Nachdem wir uns so ausführlich den Banken gewidmet haben, die aus geschäftlichen Gründen sehr viel mit Geld zu tun haben, wollen wir noch einige weitere Aspekte rund um das Thema „Geld und Währung“ diskutieren. Wir benutzen Geld zwar tagtäglich und wir reden über die Währung – zum Beispiel den Euro – wie selbstverständlich, aber wissen wir eigentlich genau, was so alles dahintersteckt? Gibt es vielleicht auch damit verbundene Probleme?
Die Anfänge des Geldes
Fast ist man geneigt zu sagen, dass es Geld schon so lange gibt wie die Menschheit. Das stimmt so sicherlich nicht, weil es in der Phase, ab der Menschen begannen, Waren miteinander zu handeln, zunächst einfache Beziehungen auf Tauschbasis gab. Man tauschte Naturgegenstände (zum Beispiel Getreide), Schmuckstücke, Tiere, Metalle und Dienstleistungen. Allen Gütern gemein ist aber, dass sie eine Geldfunktion übernahmen. Hinreichende Kriterien dafür waren zum Beispiel, dass diese Güter allgemein anerkannt und geschätzt, zumeist in beschränkter, aber doch in ausreichender Menge vorhanden und nicht schnell verderblich waren. Waren diese Kriterien erfüllt, war das die Vertrauensbasis, jene Güter als Tauschmittel zu akzeptieren.91
Die heutige Volkswirtschaftslehre definiert Geld beziehungsweise die Geldfunktionen etwas nüchterner nach seinen Funktionen:92
1. Geld ist Zahlungsmittel. Mit Geld übergibt ein Käufer einem Verkäufer ein Objekt (zum Beispiel Münze/Geldschein) oder auch ein erwerbbares Recht, um im Gegenzug Waren oder Dienstleistungen zu erhalten. Geld vereinfacht den Tausch von Gütern und die Aufnahme und Tilgung von Schulden.
2. Geld ist Wertspeicher. Wenn man bei seinen Geschäftsaktivitäten (Waren ein- und verkaufen) Geld übrig hat, lässt sich das in der Regel aufbewahren. Lässt man in der theoretischen Betrachtung dann zudem wertmindernde Faktoren wie zum Beispiel Inflation erst einmal außen vor, so lässt sich der Wert somit prinzipiell in die Zukunft übertragen beziehungsweise verlagern, ohne dass er dabei verdirbt (wie bei Naturalwaren). Diese Funktion spielt zum Beispiel beim Vermögensaufbau eine Rolle.
3. Geld ist Wertmaßstab und Recheneinheit. Mit Geld lassen sich Wertvergleiche rechnerisch besser vornehmen, Waren lassen sich besser in Relation zueinander setzen. Daraus bestimmt sich am Ende die Kaufkraft.
Metalle und Edelmetalle finden stärkere Verbreitung als Zahlungsmittel
Im Altertum übernahmen Gold, Silber, Kupfer und andere Metalle jene Geldfunktionen und etablierten sich als das, was wir heute unter dem Begriff Währung laufen lassen: Metalle als vereinbartes Zahlungsmittel in einem gemeinsamen Wirtschaftsraum. Dass Metalle üblicherweise nach Gewicht bemessen wurden, führte im Alltag zu Problemen. Wie regelt man bei Metallklumpen die Herausgabe von Wechselgeld? Aufgrund dieser Tatsache entwickelte sich das Münzgeld. Die Metallklumpen wurden zu relativ standardisierten Scheiben oder Vierecken verarbeitet, zumeist mit einem Loch versehen, so dass man sie an Schnüren auffädeln konnte (also eine Art Vorläufer des heutigen Portemonnaies).
Natürlich gab es auch in den Anfängen des Münzgeldes Krisen. Im spätmittelalterlichen Europa konnte die damalige Bergbautechnologie nicht ausreichend Gold und Silber fördern, so dass der gestiegene Bedarf an diesen Zahlungsmitteln nicht ausreichend befriedigt werden konnte. Und wie wir alle wissen: Wird etwas, das heiß begehrt ist, plötzlich zu einem knappen Gut, macht sich das in steigenden Preisen bemerkbar. So auch mit Beginn des 17. Jahrhunderts. In dieser Zeit, die wegen ihrer Münzgeldmanipulationen auch als „Kipper- und Wipperzeit“ bekannt ist, bedienten sich einige Herrscher verschiedener Tricks und verschnitten zum Beispiel das knappe Münzmetall mit minderwertigen Metallen, um so die Menge zu steigern. Auch die Entdeckung größerer Gold- und Silbervorkommen in Übersee, die schon seit Ende des 16. Jahrhunderts via Spanien und Portugal auf dem Schiffswege nach Europa gebracht wurden, konnten die Lage zwischenzeitlich nicht so stabilisieren wie es wünschenswert gewesen wäre. Hinzu kamen Faktoren wie zum Beispiel die Kriegswirren des Dreißigjährigen Krieges, die preistreibenden Einfluss bei den Edelmetallen hatten und somit weiter verstärkte Betrugsanreize setzten. Als es sich herumsprach, dass das Münzgeld anscheinend nicht mehr jenen Wert hatte, den man von ihm erwartete, verlor man das Vertrauen in dieses Zahlungsmittel – mit erheblichen Auswirkungen auf die Wirtschaftskraft der damaligen Zeit.93
Papiergeld – unbegrenzte Möglichkeiten?
Wenn wir nun aber schon über die Geschichte des Münzgeldes sprechen, stellt sich folgerichtig auch die Frage nach der Entwicklung des Papiergeldes, auf die im Folgenden noch einmal kurz eingegangen wird. Ab etwa dem zweiten Jahrtausend n. Chr. beförderten zwischenzeitliche Phasen knapper Edelmetallressourcen (bei Gold und Silber), verbesserte Papierherstellung und – vor dem Hintergrund stark gewachsener Handelsaktivitäten – eine doch gewisse Unhandlichkeit von Münzen weltweit erste Papiergeldversuche. Hier ist vor allem China zu nennen, das zu der Zeit eine gewisse Vorreiterrolle einnahm. Im Vergleich zu Europa war das Land deutlich dichter besiedelt und hinsichtlich seiner wirtschaftlichen Infrastruktur mit einem recht gut ausgebauten und funktionierenden Handelsstraßensystem bereits stark entwickelt. Aufgrund von Kriegen der Song-Dynastie (im Jahr 1024) wurde zum ersten Mal eine Art Notgeld aus Papier herausgegeben. Mitte des 15. Jahrhunderts erkannten chinesische Beamte jedoch, dass es zu starke Verlockungen gab, leere Staatskassen durch das Drucken immer größerer Mengen an Papiergeld wieder aufzufüllen (wir würden es heute einfach als „Inflation” bezeichnen). Das Papiergeld wurde nach dieser negativen Erfahrung wieder abgeschafft. In Europa kam die Idee des Papiergeldes erst viel später auf, nämlich gegen Ende des 15. Jahrhunderts. Spanien gab 1483 erstmals Geldscheine als zeitweisen Ersatz für fehlendes Münzgeld aus. 1609 brachte die Bank von Amsterdam vorsichtig Papiergeld in Umlauf, aber nur mit Gegendeckung einer entsprechenden Menge an Münzen. Die schwedische Reichsbank (Riksbank) legte in den 1660ern die ersten Papiergeldscheine mit unterschiedlichen Werten auf, verabschiedete sich aber nach knapp zehn Jahren auch schon wieder vom „Papierkonzept” und beschritt den Weg zurück zum Münzgeld. In der Folgezeit gab es dann auch in Frankreich und in England erste Experimente mit dem neuen Papiergeld und in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts setzte sich diese Idee dann in weiteren europäischen Ländern durch. Allesamt hatten sich diese Länder und ihre Bevölkerungen mit dem Zusammenhang „Wertverlust/gedruckte Papiergeldmenge” auseinderzusetzen und haben mehr oder weniger schlechte Erfahrungen (Inflation) machen müssen, weil die Manipulationsmöglichkeiten am Ende doch zu gravierend waren. Großen Papiergeldmengen standen einfach irgendwann immer wieder zu wenige adäquate tauschfähige Gegenwerte (zum Beispiel Edelmetalle) gegenüber.94
Wie wir an dieser Stelle also feststellen können, sind Betrug und manipulativer Umgang seit jeher stete Begleiter des Geldes – sei es nun beim Münz- oder aber auch beim Papiergeld. Man kann zwar annehmen, dass die Gesellschaften in früheren Zeiten noch keine ausreichenden Kontrollmechanismen organisieren beziehungsweise durchsetzen konnten. Aber selbst heute, im Zeitalter entwickelter Staatsformen mit juristisch ausgefeilten Grundlagen kann man sich nicht hundertprozentig sicher sein, dass das Geld nicht auch zum Spielball wirtschaftlicher oder politischer Interessen wird und letztlich in eine Krise gerät oder sie verursacht.
Deutschlands prägende Erfahrung mit Inflation
Erfahrungen damit hat in der jüngeren Geschichte zum Beispiel Deutschland nach dem Ersten Weltkrieg gemacht. Von 1914 bis 1923 erlebte das Land eine der schlimmsten Geldentwertungen („Hyperinflation“), die eine Industrienation je erlebt hat. Auslöser dafür war eine überbordende Staatsverschuldung aufgrund der Finanzierung des Ersten Weltkrieges und sich anschließender deutscher Verpflichtungen aus Reparationszahlungen aufgrund des verlorenen Krieges. Dieser Staatsverschuldung, so hoffte die deutsche Regierung, würde man mit einer massiven Geldvermehrung durch die Notenpresse begegnen können. Als Folge daraus verlor das Geld innerhalb kürzester Zeit massiv an Wert und eine tiefe Wirtschaftskrise erfasste das Land. Im Oktober 1921 beispielsweise hatte die Mark nur noch ein Hundertstel ihres Wertes im Vergleich zum August 1914, im Oktober 1922 war es nur noch ein Tausendstel.95
Goldstandard – Vorteile wertgedeckten Geldes
Ein relativ gutes oder zumindest etabliertes System zur Sicherstellung des Wertes einer Währung war lange Zeit der sogenannte Goldstandard. Darunter versteht man Währungen, deren im Umlauf befindliche Münzen und Geldscheine eine entsprechende Gegendeckung durch Gold haben. Dieses Gold lagerte dann in den nationalen Zentralbanken – man könnte auch behaupten, dass das Gold für die Gegendeckung der Währung so etwas wie Zentralbanken überhaupt erst hat entstehen lassen, weil staatlicherseits entsprechend große und sichere Lagerstätten notwendig wurden.
Auch Deutschland hatte, neben vielen anderen Ländern, bis zum Ersten Weltkrieg seine Währung an Gold gebunden und ist damit weitestgehend gut gefahren. Das änderte sich aber schlagartig mit Ausbruch jenes Krieges. Die Noteinlösungspflicht in Gold wurde von der Deutschen Reichsbank aufgehoben, das gelagerte Gold dazu genutzt, die Güterversorgung und den Nachschub der Streitkräfte sicherzustellen.
Gold wurde in dieser Zeit zur begehrten Ressource und im internationalen Handelsverkehr mit entsprechenden Auflagen beziehungsweise sogar Handelsverboten belegt, weil man es dringend im eigenen Land benötigte. Die Zentralbank wurde schließlich von ihrer Aufgabe entbunden, die Landeswährung wertstabilisierend über ausreichende Goldreserven gegendecken zu müssen. Das eröffnete letztlich die Möglichkeit, massiv ungedecktes Papiergeld in den Markt einzubringen und damit eine Inflation auszulösen.96
BRETTON-WOODS-SYSTEM: Gut gedacht und letztlich doch nicht erfolgreich
Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde ein neues internationales Währungssystem konzipiert, das auf festen Wechselkursen zum US-Dollar basierte, der seinerseits aber noch an den Goldstandard gebunden war. Dieses System ist auch bekannt als „Bretton-Woods-System“, welchem auch Deutschland im Jahre 1949 beitrat. Am 15. August 1971 kündigte US-Präsident Nixon dieses Bretton-Woods-System aber auf, weil es den USA im Laufe der Zeit immer schwerer fiel, die Goldeinlöseverpflichtung für den US-Dollar aufrechtzuerhalten. Hintergrund sind auch hier unter anderem wieder Kriegsaktivitäten. Aufgrund ihres Vietnamkrieges seit den 1960er Jahren und der daraus resultierenden Notwendigkeit, den Krieg irgendwie finanzieren zu müssen, unterlagen die USA starken inflationären Tendenzen. Es wurde also immer schwieriger, immer größeren in Umlauf befindlichen Geldmengen eine entsprechende Absicherung durch Gold gegenüberzustellen.
Im März 1973 beschlossen dann auch mehrere europäische Länder, das Bretton-Woods-System mit an den Dollar gebundenen Wechselkursen zu verlassen und in ein System freier und flexibler Wechselkurse überzugehen.97
Silbermünzen als reguläres Zahlungsmittel immer weniger anzutreffen
Auffällig ist zudem, dass Silbermünzen, die bis etwa 1970 noch regulär und in vielfältiger Form als Zahlungsmittel im Umlauf waren, ab etwa diesem Zeitpunkt und im Rahmen der allgemeinen Geldmengenausweitung weltweit ihren Rückzug aus dem Geldverkehr antraten. Damit verschwand allmählich immer stärker eines der letzten für den Menschen noch täglich sichtbaren Zeichen einer wertgedeckten Währung.
Dieser zugegebenermaßen sehr holzschnittartige Ritt durch die Geschichte des Geldes und der Währungen sollte nochmals ein Bewusstsein dafür erzeugen, dass es Krisen im Zusammenhang mit Geld, Schulden und Verschuldung immer schon gegeben hat. Mal hatten diese Krisen gravierende Folgen, mal weniger schlimme. Auffällig aber ist der rote Faden, der sich durch nahezu die ganze Geschichte zieht: In staatlichen Notsituationen (zum Beispiel bei hoher Verschuldung) ist die Verlockung anscheinend besonders groß, die Probleme über das bestehende Geldsystem zu lösen. Standards, die den Wert einer Währung eigentlich sicherstellen sollen, werden gelockert oder gar ganz aufgehoben und das Risiko von Inflation in Kauf genommen. Dass damit staatliche Zwangslagen regelmäßig behoben werden konnten, darf bezweifelt werden. Im Gegenteil: In vielen Fällen wurden dadurch bestehende wirtschaftliche Probleme noch verstärkt oder ganz neue sind überhaupt erst entstanden. Leidtragende waren immer die Menschen, die mit der Geldentwertung in ihrem Alltag irgendwie klar kommen mussten.
Werterhalt und Stabilität – die besten vertrauensbildenden Maßnahmen beim Geld
Neben allen seinen nützlichen Funktionen ist beim Geld also vor allem ein Aspekt ganz besonders wichtig: Vertrauen. Nur wenn Geld auch dauerhaft seinen Funktionen nachkommen kann, also stabil im Wert ist und somit längerfristig seinen allgemeinen Akzeptanzgrad halten kann, wird es in einer Wirtschaft seinen stabilisierenden Beitrag leisten. Dass in der Vergangenheit nun Regierungen für ihre politischen Zwecke und mit den bekannten Auswirkungen Einfluss auf das Geld nahmen, sollte später als Lehre für ein neues stabiles Währungssystem dienen. In Deutschland hat man deshalb nach dem Zweiten Weltkrieg die Aufsicht über das Geld und den Geldverkehr zum Beispiel einer unabhängigen Zentralbank – der Deutschen Bundesbank – übertragen (wobei man in Frage stellen kann, wie unabhängig eine Zentralbank überhaupt sein kann, wenn im Prinzip immer Gesetze erlassen werden können, die ihre Aufgaben beeinflussen). Preisniveaustabilität und Geldversorgung der Wirtschaft standen hierbei im Vordergrund.
Wenn Staaten die Notenpresse anwerfen, heißt es nur noch: „Es werde Geld!“
Mit der Einführung des Euros und dem Entstehen einer Europäischen Zentralbank (EZB), die bei ihren Aufgaben und Zielen nun einer wirtschaftspolitischen Agenda aus gesamteuropäischer Sicht folgen muss, haben sich die Prioritäten aber vielleicht schon wieder etwas verschoben. Und erstmals begegnen wir beim Euro auch bewusst dem Begriff des sogenannten „Fiatgeldes“ (engl. „Fiatmoney“). Unsere Währung „der Euro“ ist dafür ein gutes Beispiel. Unter Fiatgeld versteht man Geld, das seine Funktion allein aufgrund von gesetzlichen Vorschriften hat und in dem Sinne keiner Gegendeckung beziehungsweise Einlöseverpflichtung (zum Beispiel durch Gold) auf Seiten der Geld ausgebenden Stelle mehr unterliegt. Der Begriff „fiat“ leitet sich vom lateinischen Passivverb „fieri“ ab und bedeutet so viel wie „Es sei“. Der Bedeutungszusammenhang liegt in der uneingeschränkten, nicht mehr an besondere Voraussetzungen geknüpften Möglichkeit zur Schaffung von Geld, einfach aus dem Nichts heraus beziehungsweise auf Grundlage eines gesetzlichen Beschlusses. In der Bibel begegnen wir in Genesis 1,3 mit „Fiat lux!“ einer ähnlichen Begrifflichkeit, was sich mit „Es werde Licht!“ übersetzen lässt. Fiatgeld beruht also auf einem willkürlichen Entschluss (zum Beispiel einer Regierung) – „Es werde Geld!“98
Der Euro ist also ein solches Fiatgeld, eine Art Kunstwährung aufgrund eines Gesetzesaktes und ohne Gegendeckung wie zum Beispiel Gold. Teilweise bewegten sich auch schon jene Währungen des zuvor beschriebenen hochinflationären Deutschlands zu Zeiten nach dem Ersten Weltkrieg in Richtung Fiatgeld. Denn auch hier steckte – eine Entkoppelung vom Goldstandard zum Zwecke des leichteren Bedienens der Notenpresse vornehmend – im Prinzip eine gesetzlich verordnete „Es werde (mehr) Geld!“-Devise dahinter. Wenngleich man einräumen muss, dass die Währung als solche damals wenigstens für eine gewisse Zeit zuvor schon mit einer Golddeckung bestanden hatte, also vom Staat in dem Sinne nicht neu „beschlossen“ wurde und somit die Definition für Fiatgeld genau genommen nicht zu 100 Prozent erfüllt ist.
Sorge um den EURO – ist unser Geld in den richtigen Händen?
Die Frage, die sich nun stellt, ist, was wir vor diesem Hintergrund möglicherweise von unserem heutigen Geld zu erwarten haben. Wenn man bedenkt, welches Schindluder Regierungen und Politik mit Geld zu treiben bereit sein können, und wenn man bedenkt, welches unsichere Konstrukt für unsere aktuelle Euro-Währung gewählt wurde; wenn man weiterhin bedenkt, welche wirtschaftlichen Ungleichgewichte am europäischen Wirtschaftsraum zerren, und wenn man bedenkt, welchen Aufgaben diejenige europäische Institution, die sich um unser Geld kümmern soll, also die EZB, im Rahmen der Eurokrise noch so nachgeht – kann man da immer und zu jedem Zeitpunkt sicher sein, dass der Euro eine sichere und Vertrauen erweckende Zukunft hat? Oder droht unsere Währung außer Kontrolle zu geraten?
Zentrale Kritik an der EZB-Politik: die Mindestreservepolitik
In diesem Zusammenhang ist die Politik der einstigen nationalen Zentralbanken und jüngst auch die der EZB in den Blickpunkt der Kritik geraten. Die vornehmliche Aufgabe der EZB ist es, die Wirtschaftskreisläufe mit Geld zu versorgen. Dabei wird ein bekanntes Steuerinstrumentarium verwendet, das die im Umlauf befindliche Geldmenge, deren Umlaufgeschwindigkeit und letztlich auch die Absicherung von Aktivitäten der Geschäftsbanken regeln soll: die sogenannte Mindestreservepolitik. Mindestreserven sind Vorgaben darüber, wie viel Prozent ihres Kapitals Geschäftsbanken bei ihrer Zentralbank mindestens als Sicherungseinlage zu hinterlegen haben. Ist der Mindestreservesatz höher, steht den Geschäftsbanken weniger Geld zur Verfügung, das sie per Kredit als Liquidität in den Geldkreislauf einbringen können. Ist der Mindestreservesatz niedriger, steht den Geschäftsbanken mehr Geld für ihr Kreditgeschäft zur Verfügung.
Geldschöpfung: Geschäftsbanken übernehmen Aufgaben der Zentralbanken
Soweit die Theorie zur Geldmengensteuerung über die Zentralbank. De facto findet dieses Instrument aber kaum mehr ernsthafte Anwendung. Den Banken wurde mit der Zeit gestattet, immer niedrigere Mindestreserven bei den Zentralbanken (und mit Euro-Einführung alternativ bei der EZB) vorzuhalten. Das belebte auf der einen Seite das Kreditgeschäft der Banken, auf der anderen Seite stieg das Risiko, weil den vergleichsweise vielen Geschäftsaktivitäten eine ohnehin schon nur geringe Eigenkapitalausstattung der Banken und nur geringe Sicherheitseinlagen bei den Zentralbanken gegenüberstanden (siehe auch die Diskussionen im vorherigen Kapitel zu den „Basler Beschlüssen“). Unabhängig davon führten die niedrigen Mindestreservesätze aber auch dazu, dass die Geschäftsbanken durch die massive Geldverteilung per Kredit begannen, ihrerseits ein munteres Eigenleben beim Prozess der Geldschöpfung zu entwickeln. Die Geldschöpfung, für die eigentlich Zentralbanken hauptverantwortlich sind, hatte sich gewissermaßen verselbständigt, ein „zentraler“ Einfluss auf die Geldmenge über die Festlegung von Mindestreservesätzen kaum noch vorhanden. Wie wir inzwischen wissen, war das in der Finanzkrise ab 2007 am Ende mit ein wichtiger Grund dafür, dass so viele Banken von den vielen Kreditausfällen auf dem falschen Fuß erwischt wurden. Die Banken hatten in der Situation schlichtweg nichts mehr zuzusetzen.
Österreichische Schule fordert 100-prozentige Reserveauflage für Banken
Aufgrund dieses Umstandes wurden aber auch schnell Forderungen laut, die Zentralbankpolitik bei den Mindestreserveauflagen wieder deutlich zu verschärfen und die Sätze drastisch anzuheben. Kritiker erhoben sogar Forderungen nach einer 100-prozentigen Reserveauflage. Das heißt, dass Banken die gleiche Summe, die sie verleihen, auch mindestens als Reserve vorhalten müssen. Diese Kritiker lassen sich unter anderem der sogenannten „Österreichischen Schule“ zuordnen, deren Vertreter Ludwig von Mises schon zu seiner Zeit – zur Weltwirtschaftskrise um 1930 – eine 100-prozentige Reserveauflage für Banken als Lösungsansatz für die monetären Verfehlungen in den 20er Jahren zuvor formulierte. Damit befindet sich die Österreichische Schule auf Konfrontationskurs mit den traditionellen etablierten wirtschaftswissenschaftlichen Schulen, indem sie Banken und Zentralbanken allgemein für Konjunkturzyklen (Schwankungen), also für das Verlassen eines eigentlich wünschenswerten wirtschaftlich stabilen Pfades, verantwortlich macht. Die Banken seien es, die durch ihre Geldschöpfungsaktivitäten überhaupt erst unkontrolliertes Geldwachstum herbeiführten und damit am Markt Kredite mit niedrigen Zinsraten aus dem Nichts produzierten. Die Informationsfunktion von Preisen und Zinsen als Risikoanzeiger würde dadurch außer Kraft gesetzt oder zumindest negativ beeinträchtigt, und ineffektive Wirtschaftsstrukturen würden länger künstlich am Leben erhalten. Die Folgen davon seien Krisen und Rezessionen und eine Lösung dazu bestünde eben in Banken mit einer 100-prozentigen Reserveauflage, durch die unkontrollierbare Geldschöpfungsprozesse unterbunden würden.99
Analysen längst vergangener Zeiten – aktueller denn je?
Schaut man sich die Argumentation dieser Kritiker an und vergleicht sie mit dem Verlauf der Finanzkrise (als Hauptauslöser der Eurokrise) und den Bedingungen, die zu der Krise geführt haben (die Immobilienkrise in den USA, billige Kredite, lange Niedrigzinsphasen der US-Zentralbank, massive Geldschöpfungsprozesse), dann kann man der Österreichischen Wirtschaftsschule hier eine gewisse Zustimmung kaum verweigern. Verblüffenderweise entstammen ihre Erkenntniszusammenhänge tatsächlich teilweise bereits aus Zeiten der großen Weltwirtschaftskrise um 1930 und hätten seitdem im Prinzip für Wirtschaftskrisen heutiger Prägung als Warnung dienen können.
Nicht unser Geld ist das Problem
Wägt man das alles nun gegeneinander ab, muss man feststellen, dass die eingangs gestellte Frage „Geld – Zahlungsmittel außer Kontrolle?“ vielleicht der falsche Ansatzpunkt ist. Immer wieder in der Geschichte, ob im Altertum, im Mittelalter, nach den Weltkriegen oder aber auch heute, hat es Krisen rund um das Thema „Geld“ gegeben, aber wie wir gesehen haben, ist nicht das Geld an sich daran schuld. Es sind eigentlich immer nur diejenigen Institutionen, denen es zur Fürsorge überantwortet wurde, die letztlich außer Kontrolle geraten sind, seien es Herrscher, Staaten, Zentralbanken oder Geschäftsbanken. In ihren jeweiligen Zeiten und Zwangslagen waren sie es, die ihre Macht auf das Geld ausübten (und ausüben), um so bestimmten politisch gewollten Entwicklungen Vortrieb zu geben.
Leider muss man zugeben, dass wir auch heute wieder gewisse bekannte Vorzeichen und Verhaltensmuster aus der Vergangenheit entdecken, die in einigen zuvor beschriebenen Krisenszenarien beim Thema Geld als Auslöser für schwere wirtschaftliche Schieflagen mitverantwortlich waren: hohe Staatsverschuldungen, starker Druck auf die Geldmenge durch „ungebändigte Geldschöpfungsprozesse“ und damit möglicherweise einhergehende inflationäre Tendenzen.
EZB im Kompromiss-Dilemma zwischen Geldmengensteuerung und Wirtschaftswachstum
Nun muss man bei der heutigen EZB-Politik aber auch berücksichtigen, dass sie allen europäischen Krisenstaaten durch die Eurokrise hindurchhelfen möchte. Auf die Liquiditätsengpässe an den Geldmärkten vor Ort sind wir an anderer Stelle schon eingegangen, aber das ist auch genau hier wieder der kritische Punkt: Will man, dass die Wirtschaftsprozesse in den Krisenländern nicht komplett erlahmen, weil die Geschäftsbanken dort kaum mehr Geld zur Verfügung stellen können oder wollen, ist die EZB gezwungen, zu intervenieren und Kredite zur Verfügung zu stellen, wodurch sie den Geldschöpfungsprozess einstweilen weiter vorantreibt. Inwiefern sich das später als Teufelskreis und Abwärtsspirale herausstellen wird, bleibt abzuwarten. Fakt ist aber auch, dass ein komplettes Versagen der Wirtschaft in den Krisenstaaten am Ende noch weniger hilfreich sein dürfte, wenn es um die Rückzahlung von Schulden gehen wird.
Dass EZB und Geschäftsbanken im Prinzip also unbegrenzt Geld schöpfen können und der Einfluss der europäischen Nationalstaaten auf die EZB hierbei relativ begrenzt ist, ist ein nicht von der Hand zu weisendes Risiko. Dass die Regelungen zur Vorhaltung von Mindestreserven bei den Zentralbanken für die Geschäftsbanken im Laufe der Zeit immer stärker gelockert wurden, ist ein weiterer mittelbarer Beitrag zur Eurokrise. Welchen Einfluss Zentralbanken mit ihrem anderen Steuerungsinstrument, der Leitzinspolitik, ausüben und ob es zum Thema Inflation im Zeichen der Eurokrise vielleicht noch weiteres zu bedenken gibt, dazu im folgenden Kapitel mehr.