Kapitel 4

Gekränkt hatte Thomas sich zurückgezogen. Der Knecht legte seine Wut in die gleichmäßigen Hiebe, die er mit der messerscharfen Klinge der Sichel ausübte. Er liebte die Arbeit mit der elastisch schwingenden Sense und die Kraft der höllenscharfen Klinge und legte weiter an Tempo zu.

Bald schon lief ihm der Schweiß von der Stirn, doch es tat gut, sich an der Sense zu verausgaben. Er hatte nicht vor, sich von der Tochter des Bauern abweisen zu lassen. Sie gefiel ihm, und er würde nicht von ihr ablassen, bevor er sie von seinen Qualitäten überzeugt hatte. Abgesehen von dem Umstand, dass sie bildschön und wortgewandt war und sich im heiratsfähigen Alter befand, war Katharina die einzige Tochter der Zumwinkels und würde irgendwann den Hof übernehmen. Das war seine Chance, das Dienstbotendasein abzulegen und einen Hof zu führen. An der Seite von Katharina, die sich irgendwann damit abfinden würde, dass er der einzig richtige Mann in ihrem Leben war. Es war zum Verzweifeln – trotz seiner mehrfachen Annäherungsversuche wies sie ihn bei jeder sich bietenden Gelegenheit zurück. Er war nicht länger bereit, ihre Abneigung zu akzeptieren. Verzweifelt suchte er nach einem Weg, um ihre Gunst zu erlangen. Doch sosehr Thomas auch darüber nachdachte, wie ihm das gelingen konnte, ihm wollte kein passender Weg einfallen. Vielleicht sollte er den Bauern von seinen Qualitäten überzeugen. Er war auf einem Hof aufgewachsen, wusste, wie ein landwirtschaftlicher Betrieb funktionierte, und fühlte sich längst imstande, einen Hof eigenmächtig führen zu können. Dazu brauchte es niemanden mehr, der ihm sagte, was zu tun war.

Unbarmherzig brannte die Sonne vom wolkenlosen Spätsommerhimmel hernieder. Das Hemd klebte ihm am Leib. Keuchend unterbrach Thomas seine Arbeit. Er stützte sich auf dem langen Holzstiel der Sense ab und wagte einen Blick zurück zum Leiterwagen. Dort stapelte Alfred noch immer die Heubündel, die Katharina ihm auf den Wagen wuchtete. Sie war derart in ihrer Arbeit versunken, dass sie nicht mitbekam, wie der Knecht sie beobachtete. »Warte nur ab, kleine Katharina«, zischte Thomas leise, »eines Tages werde ich dich von mir überzeugen, wir werden heiraten und Kinder bekommen.« Er spuckte ins Gras, dann nahm er die Arbeit wieder auf. Er würde Katharina Zeit lassen, keinen Druck ausüben und auf die passende Gelegenheit warten, um sich in ihrem Leben unentbehrlich zu machen. So leicht ließ er sich nicht abspeisen.

*

Spät am Abend hatte Katharina es sich auf dem Bett ihrer einfach eingerichteten Kammer bequem gemacht. Die Räume der Bauernfamilie und die der Mägde lagen im Wohnhaus des Hofes, während die Knechte und die Tagelöhner eng zusammengepfercht in ärmlichen Kammern hausten, die gleich neben den Stallungen lagen.

Thomas hatte man eine bescheidene Kammer in einem der Ställe, gleich über dem Vieh, zugeteilt. Auf dem Zwischenboden des Stalls war er immer in der Nähe der Milchkühe und konnte Tag und Nacht nach dem Rechten sehen, wenn es einem der Tiere nicht gut ging. Gerade fand Katharina den Gedanken, ihn nicht im Wohnhaus zu wissen, beruhigend. Der Knecht war auf eine seltsame Weise aufdringlich, seine Absichten waren leicht zu durchschauen.

Beruhigt lehnte Katharina sich zurück. Um diese Zeit herrschte Stille im Wohnhaus, und Katharina nutzte die ruhige Stunde, um ein wenig zu lesen. Die kleine Petroleumlampe auf dem Nachtschränkchen verbreitete einen anheimelnden Lichtschein. Auf ihrem Schoß lag Der grüne Heinrich von Gottfried Keller, einem Schweizer Dichter. Obwohl sie die Geschichte des jungen Mannes, der dem bürgerlichen Leben entfliehen wollte, um Künstler zu werden, faszinierte, gelang es Katharina nicht, sich auf den Inhalt des Romans zu konzentrieren. Immer wieder kehrten ihre Gedanken zu dem eigenartigen Gespräch mit ihrem Vater auf dem Feld zurück. Hatte er ernsthaft geglaubt, dass sie Thomas heiraten würde, um das Fortbestehen des Hofes zu sichern?

Der Gedanke daran betrübte sie. Schon als kleines Mädchen hatte sie ihren Vater abgöttisch geliebt, ihm immer versprochen, auf dem Hof anzupacken wie ein Mann, wenn sie erst einmal alt genug dazu war. Und in all den Jahren hatte sie ihn nie enttäuscht. Der Hof lief gut, das war der Lohn für all den Fleiß, und Vater würde noch in diesem Jahr mit der Erweiterung beginnen. Und dennoch träumte Katharina an manchen Tagen vom unbeschwerten Leben in der Stadt. All ihre Schulfreundinnen waren weggezogen aus Clarholz, dem kleinen Dorf in Ostwestfalen. Früher waren sie gemeinsam durchs Dorf gezogen. Heute waren sie längst erwachsen und lebten jetzt in Paderborn und Bielefeld, zwei ihrer besten Freundinnen sogar in Berlin und in Köln. Katharina fühlte sich, als wäre sie die Letzte, die hier in der ostwestfälischen Provinz versauern würde. Der Glanz und die Lichter einer großen Stadt – wie wundervoll musste es sein, im Trubel der Urbanität leben zu dürfen. Doch davon war Katharina weit entfernt. Ihr Lebensweg stand fest: Eines Tages würde sie heiraten und an der Seite ihres Mannes den elterlichen Hof weiterführen, um ihren Lebensunterhalt zu sichern.

Oder gab es auch für sie die Möglichkeit, ein anderes Leben zu führen? Manchmal beneidete sie die Mädchen aus der Nachbarschaft, die nach der Schule und einer Lehre nichts mehr im dörflichen Clarholz gehalten hatte. Berlin, München, Hamburg, alles große Städte, in die sie gern einmal reisen würde. Doch wenn es ihr so erging wie ihrer Mutter, dann würde sie für solche Reisen gar keine Zeit finden. Der Hof wollte unterhalten, das Vieh versorgt werden. Es war undenkbar, die Arbeiter auch nur ein paar Tage zurückzulassen. Sie würde da sein müssen für den Zumwinkel-Hof, komme, was wolle. Ihr Vater hatte klargemacht, dass er schon daran dachte, ihr den Hof zu übergeben. Nicht zuletzt auch wegen ihrer Mutter. Theresa war lungenkrank, sie vertrug keinen Staub, und davon gab es auf dem Hof eine Menge. Schlimme Hustenattacken überkamen sie mit zunehmender Regelmäßigkeit. Bei den letzten Anfällen hatte sie sogar Blut gespuckt und über Herzschmerzen geklagt. Ein paar Tage hatte sie, unfähig zu arbeiten, das Bett gehütet. Die Ärzte waren ratlos, ihnen blieb nichts, außer Theresa zu empfehlen, an die See zu fahren. Die Luft dort, betonten sie immer wieder, würde eine Wohltat für sie sein. Doch den Hof zu verlassen, das kam Theresa nicht in den Sinn. Lange würde sie es hier nicht mehr aushalten können, und Bernhard machte keinen Hehl daraus, dass ein Leben als Bauer ohne seine Frau für ihn undenkbar war.

Aber deshalb musste er Katharina doch keinen Mann aufzwingen, der ihr gar nicht gefiel, dachte sie empört. Eines Tages würde ihr schon der Richtige begegnen, davon war sie überzeugt. Doch noch war es nicht so weit, und Thomas war es ganz bestimmt nicht. Katharina wusste, dass Lina ein Auge auf ihn geworfen hatte. Ihr konnte es nur recht sein, doch Thomas interessierte sich nicht im Geringsten für die Magd. Katharina kam ihr Einfall vom Vormittag wieder in den Sinn. Vielleicht, so überlegte sie, konnte sie dem Glück von Lina, mit der sie freundschaftlich verbunden war, ein wenig auf die Sprünge helfen. Ein spitzbübisches Lächeln legte sich auf Katharinas Lippen, als sie die Idee reifen ließ. Gleich morgen früh würde sie mit ihrer Mutter sprechen. Sicherlich hatte Theresa keine Bedenken, den Plan ihrer Tochter zu unterstützen. Manchmal, dachte Katharina, muss man der Liebe Beine machen. Und sie würde auch davon profitieren, wenn Lina den Knecht von sich überzeugen konnte.

Energisch schlug Katharina das Buch zu und kletterte aus dem Bett. Die Wände ihrer Kammer wirkten heute besonders eng und es schien, als würden sie Katharina erdrücken wollen. Barfuß und im Nachthemd trat sie ans Fenster, um es zu öffnen. Es war eine sommerlich-milde und sternklare Nacht. In der Ferne hörte sie die Grillen zirpen. Katharina lehnte sich aufs Fensterbrett und genoss den Blick über die umliegenden Felder und den Waldrand, der sich als tiefschwarzer Kamm in der Ferne von den seichten Hügeln abhob. Dies war ihre Heimat, hier war sie aufgewachsen, hier lebte sie, und hier würde sie sterben. Was fehlte, war wohl tatsächlich ein Mann an ihrer Seite, dachte sie mit einem sehnsüchtigen Seufzer. Warum bin ich nicht schon eher auf die Idee gekommen, die beiden zu verkuppeln?, fragte sie sich, als sie das Fenster schloss, um sich wieder ins Bett zu legen. Die leichte Bettdecke umschmeichelte ihre Schultern, als sie sich ein letztes Mal aufrichtete, um das Licht zu löschen, dann sank sie mit einem zufriedenen Gesichtsausdruck in das Kissen zurück. Es dauerte nicht lange, bis sie eingeschlafen war.