15 Scheitert Europa, wenn der EURO scheitert?

Gebetsmühlenartig hören wir seit einiger Zeit Bundeskanzlerin Merkel folgenden Satz sagen: „Scheitert der Euro, scheitert Europa!“ Ist dem wirklich so? Scheitert Europa, wenn der Euro als Währung verloren geht? Schwierig, auf eine solche Frage mit einem einfachen Ja oder Nein zu antworten, weil wir doch inzwischen auch gelernt haben, dass es uns Europa und die Eurokrise nicht so leicht machen, auf vermeintlich einfache Fragen immer auch einfache Antworten zu finden. Wie gut, dass es auch zur bekannten Kanzlerinnen-These argumentativen Austausch gibt. Wir wollen im Folgenden Positionen, die die These der Bundeskanzlerin stützen, und Gegenpositionen, die erhebliche Zweifel an der These haben und ihr dabei unlautere Motive unterstellen, etwas näher beleuchten. Und wer weiß, vielleicht kommen wir am Ende auch zu einer Einschätzung, ob und wie wir diese interessante Frage letztlich beantworten können. Vielleicht.

Schauen wir uns also mal eine Argumentation für die These der Bundeskanzlerin an:

Gefahr: Handelskonflikte?

Der Zusammenbruch der gemeinsamen Währungsunion und das Herauslösen vereinzelter Staaten aus der Eurozone – wir haben das nun wiederholt durchgespielt – könnten zur Folge haben, dass auf dem europäischen Kontinent stärkere Finanzbewegungen durch Kapitalflucht in Gang gesetzt werden. Durch die neuerliche Einführung nationaler Währungen und damit einhergehende Auf- und Abwertungsprozesse träten starke Wechselkursschwankungen zwischen den Währungen auf. Will man solche Prozesse schnell beruhigen, müsste man zum Beispiel über rigide Kapitalverkehrskontrollen in Europa und über Wechselkursbeschränkungen konkret nachdenken (beziehungsweise diese durchsetzen), was letztlich genau das Gegenteil dessen bedeuten würde, was man einst mit einem gemeinsamen europäischen Binnenmarkt beabsichtigt hatte. Es wäre mit behindernden Auswirkungen auf den freien Waren- und Kapitalverkehr zu rechnen, die im Extremfall auch zu direkten Handelskonflikten zwischen den Ländern führen könnten.

Durch die Auflösung der Währungsunion wird nicht automatisch alles wieder gut

Ganz grundsätzlich zu befürchten wäre also, dass das Auflösen der Währungsunion mittelfristig nicht zu dem gemeinschaftlichen Miteinander zwischen den Ländern zurück führen würde, wie man es seinerzeit vor dem Einstieg in die gemeinsame Währungszone untereinander pflegte. Geht man dann noch einen Schritt weiter und nimmt an, dass vor dem Hintergrund einer solchen sehr unruhigen Restrukturierung des Euroraums notwendige Reformen eher ausbleiben, die Staatsschulden in den verschiedenen Ländern sich also nicht wirklich konsolidieren und sich das alles eher negativ auf die Wachstumsaussichten und die Beschäftigtenzahlen niederschlägt, steht zu befürchten, dass es im Euroraum richtig harte Verteilungskämpfe geben würde. Letztlich wäre das dann die Nagelprobe für den Fortbestand Europas. Folgt man diesem Szenario, wäre durchaus vorstellbar, dass das Scheitern des Euros in letzter Konsequenz auch massiven Einfluss auf die kulturelle und gesellschaftliche Entwicklung und das Zusammenleben Europas haben könnte, mithin also auch ein Scheitern Europas bedeuten könnte.116

Auf der anderen Seite gibt es diejenigen, die vom Satz der Bundeskanzlerin inzwischen reichlich genervt sind. Als Allererstes wird der Kausalzusammenhang in Frage gestellt: Wie kann Europa durch ein Scheitern des Euros bedroht sein, wenn der Euro bisher überhaupt nur in 17 Ländern als Währung eingeführt ist? Und wo doch Europa aus 27 Ländern beziehungsweise nach rein geografischer Zählweise sogar aus 51 Ländern besteht?

Keine vorurteilsfreie Diskussion

Zum Zweiten möchten sich die Kritiker des Merkelsatzes nicht vorwerfen lassen, dass sie – nur weil sie mit dem Euro als Währung nichts anzufangen wissen – automatisch auch Anti-Europäer seien. In dieser Schublade würden sie aber regelmäßig landen, wenn ihnen auf ihre kritischen Einlassungen zum Euro hin der Satz „Scheitert der Euro, scheitert Europa!“ erwidert würde. Was diesen Kritikern hierbei viel zu schnell unter den Tisch fällt, ist der Umstand, dass mit der Euro-Europa-Rettung mittlerweile der Schwerpunkt viel zu sehr auf einem „Europa der Finanzmärkte“ liege. Europa sei aber viel mehr. Es handele sich dabei um einen Staatenbund mit vielen kulturellen und bürgerlichen Chancen, was in der ganzen Diskussion viel zu wenig Beachtung fände. Natürlich ist auch diesen Kritikern klar, dass die Schieflage durch das wilde Treiben der Finanzmärkte zu Stande gekommen sei. Zumindest aber zu gleichen Teilen müsse sich die Politik hierbei an die eigene Nase fassen, weil sie jahrelanges Schuldenmachen befördert habe. Sie fordern deshalb Reformen des Eurosystems unter Berücksichtigung demokratischer Beteiligung und unter Wahrung europäischer Werte, die über die reine Finanz- und Binnenmarktsicht auf Europa weit hinaus gingen.117

Wie man den gegensätzlichen Positionen entnehmen kann, ist eine eindeutige Antwort auf die Frage, ob Europa scheitert, wenn der Euro scheitert, nicht so ohne weiteres möglich. Nachvollziehbar ist aber, dass die Bundeskanzlerin sich mit ihrem Ausspruch eine griffige Formulierung zurechtgelegt hat, um kurz und prägnant ihre Botschaft zu setzen: Sie möchte den Euroraum und Europa zusammenhalten. Und dafür ist sie anscheinend auch bereit, einiges zu investieren und zu riskieren. Den Mut dazu kann man vielleicht sogar bewundern. Andererseits ist auch klar: Sie ist Politikerin und sich durchaus bewusst, welche Macht Worte haben können. Insofern sollten wir uns vielleicht nicht zu sehr von ihrer griffigen Angstformel beeindrucken lassen und uns weiter trauen, Dinge zu hinterfragen. Zumal sich inzwischen auch in unserer Gesellschaft so langsam die Erkenntnis durchzusetzen beginnt, dass sich hinter dem ebenfalls von der Kanzlerin geprägten Begriff der „Alternativlosigkeit“ oftmals doch mehr Alternativen verbergen, als es zunächst den Anschein erweckt.

In der Politik eigentlich kaum akzeptabel: Alternativlosigkeit

So gesehen darf man es sich schon erlauben, die Frage zu stellen, ob es Europa wirklich nur gibt, wenn der Euro weiter Bestand hat. Zumindest sollte man sich die Denkoption offenhalten, im Notfall auch über ein gemeinsames Europa ohne Euro nachzudenken, ohne dass ich das persönlich befürworten oder hier aktiv fordern würde. Aber Politik bedeutet doch immer auch das Vorhalten von Optionen, und wer weiß, ob wir in Kenntnis der Probleme, die die Einführung des Euros in Europa zwischen Nord und Süd nach sich zog, nicht irgendwann zu der Überlegung kommen, dass ein Versuch ohne Euro noch mal in Betracht zu ziehen wäre. Auch wenn das zu Beginn geschilderte Auflösungsszenario der Währungsunion andeutet, dass die Rückkehr zu einem Europa vor der Währungsunion vielleicht schwerer wäre als der Weg, den die EU bis zum Zeitpunkt des Beginns der Währungsunion genommen hat.

Insofern komme ich gerne auf mein „vielleicht“ im einleitenden Absatz dieses Kapitels zurück und stelle fest, dass ich zu keiner eindeutigen Antwort auf die Merkelsche Europa-These komme. Letztlich hängt es wohl stark davon ab, wie man selbst zum Gesamtprojekt „Europäische Union“ steht. Je nachdem wird man der Kanzlerin eher mehr oder weniger zustimmen.

Die Euro-kritische Partei Alternative für Deutschland (AfD) – Herausforderung für Deutschlands etablierte Parteien

Apropos Zwiespalt und Alternativlosigkeit: In eine ähnliche Beurteilungszwangslage gerät man auch, wenn man über Alternativlosigkeit und Alternativen in Sachen Euro und Europa allgemein nachdenkt. Ist es denn derzeit so, dass wir beispielsweise eine Alternative für Deutschland brauchen? Konkret spielt diese Fragestellung natürlich auf die neue euro- und europakritische Strömung in Deutschland an, die sich sehr stark im Fahrwasser der Eurokrise entwickelt hat und deren Gründung als Partei mit Blick auf die Bundestagswahl im Jahr 2013 nun erfolgt ist. Der Name dieser Partei lautet dann auch tatsächlich: Alternative für Deutschland (AfD). Aber brauchen wir eine Partei „Alternative für Deutschland (AfD)“? Oder wäre die viel bessere Frage an dieser Stelle nicht: Warum überhaupt gibt es jetzt eine solche Partei? Ja, letztere Frage ist die wohl eigentlich spannendere. Bei der Suche nach Antworten wird man schnell bei einem tief sitzenden Frust einiger Menschen zum Thema Euro und Euro-Rettungspolitik landen. Vielleicht auch bei gewissen damit verbundenen Ängsten und Unsicherheiten. Vielleicht – oder sehr wahrscheinlich sogar – auch bei Vorbehalten und einem Misstrauen gegenüber den agierenden Politikern. Und nicht zuletzt vielleicht aber auch bei einer gewissen Unwissenheit und Uninformiertheit bezüglich der Eurokrise und einer daraus resultierenden allgemeinen Überforderung.

Interessant ist es ja trotzdem, wenn sich in dem ansonsten doch eher eingespielten politischen System in Deutschland – manch anderer würde vielleicht von einem festgefahrenen oder verkrusteten System sprechen – innerhalb relativ kurzer Zeit eine neue politische Bewegung entwickeln und ja, sich vielleicht sogar zu einem kleinen politischen – will sagen: wahlbeeinflussenden – Faktor für die bisher agierenden Parteien aufschwingen kann. In dem Zusammenhang stellt sich dann fast wie von allein die Frage: Welche Fehler haben die etablierten Parteien begangen, dass so etwas passieren konnte? Dass es in einer Demokratie immer wieder auch neue politische Akzente gibt, ist normal und gehört gewissermaßen zum System dazu. Bemerkenswert ist allerdings, dass es hier einer politischen Strömung anscheinend gelingen konnte, eine in der Bevölkerung latent schwelende (kritische) Grundstimmung zur Euro-Rettungspolitik in einer Größenordnung aufzunehmen, die es ihr vermutlich – und sofern die formalen Voraussetzungen für die Partei selbst dafür erfüllt sind – ermöglicht, bei der Bundestagswahl 2013 aus dem Stand in den neuen Bundestag einzuziehen.

Bekenntnis zu Europa nicht immer ganz klar und eindeutig

Den Kardinalfehler der etablierten Politik wird man dann am Ende wohl darin zu sehen haben, bei den Menschen nicht ausreichend Überzeugungsarbeit für den Euro, Europa und die damit verbundene Euro-Rettungspolitik geleistet zu haben. Im ewigen Streit um Wählerstimmen und den eigenen zu kochenden politischen Süppchen ist es nie wirklich gelungen, den Bürgerinnen und Bürgern eine klare und überzeugte politische Linie „für Europa und den Euro“ zu kommunizieren. Warum brauchen wir den Euro? Warum ist Europa heute so wichtig für uns? Welche Vorteile bringt das mit sich? Jenes notwendige, deutliche und unerschütterliche Bekenntnis zum eingeschlagenen europäischen Weg gab es nicht oder es wurde zumindest nicht sehr offensiv vertreten. Im Gegenteil: Als es politisch opportun erschien, wurde sogar gezielt mit anti-europäischen Ressentiments gespielt und eine solidarische europapolitische Linie bewusst verlassen.

So sammeln sich unter dem Dach der neuen Partei also nun viele Anhänger, die mit den folgenden Forderungen118 sympathisieren und aus Protest den etablierten Parteien die rote Karte zeigen wollen. Die AfD-Forderungen im Einzelnen:

Forderungen der AfD

• Geordnete Auflösung des Euro-Währungsgebietes

• Wiedereinführung nationaler Währungen oder die Schaffung kleinerer und stabilerer Währungsverbünde („Die Wiedereinführung der D-Mark darf kein Tabu sein.“)

• Änderung der europäischen Verträge, um ein Ausscheiden von Staaten aus der Eurozone zu ermöglichen („Völker müssen demokratisch über ihre Währung entscheiden dürfen.“)

• Kosten der sogenannten Rettungspolitik sollen nicht vom Steuerzahler getragen werden, sondern vielmehr von Banken, Hedgefonds und privaten Großanlegern (also den „Nutznießern dieser Politik“)

Parteiendemokratie bildet gesellschaftliche Diskussionen nur noch unzureichend ab

In der Diskussion um diese neue Bewegung und ihre Forderungen fühlt sich die etablierte Politik inzwischen immerhin so hinreichend bedroht, dass sie reflexartig reagiert, indem sie versucht, die AfD in der rechtspopulistischen Ecke zu verorten. Das ist insofern bedauerlich, als es doch für die Menschen in unserem Land interessanter und in Sachen Meinungsbildung viel gewinnbringender wäre, sich argumentativ mit den Inhalten dieser neuen Bewegung auseinanderzusetzen. Und sind die Parteien der repräsentativen Demokratie nicht im ureigentlichen Sinne dazu auserkoren, für uns, aber auch durchaus mit uns, bestimmte Themen zu diskutieren, um daraus letztendlich ihre Politik abzuleiten? Vielleicht ist diese Annahme, insbesondere im Abgleich mit der heutigen Realität, auch schon wieder viel zu naiv. Nichtsdestotrotz bleibt die Frage, ob wir uns in der Hinsicht dauerhaft mit niedrigsten Ansprüchen an unsere Politik zufrieden geben sollten.

Eine erste und zumindest ansatzweise argumentative Auseinandersetzung mit der AfD und ihren Forderungen lieferte die ARD-Talkshow „Anne Will“ unter dem Thema „Sündenfall Zypern – Vertrauen weg bei Europas Sparern?“119 Ja, ich weiß, zu Beginn des Buches wollte ich Sie, liebe Leserin, lieber Leser, doch eigentlich noch vor wilden Talkshow-Argumenten schützen, und jetzt zerre ich Sie, indem ich obige Talkshow als Quelle bemühe, gewissermaßen ganz unvermittelt ins „Auge des Orkans“ hinein. Was bleibt einem aber auch anderes übrig, wenn die zuvor geforderten politischen Auseinandersetzungen über ein wichtiges Thema unserer Zeit – und so sie denn überhaupt einmal geführt werden – heute nur mehr auf dem Talkstuhl (oder dem Talksofa) stattfinden, anstelle der dafür eigentlich in unserem System vorgesehenen Institutionen (wie zum Beispiel dem Deutschen Bundesstag)? Ich hoffe daher, Sie sehen es mir an dieser Stelle nach, denn die Diskussion am Schluss der genannten Talkshow bot immerhin einige recht aufschlussreiche Ansätze.

Als Vertreter der AfD war Prof. Dr. Bernd Lucke zu Gast, Mitbegründer und Sprecher der Partei. Dieser durfte aus seiner Sicht darstellen, wo genau und warum es in Europa hakt: Seiner Ansicht nach spalte der Euro im Rahmen des Nord-Süd-Konflikts Europa, welches dadurch zunehmend Schaden erleide. Die Produktivitäten und die Wettbewerbsfähigkeiten in Europa entwickelten sich zu unterschiedlich, so dass die Südländer weiterhin mehr Waren im- als exportierten. Um das wirtschaftliche Gefälle zu nivellieren (also steigende Exporte der Südländer zu erzeugen), bräuchte es insgesamt wieder mehr währungspolitische Flexibilität in Europa, sprich: wieder eingeführte nationale Währungen.

AfD will geordnete Auflösung der Eurozone

Die AfD wolle einen gleitenden Ausstiegsprozess für die Eurozone organisieren, in dem zuerst die Südländer die Eurozone verlassen und zu einem späteren Zeitpunkt dann die Euro-Kernländer folgen würden. Damit wolle man letztlich den Südländern nur helfen, ihre Probleme in den Griff zu bekommen. Die AfD strebe mit ihren Forderungen kein Nationalstaatsprinzip an und sei auch nicht nationalistisch ausgerichtet, sondern verhalte sich im Gegenteil und im wahrsten Wortsinne „europäisch“. Schließlich mache das Euro-System selbst europäische Errungenschaften kaputt und erst die von Deutschland für ganz Europa durchgesetzte „Austeritätspolitik“120 mit ihren rigiden Sparvorgaben und einer auf „ohne Neuverschuldung“ ausgerichteten Haushaltspolitik führe in Europas Ländern zu vermehrter anti-deutscher Stimmung. Man wolle sich diesbezüglich gar nicht erst ausmalen, was das beispielsweise für die deutsch-französische Freundschaft bedeuten könnte, wenn Deutschland im schlimmsten Falle – auch Frankreich würde zu einem Eurokrisenfall – sein Spardiktat über das Nachbarland stülpe.

Edmund Stoiber befürchtet bei Auflösung der Eurozone schwere Rückschläge für Europa

Der ehemalige bayerische Ministerpräsident Edmund Stoiber (CSU) gestand in der Diskussion zu, dass es zu Beginn der Währungsunion wohl ein Fehler gewesen sei, die Südländer auf ihrem damaligen sehr ungleichen Stand ihrer Wirtschaftskraft mit in die Währungsunion aufzunehmen. Jetzt aber, wo sie nun einmal dabei seien, müsse man sich mit der Situation auseinandersetzen und lösungsorientiert handeln. Darüber hinaus warnte er aber vor einem Rückfall in Hass und nationale Ressentiments, wenn man den Vorschlägen der AfD folgen und Europa quasi in einen Zustand wie nach dem Zweiten Weltkrieg zurückversetzen würde.

Gesine Schwan findet Hilfsangebot für Krisenländer in den AfD-Vorschlägen nicht überzeugend und unglaubwürdig

Europa braucht gerade mehr ökonomische und politische Integration

Die Politikwissenschaftlerin Gesine Schwan (SPD) hingegen merkte in der Diskussion an, dass sie es für ein Pseudoargument halte, wenn die AfD sage, sie wolle den Südländern mit einem Austritt aus der Eurozone helfen. Aus ihrer Sicht sei dies keine Hilfe, weil ein Abwerten wieder eingeführter nationaler südländischer Währungen zwar vielleicht die Exportbedingungen verbessere, dies ja aber noch längst nicht mit Produktivitätssteigerungen in diesen Ländern einherginge. Zudem blieben die Schulden nach einem Austritt aus der Eurozone doch weiterhin bestehen und würden im Gegenteil durch den Abwertungsprozess der nationalen südländischen Währungen zu den verbliebenen starken Währungen nur noch viel größer werden. Verinnerliche man sich diese Zusammenhänge, ginge es aus ihrer Sicht der AfD also nicht um die dringend benötigte Produktivitätsentwicklung in diesen Ländern, sondern es dränge sich hier sehr stark der Eindruck einer beabsichtigten „Entledigung“ der Südländer auf. Bedenke man zudem, dass auf den AfD-Veranstaltungen unter den Teilnehmern oftmals Kommentare wie die Südländer müsse man „loswerden“ und „wir müssen nur für die zahlen“ zu hören seien, so trage dies für sie schon einen deutlich „nationalistischen Impetus“. Solange von der AfD nicht konkret erklärt werde, wie ihr Ansatz helfen soll, die bestehenden Probleme zu überwinden, glaube sie nicht daran, dass das die Südländer beziehungsweise Europa tatsächlich auch nur einen Schritt weiter bringe. Im Übrigen gehe sie davon aus, dass Europa perspektivisch nur dann eine Chance haben werde, wenn man sich – über die rein ökonomische Integration hinaus – auch über eine stärkere politische Integration verständigen könne.

AfD fordert Umsetzung des Nord-/Süd-Euro-Konzepts

Interessant für uns mehr oder weniger neutrale Beobachter dieser Diskussion ist nun, dass hier im Wesentlichen um das Konzept des „Nord- und Süd-Euro“ gerungen und gestritten wird. Ein Konzept, das wir weiter vorne unter den „Nicht verfolgten Maßnahmen“ schon einmal näher kennengelernt haben. Die AfD – darin besteht kein Zweifel – möchte dieses Konzept ziemlich direkt umsetzen. Und nicht ganz von ungefähr kommt es, dass die Entwickler des Konzeptes (Olaf Henkel und Dirk Meyer) mit in der Unterstützerliste der Partei stehen. Die Kritiker der AfD verweisen letztlich genau auf die bekannten Kritikpunkte an diesem Konzept: Vermutlich steigende Arbeitslosigkeit in den Nordländern (weil die Südländer sich nun mehr Exportanteile zu Lasten der Wirtschaft in den Nordländern sichern könnten), weiterhin bestehende oder gar gestiegene Schuldenlage in den Südländern trotz (oder gerade wegen) eigener abgewerteter nationaler Währungen und last but not least eine befürchtete politische Spaltung Europas durch den dann wieder getrennten Währungsraum.121 Fraglich bleibt an der Stelle, wie das den Südländern und Europa helfen soll, was ja aber letztlich der Grundansatz („helfen wollen“) der AfD ist.

Zweifelsohne haben wir es mit einer spannenden Diskussion zu tun, der man sich von Seiten der etablierten Politik unbedingt stellen sollte. Sich hierbei nur auf eine reine Stigmatisierung einer neuen politischen Bewegung zu verlegen, weil diese auf den ersten Blick suspekt erscheint, hilft nicht weiter und führt letztlich nur noch mehr zu dem, was wir doch alle immer beklagen, nämlich, dass sich die Menschen von den großen Volksparteien oder gar ganz von der Politik abwenden und offener für vermeintlich radikalere Positionen werden. Insofern der Appell an die etablierte Politik: Mutig sein, argumentieren und erklären. Nur das schafft Vertrauen und hilft bei Wahlen.

Einer AfD hingegen möchte man mit auf den Weg geben, dass es – auch wenn man mit der Eurokrise ein wichtiges Thema für sich gefunden hat – am Ende nicht ausreicht, sich nur darüber zu beklagen, wie sich „political correctness“ mehltauartig über alle Diskussionen in unserem Lande zu legen drohe (und man dadurch – aus AfD-Sicht – Tabus nicht mehr offen ansprechen dürfe), wenn sich gleichzeitig in der eigenen Anhängerschaft eine gewisse nationalistisch geprägte antieuropäische Grundhaltung herauszukristallisieren droht. Das genau provoziert gerade eben jene kritisierte politische Korrektheit in einer Gesellschaft.

Politischer Meinungswettbewerb

Parallelen zur PIRATENPARTEI?

Schaut man sich nun die AfD-Unterstützerliste an, sieht man darauf unter anderem einige durchaus honorige Volkswirtschaftslehre-Professoren. Das vermittelt eine gewisse Kompetenz. Andere wiederum fühlen sich vielleicht bemüßigt, in dieser Liste eher nur die „üblichen Verdächtigen“, die permanenten Bedenkenträger zur Eurokrise und zur Euro-Rettungspolitik zu sehen. Wie auch immer. In einer Demokratie geht es am Ende um den Meinungswettbewerb und ob man nun bei der Wahl seine Stimme der AfD oder ihren Kritikern aus den etablierten Parteien gibt, muss letztlich jeder für sich selbst abwägen. Abzuwarten bleibt jedoch, wie diese neue Partei überhaupt mit dem Zuspruch wird umgehen können und ob die Strukturen und personellen Kapazitäten, sowohl vor als auch nach einer Wahl – und zumal vielleicht mit einem dann möglichen Einzug in den Deutschen Bundestag – dabei werden mithalten können. Gerade die jüngeren Erfahrungen rund um die Piratenpartei mit den anschließenden Selbstzerfleischungsprozessen, den vielen Trittbrettfahrern und verhinderten Parteikarrieristen, die im Rahmen von Wahlsiegen schnell mit auf den fahrenden Erfolgszug aufgesprungen sind, zeigen auch deutlich, dass neue Parteien, die plötzlich ins politische Rampenlicht katapultiert werden, mitunter noch ziemliche Schwierigkeiten haben können, mit den neuen Erfolgen reflektiert umzugehen.

Vorhandenes Protestpotenzial und Stimmungen in einer Gesellschaft aufzunehmen ist das eine; dies später aber auch ernsthaft in verantwortliches Handeln für ein ganzes Land umzusetzen, ist noch einmal etwas ganz anderes. Insofern fährt man vielleicht nicht schlecht damit, den Entwicklungsprozess dieser Partei zunächst mit einer gewissen Vorsicht und Nüchternheit zu begleiten. Erweist sich diese Partei als mittel- bis längerfristig stabil und kommt sie demzufolge irgendwann wirklich in der Alltagspolitik an, so dass man sie ernst nehmen kann?

Deutlich zeichnet sich hingegen ab, dass sich die eurokritischen Stimmen in unserem Land stärker organisieren, die etablierte Politik mehr herausfordern und auf diese Weise bei Wahlen durchaus zu einem gewissen Faktor werden können. Damit folgen sie nun auch in Deutschland einem Trend, der sich bereits seit längerem in anderen europäischen Ländern abzeichnet. Das mitzuverantworten hat nicht zuletzt die etablierte Politik.