Von seiner Bank aus hatte Bernhard Zumwinkel das Handgemenge zwischen dem Sohn des Maurers und Thomas beobachten können. Inzwischen hatte sich die Dunkelheit über den Hof gesenkt, sodass die Streithähne ihn nicht gesehen hatten.
Kurz hatte er gefürchtet, es würde zu einer Schlägerei zwischen den Männern kommen, als seine Tochter aufgetaucht war, um die Sache zu klären. Während Katharina mit Carl im Haus verschwunden war, wollte sich Thomas in den Stall zurückziehen. Kurz bevor er im Dunkel des Gemäuers verschwinden konnte, rief Bernhard ihn zu sich.
»Thomas«, rief er, »hierher!« Er paffte an seiner Pfeife und amüsierte sich über das verwunderte Gesicht des Knechts, der vor dem Tor des Stalls wie angewurzelt stehen blieb und sich umschaute, um in der Dunkelheit etwas zu erkennen.
»Hier oben«, raunte Bernhard ihm zu. »Am Brunnen. Komm her!«
»Herr Zumwinkel«, sagte er zackig, als er den Bauern auf der Bank sitzen sah. »Sie sind noch wach?«
»Ja.« Zumwinkel nickte mit grimmiger Miene. Bewusst unterließ er es, dem jungen Mann einen Platz auf seiner Lieblingsbank anzubieten. »Und bevor du dich fragst – ich habe alles gesehen, ja.«
»Es tut mir leid, aber der Maurer hat herumgeschnüffelt.« Thomas nahm eine verteidigende Haltung ein. »Ich bin sicher, er macht auch krumme Sachen.«
»Nun, was den Neubau des Stalls betrifft, hat er bisher nur gerade Sachen abgeliefert.« Bernhard Zumwinkel sah mit verschlossener Miene zu seinem Knecht auf. Er dachte an die Worte seiner Frau.
»Wie findest du meine Tochter?«, fragte er ihn so unvermittelt, dass der Knecht für einen Augenblick sprachlos war.
Thomas stammelte herum, bevor er die passenden Worte fand. »Ihre Tochter ist … sehr attraktiv, Herr Zumwinkel.«
»Bist du in sie verliebt?«
»Ich … also wie soll ich …«
»Schon gut, schon gut. Jedenfalls stellst du ihr nach.«
Diesmal schwieg Thomas betroffen. »Ich wollte sie schützen«, entschuldigte er sich schließlich.
»Schweig«, herrschte Zumwinkel ihn mit harscher Stimme an. »Ich habe alles gesehen.« Jetzt deutete er doch auf den freien Platz neben sich. Dankend nahm der Knecht auf der Bank Platz.
»Ich schätze dich als einen fleißigen Knecht, einen starken jungen Mann, der die Arbeit sieht und der imstande ist, selbstständig zu arbeiten«, bemerkte Bernhard Zumwinkel in versöhnlichem Tonfall. »Und ich könnte mir gut vorstellen, dass du den Hof auch leiten könntest.«
Thomas nickte. Ein Lächeln stahl sich auf sein Gesicht. »Nun«, setzte er an, »ich traue es mir durchaus zu.«
»Du wärst eine gute Partie für meine Tochter.« Zumwinkel achtete auf jede Reaktion im Gesicht seines jungen Gegenübers. Als Thomas schwieg, fuhr er fort: »Und ich könnte mir durchaus vorstellen, euch meinen Segen für eine Hochzeit zu erteilen.«
»Daraus wird leider nichts«, entgegnete Thomas mit bedauernder Miene.
»Warum?«
»Weil Ihre Tochter sich nicht für mich interessiert. Trotz meiner Annäherungsversuche hat sie mich bisher immer zurückgewiesen.«
»Höchste Zeit, die Taktik zu ändern.« Bernhard Zumwinkel lächelte versonnen.
»Du sollst dezenter vorgehen«, empfahl Zumwinkel ihm. »Und wenn sie deine Qualitäten erkennt, wird sie dich schon noch zum Mann nehmen – dich, und nicht diesen Maurersohn.«
»Das wäre zu schön, um wahr zu sein«, seufzte Thomas.
»Überleg dir künftig gut, wie du meine Tochter behandelst.«
»Selbstverständlich.« Thomas erhob sich. Es gefiel ihm offensichtlich nicht, dass der Bauer ihm den Kopf gewaschen hatte. Zumwinkel betrachtete ihn nachdenklich, dann schickte er ihn zu Bett. Er hoffte inständig, dass der Knecht sich seine Worte zu Herzen nehmen würde.
Nein, dachte er, während er sich mit schlurfenden Schritten zum Wohnhaus begab, ich werde diesem Carl eine Abfuhr erteilen, wenn er eines Tages um die Hand meiner Katharina anhält. Sie braucht einen Mann, der ihr den Hof führen kann. Keinen Maurer. Nach einem letzten Blick hinüber zum Stall verschwand er im Haus. Es war schon wieder spät geworden, und sicher schlief Theresa längst.
*
»Konntest du wirklich nicht einschlafen, weil ich noch gebuttert habe?« Sorgenvoll betrachtete Katharina den jungen Maurer, der ihr in die Küche gefolgt war.
»Nein«, murmelte Carl, während sein Blick über die bereitstehenden Schüsseln auf dem Tisch wanderte. Katharina hatte die Fettmasse bereits von dem Wasser, das sich beim Stampfen abgesetzt hatte, getrennt und begann damit, die Butterstücke zu pressen und in Formen zu drücken. Carl zog sich einen Stuhl heran, um sich zu ihr zu setzen. Interessiert beobachtete er sie bei der Arbeit. Katharina fühlte sich wohl in seiner Gegenwart und hatte auf der Stelle sogar die von der beschwerlichen Arbeit schmerzenden Schultern vergessen.
»Warum arbeitest du bis spät in die Nacht hinein?«
Als sie von der Arbeit aufsah, bemerkte sie seinen sorgenvollen Blick. »Weil es meiner Mutter heute nicht gut ging, und weil ich Lina schon vor zwei Stunden ins Bett geschickt habe. Sie muss morgen mit Mutter das Frühstück zubereiten.«
»Darf ich fragen, was deine Mutter hat?« Carls Stimme klang einfühlsam. »Sie leidet an einer seltenen Lungenkrankheit«, erklärte Katharina ihm. »Atemnot, Schwäche und der Staub auf dem Hof machen ihr das Leben schwer, eine hilfreiche Medizin gibt es nicht.«
»Dann muss sie von hier fortziehen.«
Aus seinem Mund klang das so herrlich einfach und logisch zugleich. Katharina musste trotz der Sorge um ihre Mutter lachen. »Mutter ist mit dem Hof verwurzelt. Mein Vater hat ihn von seinen Eltern übernommen, der Hof ist sein Leben. Ein Umzug ist unmöglich.«
Carl nickte, doch Katharina konnte sich nicht vorstellen, dass er die Tragweite nachvollziehen konnte. »Dann musst du den Hof in seinem Sinne fortführen.«
»Ich?« Sie schüttelte den Kopf. »Alleine ist das unmöglich. Auch wenn es viele fleißige Bedienstete gibt, so brauche ich einen Mann an meiner Seite.«
»Thomas scheint sehr interessiert zu sein.«
»Allerdings.« Katharina nickte. »Und Vater will ihn mir schmackhaft machen.«
»Und?«
»Thomas kann zweifelsohne arbeiten, er ist fleißig und versteht etwas von Landwirtschaft.« Sie dachte kurz nach, bevor sie fortfuhr. »Aber er ist nicht der Mann, mit dem ich den Rest meines Lebens verbringen möchte.«
Carl betrachtete sie mit einem sanften Lächeln. »Wie stellst du dir denn den Mann vor, mit dem du den Rest deines Lebens verbringen möchtest?«
Katharina errötete. »Ich … ich weiß es nicht«. Sie fühlte sich ertappt. »Der Knecht ist es jedenfalls nicht«, sagte sie schnell. Insgeheim wunderte sie sich, wie offen sie mit Carl sprechen konnte. Sie fühlte sich wohl in seiner Gesellschaft, und die Müdigkeit der letzten Stunden war wie verflogen. Ihr Herz klopfte vor Aufregung, und es kam ihr vor, als sei Carl ein alter Bekannter, dem sie sich anvertrauen konnte. »Ich will Thomas jedenfalls nicht heiraten, auch wenn Vater das gern sehen würde.« Ein tiefer Seufzer kam ihr über die Lippen, während sie unter Carls Blicken unablässig weiterarbeitete.
»Aber er kann dich nicht zwingen, einen Mann zu heiraten, den du nicht willst«, sagte er schließlich.
Sie erinnerte sich an das unangenehme Gespräch mit ihrem Vater und war versucht, Carl davon zu berichten. Doch irgendetwas hielt sie davon ab. »Das sagt sich so einfach«, murmelte sie betrübt. Als sie ihn ansah, spürte sie eine tiefe Verbundenheit zu ihm. Es war, als würden sie sich schon seit geraumer Zeit kennen. Sein Gesicht war ihr vertraut, sie liebte den Blick aus seinen stahlgrauen Augen, das schelmische Lächeln, das oft auf seinen Lippen lag, den wohltuenden Klang seiner Stimme. Sein weiser Blick ließ erahnen, dass er zu weitaus mehr Dingen fähig war, als Schornsteine und Ställe zu mauern. Da war ein verborgenes Talent in ihm, das nur darauf wartete, geweckt zu werden.
»Habe ich dich traurig gemacht?«, riss seine warme Stimme sie aus ihren Überlegungen. Katharina gelang es nicht, ein unbekümmertes Lächeln aufzusetzen.
»Nein«, sagte sie dennoch. »Alles in Ordnung.« Katharina seufzte. »Bis auf die Sorge um meine Mutter.«
»Uns wird schon etwas einfallen.« Carl lächelte ihr aufmunternd zu. Wie selbstverständlich nahm er ihre Hand und sah ihr tief in die Augen.
Er hat uns gesagt, dachte sie verwundert. Uns wird schon etwas einfallen. Es fühlte sich an, als könne er bis in den tiefsten Winkel ihrer Seele blicken. Doch seltsamerweise war es ihr nicht unangenehm, ganz im Gegenteil. Ihr war, als könnte sie sich ihm anvertrauen und ihm ihr Herz ausschütten.
»Uns?«, wiederholte sie leise, mehr, um sich zu vergewissern, dass sie sich nicht verhört hatte. »Uns wird schon etwas einfallen?«
Er nickte, als wäre es eine Selbstverständlichkeit. »Sicher, das habe ich so gesagt, ja. Uns wird schon etwas einfallen.« Carl unterdrückte ein Gähnen. »Aber heute sicher nicht mehr. Ich bin sehr müde und muss jetzt schlafen gehen.« Er erhob sich von seinem Stuhl und nickte ihr zu. »Und du«, fügte er mit Blick auf die Butterschüsseln hinzu, »solltest auch nicht mehr allzu lange machen.«
»Versprochen.« Jetzt gelang ihr ein Lächeln. Katharina spürte, wie ihr warm ums Herz wurde, als sie ihn betrachtete.
»Gute Nacht, Katharina.« Carl öffnete die Küchentür.
»Gute Nacht, Carl«, antwortete sie.
*
Thomas lag mit hinter dem Kopf verschränkten Händen auf seinem einfachen Lager im Stall und stierte zum Gebälk hinauf. In ihm kochte die Wut. Mit jedem Atemzug hob und senkte sich sein Brustkorb. Die nächtliche Begegnung mit dem Sohn des Maurermeisters ging ihm nicht aus dem Kopf. Was bildete sich dieser Kerl nur ein, seiner Liebe nachzuspionieren?
Es war offensichtlich, dass Carl Thiele ein Auge auf Katharina geworfen hatte. Und sie schien nicht einmal abgeneigt zu sein, denn zu Carl hatte sie freundlich gesprochen, während sie ihn nach dem Vorfall auf dem Hof wie einen kleinen Jungen zu Bett geschickt hatte.
Immer wieder tauchte die eigenartige Szene am Küchenfenster vor seinem geistigen Auge auf, immer wieder hörte er Katharinas vorwurfsvolle Stimme. Die hübsche Tochter des Bauern hatte ihn förmlich gemaßregelt und zurechtgewiesen. Einen solchen Ton war er von ihr nicht gewohnt. So durfte man nicht mit ihm sprechen! Das alles musste mit Carl Thiele zusammenhängen. Seitdem er auf dem Hof angekommen war, musste Thomas regelrecht um die Gunst der Bauerntochter kämpfen. Als wäre es vorher nicht schon schwer genug gewesen, so pfuschte ihm Carl jetzt auch noch ins Handwerk. Der Junge musste vom Hof verschwinden, bevor sich Katharina letzten Endes noch in ihn verliebte. In ihm reifte ein Plan. Morgen schon würde er damit beginnen, Carl das Leben auf dem Zumwinkel-Hof schwer zu machen. Thomas war zum Kampf bereit, und er war schon jetzt sicher, als Sieger aus diesem Kampf hervorzugehen. Mit einem zufriedenen Seufzer auf den Lippen sank er zurück auf sein Strohbett, zog sich die kratzige Decke bis zum Kinn und schloss die Augen. Sein letzter Gedanke, bevor er einschlief, galt Katharina. Sie gehörte ihm bereits, ohne davon zu wissen. Und daran würde auch dieser dahergelaufene Maurer nichts ändern.