Katharina, kommst du mal zu mir?« Bernhard Zumwinkel hatte die Hände in die Hüften gestemmt, als er seine Tochter zu sich rief. Mit abwartender Miene stand er am Tor des Viehstalls. Katharina ahnte, dass das nichts Gutes zu bedeuten hatte. Dabei war sie sich keiner Schuld bewusst. Sie kannte diesen Tonfall ihres Vaters seit ihrer Kindheit. Meistens hatte er sie so zu sich zitiert, wenn sie als kleines Mädchen Blödsinn gemacht hatte. Doch das war in dieser Situation eindeutig nicht der Fall. Erst in zwei Stunden musste das Vieh gemolken werden, zu spät war sie also noch nicht dran. Sie hatte ihre Arbeit erledigt und den Maurern zwischenzeitlich einen heißen Kaffee gebracht, damit sie sich ein wenig aufwärmen konnten. Dass sie dabei diesen Carl wiedergesehen hatte, war ein angenehmer Nebeneffekt.
Bernhard zog seine Tochter am Ärmel des Mantels ins Halbdunkel des Stalls. Hier war es wärmer als auf dem Hof, die Luft war vom schweren Duft nach Mist geschwängert. Das Vieh im Stall muhte unruhig, die Eisenketten rasselten leise.
»Was willst du mit diesem Maurer?« Eine steile Zornesfalte stand auf seiner hohen Stirn.
»Wie bitte?«
»Was du von diesem dahergelaufenen Maurer willst, möchte ich wissen.«
Katharina fühlte sich ertappt. »Was soll das?«
»Er ist nicht gut für dich«, zischte Bernhard.
»Wer sagt, dass ich etwas von ihm will?« Katharina runzelte die Stirn.
Jetzt lachte ihr Vater. Doch es war kein warmes Lachen, es klang zynisch. »Dass du dich in ihn verguckt hast, sieht ein Blinder mit Krückstock.«
»Vater, das ist doch … Unsinn.« Es ärgerte Katharina, dass sie bei der Wahl ihrer Worte gezögert hatte.
»Halt dich fern von diesem Mann, er ist nicht gut für dich.«
»Woher willst du das wissen?«, entgegnete Katharina zornig. Sie hasste es, wenn ihr Vater sie maßregelte. Längst war sie eine erwachsene Frau und wusste selbst, was gut für sie war und was nicht. Dass er sie derart bevormundete, ärgerte sie. Da sie keinen Streit heraufbeschwören wollte, mahnte sie sich zur Ruhe.
»Als Maurer zieht er über das Land, Kind.«
»Und?«
»Überall, wo er seine Arbeit erledigt, lebt er ein paar Tage oder Wochen, und du kannst davon ausgehen, dass dieser Carl in jedem Ort eine andere Frau hat.«
»Vater, bitte.« Vorwurf lag in Katharinas Stimme. Warum unterstellte ihr Vater dem Sohn des Maurermeisters derart schlechte Manieren? »Carl weiß, was sich gehört.«
»Woher willst du das wissen?«
»Ich … ich weiß es eben.«
Katharina rollte mit den Augen. »Du kennst ihn nicht länger als ich. Und er ist kein dahergelaufener Maurer, sondern der Sohn des Meisters, den du mit dem Bau des Stalls beauftragt hast.«
»Und wenn schon.« Bernhard winkte ab. »Das hat nichts zu bedeuten. Er verdreht den Mädchen überall dort die Augen, wo er arbeitet. Ich möchte, dass du dich von ihm fernhältst.«
»Warum?«
»Weil ich euch beobachtet habe.« Er sog die Luft durch die Nase ein. »Heute Morgen beim Frühstück habt ihr so komische Blicke getauscht. Und jetzt versorgst du ihn und seine Männer mit dem teuren Malzkaffee.« Katharinas Vater schlug sich mit der flachen Hand vor die Stirn, dass es klatschte. »Ich bezahle die Männer für ihre Arbeit, nicht dafür, dass sie Pause machen. Außerdem«, fügte er etwas leiser hinzu, »außerdem habe ich beobachtet, wie ihr euch angesehen habt.« Bernhard grinste wissend.
»Ach das.« Katharina winkte ab. »Er ist ein netter Mann, und gute Manieren hat er, auch wenn du das bestreitest, Vater.« Katharina stieß sich von der Mauer ab, an der sie gelehnt hatte, und wandte sich zum Gehen. »Lass das also meine Sorge sein. Schließlich bin ich kein Kind mehr.« Ohne die Antwort ihres Vaters abzuwarten, ließ sie ihn stehen. Die Arbeit wartete auf sie, und sie wollte keine Zeit verlieren, um ihrer Mutter zu helfen.
*
»Was ist los mit dir?« Sorgenvoll betrachtete Theresa ihre Tochter, als sie die Küche betrat. Ihr war nicht entgangen, dass Katharina außer sich war. Die Wangen hatten eine tiefrote Färbung angenommen, ihre Hände zitterten leicht. Theresa wusste, dass das kein gutes Zeichen war. Doch Katharina war bemüht, sich nichts anmerken zu lassen. Mit gesenktem Blick schüttelte sie den Kopf.
»Es ist nichts, Mutter.«
Theresa lachte auf. »Wer soll das denn glauben?« Sie kannte ihre Tochter gut genug, um zu wissen, dass Katharina etwas beschäftigte.
Katharina sank auf die Bank am Fenster. Das Holz knarrte leise. »Ach Mutter.« Ein schweres Seufzen kam über ihre Lippen. »Vater denkt, ich mache dem Sohn des Maurermeisters schöne Augen.« Theresa legte das Tuch, mit dem sie gerade eine schwere Tonschüssel abgetrocknet hatte, zur Seite. Sie zog sich einen Stuhl heran und setzte sich zu ihrer Tochter. »Kind«, sagte sie sanft, »und selbst wenn es so wäre …« Aufmerksam las sie im Gesicht ihrer Tochter. Katharina war nicht nur ihr einziges Kind, sie waren einander sehr ähnlich, seelenverwandt. Und gerade empfand Theresa Kummer beim Anblick ihrer Tochter. »Dein Vater macht sich Sorgen um die Nachfolge des Hofes«, setzte sie vorsichtig an. »Er hat Angst, dass ich mich hier verausgabe und es nicht mehr lange aushalte.«
»Aber er hat Lina eingestellt, damit sie dir zur Hand gehen kann«, gab Katharina zu bedenken. »Außerdem helfe auch ich dir, wo ich kann.«
Theresa nahm die Hand ihrer Tochter und drückte sie mit einem sanften Lächeln. »Du bist ein Engel«, sagte sie. »Aber meine Krankheit wird mich für den Rest meines Lebens begleiten, und die Anfälle, die mich heimsuchen, kommen immer öfter, und sie werden schlimmer.«
»Ich verstehe Vaters Angst ja«, erwiderte Katharina. Als sie ihre Mutter ansah, schimmerten ihre Augen feucht. »Aber ich werde doch nicht einen Knecht heiraten, den ich nicht liebe – nur, weil Thomas etwas von der Landwirtschaft versteht.«
»Das musst du auch nicht. Ich möchte, dass du glücklich bist, dass dir eines schönen Tages der Mann begegnet, an dessen Seite du alt werden möchtest.«
»Das wünsche ich mir auch, Mutter.«
»Oder …« Theresa zögerte und suchte sekundenlang nach den richtigen Worten. »Oder ist er dir bereits begegnet?«
»Mutter!«, rief Katharina. Offenbar lauter, als sie es beabsichtigt hatte. »Was denkst du von mir?« Ihre Wangen glühten tiefrot, als sie ihre Mutter ansah. Katharina fühlte sich ertappt.
»Ich denke gar nichts«, behauptete Theresa mit einem wissenden Lächeln auf den Lippen. »Aber ich bin auch nicht blind.« Sie sah zum Fenster hinaus auf den Hof. Der Regen hatte endlich nachgelassen, und zögerlich brach die Nachmittagssonne durch die tiefhängenden Wolken über Clarholz. »Und dass dir Carl Thiele gefällt, ist ziemlich offensichtlich.« Wieder achtete sie auf jede Regung im Gesicht ihrer Tochter. Diesmal lag der Ansatz eines Lächelns auf Katharinas Lippen.
*
»Was machst du?« Gerhard Thiele blickte von der Arbeit auf, als Carl die Tonflaschen einsammelte, um sie in den Korb zu legen, den Katharina ihnen vorhin gebracht hatte. Prompt fühlte sich Carl ertappt. »Aufräumen«, sagte er in einem möglichst gleichgültigen Tonfall. Die Sonne war durch die Wolken gebrochen und tauchte den Hof in ein goldenes Licht. Die Maurer arbeiteten seit Stunden, von der Kaffeepause abgesehen, ohne Unterbrechung. Sie waren gut vorangekommen, und Gerhard Thiele machte einen zufriedenen Eindruck. Jetzt stand er da, und betrachtete seinen Sohn mit einem wissenden Blick. »Soso.« Er lächelte. »Dann mal los.«
Carl schnappte sich den Korb und trug ihn quer über den Hof. Das Klimpern der Tonflaschen begleitete seine Schritte.
»Ich übernehme das.«
Carl erschrak, als wie aus dem Nichts ein hochgewachsener Mann mit grimmigem Gesichtsausdruck vor ihm auftauchte. »Wie bitte?« Wenn Carl sich nicht täuschte, dann war das hier der Großknecht. Sollte er sich nicht um das Vieh kümmern, anstatt ihm hier die Botengänge abzunehmen?
»Ich übernehme das«, wiederholte Carls Gegenüber und deutete mit dem kantigen Kinn auf den Korb in Carls Händen.
»Das wird nicht nötig sein, ich muss …« Bevor Carl es sich versehen konnte, riss ihm der Knecht den Korb aus den Händen.
»Wenn ich sage, dass ich die Flaschen in die Küche bringe, dann bringe ich die Flaschen in die Küche.«
Das war kein freundliches Angebot, das klang wie eine Drohung. Was bildete sich dieser Kerl ein, ihn wie einen dummen Jungen zu maßregeln? Wut stieg in Carl auf, doch er fand keine Gelegenheit, dem Hünen die Meinung zu sagen, denn er war mit weit ausholenden Schritten mitsamt dem Korb bereits in Richtung des Wohnhauses verschwunden.
Verdattert stand Carl da und blickte dem groben Kerl hinterher.
»Ärger dich nicht.« Unbemerkt war Carls Vater zu ihm getreten. »Aber du solltest auf der Hut sein.«
»Was?«
»Bist du wirklich so schwer von Begriff?« Sein Vater betrachtete ihn ungläubig, dann musste er lachen. »Thomas dürfte nicht entgangen sein, dass du die Tochter des Bauern … nett findest. Und dir ist sicher aufgefallen, dass auch er ein Auge auf sie geworfen hat.
Es ist ihm ein Dorn im Auge, dass du dich für sie interessierst.« Er seufzte. »Und dass sie dich offenbar auch, nun ja, anziehend findet.«
Gerhard Thiele grinste.
Carl war versucht, ihm von seinem nächtlichen Abenteuer zu berichten, doch er verzichtete darauf. Er besann sich, ein wenig vorsichtiger zu sein bei seinen Versuchen, in Katharinas Nähe zu kommen. Nachdem er einen letzten Blick in die Richtung geworfen hatte, in die Thomas mit dem Korb verschwunden war, wandte er sich enttäuscht um und folgte seinem Vater zurück zum Neubau. Während sich die Männer wieder an die Arbeit begaben, überlegte Carl fieberhaft, wie es ihm gelingen konnte, Katharina nahe zu sein, ohne von dem Knecht behelligt zu werden.
*
Erschrocken sah Katharina auf, als die Küchentür aufflog und mit einem lauten Poltern an die Wand stieß. Thomas erschien auf der Bildfläche, mit einem versteinerten Gesichtsausdruck auf den schmalen Lippen.
»Thomas«, entfuhr es Theresa entgeistert, als der Knecht den Korb mit den Flaschen unter lautem Poltern auf der Arbeitsfläche abstellte. »Was soll das denn?« Theresa war gerade damit beschäftigt, einen großen Berg von löchrigen Socken zu stopfen, während Katharina mit der Vorbereitung des Abendessens beschäftigt war. Eben hatte sie sich die Zutaten für die Buchweizenpfannkuchen zusammengesucht. Verwundert betrachtete sie den Korb, den er gebracht hatte. »Wie kommst du an die leeren Flaschen?«
Thomas bedachte sie mit einem seltsamen Blick. Am Mahlen seiner Kieferknochen erkannte Theresa, dass er außer sich war vor Wut. Das Grinsen, das er schnell aufsetzte, wirkte wie eine Grimasse.
»Ich dachte, du freust dich, wenn ich dir die Flaschen bringe.«
Theresa sah ihrer Tochter die Enttäuschung an. Vermutlich hatte sie gehofft, dass Carl ihr den Korb zurückbrachte. Es war offensichtlich, dass der Knecht in dem Sohn des Maurermeisters einen Konkurrenten sah.
»Es reicht«, rief Theresa aufgebracht. »Du sollst dich um deinen Kram kümmern, anstatt um meine Tochter herumzuscharwenzeln.«
Thomas betrachtete sie mit einem Blick, der ihr Angst bereitete. Doch die Bäuerin war keine Frau, die sich einschüchtern ließ. »Es hat sich angeboten«, antwortete er schließlich. »Und so konnte ich nach deiner Tochter sehen. Wir wollen ja nicht, dass sie sich heimlich mit dem Gesinde trifft, oder?« Er warf Katharina einen missachtenden Blick zu, dann rauschte er aus der Küche.
»Was sollte das denn?«, fragte Theresa fassungslos.
Katharina zuckte die Schultern. »Es hat den Anschein, als wäre er eifersüchtig auf Carl.«
Theresa schüttelte energisch den Kopf. »So geht das nicht. Unser Knecht wird übergriffig. Ich werde noch heute mit deinem Vater darüber reden.«
Sie war empört über Thomas’ Auftreten.
»Dein Vater soll dafür Sorge tragen, dass sich der Knecht benimmt – oder ihn vor die Tür setzen«, erklärte sie, als sie den Blick ihrer Tochter sah. »So geht es ja nicht weiter, ich werde nicht zulassen, dass er dir Schwierigkeiten macht.« Ihre Hand zitterte, als sie den nächsten durchlöcherten Socken nahm, um ihn über den hölzernen Stopfpilz zu stülpen.
*
»Ich werde Thomas nicht kündigen.« Bernhard schüttelte stur den Kopf. »Er ist ein fleißiger Mann, und ich kann ihm blind vertrauen.«
»Ich leider nicht«, entgegnete Theresa. »Nicht so, wie er mit Katharina umspringt.« Sie hatte ihren Mann an seinem Lieblingsplatz gesucht und gefunden. Am Ende eines jeden Tages saß er auf der alten Bank beim Brunnen, der munter vor sich hin plätscherte. Hier rauchte er seine Pfeife, ein echtes Schmuckstück aus einst strahlend weißem Meerschaum. Der Pfeifenkopf war dem Konterfei eines brüllenden Löwen nachempfunden. Gedankenverloren paffte er den Rauch in den Abendhimmel über dem Zumwinkel-Hof. Nachdem alle die Küche verlassen hatten, stampfte Katharina dort die Butter. Theresa hatte sie gebeten, nicht allzu lange zu arbeiten. Es war ihr unangenehm, dass Katharina ihre Arbeit übernehmen musste, weil es ihr nicht gut ging.
»Er ist seltsam, und etwas scheint mit ihm nicht zu stimmen.«
»Woher willst du das wissen?« Bernhard Zumwinkel betrachtete seine Frau mit einem tiefsinnigen Blick.
»Ich weiß es einfach«, antwortete Theresa ihm. »Ein Bauchgefühl, kein Anhaltspunkt. Aber er benimmt sich eigenartig.«
Bernhard Zumwinkel paffte an seiner Pfeife und blickte ins Leere. »Was stört dich an ihm?«
»Das habe ich dir eben erklärt«, beharrte Theresa und rollte mit den Augen. »Er ist übergriffig geworden, und zwar in einer Form, die unserer Katharina Angst gemacht hat.« Sie hatte ihm vom Zwischenfall in der Küche berichtet, doch sehr zu ihrer Verwunderung empfand Bernhard das rüpelhafte Benehmen des Knechtes nicht als auffällig.
»Er ist auch nur ein Mann und sicher eifersüchtig auf den Maurer.« Ein Lächeln huschte um seine Mundwinkel.
»Er ist vor allem ein Angestellter, der keinerlei Anrecht auf unsere Tochter hat«, stellte Theresa klar. Sie spürte, wie sie das Sprechen anstrengte, und unterdrückte einen Hustenanfall. »Was er getan hat, ist nicht akzeptabel, Bernhard.«
»Vielleicht hat er ein wenig über die Stränge geschlagen, doch auch das ist kein Grund, ihn vom Hof zu werfen.« Bernhard paffte an seiner Pfeife und formte Kringel aus dem Rauch, die dem Himmel entgegenschwebten. »Ich werde mit ihm reden«, versprach er, als er den erbosten Gesichtsausdruck seiner Frau sah.
»Hast du verstanden, dass Katharina Angst vor ihm hatte?«, fragte sie. »Ich möchte nicht, dass sich unsere Tochter vor dem Personal fürchten muss, Bernhard.«
Bernhard seufzte und ließ die Pfeife sinken. Nachdenklich betrachtete er seine Frau. »Du hörst mir nicht zu«, rügte er sie in einem ruhigen Ton. »Ich sagte bereits, dass ich mit dem Knecht reden werde. Rauswerfen werde ich ihn aber nicht.«
Theresa sah ein, dass es keinen Sinn machte, ihren Mann weiter zu beknien. Enttäuscht erhob sie sich und stapfte wütend zurück zum Wohnhaus. An manchen Tagen war Bernhard Zumwinkel sturer als ein Esel.