von sich bei ihr zurückgelassen. Vielleicht würde sie ja noch ein Baby bekommen – etwas, das er ihr gab, aber auch etwas, das sie ihm gab. Noch ein Baby. Noch ein Kind, das sie allein aufziehen würde?

»Selbst dann«, flüsterte sie und presste die Lippen zusammen. Ihr Gesicht war wund vom stundenlangen Küssen; keiner von ihnen hatte warten können, bis er sich rasiert hatte. »Selbst dann.«

Immerhin hatte er Roger gesehen. Hatte seinen kleinen Jungen auf dem Arm halten können – nur damit ihm dieser Milch über den Rücken seines Hemdes spuckte. Jerry hatte einen überraschten Ausruf ausgestoßen, doch er hatte nicht zugelassen, dass sie ihm Roger wieder abnahm; er hatte seinen Sohn festgehalten und ihn liebevoll getätschelt, bis der Kleine einschlief. Erst dann hatte er ihn in seinen Korb gelegt und sich das beschmutzte Hemd ausgezogen, bevor er zu ihr kam.

Es war kalt im Zimmer, und sie schlang die Arme um sich selbst. Sie trug nichts als Jerrys Netzunterhemd – er fand, dass sie erotisch darin aussah, und sie musste lächeln. Doch das dünne Baumwollgewebe schmiegte sich um ihre Brüste, und ihre Brustwarzen lugten tatsächlich geradezu skandalös daraus hervor, wenn auch nur wegen der Kälte.

Sie wäre gern zu ihm gekrochen, sehnte sich nach seiner Wärme, danach, ihn noch einmal so lange zu berühren, wie sie es vorhin getan hatte. Er würde um acht gehen müssen, um den Zug zu bekommen, der ihn zurückbrachte; es würde dann gerade eben hell sein. Doch ein puritanischer Verzichtimpuls ließ sie bleiben, wo sie war, kalt und schlaflos in der Dunkelheit. Sie hatte das Gefühl, dass sie, wenn sie sich das versagte, wenn sie ihr Verlangen unterdrückte, dadurch den Zauber verstärken würde, helfen würde, ihn zu beschützen und wieder zurückzubringen. Der Himmel wusste, was ein Priester zu dieser abergläubischen Geste sagen würde, und ihr kribbelnder Mund verzog sich selbstironisch. Und zweifelnd.

Dennoch blieb sie im Dunkeln sitzen und wartete auf das kalte blaue Licht des Morgengrauens, das ihn mitnehmen würde.

Doch der kleine Roger setzte ihren Grübeleien ein Ende, wie es Babys nun einmal taten. Er raschelte in seinem Korb und stieß die kleinen Grunzlaute aus, die beim Erwachen die Vorstufe des wütenden Gebrülls bei der Entdeckung einer nassen Windel und eines leeren Magens waren. Sie hastete durch das winzige Zimmer zu seinem Korb, während ihr die Milch schon aus den schweren, pendelnden Brüsten lief. Sie wollte nicht, dass er Jerry weckte, doch sie stieß mit dem Zeh an den wackeligen Stuhl, der krachend umfiel.

Die Bettwäsche flog in alle Himmelsrichtungen, als Jerry mit einem lauten »MIST!« aufsprang, das ihr eigenes, gedämpftes »Verdammt!« übertönte, und Roger übertraf sie beide, indem er aufkreischte wie eine Sirene beim Fliegeralarm. Und natürlich, schon hämmerte die alte Mrs Munns in der Nachbarwohnung entrüstet an die dünne Wand.

Jerrys nackte Gestalt durchquerte das Zimmer mit einem Satz. Er hämmerte wutentbrannt mit der Faust an die Trennwand, deren Holz erzitterte und dröhnte wie eine Trommel. Er hielt inne, die Faust immer noch erhoben, und wartete. Beeindruckt von dem Lärm, hatte Roger aufgehört zu kreischen.

Totenstille von der anderen Seite der Wand, und Marjorie presste den Mund an Rogers rundes Köpfchen, um ihr Gekicher zu ersticken. Er roch nach Baby und frischem Pipi, und sie kuschelte ihn an sich wie eine große Wärmflasche. Angesichts seiner Wärme und seines Hungers kam ihr die Vorstellung, in der einsamen Kälte über ihre Männer zu wachen, plötzlich albern vor.

Jerry stieß ein Grunzen der Genugtuung aus und kam zu ihr.

»Ha«, sagte er und küsste sie.

»Was glaubst du denn, was du bist?«, flüsterte sie und lehnte sich an ihn. »Ein Gorilla?«

»Ja«, flüsterte er zurück, nahm ihre Hand und drückte sie an sich. »Willst du meine Banane sehen?«

 

»DZIEN DOBRY.«

Jerry, der gerade dabei war, sich auf einem Stuhl niederzulassen, hielt inne und starrte in Frank Randalls lächelndes Gesicht.

»Oh, aye«, sagte er. »So ist das also, wie? Pierdolic matka.« Das hieß »Fick deine Mutter« auf Polnisch, und Randall brach überrascht in Gelächter aus.

»So ist es«, pflichtete er Jerry bei. Er hatte einen Stapel Papiere dabei, offizieller Papierkram – Jerry erkannte das Formular, das man unterzeichnete und auf dem stand, wem man seine Rente vermachte, und die Verfügung, was mit der Leiche geschehen sollte, falls es eine gab und jemand Zeit hatte, sich darum zu kümmern. Er hatte das alles schon erledigt, als er sich verpflichtet hatte. Aber wenn man Sondereinsätze flog, musste man es noch einmal machen. Doch er ignorierte die Formulare und richtete den Blick stattdessen auf die Landkarten, die Randall mitgebracht hatte.

»Und ich dachte, Sie und Malan hätten mich ausgesucht, weil ich so’n hübscher Kerl bin«, sagte er mit betont ausgeprägtem Akzent. Er setzte sich und lehnte sich, um Beiläufigkeit bemüht, zurück. »Dann geht es also nach Polen?« Es war also doch kein Zufall gewesen – nur der Zufall, dass Dollys Unfall ihn etwas früher in die Baracke geschickt hatte. Auf eine Weise war das beruhigend; es war nicht die verdammte Hand des Schicksals gewesen, die ihm auf die Schulter getippt hatte, indem sie die Benzinleitung leckschlagen ließ. Das Schicksal hatte seine Hand schon um einiges eher im Spiel gehabt, als es ihn zusammen mit Andrej Kolodziewicz dem Geschwader Grün zuteilte.

Andrej war einer von den Guten gewesen, ein guter Freund. Vor einem Monat hatte es ihn erwischt, als er sich auf der Flucht vor einer Messerschmitt nach oben schraubte. Vielleicht hatte ihn die Sonne geblendet, vielleicht hatte er sich nur zur falschen Seite umgesehen. Sie hatten ihm den linken Flügel zerschossen, und er hatte sich geradewegs wieder nach unten und in den Boden geschraubt. Jerry hatte den Absturz nicht mit angesehen, aber er hatte davon gehört. Und sich hinterher mit Andrejs Bruder mit Wodka betrunken.

»Polen«, bestätigte Randall. »Malan sagt, Sie können sich auf Polnisch unterhalten. Stimmt das?«

»Ich kann etwas zu trinken bestellen, Streit anfangen oder nach dem Weg fragen. Ist irgendetwas davon hilfreich?«

»Letzteres vielleicht«, sagte Randall sehr trocken. »Aber wir wollen hoffen, dass es nicht dazu kommt.«

Der MI6-Agent hatte die Formulare beiseitegeschoben und die Karten auseinandergerollt. Wie von einem Magneten angezogen, beugte Jerry sich unwillkürlich vor. Es waren offizielle Karten, die jedoch von Hand markiert waren – mit Kreisen und Kreuzen.

»Es ist so«, sagte Randall und glättete die Karten mit beiden Händen. »Die Nazis haben seit zwei Jahren Arbeitslager in Polen, doch die Öffentlichkeit weiß nichts davon – weder bei ihnen noch international. Es wäre unseren Bemühungen sehr zuträglich, wenn es allgemein bekannt würde. Nicht nur die Existenz der Lager, sondern auch die Dinge, die dort vor sich gehen.« Ein Schatten huschte über sein dunkles, hageres Gesicht – Wut, dachte Jerry fasziniert. Mr MI6 wusste anscheinend, was für Dinge dort vor sich gingen, und er fragte sich, woher.

»Wenn wir wollen, dass es bekannt wird und die Leute darüber reden – und das wollen wir –, brauchen wir dokumentarische Belege dafür«, sagte Randall nun ruhig und sachlich, »Fotos.«

Sie würden zu viert sein, informierte er ihn, vier Spitfire-Piloten. Ein Geschwader – aber sie würden nicht zusammen fliegen. Jeder von ihnen würde ein bestimmtes Ziel haben, jedes an einem anderen Ort, aber sie sollten alle am selben Tag zuschlagen.

»Die Lager werden zwar bewacht, aber sie haben keine Flugabwehr. Es gibt allerdings Wachtürme mit Maschinengewehren.« Und man brauchte Jerry nicht zu sagen, dass ein Maschinengewehr in der Hand eines Soldaten nicht weniger wirkungsvoll war als an einem feindlichen Flugzeug. Um die Bilder zu schießen, die Randall wollte, musste er tief fliegen – so tief, dass er es riskierte, von den Türmen aus angeschossen zu werden. Er würde nur die Überraschung auf seiner Seite haben; möglich, dass ihn die Wachen zwar sahen, aber nicht damit rechneten, dass er zum Tiefflug über das Lager ansetzen würde.

»Versuchen Sie nicht mehr als einen Überflug, es sei denn, die Kameras funktionieren nicht. Besser, weniger Bilder zu haben als gar keine.«

»Ja, Sir.« Er war wieder zum »Sir« übergegangen, weil Oberst Malan als schweigender, aber aufmerksamer Zuhörer bei dieser Besprechung dabei war. Man musste schließlich den Schein wahren.

»Hier ist die Liste der Ziele, an denen Sie in Northumberland üben werden. Nähern Sie sich, soweit Sie es für machbar halten, ohne zu riskieren, dass …« Randalls Gesicht veränderte sich, und er lächelte ironisch. »Nähern Sie sich, so weit Sie es schaffen, dabei aber immer noch die Chance haben zurückzukommen. Die Kameras sind möglicherweise noch mehr wert als Sie.«

Das entlockte Malan ein leises Glucksen. Piloten – vor allem ausgebildete Piloten – waren wertvoll. Die RAF hatte inzwischen zwar reichlich Flugzeuge – aber nicht annähernd genug Piloten, um sie zu fliegen.

Man würde ihm beibringen, die Flügelkameras zu benutzen – und den Film unbeschadet zu entnehmen. Falls er abgeschossen wurde, aber überlebte und das Flugzeug nicht ausbrannte, sollte er den Film entnehmen und versuchen, ihn außer Landes zu bringen.

»Daher die polnische Sprache.« Randall fuhr sich mit der Hand durch das Haar und lächelte Jerry noch einmal an. »Wenn Sie zu Fuß gehen müssen, müssen Sie ja vielleicht nach dem Weg fragen.« Sie hatten zwei polnischsprachige Piloten, sagte er – Polen, die sich freiwillig gemeldet hatten, und einen Engländer, der ein paar Worte Polnisch sprach wie Jerry.

»Und es ist eine Freiwilligenmission, lassen Sie mich das wiederholen.«

»Aye, ich weiß«, sagte Jerry gereizt. »Hab doch gesagt, ich tu’s, oder? Sir.«

»Ja.« Randall sah ihn einen Moment an, und seine dunklen Augen waren unergründlich, dann ließ er den Blick wieder auf die Karten sinken. »Danke«, sagte er leise.

 

DIE KANZEL SCHLOSS SICH KLICKEND über seinem Kopf. Es war ein feuchter, dunkler Tag in Northumberland, und sein Atem ließ die Innenseite der Plexiglasscheibe in Sekunden beschlagen. Er beugte sich vor, um darüberzuwischen, und stieß einen Aufschrei aus, weil er sich mehrere Haarsträhnen ausriss. Er hatte vergessen, beim Zuklappen der Kanzel den Kopf einzuziehen. Schon wieder. Leise fluchend entriegelte er die Kanzel, und die hellbraunen Strähnen, die von der Scheibe eingeklemmt worden waren, wurden vom Wind erfasst und flogen davon. Er schloss die Kanzel wieder, diesmal geduckt, und wartete auf das Startsignal.

Der Signalgeber winkte ihm zu, und er gab Gas und spürte, wie das Flugzeug sich zu bewegen begann.

Er fasste sich automatisch an die Tasche und flüsterte: »Hab dich lieb, Dolly.« Jeder hatte sein kleines Ritual für diese letzten paar Momente vor dem Abheben. Für Jerry MacKenzie waren es das Gesicht seiner Frau und sein Glücksstein, die das Kribbeln in seinem Bauch normalerweise zur Ruhe brachten. Sie hatte den Stein auf einem Felsenhügel auf der Insel Lewis gefunden, wo sie ihre kurzen Flitterwochen verbracht hatten – ein roher Saphir, sagte sie, sehr selten.

»So wie du«, hatte er gesagt und sie geküsst.

Eigentlich gab es jetzt keinen Grund für das Kribbeln, doch es war schließlich kein Ritual, wenn man es nur manchmal machte, oder? Und selbst wenn ihm heute kein Luftkampf bevorstand, würde er doch seine ganze Konzentration brauchen.

Er stieg in langsamen Kreisen auf, um ein Gefühl für das neue Flugzeug zu bekommen, den Duft der neuen Maschine aufzunehmen. Er wünschte, sie hätten ihn Dolly II fliegen lassen, deren Sitz seine Schweißflecken trug, deren Armaturenbrett die vertraute Beule hatte, weil er nach einem Abschuss jubelnd mit der Faust daraufgeschlagen hatte – doch sie hatten dieses Flugzeug bereits mit den Flügelkameras modifiziert und mit dem neuesten Nachtsichtgerät ausgestattet. Es war sowieso nicht gut, sein Herz an ein Flugzeug zu hängen; die Maschinen waren fast genauso zerbrechlich wie die Männer, die sie flogen – obwohl man die Einzelteile der Flugzeuge wiederverwerten konnte.

Egal; er hatte sich gestern Abend in den Hangar geschlichen und ihr schnell ein Püppchen auf die Nase gemalt, um sie für sich in Besitz zu nehmen. Bis es nach Polen ging, würde er Dolly III schon noch kennenlernen.

Er schoss in die Tiefe, zog das Flugzeug scharf in die Höhe und flog eine Weile in Holländischen Rollen durch die Wolkendecke, um dann einige komplette Rollen und Immelmanns zu drehen. Währenddessen zitierte er Malans Regeln, um sich zu konzentrieren und zu verhindern, dass ihm schlecht wurde.

Die Regeln hingen inzwischen in jeder RAF-Kaserne; die Flieger nannten sie die Zehn Gebote – und das nicht im Scherz.

ZEHN MEINER REGELN FÜR DEN LUFTKAMPF, sagte das Plakat in fetten schwarzen Buchstaben.

»›Warte, bis du das Weiße in seinen Augen siehst‹«, betete er leise vor sich hin. »›Feuere kurze Salven von einer oder zwei Sekunden, aber erst dann, wenn du ihn MITTEN im Visier hast.‹« Er blickte auf sein Visier und erlebte einen kurzen Moment der Orientierungslosigkeit. Der Kameramensch hatte es an einer anderen Stelle eingebaut. Mist.

»›Denk beim Schießen an nichts anderes, konzentrier dich mit dem ganzen Körper; beide Hände am Knüppel, beide Augen auf dem Visier.‹« Wieder nichts. Die Auslöseknöpfe der Kamera befanden sich nicht auf dem Steuerknüppel; sie waren auf einer Buchse montiert, von der ein Draht zum Fenster hinauslief; die Buchse selbst war an seinem Knie festgeschnallt. Er würde sowieso aus dem Fenster schauen, nicht auf das Visier – es sei denn, die Sache ging schief, und er musste die Gewehre benutzen. In diesem Fall wiederum …

»›Sei stets auf der Hut. Halte die Fühler ausgestreckt.‹« Aye, schön. Das stimmte noch.

»›Höhe bedeutet Angriffsvorteil.‹« Nicht in diesem Fall. Er würde niedrig fliegen, unter dem Radar, und nicht auf einen Kampf aus sein. Aber es war immer möglich, dass ihm einer auf die Schliche kam. Wenn ihn ein deutsches Flugzeug beim Soloflug in Polen aufspürte, flog er am besten geradewegs auf die Sonne zu und stürzte sich von dort auf den Gegner. Bei diesem Gedanken musste er lächeln.

»›Wende dich immer dem Angriff entgegen.‹« Er prustete und bewegte sein verletztes Knie, das in der Kälte schmerzte. Aye, wenn man ihn rechtzeitig kommen sah.

»›Fälle deine Entscheidungen prompt. Es ist besser, schnell zu handeln, auch wenn die Taktik darunter leidet.‹« Das hatte er schnell gelernt. Sein Körper bewegte sich oft schon, bevor sein Gehirn überhaupt registriert hatte, dass er etwas gesehen hatte. Im Moment gab es nichts zu sehen – nicht dass er damit rechnete, doch er sah sich trotzdem reflexartig weiter um.

»›Fliege im Kampf niemals länger als dreißig Sekunden geradeaus und auf einer Höhe.‹« Das galt definitiv nicht. Geradeaus und auf einer Höhe war genau das, was er würde tun müssen. Noch dazu langsam.

»›Wenn du zum Angriff hinunterstößt, lass immer einen Teil deiner Formation als Deckung aus der Luft oben.‹« Irrevelant; er würde keine Formation haben – und bei diesem Gedanken überlief ihn das kalte Grausen. Er würde vollständig allein sein; es würde keine Hilfe kommen, wenn er in Schwierigkeiten geriet.

»›INITIATIVE, ANGRIFFSLUST, DISZIPLIN und TEAMWORK sind Worte, die im Luftkampf tatsächlich etwas bedeuten.‹« Ja, das stimmte. Was war beim Erkundungsflug von Bedeutung? Verstohlenheit, Schnelligkeit und verdammt viel Glück wahrscheinlich. Er holte tief Luft und stieß in die Tiefe, während er das letzte der Zehn Gebote so laut brüllte, dass es in seiner Plexiglasschale widerhallte.

»›Schnell hin – zuschlagen – UND RAUS!‹«

 

EIGENTLICH RECKTE MAN ZWAR STÄNDIG DEN HALS, als wäre er aus Gummi, doch nach einem Tag in der Flugkanzel fühlte sich Jerry regelmäßig, als hätte man ihn oberhalb der Schulterblätter in Zement gegossen. Jetzt beugte er den Kopf vor und massierte sich heftig den Nacken, um den zunehmenden Schmerz zu lindern. Seit dem Morgengrauen unternahm er einen Übungsflug nach dem anderen, und jetzt war es später Nachmittag. Kugellager, kompletter Satz, zur Verfügung der Piloten, ein Stück, dachte er. Das sollte man auf die übliche Ausrüstungsliste setzen. Er schüttelte den Kopf wie ein nasser Hund, zog stöhnend die Schultern hoch und fuhr dann damit fort, den Himmel ringsum Sektor für Sektor abzusuchen, wie es alle Piloten mit religiöser Inbrunst taten, dreihundertsechzig Grad, jeden Moment in der Luft. Jedenfalls alle, die noch lebten.

Dolly hatte ihm einen weißen Seidenschal zum Abschied geschenkt. Er wusste nicht, wie sie das Geld dafür zusammenbekommen hatte, und sie ließ ihm auch gar keine Gelegenheit zu fragen, sondern legte ihm den Schal nur im Kragen seiner Fliegerjacke um den Hals. Jemand hatte ihr gesagt, alle Spitfire-Piloten trügen solche Schals, um sich nicht ständig am Kragen zu scheuern, und sie wollte, dass er unbedingt ebenfalls einen bekam. Es fühlte sich angenehm an, das musste er zugeben, erinnerte ihn stets an ihre Berührung, als sie ihm den Schal umgelegt hatte. Er schob den Gedanken hastig beiseite; das Letzte, was er sich erlauben konnte, war, an seine Frau zu denken, wenn er hoffen wollte, je zu ihr zurückzukehren. Und er hatte vor, zu ihr zurückzukehren.

Wo war der Kerl nur? Hatte er aufgegeben?

Nein, das hatte er nicht; ein dunkler Fleck tauchte genau über seiner linken Schulter hinter einer Wolkenbank auf und hielt auf seine Heckflosse zu. Jerry wendete in einer engen, steilen Spirale auf dieselben Wolken zu, hartnäckig gefolgt von dem anderen Piloten. Sie spielten einige Momente Fangen in den Wolken – er hatte den Vorteil, dass er höher war, hätte den Ich-komme-aus-der-Sonne-Trick benutzen können, wenn die Sonne denn geschienen hätte. Aber es war Herbst in Northumberland; die Sonne hatte schon seit Tagen nicht mehr geschienen …

Verschwunden. Er hörte das Brummen der anderen Maschine, schwach und nur einen Moment lang – oder dachte, er hätte es gehört. Schwer zu sagen, so wie sein eigener Motor dröhnte. Doch er war verschwunden; er war nicht da, wo Jerry mit ihm rechnete.

»Oh, so ist das also, wie?« Er suchte weiter, zehn Grad Himmel pro Sekunde, nur so konnte man sichergehen, dass man nicht übersah, wie ein … Da war etwas Dunkles, und sein Herz zuckte im selben Moment wie seine Hand. Dann war er wieder fort, der schwarze Fleck, doch er stieg weiter auf, langsam jetzt, und sah sich dabei um. Er durfte nicht zu tief kommen, und er wollte sich den Höhenvorteil erhalten …

Hier waren die Wolken dünn, dahintreibende Nebelwogen, aber sie verdichteten sich. Er sah eine solide aussehende Wolkenbank langsam von Westen herbeitreiben, doch sie war noch weit entfernt. Kalt war es auch; er fror im Gesicht. Am Ende vereiste er noch, wenn er sich zu hoch hinaus… Da!

Das andere Flugzeug, näher und höher, als er es erwartet hatte. Der andere Pilot erspähte ihn im selben Moment und stürzte sich dröhnend auf ihn, zu nah, um ihm auszuweichen. Er versuchte es erst gar nicht.

»Aye, warte nur, du alter Schurke«, murmelte er, die Hand fest am Steuerknüppel. Eine Sekunde, zwei, fast da – und er bohrte sich den Knüppel in die Eier, riss ihn mit einem Ruck nach links, drehte sich auf den Kopf und machte sich mit einer Serie von Überschlägen davon, die ihn außer Reichweite beförderten.

Sein Funkgerät knisterte, und er hörte Paul Rakoczy durch seine haarige Nase kichern.

»Pierdolic matka! Woher kannst du das, du schottischer Mistkerl?«

»Mit der Muttermilch aufgesogen, dupek«, erwiderte er grinsend. »Gib mir einen aus, und ich bring’s dir bei.«

Eine Funkstörung verschluckte den Rest einer polnischen Obszönität, und Rakoczy winkte zum Abschied mit den Flügeln, während er davonflog. Nun denn. Genug herumgealbert; zurück zu den verflixten Kameras.

Jerry wendete den Kopf hin und her, ließ die Schultern kreisen und reckte sich, so gut das im Cockpit ging – die Spitfire II wies zwar einige geringfügige Verbesserungen gegenüber der I auf, aber Geräumigkeit gehörte nicht dazu –, überprüfte seine Flügel mit einem Blick auf Vereisungen – nein, alles gut – und wandte sich weiter ins Landesinnere.

Es war eigentlich noch zu früh, doch seine rechte Hand suchte sich den Auslöser für die Kameras. Seine Finger zuckten nervös über den Knöpfen herum, um sie nur ja nicht zu verfehlen. Er gewöhnte sich zwar allmählich daran, doch sie funktionierten anders als die Gewehrabzüge; er hatte sie noch nicht in seine Reflexe integriert, mochte das Gefühl nicht. Winzige Knöpfe wie die Tasten einer Schreibmaschine, nicht wie die Gewehrabzüge, von denen es kein Abrutschen gab.

Er hatte sie erst seit gestern auf der rechten Seite; vorher war er eine Maschine geflogen, die die Knöpfe links hatte. Ewige Diskussionen zwischen dem Geschwaderführer und dem MI6-Techniker, ob es besser war, sie rechts zu lassen, weil er damit schon geübt hatte, oder es zu ändern, weil er Linkshänder war. Als sie endlich draufgekommen waren, ihn zu fragen, wie er es gern hätte, war es zu spät am Tage gewesen, um es noch zu ändern. Also hatte er heute ein paar zusätzliche Flugstunden genehmigt bekommen, um mit der neuen Konstruktion herumzuspielen.

Ah, da war sie ja. Die unebene graue Linie, die die gelblichen Felder Northumberlands zerschnitt und den Norden vom Süden trennte, wie wenn man ein Stück Papier entzweiriss. Ich wette, Kaiser Hadrian hätte sich gewünscht, es wäre so einfach, dachte er und grinste, während er sich über dem antiken Wall niederschwang.

Die Kameras gaben ein lautes Klonk-klonk von sich, wenn sie auslösten. Klonk-klonk, klonk-klonk! Okay, abschwenken, drehen, zum Tiefflug ansetzen … Klonk-klonk, klonk-klonk … Er mochte das Geräusch nicht, empfand nicht die Genugtuung wie beim brutalen kurzen Brrpt! seiner Außenbordgewehre. Es fühlte sich falsch an, als stimmte etwas mit dem Motor nicht … Aye, da kam es ja in Sicht, sein momentanes Ziel.

Meilenkastell 37.

Ein steinernes Rechteck, das am Hadrianswall klebte wie eine Schnecke an einem Blatt. Die alten römischen Legionen hatten diese kleinen Festungen als Quartiere für die Garnisonen gebaut, die den Wall bewachten. Jetzt war nur noch der Umriss der Fundamente übrig, aber er stellte ein gutes Ziel dar.

Er flog einmal im Kreis darüber und überlegte, dann tauchte er ab und dröhnte in etwa fünfzehn Metern Höhe darüber hinweg, während die Kameras ratterten wie eine Horde wild gewordener Roboter. Zog die Maschine scharf hoch und machte sich davon, kreiste hoch und schnell, flog davon, um auf die imaginäre Grenze zuzuhalten, stieg weiter in Kreisen hoch … und dabei klopfte ihm das Herz, und der Schweiß rann ihm über die Seiten, weil er sich vorstellte, wie es sein würde, wenn der Tag tatsächlich kam.

Es würde Nachmittag sein, so wie jetzt. Das Winterlicht würde zu schwinden beginnen, aber noch ausreichen, um klar zu sehen. Er würde sich im Kreisflug nähern, sich einen Winkel suchen, der ihn das ganze Lager überqueren ließ, und zwar bitte, Gott, einen, der ihn aus der Sonne kommen ließ. Und dann würde er es in Angriff nehmen.

Ein Überflug, hatte Randall gesagt. Riskieren Sie nicht mehr – es sei denn, die Kameras funktionieren nicht.

Die verdammten Dinger funktionierten etwa bei jedem dritten Überflug nicht. Die Knöpfe waren rutschig unter seinen Fingern. Manchmal funktionierten sie beim nächsten Versuch, manchmal nicht.

Wenn sie beim ersten Überflug über das Lager nicht funktionierten oder nicht oft genug auslösten, würde er es ein zweites Mal versuchen müssen.

»Niech to szlag«, murmelte er, zum Teufel damit, und drückte noch einmal auf die Knöpfe, eins-zwei, eins-zwei. »Sanft, aber bestimmt, so wie Sie es bei einer Frau machen würden«, hatte ihm der Techniker gesagt und zur Demonstration im Eiltempo mit zwei Fingern gespielt. Es war ihm noch nie in den Sinn gekommen, das zu tun – würde Dolly das wohl mögen?, fragte er sich. Und wo genau machte man es? Aye, nun ja, Frauen hatten ja in der Tat einen Knopf, vielleicht dort – aber zwei Finger? … Klonk-klonk. Klonk-klonk. Knirsch.

Diesmal fluchte er auf Englisch und hieb mit der Faust auf beide Knöpfe. Eine Kamera antwortete mit einem aufgeschreckten Klonk!, aber die andere blieb still.

Wieder und wieder stieß er auf den Knopf ein, jedoch ohne Wirkung. »Gottverdammtes Mistding …« Er dachte vage, dass er sich das Fluchen abgewöhnen musste, wenn das hier vorbei war und er wieder zu Hause war – schlechtes Vorbild für den Jungen.

»MIST!«, brüllte er, riss sich den Riemen vom Bein, ergriff die Buchse und knallte sie gegen seine Sitzkante, dann ließ er sie wieder auf sein Bein niedersausen – sichtbar eingebeult, wie er mit grimmiger Genugtuung feststellte – und drückte den widerspenstigen Knopf.

Klonk, antwortete die Kamera kleinlaut.

»Aye, schön, vergiss das ja nicht!«, sagte er und stieß rechtschaffen empört noch einmal auf die Knöpfe ein.

Er hatte während seines kleinen Wutausbruchs nicht auf seine Umgebung geachtet, sondern war im Kreis aufgestiegen – das Standardmanöver jedes Spitfire-Fliegers. Jetzt ging er in den Sinkflug, um das Meilenkastell erneut zu überfliegen, doch es dauerte keine Minute, bevor er ein Klopfen aus der Motorgegend hörte.

»Nein!«, sagte er und gab mehr Gas. Das Klopfen wurde lauter, er konnte spüren, wie die Außenhaut vibrierte. Dann machte es neben seinem rechten Knie im Motorraum laut Klang!, und voller Entsetzen sah er kleine Öltropfen vor seinem Gesicht auf die Scheibe spritzen. Der Motor fiel aus.

»Verdammtes, verdammtes …« Er war zu beschäftigt, um nach einem anderen Wort zu suchen. Sein herrlich beweglicher Kampfflieger hatte sich plötzlich in einen sehr schwerfälligen Gleiter verwandelt. Er stürzte ab, und die einzige Frage war, ob er eine relativ flache Stelle für den Aufprall finden würde.

Seine Hand tastete automatisch nach dem Fahrgestell, zog sich dann aber wieder zurück. Keine Zeit – keine Zeit, Bauchlandung, wo war der Boden? Himmel, er war abgelenkt gewesen, hatte diese Wolkenbank nicht gesehen, sie musste schneller herangekommen sein als er … Die Gedanken rasten ihm durch den Kopf, zu schnell für Worte. Er warf einen Blick auf den Höhenmesser, doch die Anzeige war nur von begrenztem Nutzen, weil er nicht wusste, wie der Boden unter ihm beschaffen war, Hügel, flache Wiesen, Wasser? Er hoffte und betete um eine Straße, eine flache Grasstelle, alles, nur kein – Gott, er war hundertsechzig Meter hoch und immer noch in den Wolken!

»Himmel!«

Der Boden erschien als plötzliche Explosion von Gelb und Braun. Er riss die Nase hoch, sah die Felsen eines Hügels dicht vor sich, wich aus, keine Reaktion, kippte mit der Nase, zog, zog, nicht genug, oh Gott …

 

SEIN ERSTER BEWUSSTER GEDANKE WAR, dass er die Basis hätte anfunken sollen, als der Motor ausfiel.

»Verdammter Idiot«, murmelte er. »›Fälle deine Entscheidungen prompt. Es ist besser, schnell zu handeln, auch wenn die Taktik darunter leidet.‹ Dummkopf.«

Er schien auf der Seite zu liegen. Das schien ihm nicht richtig zu sein. Vorsichtig tastete er mit einer Hand um sich – Gras und Erde. Was, war er etwa aus dem Flugzeug geschleudert worden?

Ja. Sein Kopf schmerzte höllisch, sein Knie noch viel mehr. Er musste sich eine Weile in das zerdrückte nasse Gras setzen, zu jedem Gedanken unfähig, überwältigt von den Wellen aus Schmerz, die ihm mit jedem Herzschlag den Kopf quetschten.

Es war fast dunkel, und er war von aufsteigendem Nebel umgeben. Er atmete tief ein und roch die feuchte, kalte Luft. Sie roch nach Rotte und alten Rüben – doch wonach sie nicht roch, waren Benzin und brennende Flugzeugteile.

Schön. Vielleicht war es also beim Aufprall nicht in Flammen aufgegangen. Wenn nicht und wenn das Funkgerät noch funktionierte …

Er rappelte sich stolpernd auf, verlor durch eine plötzliche Schwindelattacke fast das Gleichgewicht und ging langsam im Kreis, während er den Blick durch den Nebel wandern ließ. Zu seiner Linken und hinter ihm war nichts als Nebel, doch zu seiner Rechten machte er zwei oder drei massige Umrisse aus, die aufrecht im Gras standen.

Nachdem er sich vorsichtig auf dem unebenen Boden vorgetastet hatte, stellte er fest, dass es Steine waren. Überbleibsel dieser prähistorischen Stätten, von denen es in ganz Nordbritannien wimmelte. Nur drei der großen Steine standen noch, doch er konnte einige andere sehen, die umgefallen oder umgestürzt worden waren und wie Tote im zunehmenden Dunkel des Nebels lagen. Er blieb stehen, um sich zu übergeben, auf einen der Steine gestützt. Himmel, gleich würde ihm der Kopf platzen! Und er hatte ein fürchterliches Brummen in den Ohren … Er hieb vage nach seinem Ohr, weil er dachte, er hätte vielleicht seinen Kopfhörer noch an, spürte aber nichts als ein kaltes, nasses Ohr.

Schwer atmend schloss er erneut die Augen und lehnte sich an den Stein. Das Rauschen in seinen Ohren wurde schlimmer, begleitet von einem heulenden Geräusch. War ihm ein Trommelfell geplatzt? Er zwang sich, die Augen zu öffnen, und wurde mit dem Anblick eines großen, dunklen, unregelmäßigen Umrisses belohnt, weit außerhalb der Überreste des Steinkreises. Dolly!

Das Flugzeug war kaum zu sehen, weil es in der wirbelnden Dunkelheit verschwamm, doch es konnte nur Dolly sein. Anscheinend weitgehend intakt, wenn auch mit der Nase unten und dem Heck in der Luft – sie musste sich in den Boden gebohrt haben. Er stolperte über den felsübersäten Boden und spürte, wie ihn erneut heftiger Schwindel überkam. Er wedelte mit den Armen, um das Gleichgewicht nicht zu verlieren, doch alles drehte sich, und Himmel, dieser grauenvolle Lärm in seinem Kopf … Er konnte nicht denken, oh Gott, es fühlte sich an, als lösten sich seine Knochen auf …

 

ES WAR VOLLSTÄNDIG DUNKEL, als er wieder zu sich kam, doch die Wolkendecke war aufgerissen, und ein Dreiviertelmond schien in der Tiefschwärze des Himmels auf das Land. Er bewegte sich und stöhnte. Jeder Knochen in seinem Körper schmerzte – doch keiner war gebrochen. Das war doch immerhin etwas, sagte er sich. Seine Kleider waren durchnässt von der Feuchtigkeit; er hatte Hunger, und sein Knie war so steif, dass er sein rechtes Bein nicht vollständig strecken konnte, doch das war nicht so schlimm; er ging davon aus, dass er bis zur nächsten Straße humpeln konnte.

Oh, halt. Funkgerät. Ja, das hatte er vergessen. Wenn Dollys Funkgerät nicht beschädigt war, konnte er …

Er starrte verständnislos in die offene Landschaft. Er hätte schwören können, dass es … Er musste sich wohl in der Dunkelheit und im Nebel umgedreht haben – nein.

Er drehte sich dreimal vollständig um sich selbst, bevor er stehen blieb, weil er Angst hatte, dass ihm wieder schwindelig werden würde. Das Flugzeug war fort.

Es war fort! Er war sich sicher, dass es etwa fünfzehn Meter jenseits dieses einen Steins gelegen hatte, des größten; er hatte ihn sich zur Orientierung eingeprägt. Er ging zu der Stelle hinüber, von der er sich sicher war, dass Dolly dort abgestürzt war, wanderte langsam in einem großen Kreis um die Steine herum und blickte zunehmend verwirrt erst zur einen Seite, dann zur anderen.

Das Flugzeug war nicht nur verschwunden – es schien niemals dort gewesen zu sein. Es gab keine Spur, keine Furche im dichten Wiesengras, ganz zu schweigen von dem tiefen Graben, der bei einem solchen Aufprall entstanden sein musste. Hatte er sich das Flugzeug nur eingebildet? Es sich herbeigewünscht?

Er schüttelte den Kopf, um ihn klar zu bekommen – doch er war klar. Das Brummen und Heulen in seinen Ohren hatte aufgehört, und er hatte zwar nach wie vor Prellungen und leichte Kopfschmerzen, doch er fühlte sich viel besser. Immer noch suchend, schritt er langsam um die Steine herum zurück, und in seinem Bauch machte sich zunehmende Kälte breit. Das Flugzeug war einfach nicht da.

 

ER ERWACHTE AM MORGEN ohne die geringste Ahnung, wo er war. Er lag zusammengerollt auf Gras; so viel begriff er dumpf, er konnte es riechen. Gras, auf dem Rinder gegrast hatten, denn direkt neben ihm lag ein großer Kuhfladen, so frisch, dass er ihn ebenfalls riechen konnte. Er streckte ein Bein aus, vorsichtig. Dann einen Arm. Drehte sich auf den Rücken und fühlte sich ein winziges bisschen besser, weil er etwas Festes unter sich hatte, obwohl am Himmel über ihm schwindelerregende Leere herrschte.

Und zwar eine blassblaue Leere. Nicht die Spur einer Wolke.

Wie lange …? Vor Schreck fuhr er abrupt auf die Knie hoch, doch ein gleißender Schmerz hinter seinen Augen zwang ihn, sich wieder hinzusetzen. Atemlos stöhnte und fluchte er.

Noch einmal. Er wartete, bis seine Atmung wieder gleichmäßig war, dann riskierte er es, ein Auge einen Spalt zu öffnen …

Nun, es war auf jeden Fall immer noch Northumbrien, der nördliche Teil, wo Englands wogende Felder auf die feindseligen Felsen Schottlands prallen.

Er erkannte die sanften Hügel wieder, die mit vertrocknetem Gras bedeckt waren und aus denen sich hier und dort unvermittelt eine Felsenspitze wie ein Zahn in den Himmel bohrte. Er schluckte und rieb sich Kopf und Gesicht mit beiden Händen, um sich zu vergewissern, dass er noch von dieser Welt war. Er fühlte sich unwirklich. Selbst nachdem er seine Finger, Zehen und seine intimen Körperteile sorgfältig durchgezählt hatte – Letztere vorsichtshalber zweimal –, hatte er das zutiefst unangenehme Gefühl, dass irgendetwas Wichtiges fehlte, dass es irgendwie abgerissen und zurückgeblieben war.

Seine Ohren dröhnten immer noch, ähnlich wie nach einem Einsatz, bei dem er besonders viel zu tun gehabt hatte. Doch warum? Was hatte er gehört?

Er stellte fest, dass er sich jetzt etwas besser bewegen konnte, und es gelang ihm, den Himmel abzusuchen, Sektor für Sektor. Da oben war nichts. Er konnte sich auch nicht erinnern, dass da etwas gewesen wäre. Und doch brummte und klirrte es in seinem Schädel, und die Erregung lief ihm in Wellen über die Haut. Er rieb sich fest die Arme, damit das aufhörte.

Horripilatio. Das ist das Fachwort für Gänsehaut, hatte ihm Dolly erzählt. Sie hatte ein kleines Notizbuch und schrieb sich Wörter auf, die sie beim Lesen aufstöberte; sie war eine große Leseratte. Auch den kleinen Roger setzte sie sich abends schon auf den Schoß, um ihm vorzulesen. Mit großen Augen betrachtete er dann die bunten Zeichnungen in seinem Bilderbuch.

Der Gedanke an seine Familie half ihm auf die Beine. Er schwankte zwar noch, doch es ging jetzt besser, ja, definitiv besser, obwohl es sich nach wie vor so anfühlte, als passte er nicht richtig in seine Haut. Das Flugzeug, wo war es?

Er sah sich um. Es war kein Flugzeug zu sehen. Nirgendwo. Dann fiel es ihm wieder ein, und sein Magen ballte sich zusammen. Wahr, es war wahr. In der Nacht war er sich sicher gewesen, dass er träumte oder halluzinierte, hatte sich hingelegt, um sich zu erholen, und musste eingeschlafen sein. Doch jetzt war er wach, da gab es keinen Irrtum; er hatte ein Insekt auf dem Rücken und schlug danach, um es zu zerquetschen.

Sein Herz pochte aufgeregt, und seine Handflächen waren verschwitzt. Er wischte sie an seiner Hose ab, und sein Blick überflog die Landschaft. Sie war zwar nicht flach, aber viel Deckung bot sie auch nicht. Keine Bäume, keine bewaldeten Mulden. In einiger Entfernung lag ein kleiner See, er fing das Glänzen des Wassers auf – aber wenn er im Wasser gelandet wäre, müsste er doch wohl nass sein?

Vielleicht war er ja so lange bewusstlos gewesen, dass er wieder getrocknet war, dachte er. Vielleicht hatte er es sich nur eingebildet, das Flugzeug in der Nähe der Steine zu sehen. Er konnte doch wohl nicht von dem See bis hierher gelaufen sein und es vergessen haben? Er setzte sich in Richtung des Sees in Bewegung, weil ihm einfach nichts Besseres einfallen wollte. Es war eindeutig einige Zeit verstrichen; der Himmel war wie von Zauberhand aufgeklart. Nun, zumindest würden sie ihn ohne große Probleme finden; sie wussten ja, dass er in der Nähe des Walls war. Mit Sicherheit kam bald ein Laster; er konnte nicht mehr als zwei Stunden vom Flugplatz entfernt sein.

»Zum Glück«, murmelte er. Er hatte sich eine ausnehmend gottverlassene Stelle für seinen Absturz ausgesucht – nirgendwo war eine Farm oder auch nur ein Weidezaun in Sicht, nirgendwo nur der winzigste Hauch von Kaminrauch.

Sein Kopf wurde langsam klarer. Er würde einmal um den See herumgehen – nur für alle Fälle – und sich dann zur Straße aufmachen. Vielleicht traf er ja den entgegenkommenden Hilfstrupp.

»Und dann soll ich ihnen sagen, dass ich das verdammte Flugzeug verloren habe?«, fragte er sich laut. »Aye, schon klar. Komm schon, du kleiner Idiot, denk nach! Wo hast du es zuletzt gesehen?«

 

ER WANDERTE LANGE VOR SICH HIN. Langsam wegen seines Knies, doch nach einer Weile fiel es ihm leichter. Nur seinem Kopf wurde nicht leichter zumute. Irgendetwas stimmte mit der Landschaft nicht. Natürlich war Northumbrien eine wilde Gegend, aber doch nicht so wild. Er hatte eine Straße gefunden – doch es war nicht die Landstraße gewesen, die er von der Luft aus gesehen hatte. Es war ein steiniger Feldweg, der so aussah, als würde er häufig von Huftieren benutzt, die viele Ballaststoffe auf ihrem Speiseplan stehen hatten.

Er wünschte, er hätte nicht an Speisepläne gedacht. Sein Bauchfell schlackerte schon gegen seine Wirbelsäule. Doch an Frühstück zu denken, war besser als andere Gedanken, und eine Weile amüsierte er sich damit, sich die pulverisierten Eier und den schwabbeligen Toast vorzustellen, den er in der Messe bekommen hätte, bevor er zu den reich gedeckten Frühstückstischen seiner Kindheit in den Highlands überging: schüsselweise dampfender Porridge, scheibenweise gebratener Black Pudding, Brötchen mit Marmelade, literweise heißer, starker Tee …

Eine Stunde später fand er den Hadrianswall. Kaum zu verfehlen, selbst so überwuchert, wie er war. Unbeirrbar zog er seines Weges, genau wie die römischen Legionen, die ihn erbaut hatten, stur und solide, ein grauer Saum, der die Hügel hinauf- und in die Täler hinunterwanderte und die friedlichen Felder im Süden von den plündernden Schuften im Norden trennte. Er grinste bei diesem Gedanken und setzte sich auf den Wall – der hier weniger als einen Meter hoch war –, um sich das Knie zu massieren.

Er hatte weder das Flugzeug noch sonst etwas gefunden, und allmählich begann er, an seinem Verstand zu zweifeln. Er hatte einen Fuchs, diverse Kaninchen und einen Fasan gesehen, der so plötzlich zu seinen Füßen aufgeschossen war, dass Jerry fast einen Herzinfarkt bekommen hätte. Aber nicht eine Menschenseele, und das war der Grund, warum er sich mulmig fühlte.

Aye, es war Krieg, natürlich, und viele der Männer waren fort – doch die Gehöfte wurden doch von den Frauen weitergeführt, die die Nation ernährten und so weiter. Erst letzte Woche hatte er im Radio gehört, wie der Premierminister sie dafür lobte. Wo zum Teufel waren sie also alle?

Die Sonne stand schon tief am Himmel, als er endlich ein Haus sah. Es stand unmittelbar am Hadrianswall und kam ihm irgendwie bekannt vor, obwohl er wusste, dass er es noch nie gesehen hatte. Aus Stein gebaut und kantig, aber ziemlich groß, mit einem fadenscheinigen Rieddach. Doch aus dem Schornstein stieg Rauch, und er humpelte darauf zu, so schnell er konnte.

Draußen war eine Person – eine Frau mit einem abgenutzten langen Kleid und einer Schürze, die ihre Hühner fütterte. Er rief sie an; sie blickte auf und riss bei seinem Anblick den Mund auf.

»Hey«, sagte er atemlos vor Hast. »Ich bin abgestürzt. Ich brauche Hilfe. Haben Sie vielleicht ein Telefon?«

Sie antwortete nicht. Sie ließ den Korb mit dem Hühnerfutter fallen und rannte um die Hausecke davon. Er seufzte enerviert. Vielleicht war sie ja ihren Mann holen gegangen. Er sah keine Spur von einem Fahrzeug, nicht einmal einen Traktor, aber vielleicht war der Mann ja …

Der Mann war hochgewachsen, sehnig, bärtig und hatte schiefe Zähne. Außerdem trug er ein schmutziges Hemd und eine ausgebeulte kurze Hose, unter der man seine behaarten Beine und seine nackten Füße sah – und er wurde von zwei weiteren Männern in ähnlich komischer Aufmachung begleitet. Augenblicklich las Jerry ihre Mienen, und er hielt sich nicht mit Lachen auf.

»Hey, kein Problem, Kumpel«, sagte er und wich mit erhobenen Händen zurück. »Bin schon weg, ja?«

Sie näherten sich weiter, langsam, verteilten sich, um ihn einzukreisen. Sie hatten ihm von Anfang an nicht gefallen, und jetzt gefielen sie ihm mit jeder Sekunde weniger. Hungrig sahen sie aus, und in ihren Augen glitzerte es spekulativ.

Einer von ihnen sagte etwas zu ihm, anscheinend eine Frage, doch sein Akzent war zu stark, um mehr als ein Wort zu verstehen.

»Wer« war das Wort, und er zog sich hastig die Hundemarken aus dem Halsausschnitt und hielt ihnen die roten und grünen Plättchen entgegen. Einer der Männer lächelte, doch es war kein freundliches Lächeln.

»Hören Sie«, sagte er immer noch im Rückwärtsgang. »Ich wollte doch nicht …«

Der Anführer streckte seine schwielige Hand aus und packte seinen Unterarm. Er riss daran, doch statt loszulassen, rammte ihm der Mann die Faust in den Bauch.

Er konnte spüren, wie sich sein Mund öffnete und schloss wie bei einem Fisch, doch es kam keine Luft herein. Er schlug wild um sich, doch jetzt fielen sie alle drei über ihn her. Sie feuerten sich gegenseitig an – er verstand zwar kein Wort, aber ihre Absicht war so unübersehbar wie die Nase, die er mit seiner Stirn erwischte.

Es war der einzige Treffer, den er landen konnte. Innerhalb von zwei Minuten hatten sie ihn buchstäblich zu Brei geschlagen, ihm die Taschen durchwühlt, ihn seiner Jacke und der Hundemarken beraubt, ihn die Straße entlanggeschoben und ihn einen steilen Felshang hinuntergeworfen.

Er prallte im Rollen von einem Stein gegen den nächsten, bis es ihm gelang, einen Arm auszustrecken und sich an einem kleinen Dornbusch festzuhalten. Rutschend kam er zum Halten und lag keuchend mit dem Gesicht in einer Heidepflanze, während er unpassenderweise daran denken musste, wie er mit Dolly ins Kino gegangen war, kurz bevor er sich freiwillig gemeldet hatte. Sie hatten den Zauberer von Oz gesehen, und allmählich kam er sich unangenehm wie das Mädchen in diesem Film vor. Vielleicht lag es ja daran, dass die Männer solche Ähnlichkeit mit Vogelscheuchen und Löwen hatten.

»Den verdammten Löwen konnte man wenigstens verstehen«, murmelte er und setzte sich auf. »Himmel, was jetzt?«

Ihm kam der Gedanke, dass dies ein guter Zeitpunkt sein könnte, um mit dem Fluchen aufzuhören und mit Beten anzufangen.

London, zwei Jahre später

SIE WAR NOCH NICHT LÄNGER ALS FÜNF Minuten von der Arbeit zu Hause. Gerade Zeit genug, Roger aufzufangen, der wie wild auf sie zugerannt kam und »MAMI!« kreischte, während sie so tat, als würde sie fast umgeworfen – sie musste kaum noch so tun; er wurde jetzt groß. Gerade Zeit genug, ihrer Mutter eine Begrüßung zuzurufen, die gedämpfte Antwort aus der Küche zu hören, hoffnungsvoll zu erschnüffeln, ob es etwas zu essen gab, und einen verlockenden Hauch von Ölsardinen aufzufangen, der ihr das Wasser im Mund zusammenlaufen ließ – eine seltene Delikatesse.

Gerade Zeit genug, sich hinzusetzen – es kam ihr wie das erste Mal seit Tagen vor –, ihre hochhackigen Schuhe auszuziehen und sich von der Erleichterung überfluten zu lassen wie von einer Welle am Meer. Bestürzt bemerkte sie das Loch in ihrem Strumpf. Ausgerechnet ihr letztes Paar. Gerade zog sie sich das Strumpfband aus und dachte, dass sie wohl anfangen musste, Selbstbräuner zu benutzen wie Maisie und sich dann mit einem Augenbrauenstift sorgfältig eine Naht auf die Rückseite der Beine zu malen, als es an der Tür klopfte.

»Mrs MacKenzie?« Der Mann, der an der Wohnungstür ihrer Mutter stand, war hochgewachsen, ein dunkler Umriss im gedämpften Flurlicht, doch sie wusste sofort, dass es ein Soldat war.

»Ja?« Sie konnte nicht verhindern, dass ihr Herz einen Satz tat, dass sich ihr Magen verkrampfte. Sie versuchte mit aller Kraft, sie zu dämpfen, zu leugnen, die Hoffnung, die wie ein Streichholz in ihr aufflammte. Ein Irrtum. Es hatte ein Irrtum vorgelegen. Er war nicht umgekommen, er war irgendwie verschollen gewesen, vielleicht gefangen genommen, und jetzt hatten sie ihn gefun… Dann sah sie die kleine Schachtel in der Hand des Soldaten, und die Beine versagten ihr den Dienst.

Es glitzerte am Rand ihres Gesichtsfeldes, und das besorgte Gesicht des Fremden verschwamm über ihr. Hören konnte sie jedoch – hörte, wie ihre Mutter aus der Küche gelaufen kam, so eilig, dass ihre Pantoffeln klatschten, und dann aufgeregt redete. Hörte den Namen des Mannes, Hauptmann Randall, Frank Randall. Hörte Rogers heisere Kinderstimme, die ihr warm »Mami? Mami?« ins Ohr sagte.

Dann war sie auf dem Sofa und hielt eine Tasse mit heißem Wasser in der Hand, das nach Tee roch – sie konnten nur einmal in der Woche neue Teeblätter nehmen, und heute war Freitag, dachte sie unwichtigerweise. Er hätte Sonntag kommen sollen, sagte ihre Mutter gerade, dann hätte er eine anständige Tasse bekommen. Aber vielleicht hatte er ja sonntags keinen Dienst?

Ihre Mutter hatte Hauptmann Randall auf den besten Sessel gesetzt, neben der Heizsonne, die sie als Zeichen der Gastfreundschaft auf »zwei« gestellt hatte. Ihre Mutter hatte Roger auf dem Schoß und plauderte mit Hauptmann Randall. Ihr Sohn interessierte sich mehr für die kleine Schachtel, die auf dem Beistelltischchen stand; er streckte immer wieder die Hand danach aus, doch seine Großmutter ließ nicht zu, dass er danach griff. Marjorie sah seinen konzentrierten Blick. Er würde zwar keinen Wutanfall bekommen – das kam bei ihm nur selten vor –, aber er würde auch nicht aufgeben.

Er sah seinem Vater nicht sehr ähnlich, es sei denn, es gab etwas, das er sich sehr wünschte. Sie richtete sich ein wenig auf und schüttelte den Kopf, und von ihrer Bewegung abgelenkt, blickte Roger zu ihr hinüber. Eine Sekunde lang blickte ihr Jerry aus seinen Augen entgegen, und wieder verschwamm die Welt. Doch sie schloss die Augen und nahm einen Schluck Tee, obwohl er kochend heiß war.

Mutter und Hauptmann Randall hatten sich höflich unterhalten, um ihr Zeit zu lassen, sich wieder zu fassen. Hatte er auch Kinder?, fragte ihre Mutter.

»Nein«, sagte er mit einem Blick auf den kleinen Roger, den man für wehmütig halten konnte. »Noch nicht. Ich habe meine Frau seit zwei Jahren nicht mehr gesehen.«

»Besser spät als nie«, sagte eine scharfe Stimme, und sie stellte überrascht fest, dass es die ihre war. Sie stellte die Tasse beiseite, zog den losen Strumpf hoch, der ihr um den Knöchel hing, und richtete den Blick auf Hauptmann Randall. »Was haben Sie für mich?«, fragte sie, um einen Tonfall ruhiger Würde bemüht. Das gelang ihr nicht; ihre Stimme klang selbst für sie so spröde wie zerbrochenes Glas.

Hauptmann Randall betrachtete sie vorsichtig, ergriff aber die kleine Schachtel und hielt sie ihr hin.

»Sie gehört Leutnant MacKenzie«, sagte er. »Ein Orden des MID mit Eichenlaub. Posthum verliehen für …«

Mühsam lehnte sie sich wieder in ihre Kissen zurück und schüttelte den Kopf.

»Ich will ihn nicht.«

»Also wirklich, Marjorie!« Ihre Mutter war schockiert.

»Und ich hasse dieses Wort. Pos… posth…, sagen Sie das nicht.«

Sie konnte sich nicht von der Vorstellung lösen, dass Jerry irgendwie in der Schachtel war – eine Vorstellung, die ihr im ersten Moment furchtbar erschien, im nächsten tröstlich. Hauptmann Randall legte die Schachtel hin, ganz langsam, so als könnte sie explodieren.

»Ich werde es nicht sagen«, sagte er sanft. »Darf ich denn sagen … dass ich ihn kannte? Ihren Mann. Nur ganz kurz, aber ich kannte ihn. Ich bin persönlich damit hier, um Ihnen zu sagen, wie tapfer er gewesen ist.«

»Tapfer.« Das Wort war wie ein Kiesel in ihrem Mund. Sie wünschte, sie könnte ihn damit anspucken.

»Natürlich war er das«, sagte ihre Mutter entschieden. »Hörst du, Roger? Dein Vater war ein guter Mann, und er war sehr tapfer. Das darfst du nicht vergessen.«

Roger beachtete sie nicht, sondern versuchte, von ihrem Schoß zu klettern. Seine Großmutter stellte ihn widerstrebend auf den Boden, und er wankte zu Hauptmann Randall hinüber und hielt sich mit beiden Händen an dessen frisch gebügelter Hose fest – fettige Hände, wie sie sah, voller Sardinenöl und Toastkrümeln. Die Lippen des Hauptmanns zuckten zwar, doch er versuchte nicht, sich von Roger zu befreien, sondern tätschelte ihm nur den Kopf.

»Na, Kleiner?«, sagte er.

»Fiff«, sagte Roger mit fester Stimme. »Fiff.«

Marjorie verspürte den unpassenden Impuls zu lachen, als sie die verwunderte Miene des Hauptmanns sah, obwohl der Stein in ihrem Herzen davon unberührt blieb.

»Das ist sein neues Wort«, sagte sie. »Fisch. Er kann noch nicht ›Sardine‹ sagen.«

»Zar … DIEM!«, sagte Roger und sah sie finster an. »Fiffff!«

Der Hauptmann lachte laut auf, zog ein Taschentuch hervor und wischte Roger sorgfältig die Spucke aus dem Gesicht, bevor er ihm beiläufig auch die schmierigen kleinen Tatzen reinigte.

»Natürlich, ein Fisch«, versicherte er Roger. »Du bist ein kluger Junge. Und bestimmt auch eine große Hilfe für deine Mami. Hier, ich habe dir etwas zum Abendessen mitgebracht.« Er griff in seine Rocktasche und zog ein Töpfchen Marmelade heraus. Erdbeermarmelade. Marjories Speicheldrüsen verkrampften sich schmerzhaft. Seit der Zucker rationiert war, hatte sie keine Marmelade mehr …

»Er ist eine große Hilfe«, sagte ihre Mutter standhaft, fest entschlossen, das Gespräch in normalen Bahnen zu halten, obwohl sich ihre Tochter so merkwürdig aufführte. Sie wich Marjories Blick aus. »Ein lieber Junge. Sein Name ist Roger.«

»Ja, ich weiß.« Er richtete den Blick auf Marjorie, die eine kurze Bewegung gemacht hatte. »Ihr Mann hat es mir erzählt. Er war …«

»Tapfer. Das sagten Sie schon.« Plötzlich klatschte es. Es war ihr halb eingehaktes Strumpfband, doch bei dem Knall setzte sie sich kerzengerade hin und ballte die Fäuste um den dünnen Stoff ihres Rockes. »Tapfer«, wiederholte sie. »Sie sind alle tapfer, nicht wahr? Jeder Einzelne von ihnen. Sogar Sie – oder etwa nicht?«

Sie hörte ihre Mutter nach Luft schnappen, fuhr aber todesmutig fort.

»Sie müssen alle tapfer und nobel und … und … perfekt sein, nicht wahr? Denn wenn sie Schwäche zeigen würden, wenn es Risse gäbe, wenn jemand nicht ganz auf der Höhe wäre – dann würde vielleicht alles in sich zusammenfallen, nicht wahr? Also kommt es nicht infrage, nicht wahr? Oder wenn es jemand täte, würde der Rest es vertuschen. Niemals würden Sie etwas nicht tun, ganz gleich, was es ist, denn das geht einfach nicht, alle anderen würden dann schlecht von Ihnen denken, und das geht doch nicht, oh nein, das geht doch nicht!«

Hauptmann Randall beobachtete sie gebannt, und seine dunklen Augen waren voller Sorge. Hielt sie wahrscheinlich für eine Verrückte – wahrscheinlich war sie das ja auch, doch was spielte das schon für eine Rolle.

»Marjie, Marjie, Liebes«, murmelte ihre Mutter furchtbar verlegen. »Sag doch so etwas nicht zu …«

»Sie haben ihn dazu überredet, nicht wahr?« Sie war jetzt auf den Beinen, sodass der Hauptmann zu ihr aufblicken musste. »Er hat es mir erzählt. Er hat mir von Ihnen erzählt. Sie haben ihn darum gebeten zu tun … was auch immer es war, das ihn umgebracht hat. Oh, keine Sorge, er hat mir Ihre kostbaren Geheimnisse nicht verraten, er nicht, das hätte er nie getan. Er war schließlich Flieger.« Sie keuchte vor Rage und musste innehalten, um Luft zu holen. Vage nahm sie wahr, dass sich Roger ganz klein gemacht hatte und sich an das Bein des Hauptmanns klammerte; Randall legte automatisch den Arm um den Jungen, wie um ihn vor dem Zorn seiner Mutter zu schützen. Mühsam zwang sie sich, mit dem Schreien aufzuhören, und spürte zu ihrem Entsetzen, wie ihr die Tränen über das Gesicht zu laufen begannen.

»Und jetzt kommen Sie nach all der Zeit und bringen mir … und bringen mir …«

»Marjie.« Ihre Mutter trat so dicht an ihre Seite, dass sie ihre tröstende Körperwärme unter der alten Schürze spüren konnte. Sie drückte Marjorie ein Küchenhandtuch in die Hände, dann schob sie sich wie ein Kriegsschiff zwischen ihre Tochter und den Feind.

»Es ist sehr freundlich von Ihnen, uns das zu bringen, Hauptmann«, hörte Marjorie sie sagen und spürte, wie sie sich entfernte, um sich nach der kleinen Schatulle zu bücken. Marjorie setzte sich blindlings hin und drückte sich das Handtuch vor das Gesicht, um sich zu verstecken.

»Schau nur, Roger. Siehst du, wie sie aufgeht? Siehst du, wie hübsch. Man nennt es – wie sagten Sie noch, Hauptmann? Oh, Eichenlaub. Ja, genau. Kannst du ›Orden‹ sagen, Roger? Das ist der Orden von deinem Papa.«

Roger sagte gar nichts. Wahrscheinlich war er völlig verängstigt, der arme Kerl. Sie musste sich zusammenreißen. Aber sie war sowieso schon zu weit gegangen. Sie konnte nicht aufhören.

»Er hat beim Abschied geweint.« Sie murmelte ihr Geheimnis in die Falten des Handtuchs. »Er wollte nicht gehen.« Unerwartet schluchzte sie so heftig auf, dass ihre Schultern bebten, und sie drückte sich das Handtuch fest vor die Augen. »Du hast gesagt, du kommst zurück, Jerry. Du hast gesagt, du kommst zurück

Sie blieb hinter ihrer Baumwollfestung versteckt, während erneut Tee angeboten wurde – und zu ihrer vagen Überraschung auch angenommen wurde. Sie hatte gedacht, Hauptmann Randall würde die Chance nutzen, die ihm ihr Rückzug bot, und sich ebenfalls davonmachen. Doch er blieb, plauderte in Ruhe mit ihrer Mutter, unterhielt sich langsam mit Roger, während ihre Mutter den Tee holte, ignorierte ihre peinliche Darbietung vollständig und saß gelassen und freundlich in dem schäbigen Zimmer.

Das Klappern des Teetabletts gab ihr die Gelegenheit, hinter ihrer Handtuchfassade hervorzukommen, und sie nahm kleinlaut eine Scheibe Toast entgegen, die hauchdünn mit Margarine und darüber einem herrlichen Löffel Erdbeermarmelade bestrichen war.

»So ist es gut«, sagte ihre Mutter, die ihr beifällig zuschaute. »Du hast ja bestimmt seit dem Frühstück nichts mehr gegessen. Da wird ja jedem mulmig zumute.«

Marjorie warf ihrer Mutter einen finsteren Blick zu, aber eigentlich stimmte es; sie hatte nicht zu Mittag gegessen, weil sich Maisie wegen »Frauenbeschwerden« freigenommen hatte – ein Zustand, von dem sie etwa alle zwei Wochen heimgesucht wurde –, und sie hatte den ganzen Tag den Laden hüten müssen.

Das Gespräch umströmte sie angenehm wie freundlich glucksendes Wasser einen unbeweglichen Felsen. Selbst Roger entspannte sich, als er die Marmelade probierte. Er hatte noch nie Marmelade gegessen, roch neugierig daran, probierte vorsichtig mit der Zunge – und nahm dann einen enormen Bissen, der einen roten Rest auf seiner Nase hinterließ, während seine moosgrünen Augen vor Staunen und Entzücken ganz groß wurden. Die kleine Schatulle stand jetzt geöffnet auf dem Beistelltischchen, doch niemand erwähnte sie oder blickte in ihre Richtung.

Nach einiger Zeit erhob sich Hauptmann Randall zum Gehen und schenkte Roger zum Abschied einen glänzenden Sixpence. Da es das Mindeste war, was sie tun konnte, stand Marjorie auf, um ihn zur Tür zu begleiten. Ihre Strümpfe rutschten ihr an den Beinen hinunter, und sie schleuderte sie verächtlich von sich und ging mit nackten Beinen zur Tür. Hinter sich hörte sie ihre Mutter seufzen.

»Danke«, sagte sie, als sie ihm die Tür öffnete. »Ich … weiß es sehr zu schätzen …«

Zu ihrer Überraschung unterbrach er sie, indem er ihr die Hand auf den Arm legte.

»Eigentlich habe ich kein Recht, Ihnen das zu sagen – aber ich tue es trotzdem«, sagte er leise. »Sie haben recht; sie sind nicht alle tapfer. Die meisten von ihnen – von uns – wir sind einfach nur … da, und wir tun unser Bestes. Meistens jedenfalls«, fügte er hinzu, und sein Mundwinkel hob sich sacht, obwohl sie nicht sagen konnte, ob es Humor oder Bitterkeit war.

»Aber Ihr Mann …« Er schloss kurz die Augen und sagte: »›Die Tapfersten sind mit Sicherheit jene, die die klarste Vorstellung von dem haben, was vor ihnen liegt, sei es Ruhm, oder sei es Gefahr, und dieser Zukunft dennoch entgegengehen.‹ Das hat er täglich getan, lange Zeit.«

»Aber Sie haben ihn geschickt«, sagte sie genauso leise. »Das waren Sie.«

Sein Lächeln war trostlos.

»Das tue ich täglich, schon seit langer Zeit.«

Die Tür schloss sich leise hinter ihm, und sie stand mit geschlossenen Augen schwankend da und spürte, wie sie vom Luftzug unter der Tür kalte Füße bekam. Es war längst Herbst, und vor den Fenstern wurde es dunkel, obwohl es gerade erst Nachmittag war.

Ich tue das, was ich täglich tue, auch schon lange, dachte sie. Aber wenn man keine Wahl hat, nennt es niemand tapfer.

Ihre Mutter ging durch die Wohnung und führte murmelnd Selbstgespräche, während sie die Vorhänge schloss. Oder auch nicht nur Selbstgespräche.

»Er mochte sie. Das konnte jeder sehen. So freundlich, persönlich zu kommen und den Orden zu überbringen. Und wie benimmt sie sich? Faucht und jammert wie eine Katze, der man auf den Schwanz getreten ist. Wie will sie denn so jemals einen Mann …«

»Ich will keinen Mann«, sagte Marjorie laut. Ihre Mutter drehte sich um, kräftig, klein und unerbittlich.

»Du brauchst einen Mann, Marjorie. Und der kleine Rog braucht einen Vater.«

»Er hat einen Vater«, sagte sie zähneknirschend. »Hauptmann Randall hat eine Frau. Und ich brauche niemanden.«

Niemanden außer Jerry.

Northumbrien

ER LECKTE SICH DIE LIPPEN, als er den Duft roch. Heißer Teig, dampfendes, saftiges Fleisch. Auf der Fensterbank lagen fette kleine Pastetchen aufgereiht, mit einem sauberen Tuch vor Vögeln geschützt, unter dem sie sich aber deutlich abmalten, und hier und dort breitete sich ein Soßenfleck auf dem Tuch aus.

Ihm lief so heftig das Wasser im Mund zusammen, dass seine Speicheldrüsen schmerzten und er sich das Kinn massieren musste, um den Schmerz zu lindern. Es war das erste Haus, das er seit zwei Tagen zu Gesicht bekam. Als er sich den Hang wieder hinaufgekämpft hatte, hatte er einen weiten Bogen um das Meilenkastell gemacht und war schließlich auf eine kleine Ansiedlung gestoßen, deren Bewohner zwar auch nicht besser zu verstehen waren, ihm aber etwas zu essen gegeben hatten. Das hatte ein wenig vorgehalten; ansonsten hatte er von dem gelebt, was er von den Hecken oder gelegentlich auch aus einem Gemüsebeet pflücken konnte. Er hatte noch eine Siedlung gefunden, dort hatte man ihn jedoch verjagt.

Als er sich wieder so weit im Griff hatte, dass er klar denken konnte, begriff er, dass er zurück zu den aufrechten Steinen musste. Was auch immer mit ihm geschehen war, war dort geschehen, und wenn er sich tatsächlich irgendwo in der Vergangenheit befand – und sosehr er sich auch um eine andere Erklärung bemühte, er fand keine –, dann schien auch seine einzige Chance zur Rückkehr dahin, wohin er gehörte, dort zu liegen.

Er war allerdings auf seiner Suche nach Essen ein gutes Stück von der Viehtreiberstraße abgekommen, und da ihn die wenigen Menschen, denen er begegnete, auch nicht besser verstanden als er sie, fand er nur mit Schwierigkeiten zum Hadrianswall zurück. Jetzt glaubte er aber, ganz in der Nähe zu sein – die zerklüftete Landschaft kam ihm allmählich bekannt vor, obwohl das womöglich auch nur Einbildung war.

Doch alles andere war zur Bedeutungslosigkeit verblasst, als er das Essen roch.

Vorsichtig umkreiste er von Weitem das Haus und sah sich nach Hunden um. Kein Hund. Aye, also schön. Er näherte sich von der Seite, außer Sichtweite der wenigen Fenster. Huschte von Busch zu Pflugschar zu Misthaufen zum Haus und presste sich heftig atmend an die graue Steinwand – und atmete dabei dieses köstliche Aroma ein. Mist, er sabberte. Er wischte sich hastig mit dem Ärmel über den Mund, schlüpfte um die Ecke und streckte die Hand aus.

Der Bauernhof hatte doch einen Hund, der mit seinem Herrn in der Scheune gewesen war. Just in diesem Moment kehrten diese beiden ehrenwerten Herrschaften nun zurück; der Hund sah sofort, was er für eine krumme Sache hielt, und gab entsprechend Laut. Vor krimineller Aktivität auf seinem Grund und Boden gewarnt, stieß der Hausherr unverzüglich dazu, mit einem Holzspaten bewaffnet, den er Jerry kommentarlos über den Schädel zog.

Während er gegen die Hauswand sackte, bekam er gerade noch mit, dass die Bauersfrau – die jetzt den Kopf aus dem Fenster steckte und kreischte wie der Glasgow Express – eines der Pastetchen aus dem Fenster gestoßen hatte, wo es jetzt von dem Hund verschlungen wurde, der eine derart fromme Miene rechtschaffener Tugend aufgesetzt hatte, dass sich Jerry persönlich beleidigt fühlte.

Dann hieb der Farmer erneut auf ihn ein, und auch dieses Gefühl verschwand.

 

ES WAR EIN STABIL GEBAUTER STALL, dessen Steine sorgfältig aufeinandergemauert und verfugt waren. Er schrie sich die Lunge aus dem Leib und trat gegen die Tür, bis sein schwaches Bein nachgab und er auf den nackten Boden sank.

»Und was jetzt, verdammt?«, murmelte er. Er war schweißnass vor Anstrengung, doch es war kalt im Stall, jene durchdringende feuchte Kälte, die so typisch für die Britischen Inseln ist und einem durch Mark und Bein geht, bis die Gelenke schmerzen. Sein Knie würde am Morgen höllisch schmerzen. Die Luft war kalt, aber mit dem Geruch nach Dung und abgekühltem Urin durchtränkt. »Was wollen die verfluchten Deutschen nur mit einer solchen Gegend?«, sagte er, setzte sich auf und zog sein Hemd fest um sich. Es würde eine verdammt lange Nacht werden.

Vorsichtig tastete er sich auf allen vieren durch das Innere des Stalls, doch es gab nichts, was auch nur im Entferntesten essbar gewesen wäre – nur einen Fladen verschimmeltes Heu, den selbst die Ratten verschmähten. Der Stall war totenstill und absolut leer.

Was war aus den Kühen geworden?, fragte er sich. An einer Seuche gestorben, gegessen, verkauft? Oder vielleicht einfach noch nicht von der Sommerweide zurück, obwohl es dafür doch schon reichlich spät im Jahr war.

Er setzte sich wieder hin und lehnte sich mit dem Rücken an die Tür, deren Holz ein bisschen weniger kalt war als die Steinwände. Er hatte sich in Gedanken ausgemalt, in der Schlacht in Gefangenschaft zu geraten, in die Hände der Deutschen zu fallen – das tat jeder hin und wieder, obwohl die Jungs so gut wie nie darüber redeten. Er dachte an Kriegsgefangenenlager und an diese Lager in Polen. War es dort so trostlos wie hier? Was für ein dummer Gedanke.

Aber irgendwie musste er sich die Zeit bis zum Morgen vertreiben, und es gab viele Dinge, an die er jetzt lieber nicht dachte. Zum Beispiel das, was passieren würde, wenn es Morgen wurde. Er glaubte jedenfalls nicht, dass es Frühstück im Bett geben würde.

Der Wind nahm zu. Er heulte unangenehm schrill um die Ecken des Kuhstalls. Er hatte den Seidenschal noch, der ihm ins Hemd gerutscht war, als die Banditen am Meilenkastell über ihn hergefallen waren. Jetzt fischte er ihn heraus und schlang ihn sich um den Hals, zumindest als Trost, wenn schon nicht der Wärme wegen.

Hin und wieder hatte er Dolly das Frühstück ans Bett gebracht. Sie brauchte morgens lange, um wach zu werden, und er liebte es zu sehen, wie sie sich die zerzausten schwarzen Locken aus dem Gesicht schob und schlitzäugig darunter hervorlugte wie ein kleines, niedliches Murmeltier, das im Licht die Augen zukneifen muss. Er ließ sie sich hinsetzen und stellte das Tablett neben ihr auf den Tisch, und dann zog er seine Kleidung aus und kroch zu ihr ins Bett, wo er sich dicht an ihre warme Haut kuschelte. Manchmal rutschte er auch tiefer ins Bett, und sie stellte sich, als merkte sie nichts, trank Tee oder bestrich ihren Toast mit Marmite, während er unter der Bettdecke wühlte und sich seinen Weg zwischen den Laken und ihrem Nachthemd nach oben suchte. Er liebte ihren Geruch, immer, besonders aber dann, wenn sie sich in der Nacht geliebt hatten und sie seinen kräftigen Moschusgeruch zwischen den Beinen trug.

Erregt von dieser Erinnerung, rutschte er ein wenig hin und her, aber der nächste Gedanke – dass er sie vielleicht nie wiedersehen würde – versetzte ihm augenblicklich einen Dämpfer.

Doch weil er immer noch an Dolly denken musste, schob er automatisch die Hand in seine Tasche und stellte alarmiert fest, dass sie nicht ausgebeult war. Er schlug mit der Handfläche gegen seinen Oberschenkel, doch er fand den kleinen festen Saphirklumpen nicht. Hatte er ihn vielleicht aus Versehen in die andere Tasche gesteckt? Er suchte hektisch, schob beide Hände tief in seine Taschen. Kein Stein – doch in seiner rechten Tasche war etwas. Etwas Pulveriges, beinahe Fettiges … was zum Teufel?

Er zog die Finger heraus und betrachtete sie, so scharf er konnte, doch es war zu dunkel, um mehr als den vagen Umriss seiner Hand zu sehen, geschweige denn irgendetwas darauf. Er rieb die Finger vorsichtig aneinander; es fühlte sich so ähnlich an wie der Ruß, der sich im Inneren eines Kamins sammelt.

»Himmel«, flüsterte er und hob die Finger an die Nase. Sie rochen deutlich nach Verbranntem. Nicht nach Benzin, sondern ein so intensiver Brandgeruch, dass er ihn in seiner Kehle schmecken konnte. Wie etwas, das aus einem Vulkan gekommen war. Was im Namen des Allmächtigen konnte einen Stein verbrennen – und den Mann, der ihn bei sich trug, am Leben lassen?

Das, worauf er inmitten der Steine gestoßen war.

Bis jetzt hatte er es fertiggebracht, keine allzu große Angst zu haben, aber … Er schluckte krampfhaft und setzte sich lautlos wieder hin.

»Abends, wenn ich schlafen geh«, flüsterte er gegen die Knie seiner Hose, »um Beistand ich den Herrn anfleh …«

Er schlief tatsächlich irgendwann ein – trotz der Kälte, aus schierer Erschöpfung. Er träumte von seinem kleinen Roger, der jetzt aus irgendeinem Grund ein Erwachsener war, aber immer noch seinen kleinen blauen Bären festhielt, der in seiner breiten Handfläche fast verschwand. Sein Sohn sprach auf Gälisch mit ihm, sagte etwas Drängendes, das er nicht verstehen konnte, und er wurde immer frustrierter und sagte Roger wieder und immer wieder, er solle doch in Gottes Namen Englisch sprechen, ob das denn nicht möglich wäre?

Dann hörte er im Nebel des Schlafs noch eine andere Stimme und begriff, dass tatsächlich ganz in der Nähe jemand redete.

Er erwachte mit einem Ruck, versuchte angestrengt zu verstehen, was da gesagt wurde, doch es gelang ihm nicht. Es dauerte einige Sekunden, bis ihm klar wurde, dass, wer auch immer da sprach – es schienen zwei Stimmen zu sein, die sich zischend und murmelnd stritten –, tatsächlich Gälisch redete.

Er selbst verstand nur ein paar Worte; seine Mutter hatte Gälisch gesprochen, aber … Bevor er den Gedanken zu Ende denken konnte, war er schon in Bewegung, denn die Vorstellung, dass sich mögliche Hilfe wieder entfernen könnte, versetzte ihn in Panik.

»Hey!«, brüllte er und rappelte sich zum Stehen auf – oder versuchte es zumindest. Doch sein geschundenes Knie wollte nichts davon wissen. Es gab nach, sobald er es belastete, sodass er mit dem Gesicht zuerst auf die Tür zukatapultiert wurde.

Er drehte sich im Fallen und prallte mit der Schulter dagegen. Das laute Krachen brachte den Streit zum Schweigen; die Stimmen verstummten auf der Stelle.

»Hilfe! Helft mir!«, rief er und hämmerte an die Tür. »Hilfe!«

»Kannst du in Gottes Namen still sein?«, hörte er draußen eine leise, verärgerte Stimme. »Willst du, dass sie alle über uns herfallen? Komm näher mit dem Licht.«

Letzteres schien an den Begleiter der Stimme gerichtet zu sein, denn durch den Spalt unter der Tür leuchtete ein schwacher Schimmer. Es folgte ein scharrendes Geräusch, als der Riegel beiseitegezogen wurde, ein Grunzer der Anstrengung, dann ein gedämpftes Klirren, als der Riegel an die Wand gelehnt wurde. Die Tür schwang auf, und Jerry blinzelte einem plötzlichen Lichtstrahl entgegen, als sich die Blende einer Laterne öffnete.

Er drehte den Kopf zur Seite und schloss eine Sekunde bewusst die Augen, so wie er es beim Nachtflug getan hätte, wenn ihn eine Leuchtkugel oder das Leuchten seiner eigenen Abluft blendete. Als er sie wieder öffnete, standen die beiden Männer bei ihm im Kuhstall und betrachteten ihn mit unverhohlener Neugier.

Kräftige Kerle, alle beide, hochgewachsener und breitschultriger, als er es war. Einer blond, der andere schwarzhaarig wie Luzifer. Sie sahen sich zwar nicht sehr ähnlich, und doch hatte er das Gefühl, dass sie verwandt sein könnten – eine flüchtige Ähnlichkeit ihres Knochenbaus oder ihrer Mimik vielleicht.

»Wie heißt du, Kumpel?«, sagte der Dunkelhaarige leise. Jerry spürte, wie ihm der Argwohn im Nacken prickelte, doch im selben Moment fuhr ihm die Freude in die Magengrube. Der Mann sprach normal und vollkommen verständlich. Mit schottischem Akzent, aber …

»MacKenzie, J. W.«, sagte er und nahm Haltung an. »Leutnant. Royal Air Force. Dienstnummer …«

Der Ausdruck, der über das Gesicht des dunkelhaarigen Mannes huschte, war unbeschreiblich. Der Drang zu lachen, ausgerechnet, und in seinen Augen flackerte Erregung auf – sehr auffallende Augen, ein kräftiges Grün, das plötzlich im Licht aufblitzte. Nichts davon spielte für Jerry eine Rolle; wichtig war nur, dass der Mann offensichtlich Bescheid wusste. Er wusste es.

»Wer seid ihr?«, fragte er drängend. »Woher kommt ihr?«

Die beiden Männer wechselten einen unergründlichen Blick, und der andere antwortete.

»Inverness.«

»Ihr wisst, was ich meine!« Er holte tief Luft. »Wann?«

Die beiden Fremden waren etwa gleich alt, doch das Leben des Blonden war eindeutig härter gewesen; sein Gesicht war tief zerfurcht.

»Lange Zeit von dir entfernt«, sagte er leise, und obwohl Jerry so aufgeregt war, hörte er den trostlosen Unterton in seiner Stimme. »Von dieser Zeit. In die Irre gegangen.«

In die Irre gegangen. Oh Gott. Dennoch …

»Guter Gott. Und wo sind wir jetzt? W-Wann?«

»Northumbrien«, antwortete der Dunkelhaarige knapp, »und ich weiß es nicht genau, verflixt. Aber wir haben keine Zeit. Wenn uns jemand hört …«

»Aye, gut. Gehen wir also.«

Die Luft im Freien war eine Wohltat nach dem Gestank des Kuhstalls, kalt und vom Duft der welken Heide und der frisch gepflügten Erde erfüllt. Er glaubte, sogar den Mond riechen zu können, eine schwach leuchtende grüne Sichel über dem Horizont; bei diesem Gedanken schmeckte er Käse, und ihm lief das Wasser im Mund zusammen. Er wischte sich einen Speichelfaden ab und humpelte seinen Rettern nach, so schnell er konnte.

Das Farmhaus war schwarz, ein kantiger schwarzer Fleck in der Landschaft. Der dunkelhaarige Kerl packte ihn beim Arm, als er daran vorbeigehen wollte, leckte sich schnell am Finger und hielt ihn hoch, um zu prüfen, woher der Wind kam.

»Die Hunde«, erklärte er flüsternd. »Hier entlang.«

Sie schlugen in sicherem Abstand einen Bogen um das Haus und fanden sich in einem frisch gepflügten Feld wieder. Erdklumpen platzten unter Jerrys Füßen, während er versuchte mitzuhalten, obwohl sein verletztes Knie bei jedem Schritt nachgab.

»Wohin gehen wir?«, keuchte er, als er glaubte, dass es nicht mehr gefährlich war zu sprechen.

»Wir bringen dich zu den Steinen in der Nähe des Sees zurück«, sagte der Dunkelhaarige gereizt. »Das muss die Stelle sein, an der du angekommen bist.« Der blonde Mann prustete nur, als sei das nicht seine Idee – doch er widersprach nicht.

Hoffnung flammte wie ein Freudenfeuer in Jerry auf. Sie wussten, was die Steine waren, wie sie funktionierten. Sie würden ihm zeigen, wie er zurückkam!

»Wie – wie habt ihr mich gefunden?« Er konnte kaum atmen, so schnell waren sie unterwegs, doch er musste es wissen. Die Laterne war abgedunkelt, und er konnte ihre Gesichter nicht sehen, doch der Dunkelhaarige machte ein Geräusch, das wie ein Lachen klang.

»Ich bin einer alten Frau begegnet, die deine Hundemarken umhängen hatte. Sie war sehr stolz darauf.«

»Du hast sie?«, keuchte Jerry.

»Nein, sie wollte sie nicht hergeben.« Es war der blondhaarige Mann, der jetzt definitiv belustigt klang. »Hat uns aber gesagt, woher sie sie hatte, und wir haben deine Spur zurückverfolgt. Hey!« Er fing Jerry am Ellbogen ab, just als diesem der Fuß umknickte. Hundegebell unterbrach die Nacht – ein Stück weit entfernt, aber deutlich. Der Hellhaarige umklammerte seinen Arm. »Los jetzt – schnell!«

Jerry hatte heftige Seitenstiche, und sein Knie war so gut wie nicht mehr zu gebrauchen, als die kleine Steingruppe in Sicht kam, deren Umrisse sich im Licht des abnehmenden Mondes blass abzeichneten. Trotzdem war er überrascht, wie nah die Steine bei dem Hof standen; er musste beim Umherirren öfter im Kreis gelaufen sein, als er dachte.

»So«, sagte der dunkelhaarige Mann und blieb abrupt stehen. »Hier lassen wir dich allein.«

»Ach ja?«, keuchte Jerry. »Aber … aber ihr …«

»Als du … angekommen bist. Hattest du irgendetwas dabei? Einen Edelstein, irgendwelchen Schmuck?«

»Aye«, sagte Jerry verblüfft. »Ich hatte einen Rohsaphir in der Tasche. Aber er ist fort. Als wäre er …«

»Als wäre er verbrannt«, beendete der blondhaarige Mann seinen Satz mit grimmiger Stimme. »Aye. Und?« Letzteres war eindeutig an den Dunkelhaarigen gerichtet, der jetzt zögerte. Jerry konnte zwar sein Gesicht nicht sehen, doch sein ganzer Körper verriet Unentschlossenheit. Doch er zauderte nicht lange – er steckte die Hand in den Lederbeutel an seiner Taille, zog etwas heraus und drückte es Jerry in die Hand. Es war vom Körper des Mannes schwach gewärmt und fühlte sich hart an. Irgendein kleiner Stein. Geschliffen wie der Stein in einem Ring.

»Nimm ihn, es ist ein guter Stein. Wenn du hindurchgehst«, sagte der Dunkelhaarige drängend zu ihm, »denk an deine Frau, an Marjorie. Konzentriere dich; stelle dir ihr Bild vor und schreite geradewegs hindurch. Doch was auch immer du tust, denk nicht an deinen Sohn. Nur an deine Frau.«

»Was?« Jerry war vollkommen verblüfft. »Woher zum Teufel kennst du den Namen meiner Frau? Und wie hast du von meinem Sohn gehört?«

»Das spielt keine Rolle«, sagte der Mann, und Jerry sah seine Bewegung, als er den Kopf wandte, um sich umzusehen.

»Verdammt«, sagte der Blondhaarige leise. »Sie kommen. Da ist ein Licht.«

So war es; ein einzelnes Licht, das sich regelmäßig auf und ab bewegte, als würde es getragen. Doch so angestrengt er auch hinschaute, Jerry konnte niemanden dahinter sehen, und ein heftiger Schauder durchfuhr ihn.

»Tannasg«, sagte der andere Mann leise. Jerry kannte dieses Wort – es bedeutete Geist, und zwar normalerweise ein böser. Ein Gespenst.

»Aye, vielleicht.« Die Stimme des Dunkelhaarigen war ruhig. »Vielleicht auch nicht. Es ist schließlich fast Samhain. Wie auch immer – du musst gehen, Mann, und zwar sofort. Vergiss nicht, denk an deine Frau.«

Jerry schluckte, und seine Hand schloss sich fest um den Stein.

»Aye. Aye … gut. Dann also … danke«, fügte er verlegen hinzu und hörte, wie der Dunkelhaarige ganz leise reumütig lachte.

»Keine Ursache, Kumpel«, sagte er. Und damit waren sie beide fort, zwei Gestalten im Mondschein, die über die abgefressene Wiese stapften.

Jerry, dem das Herz in den Ohren hämmerte, wandte sich den Steinen zu. Sie sahen genauso aus wie vorher. Einfach nur Steine. Doch das Echo dessen, was er darin gehört hatte … Er schluckte. Es war ja nicht so, als ob ihm viel anderes übrig geblieben wäre.

»Dolly«, flüsterte und versuchte, das Bild seiner Frau heraufzubeschwören. »Dolly. Dolly, hilf mir!«

Zögernd ging er einen Schritt auf die Steine zu. Noch einen. Und noch einen. Dann hätte er sich fast die Zunge abgebissen, als sich eine Hand um seine Schulter klammerte. Er fuhr mit geballter Faust herum, doch die andere Hand des dunkelhaarigen Mannes ergriff sein Handgelenk.

»Ich liebe dich«, sagte der Dunkelhaarige in durchdringendem Ton. Dann war er wieder fort, und seine Schuhe wischten leise durch das trockene Gras, während Jerry mit offenem Mund zurückblieb.

Er hörte die Stimme des anderen Mannes aus der Dunkelheit, irritiert, hab belustigt. Sie klang anders als die des Dunkelhaarigen, mit viel stärkerem Akzent, doch Jerry verstand ihn ohne Schwierigkeiten.

»Warum hast du ihm denn diesen Blödsinn erzählt?«

Die Antwort des Dunkelhaarigen, leise, in einem Ton, der ihm mehr Angst einjagte als alles andere zuvor, kam prompt.

»Weil er es nicht schaffen wird. Es ist die einzige Chance, die ich je bekommen werde. Komm, gehen wir.«

 

DER MORGEN DÄMMERTE, als er wieder zu sich kam, und die Welt war still. Kein Vogel sang, und die Luft war kalt – November, der Winter kam. Als er aufstehen konnte, ging er nachsehen, zitternd wie ein neugeborenes Lamm.

Das Flugzeug war nicht da, doch dort, wo es gelegen hatte, zog sich eine tiefe Furche durch den Boden. Aber die Erde war nicht nackt, sondern mit Grashalmen überzogen – nicht nur Halme, wie er sah, als er hinüberhumpelte. Es war ein Grasteppich. Abgestorbene Halme vom letzten Jahr.

Wenn er gewesen war, wo er glaubte, gewesen zu sein, wenn er wirklich … zurück… gegangen war … dann hatte er sich jetzt wieder vorwärtsbewegt, aber nicht zum selben Ort, an dem er gewesen war. Wie lange? Ein Jahr, zwei? Er setzte sich ins Gras, zu erschöpft, um weiter zu stehen. Er fühlte sich, als wäre er jede Sekunde der Zeit zwischen damals und jetzt zu Fuß gegangen.

Er hatte getan, was der grünäugige Fremde gesagt hatte. Hatte sich mit aller Kraft auf Dolly konzentriert. Aber er hatte nicht verhindern können, dass er auch an den kleinen Roger dachte, nicht ganz und gar. Wie konnte er auch? Seine lebhafteste Erinnerung an Dolly war das Bild, wie sie den Jungen dicht an ihre Brust hielt; das war es, was er gesehen hatte. Und doch hatte er es geschafft. Glaubte er. Vielleicht.

Was mochte nur geschehen sein?, fragte er sich. Ihm war keine Zeit zum Fragen geblieben. Und auch keine Zeit zu zögern; immer mehr Lichter hatten sich in der Dunkelheit genähert, begleitet von northumbrischem Kauderwelsch, auf der Jagd nach ihm, und er hatte sich in die Mitte der aufrechten Steine geworfen, und wieder war alles aus dem Lot geraten, schlimmer noch. Er hoffte, dass die Fremden, die ihn gerettet hatten, davongekommen waren.

In die Irre gegangen, hatte der blondhaarige Mann gesagt, und auch jetzt noch durchfuhren ihn die Worte wie ein Stück gezacktes Metall. Er schluckte.

Er glaubte zwar, dass er nicht mehr war, wo er gewesen war, aber war er selbst verirrt? Wo war er jetzt? Oder vielmehr wann?

Er verharrte eine Weile, um seine Kräfte zu sammeln. Nach einigen Minuten jedoch hörte er ein vertrautes Geräusch – Motorengebrumm und das Knirschen von Reifen auf Asphalt. Er schluckte krampfhaft, stand auf, wandte sich von den Steinen ab und der Straße zu.

 

ER HATTE GLÜCK – ausnahmsweise, dachte er sarkastisch. Auf der Straße war ein Truppentransport unterwegs, und er schwang sich ohne Schwierigkeiten auf eines der Fahrzeuge. Die Soldaten reagierten verblüfft auf sein Erscheinen – er war zerzaust, schmutzig und voller blauer Flecken, und er hatte einen Zweiwochenbart –, doch sie vermuteten sofort, dass er sich heimlich davongestohlen hatte und jetzt versuchte, sich zu seiner Einheit zurückzuschleichen, ohne dass man ihm auf die Schliche kam. Sie lachten und stießen ihn vielsagend an, hatten aber Mitgefühl, und als er zugab, dass er pleite war, legten sie spontan zusammen, damit er sich eine Zugfahrkarte kaufen konnte, wenn der Transport in Salisbury eintraf.

Er gab sich alle Mühe, zu lächeln und ihre Hänseleien über sich ergehen zu lassen. Sie verloren auch bald das Interesse an ihm und wandten sich ihren eigenen Gesprächen zu, und er konnte einfach nur schweigend und schwankend auf der Bank sitzen und das Dröhnen des Motors in seinen Beinen spüren, während ihn die Kameraden mit ihrer Gegenwart trösteten.

»Hey, Kumpel«, sagte er beiläufig zu dem jungen Soldaten neben ihm. »Welches Jahr haben wir?«

Der Junge – er konnte nicht älter als siebzehn sein, und Jerry spürte den Altersunterschied von fünf Jahren so, als wären es fünfzig – sah ihn mit großen Augen an, dann lachte er laut auf.

»Was hast du denn getrunken, Vati? Hast du noch etwas davon?«

Dies führte zu weiteren Hänseleien, und er versuchte nicht, noch einmal zu fragen.

War es überhaupt wichtig?

 

AN DIE FAHRT VON SALISBURY nach London konnte er sich kaum erinnern. Die Leute sahen ihn zwar merkwürdig an, doch niemand versuchte, ihn aufzuhalten. Es war nicht wichtig; das Einzige, was zählte, war, zu Dolly zu kommen. Alles andere konnte warten.

London war ein Schock für ihn. Überall waren Bombenschäden. Straßen waren mit zerborstenen Schaufensterscheiben übersät, deren Scherben in der bleichen Sonne glitzerten; andere Straßen waren durch Barrieren blockiert. Hier und dort eine nüchterne schwarze Notiz: Nicht betreten – SCHARFE BOMBE.

Von St. Pancras aus ging er zu Fuß, denn er musste es sehen, und der Kloß in seinem Hals hätte ihn fast erstickt, als er sah, was geschehen war. Nach einer Weile nahm er keine Einzelheiten mehr wahr und betrachtete die Bombenkrater und den Schutt nur noch als Hindernisse, die ihm den Heimweg versperrten.

Und kann kam er heim.

Man hatte den Schutt am Straßenrand zu einem Haufen zusammengeschoben, ihn aber nicht fortgeräumt. Geschwärzte Klumpen aus Stein und Beton lagen wie ein Grabhügel dort, wo einmal Montrose Terrace gewesen war.

Der Anblick ließ das Blut in seinem Herzen gerinnen. Blindlings tastete er nach dem schmiedeeisernen Geländer, um nicht hinzufallen, doch es war nicht mehr da.

Natürlich nicht, sagte sein Verstand völlig ruhig. Es ist wegen des Krieges fort, nicht wahr? Eingeschmolzen für den Flugzeugbau. Für Bomben.

Sein Knie gab ohne Vorwarnung nach, und er fiel auf beide Knie, ohne den Aufprall zu spüren, denn die leise, unverblümte Stimme in seinem Kopf übertönte das schmerzhafte Knirschen seiner schlecht verheilten Kniescheibe.

Zu spät. Du bist zu weit gegangen.

»Mr MacKenzie, Mr MacKenzie!« Er blinzelte den verschwommenen Fleck über ihm an, ohne zu begreifen, was es war. Doch etwas zupfte an ihm, und er holte Luft, die ihm rau in die Lunge fuhr, ein merkwürdiges Gefühl.

»Setzen Sie sich doch hin, Mr MacKenzie.« Die drängende Stimme war noch da, und Hände – ja, es waren Hände – zupften an seinem Arm. Er schüttelte den Kopf, kniff fest die Augen zu, dann öffnete er sie wieder, und der runde Fleck verwandelte sich in das Hundegesicht des alten Mr Wardlaw, dem der Laden an der Ecke gehörte.

»Ah, so ist es besser.« Die Stimme des alten Mannes klang erleichtert, und die nervöse Anspannung wich ihm aus dem faltigen Gesicht. »Sie hat’s aber erwischt, was?«

»Ich …« Er war zu keinem Wort in der Lage, doch er wies mit der Hand auf die Trümmer. Er hatte zwar nicht das Gefühl zu weinen, doch sein Gesicht war feucht. Die Falten in Wardlaws Gesicht vertieften sich sorgenvoll; dann begriff der alte Lebensmittelverkäufer, was er meinte, und seine Miene erhellte sich.

»Oje!«, sagte er. »Oh nein! Nein, nein, nein – sie leben noch, Sir. Ihrer Familie fehlt nichts! Haben Sie mich gehört?«, fragte er ängstlich. »Bekommen Sie Luft? Soll ich Ihnen vielleicht Riechsalz holen?«

Jerry kam erst nach mehreren Versuchen auf die Beine, weil ihm sowohl sein Knie als auch Mr Wardlaws ungeschickte Hilfsversuche im Weg waren, doch als er schließlich aufrecht stand, hatte er gleichzeitig die Sprache wiedergefunden.

»Wo?«, keuchte er. »Wo sind sie?«

»Ihre Frau ist nach Ihrer Abreise mit dem Kleinen zu ihrer Mutter gezogen. Ich weiß nicht mehr genau, was sie gesagt hat, wohin …« Mr Wardlaw drehte sich um und zeigte vage in Richtung des Flusses. »War es Camberwell?«

»Bethnal Green.« Jerrys Verstand war wieder da, obwohl er sich immer noch fühlte, als sei er ein Kiesel, der unsicher am Rand eines bodenlosen Abgrundes umherrollte. Er versuchte, sich den Staub aus den Kleidern zu klopfen, doch seine Hände zitterten. »Sie wohnt in Bethnal Green. Sind Sie sicher – sind Sie sicher, Mann?«

»Ja, ja.« Mr Wardlaw war sehr erleichtert. Er lächelte und nickte so heftig, dass sein Kinn wackelte. »Sie sind umgezogen, nachdem – das muss über ein Jahr her sein, kurz nachdem Sie … kurz nachdem Sie …« Das Lächeln des Alten verblasste abrupt, und sein Mund öffnete sich langsam, ein wabbelndes schwarzes Loch des Grauens.

»Aber Sie sind doch tot, Mr MacKenzie«, flüsterte er und wich zurück, die Hände vor sich erhoben. »Oh Gott. Sie sind tot.«

 

»DEN TEUFEL bin ich, den Teufel bin ich, den Teufel bin ich!« Er bemerkte das erschrockene Gesicht einer Frau, und er hielt abrupt inne und schnappte nach Luft wie ein gestrandeter Fisch. Er hatte sich seinen Weg über die zerstörte Straße gebahnt, die Fäuste geballt und wieder geöffnet, humpelnd und stolpernd, und dabei sein ganz persönliches Credo vor sich hin gemurmelt wie die Ave-Maria eines Rosenkranzes. Vielleicht jedoch etwas weniger leise, als er dachte.

Er blieb stehen und lehnte sich keuchend an die Marmorfront der Bank of England. Er war schweißüberströmt, und sein rechtes Hosenbein war von seinem Sturz mit getrocknetem Blut verschmiert. Sein Knie pulsierte im Rhythmus seines Herzens, seines Gesichtes, seiner Hände, seiner Gedanken. Sie leben noch. Und ich auch.

Die Frau, die er erschreckt hatte, stand ein Stück weiter und sprach mit einem Polizisten; sie drehte sich um und zeigte auf ihn. Sofort richtete er sich kerzengerade auf. Biss die Zähne zusammen und zwang sein Knie, sein Gewicht zu tragen, während er wie ein Offizier über die Straße schritt. Das Letzte, was er ausgerechnet jetzt wollte, war, wegen Trunkenheit festgenommen zu werden.

Er marschierte an dem Polizisten vorbei, nickte höflich und tippte sich in Ermangelung einer Mütze an die Stirn. Der Polizist zog ein verblüfftes Gesicht, schien etwas sagen zu wollen, konnte sich aber nicht entscheiden, was, und im nächsten Moment war Jerry um die Ecke verschwunden.

Es wurde nun dunkel. Schon in guten Zeiten gab es hier nicht viele Taxis – momentan gar keine mehr, was eh nicht wichtig war, denn er hatte ohnehin kein Geld. Die U-Bahn. Wenn sie in Betrieb war, war es der schnellste Weg nach Bethnal Green. Und das Fahrgeld konnte er sicher irgendwo schnorren. Irgendwie. Er humpelte jetzt wieder, grimmig und entschlossen. Er musste nach Bethnal Green, bevor es dunkel war.

 

ES WAR ALLES so anders. Wie das restliche London. Häuser, die beschädigt worden waren, halb repariert, verlassen, andere nicht mehr als eine geschwärzte Mulde oder ein Trümmerhaufen. Die Luft war voller Kohlenstaub, dem Staub der Steine; es roch nach Paraffin und heißem Fett, stank ätzend nach Kordit.

Die Hälfte der Straßen hatte keine Schilder mehr, und er kannte sich in Bethnal Green obendrein leider nicht besonders gut aus. Er hatte Dollys Mutter nur zweimal besucht. Das erste Mal, um ihr mitzuteilen, dass Dolly und er davongelaufen waren, um heimlich zu heiraten. Damals war sie absolut nicht begeistert gewesen, die gute Mrs Wakefield, aber sie hatte gute Miene zum bösen Spiel gemacht, auch wenn diese Miene so aussah, als hätte sie an einer Zitrone gelutscht.

Das zweite Mal war gewesen, als er sich bei der RAF verpflichtet hatte; er war allein zu ihr gegangen, um es ihr zu sagen und um sie zu bitten, sich um Dolly zu kümmern, während er fort war. Sie war kreidebleich geworden. Sie kannte die Lebenserwartung der Piloten genauso gut wie er. Aber sie hatte gesagt, sie sei stolz auf ihn, und ihm lange die Hände gedrückt, bevor sie ihn gehen ließ. »Komm zurück, Jeremiah. Sie braucht dich«, war alles gewesen, was sie dann noch sagte.

Er marschierte weiter, wich den Kratern auf der Straße aus, fragte sich durch. Es war jetzt fast vollständig dunkel; er konnte nicht viel länger auf der Straße bleiben. Seine Nervosität ließ ein wenig nach, als er Vertrautes zu sehen begann. Fast da, er war fast da.

Und dann setzten die Sirenen ein, und Menschen begannen aus den Häusern zu strömen.

Er wurde von der Menge weitergeschubst, wurde genauso von ihrer kaum gebremsten Panik weitergeschoben wie von ihren Körpern. Es gab Geschrei, Leute riefen nach verloren gegangenen Familienmitgliedern, Luftschutzhelfer brüllten Anweisungen und schwenkten ihre Taschenlampen, ihre flachen weißen Helme blass wie Pilze im Dämmerlicht. Und über allem durchbohrte ihn die Luftschutzsirene wie ein angespitzter Draht, schob ihn auf ihrer Spitze die Straße entlang, ließ ihn gegen andere prallen, die ebenso am Haken der Angst zappelten.

Die Flutwelle spülte sie um die nächste Ecke, und im Licht der Taschenlampe eines Helfers sah er den roten Kreis mit dem blauen Streifen über dem Eingang der U-Bahn-Station. Er wurde hineingesaugt, durch plötzliche Helle befördert, die Treppe hinunter, noch eine, auf einen Bahnsteig, tief in die Erde, in Sicherheit. Und die ganze Zeit schallte das Heulen und Stöhnen der Sirenen durch die Luft, kaum gedämpft durch das Erdreich über ihm.

Luftschutzhelfer waren in der Menge unterwegs und schoben die Leute an die Wände, in die Tunnel, fort von der Gleiskante. Er stieß gegen eine Frau mit zwei Kleinkindern, nahm ihr eins – ein kleines Mädchen mit runden Augen und einem blauen Teddybären – aus dem Arm und schob sich mit der Schulter in die Menge, um Platz für sie zu schaffen. Er fand eine kleine Nische in einer Tunnelmündung, schob die Frau hinein und gab ihr das kleine Mädchen zurück. Ihr Mund formte ein Danke, doch er konnte sie nicht hören, zu laut waren die Leute, die Sirenen, das Ächzen, das …

Über ihnen erscholl plötzlich ein gewaltiger Knall, der die Station erbeben ließ, und die Menge verstummte abrupt, während sich sämtliche Blicke auf die hohe Gewölbedecke über ihnen richteten.

Die Kacheln waren weiß, und vor ihren Augen erschien plötzlich zwischen zwei Reihen ein schwarzer Spalt. Die Menge keuchte auf, lauter als die Sirenen. Der Riss schien zu enden, zu zögern – und dann trennte er plötzlich die Kacheln im Zickzack voneinander.

Er richtete den Blick auf den Boden unter dem wachsenden Riss, um zu sehen, wer sich dort befand – die Leute, die noch auf der Treppe waren. Das Gedränge am Fuß der Treppe verhinderte jedes Vorankommen, denn alles war vor Schreck erstarrt. Und dann sah er sie, auf halber Höhe der Treppe.

Dolly. Sie trägt die Haare kürzer, dachte er. Es war kurz und gelockt, schwarz wie Ruß – so schwarz wie das Haar des kleinen Jungen, den sie in den Armen hielt, dicht an sich gepresst, um ihn zu schützen. Sie hatte die Zähne fest zusammengebissen. Und dann drehte sie sich ein Stück und sah ihn.

Im ersten Moment verlor ihr Gesicht jeden Ausdruck, dann flammte es auf wie ein Streichholz, und ihr Glück traf ihn ins Herz und entflammte auch ihn.

Oben erscholl ein noch lauterer Knall, und ein Schreckensschrei stieg aus der Menge auf, lauter, viel lauter als die Sirenen. Trotz des Gekreisches konnte er das leise Prasseln hören, wie Regen, als Erde aus dem Riss zu rieseln begann. Er drängelte aus Leibeskräften, doch er kam nicht weiter, konnte nicht zu ihnen. Dolly hob den Blick, und er sah, wie sie erneut die Zähne zusammenbiss, wie ihre Augen vor Entschlossenheit brannten. Sie schubste ihren Vordermann, der stolperte und eine Stufe hinunterfiel, wo er gegen die Leute prallte. Sie schwang Roger in die kleine Lücke, die sie sich verschafft hatte, drehte die Schultern, holte mit dem ganzen Körper aus und schwang den kleinen Jungen über das Geländer – auf Jerry zu.

Er begriff, was sie vorhatte, reckte sich sofort, streckte die Arme aus … und der Junge prallte ihm vor die Brust wie ein Betonklotz. Sein Köpfchen traf Jerry schmerzhaft ins Gesicht, sodass sein Kopf zurückgeschleudert wurde. Er hatte einen Arm um das Kind gelegt, fiel rückwärts gegen die Leute, bemühte sich um Halt – und dann entstand eine Lücke in der Menge ringsum, er stolperte hinein, und dann gab sein Knie nach, und er stürzte über die Gleiskante.

Er hörte weder, wie sein Kopf gegen das Gleis knallte, noch, wie die Leute oben schrien; es ging alles im Getöse unter, als die Decke über der Treppe einstürzte.

 

DER KLEINE JUNGE regte sich nicht, doch er war nicht tot; Jerry konnte seinen Herzschlag spüren, der an seiner Brust dahinraste. Es war alles, was er spüren konnte. Er musste dem armen kleinen Kerl die Luft aus der Lunge gepresst haben.

Die Leute hatten aufgehört zu schreien, doch sie riefen sich gegenseitig beim Namen. Unter all dem Lärm herrschte eine seltsame Stille. Sein Blut pochte ihm nicht mehr durch den Kopf, sein Herz hatte aufgehört zu hämmern. Vielleicht lag es daran.

Die Stille fühlte sich irgendwie lebendig an. Friedvoll, aber wie Sonnenschein auf Wasser, in glitzernder Bewegung. Darunter konnte er es immer noch lärmen hören, rennende Schritte, ängstliche Stimmen, Krachen und Ächzen – aber er sank sanft in die Stille, das Lärmen entfernte sich, obwohl er nach wie vor Stimmen hören konnte.

»Ist er noch …?«

»Nein, er ist tot – sieh dir doch seinen Schädel an, armer Kerl, furchtbar zertrümmert. Dem Jungen geht es aber gut, glaube ich, nur ein paar Beulen und Schrammen. So, Kleiner, komm her … Nein, nein, jetzt lass los. Ist schon gut, lass einfach los. Ich hebe dich hoch, genau, gut so, jetzt ist es gut, psst, psst, guter Junge …«

»Was für ein Gesicht der Mann macht – so etwas habe ich ja noch nie …«

»Hier, nimm den Kleinen. Ich sehe mal nach, ob der Mann Papiere dabeihat.«

»Komm her, Großer, ja, genau, gut so, gut so, komm mit mir. Ganz ruhig, es ist alles gut. Ist ja gut. Ist das dein Papi?«

»Keine Hundemarken, kein Dienstausweis. Schon komisch. Luftwaffe, oder? Meinst du, er ist abgehauen?«

Er konnte hören, wie Dolly darüber lachte, spürte ihre Hand in seinem Haar. Er lächelte, und als er sie ansah, lächelte sie auch, und das Glück breitete sich rings um sie aus wie Ringe im glänzenden Wasser …

»Rafe! Der Rest stürzt auch noch ein! Weg hier! Weg

Anmerkung der Autorin

Bevor Sie sich alle das Hirn verknoten, weil es ja der Tag vor Allerheiligen ist, als Jerry verschwindet, und »fast Samhain« (auch als der Tag vor Allerheiligen bekannt), als er zurückkehrt – bitte bedenken Sie, dass Großbritannien 1752 vom Julianischen auf den Gregorianischen Kalender umstellte und damit zwölf Tage »verlor«. Und wenn Sie mehr über die beiden Männer wissen möchten, die ihn retten, so finden Sie ihre Geschichte in Echo der Hoffnung.

»Noch nie haben so viele so wenigen so viel verdankt.« Das war Winston Churchills Verneigung vor den RAF-Piloten, die Großbritannien im Zweiten Weltkrieg verteidigt haben – und da hatte er wohl recht.

Adolph Gysbert Malan – auch als »Sailor« bekannt (wahrscheinlich, weil »Adolph« damals kein besonders populärer Name war – war ein südafrikanisches Fliegerass und Anführer der berühmten 74sten Schwadron der RAF. Er war dafür bekannt, dass er deutsche Bomberpiloten mit toten Besatzungen heimschickte, um die Luftwaffe zu demoralisieren, ein auf grauenhafte Weise faszinierendes Detail, das ich gern in der Geschichte verwendet hätte, wenn ich es hätte unterbringen können. Doch das war nicht möglich. Seine »Zehn Gebote« für den Luftkampf entsprechen der Version im Text.

Die Mission, für die Hauptmann Frank Randall Jerry rekrutiert, ist zwar fiktional, die Situation jedoch nicht. Die Nazis unterhielten Arbeitslager in Polen, lange bevor irgendjemand im Rest Europas davon Wind bekam, und als es schließlich bekannt wurde, trug es sehr dazu bei, die Leute gegen die Nazis aufzubringen.

Ich möchte mich gern besonders bei Maria Szybek für ihre Hilfe bei der delikaten Frage nach polnischen Obszönitäten bedanken (etwaige Grammatik-, Rechtschreib- oder Akzentuierungsfehler sind meine Schuld) und bei Douglas Watkins für die technischen Beschreibungen der Manöver kleiner Flugzeuge (sowie den Vorschlag für die Fehlfunktion, die Jerrys Spitfire zu Boden gezwungen hat).