Brauchst du Hilfe?«
Erschrocken fuhr Katharina herum, vernahm die tiefe Stimme von Thomas dicht hinter sich. Als sie sich umdrehte, sah sie das Lächeln in seinem Gesicht. In seiner Hand hielt er die Sense, mit der er eben noch gearbeitet hatte. Der würzige Duft nach frischem Heu lag in der Luft, ein seichter Wind strich über das Feld und sorgte für etwas Abkühlung. Katharina war damit beschäftigt gewesen, die schweren Heuballen mit einer Gabel auf den Leiterwagen zu wuchten, wo sie von Alfred, einem wortkargen, aber sehr kräftigen Feldarbeiter, angenommen und gestapelt wurden. Dort oben tarierte er die Ballen gewissenhaft aus, damit der schwer beladene Wagen auf dem Rückweg zum Hof nicht umkippen konnte.
Katharina ruhte sich gerade einen Moment von der unter der sengenden Hitze des Vormittags körperlich anstrengenden Arbeit aus. Das hatte Thomas offenbar zum Anlass genommen, ihr seine Hilfe anzubieten. Doch Katharina war es gewohnt, mit anzupacken. »Nein danke«, sagte sie höflich, »es geht schon.« Natürlich war ihr nicht entgangen, dass der neue Knecht schon seit seiner Ankunft ein Auge auf sie geworfen hatte. Schon mehrmals hatte sie sich gefragt, ob sein Interesse ihr galt oder der Tatsache geschuldet war, dass sie die Tochter des Bauern war.
Doch Katharina war nicht an ihm interessiert und wusste mitunter nicht, wie sie ihm das höflich, aber bestimmt beibringen sollte. Als einziges Kind auf dem Zumwinkel-Hof arbeitete sie von früh bis spät und hatte bisher keinen Gedanken an einen Mann, an dessen Seite sie alt werden wollte, verschwendet. Vielleicht, so überlegte sie, weil er mir noch nicht begegnet ist. Thomas, so viel stand fest, war es jedenfalls nicht. Er war ein grobschlächtiger Kerl, er sprach laut und war selbstverliebt. Vater mochte ihn trotzdem, weil er hart arbeiten konnte.
Seitdem ihr Vater ihn eingestellt hatte, schwänzelte Thomas ständig um sie herum. Dabei wurde er nie aufdringlich, denn er verfügte, das musste Katharina ihm lassen, durchaus über gute Manieren. Thomas war alles andere als ein roher Klotz, und dennoch interessierte sie sich nicht für ihn. Katharina hatte gehofft, dass sie sein Interesse auf Lina lenken konnte. Die junge Magd war unsterblich in Thomas verliebt, das hatte Lina ihr neulich sogar gebeichtet. Doch Thomas schien kein Interesse an ihr zu haben. Katharina überlegte für einen Moment, wie sie dem Glück der beiden ein wenig auf die Sprünge helfen konnte.
»Hat es dir die Sprache verschlagen?«, riss Thomas’ Stimme sie aus den Gedanken. Noch immer lag ein Lächeln auf seinem braungebrannten Gesicht. Er schob sich den Strohhut mit der breiten Krempe in den Nacken.
»Mir die Sprache verschlagen?« Katharina lachte herzhaft. »Wo denkst du hin?«
Thomas wirkte ein wenig gekränkt und wich einen halben Schritt zurück.
»Ich weiß deine Hilfe zu schätzen, aber«, sie deutete auf die im Sonnenlicht blitzende Klinge der Sense, »ich denke, dass du damit weitermachen solltest.«
»Was ist denn jetzt?«, ertönte die Stimme von Alfred, der hoch oben auf dem Leiterwagen wartete. Mit grimmiger Miene lehnte er an der Reling des hölzernen Wagens und blickte zu ihnen herunter. »Geht es nicht weiter?«
»Doch, doch.« Katharina legte den Kopf in den Nacken und sah zu dem vierschrötigen Arbeiter hinauf, der sich zu langweilen schien. Dann wandte sie sich Thomas zu. »Du siehst, ich werde gebraucht.«
»Gut.« Das Lächeln auf Thomas’ Lippen erlosch, er zuckte die breiten Schultern. »Wenn du Hilfe brauchst, bin ich für dich da.« Sichtlich enttäuscht wandte er sich zum Gehen. »Ruf einfach.«
»Danke, das ist lieb von dir.« Das meinte Katharina ehrlich. Ein wenig tat Thomas ihr leid, weil sie ihn trotz all seiner Bemühungen immer wieder zurückwies. Doch es wäre unfair gewesen, ihm falsche Hoffnungen zu machen. So stand sie da und beobachtete Thomas, wie er seine Arbeit wieder aufnahm, bevor auch sie die schweren Heuballen in hohen Bögen auf den Wagen wuchtete und Alfred mit neuer Arbeit versorgte. Es dauerte nicht lange, bis sie wieder ins Schwitzen geriet.
Bernhard Zumwinkel, der das Geschehene aus ein paar Metern Entfernung beobachtet hatte, legte die Arbeit am Heuklopfer nieder und trat zu seiner Tochter. Mit der einfachen Maschine hatte er das Heu zu handlichen Ballen gebunden. Bevor er sie ansprach, gab er Alfred ein Zeichen. »Kleine Pause«, rief er ihm zu. Der Arbeiter wagte es nicht, dem Bauern zu widersprechen. Seufzend setzte er sich auf die bereits gestapelten Heuballen und nahm den Hut ab, um sich den Schweiß mit dem Ärmel seiner Arbeitsjacke von der Stirn zu wischen.
Bernhard nahm seine Tochter zur Seite, sodass Alfred sie nicht belauschen konnte. Erst, als sie sich außerhalb der Hörweite befanden, sprach er weiter. »Gefällt er dir nicht?«, fragte er und klang dabei fast besorgt. Katharina betrachtete ihren Vater – einen leicht untersetzten Mittfünfziger mit kantigem Gesicht und kahlem Kopf, der sie aus seinen graublauen Augen abwartend ansah.
»Was willst du hören?« Katharina atmete aus. Es war offensichtlich, dass er einen Narren an Thomas gefressen hatte. Und ihr war es nicht entgangen, dass er den Knecht bereits als Schwiegersohn betrachtete. »Warum liegt dir so viel daran, mich mit dem Knecht zu verkuppeln?«
Bernhard lächelte sanft. »Weil er ein guter Mann für dich wäre.« Er legte eine Hand auf die Schulter seiner Tochter und blickte ihr tief in die Augen. »Du kommst langsam ins heiratsfähige Alter, ich werde den Hof nicht mehr ewig führen können, und deine Mutter ist krank.«
»Deshalb soll ich einen Knecht heiraten?«
»Er kennt sich mit Landwirtschaft aus«, verteidigte sich Bernhard Zumwinkel. »Und er hat ein Auge auf dich geworfen.«
»Er ist immer höflich und hilfsbereit.« Katharina seufzte. »Aber ich werde ihn nicht heiraten, weil ich ihn nicht liebe. Trotz seiner Fähigkeiten und seiner guten Manieren gefällt er mir nicht, Vater.«
»Nichts für ungut.« Bernhard wiegte den massigen Kopf. »Aber mir ist daran gelegen, dass meine Tochter ein glückliches Leben führen kann.«
»Das weiß ich zu schätzen.« Katharinas Lächeln misslang. »Aber ich entscheide selbst, wie ich leben möchte. Dir geht es doch darum, dass die Nachfolge des Hofes gesichert ist«, fügte sie ein wenig bissig hinzu. »Mach dir bitte keine Sorgen um mich, Vater. Ich bin sicher, dass mir der Mann fürs Leben noch begegnen wird.« Damit ließ sie ihren Vater stehen. Für Katharina war das Gespräch beendet, und sie hoffte inständig, dass er sie verstanden hatte. Sie würde Thomas nicht heiraten, komme, was wolle.