Hinter dem Begriff „Eurokrise“ verbergen sich genau genommen einzelne Verschuldungskrisen von Mitgliedsstaaten der Euro-17-Zone. Staaten wie zum Beispiel Griechenland, Portugal, Irland und Zypern können dabei ohne die Inanspruchnahme finanzieller Hilfen anderer Staaten ihren durch Verschuldung entstandenen Zahlungsverpflichtungen nicht mehr oder nicht in ausreichendem Maße nachkommen. Weitere Staaten wie Spanien, Italien und Slowenien sind akut gefährdet, in Zahlungsnot zu geraten und somit die Problematik in der Eurozone noch zusätzlich zu verschlimmern.
Staatsschuldenkrise in Europa
Im Grunde genommen müsste man bei der Eurokrise also eigentlich von einer „Staatsschuldenkrise“ jeweils einzelner Staaten in Europa sprechen.6
Von Relevanz für die Wirtschaft ist so eine Eurokrise in mehrerlei Hinsicht. Zunächst einmal, weil für die davon betroffenen europäischen Völker bei einer Staatspleite vor allem Wohlstand auf dem Spiel steht: Sozialsicherungssysteme, öffentliche Altersvorsorge in Zinspapieren und gesparte Rücklagen geraten durch die Krise stark unter Druck und sind akut von Ausfall oder massivem Verlust bedroht. Zudem verengen die in solchen Zeiten prozentual stark wachsenden Ausgaben für Energie, Essen und Wohnen die finanziellen Spielräume der Menschen, speziell bei einkommensschwächeren Schichten.
Obendrein senden die von einer Verschuldungskrise betroffenen Staaten das fatale Signal aus, dass sie im Zweifelsfall ihre Schulden nicht werden zurückzahlen können und in letzter Konsequenz womöglich sogar den Weg einer sogenannten Staatsinsolvenz beschreiten müssen. Davon in erster Linie betroffen wären dann diejenigen, die diesen Staaten ihr Geld leihweise zur Verfügung gestellt haben und dieses im Falle eines Zahlungsausfalls nicht mehr zurückerhalten, also Verlustabschreibungen vorzunehmen hätten.
Das allein wäre schon schlimm genug. Eine ausgeprägte Zahlungsunfähigkeit vereinzelter Staaten der Eurozone wirft aber zusätzlich einen langen Schatten auf die Staaten der Eurozone insgesamt. Die wirtschaftlichen Verflechtungen untereinander sind mittlerweile so groß, dass die Pleite einzelner Eurostaaten nicht ohne Rückwirkungen auf die anderen Staaten bleiben würde. Nicht zurückgezahlte Schulden machen sich in den Bilanzen der Geld verleihenden Staaten negativ als Zahlungsausfall bemerkbar. Ihr Geld wäre einfach verloren oder wird zumindest nicht im vereinbarten Zeitraum und Umfang zurückgezahlt.
Darüber hinaus erleidet die gesamte Eurozone einen großen Imageschaden und Vertrauensverlust bei ihren Wirtschaftspartnern, wenn diese zum einen wahrnehmen, dass innerhalb der Währungsgemeinschaft starke strukturelle Verschuldungsprobleme existieren und zum anderen Verschuldungspolitik immer weiter vorangetrieben wird, um der Staatsschuldenproblematik in den einzelnen Krisenstaaten beizukommen.
An dieser Stelle kommt neben den harten Wirtschaftsdaten meistens auch noch Psychologie mit ins Spiel. Die Börsen weltweit reagieren „nervös“, heißt es dann immer so schön. Jede Aktion, jede Meldung aus den Krisenstaaten beziehungsweise dem Krisenraum Eurozone wird mit Argwohn beäugt. Und an den Börsen wird fleißig auf Erfolg oder Misserfolg des weiteren Fortgangs in den betreffenden Staaten der Eurozone gewettet, was die Rahmenbedingungen zur Lösung der Probleme insgesamt weiter verschlechtert.
Staatsschuldenkrise als Begriff zu harmlos/zu wenig ursachenorientiert
Grundsätzliche Kritik lässt sich nun aber am Begriff „Staatsschuldenkrise“ festmachen. Einerseits umgrenzt und erklärt er die uns bedrohende Problemlage schon mal besser als der Begriff der Eurokrise. Wir verstehen also zumindest, was genau mit der Eurokrise gemeint ist, und bekommen eine konkretere Vorstellung von dem wirklichen Ausgangspunkt der Probleme. Andererseits verschleiert der Begriff „Staatsschuldenkrise“ immer noch zu sehr die eigentlichen Ursachen, die zu dieser Krise überhaupt erst geführt haben. Führende Kritiker wie der Wirtschaftswissenschaftler Peter Bofinger sehen die Gründe nämlich in einer ausgemachten Krise der Finanzwirtschaft und der Banken. Äußerst riskante neue Produkte zur Vermögensanlage und unsolide Kreditfinanzierungen auf Seiten der Banken, gipfelnd in der sogenannten Finanzkrise 2007, seien hier als der wahre Ausgangspunkt der Staatsschuldenkrise anzusehen. Zumal keinem der erwähnten krisengebeutelten und finanzschwachen Eurozonenländer – mit Ausnahme Griechenlands – bis zum Zeitpunkt des Beginns der harten Krisenphase eine unsolide Haushalts- und Finanzpolitik vorgeworfen werden kann. Erst in Folge dieser Finanzkrise 2007 ist es in den Staaten vielfach zu signifikant erhöhter Verschuldung gekommen, weil man sich plötzlich gezwungen sah, Fehler bei den systemrelevanten Banken finanziell abzupuffern. Motto: Banken jetzt einfach pleite gehen zu lassen, würde die Gesellschaft insgesamt noch viel teurer kommen, weil dabei große Vermögenswerte von Anlegern und Sparern verloren gegangen wären. Man kann diese Herangehensweise „Banken sind in jedem Falle zu retten!“ kritisieren oder auch nicht – eine abschließende Antwort, ob diese Entscheidung richtig oder falsch war, wird erst die Zeit weisen.
Der Begriff „Staatsschuldenkrise“ verharmlost aber nach Auffassung der genannten Kritiker die dahinter stehenden Ursachen massiv und widmet ihnen beziehungsweise ihrer Lösung nicht genügend Aufmerksamkeit. Die daran anknüpfende Frage lautet dann, ob die eher einseitige Begriffsausrichtung demzufolge nicht auch nur zu einem eher einseitigen Nachdenken hinsichtlich der Lösungen – Korrekturansätze also nur im Fiskalbereich (Haushaltspolitik) der europäischen Staaten und weniger bei den Fehlentwicklungen im Finanz- und Bankensektor – führen könnte.7
Dass sich hierbei durch aktuelle politische Entscheidungen nun schon Einiges getan hat, das solchen im Raum stehenden Befürchtungen inzwischen auch etwas die Grundlage nimmt, darauf werden wir im Verlaufe dieses Buches noch weiter zu sprechen kommen.
Es deutet sich also schon an, dass für die Eurokrise eine breite Palette an möglichen erklärenden Ursachen in Betracht zu ziehen ist. Mir persönlich scheint aber der eben angeführte Kritiker-Hinweis zur Finanzkrise 2007 als vermeintliche Hauptursache für die Eurokrise ein wichtiger Beitrag zum Verständnis des Gesamthintergrunds zu sein. Aus diesem Grunde wollen wir damit im nächsten Kapitel auch beginnen.