Kapitel 12

Am nächsten Tag war Theresa gerade damit beschäftigt, eine kräftige Schmalzsuppe zu kochen. In der Küche hing beißender Rauch vom Herd, der durch das offenstehende Fenster nur langsam abzog und ihr zu schaffen machte. Als sie Carl erblickte, der ein wenig verunsichert den Raum betrat, lächelte sie. »Carl«, sagte sie freundlich und bedeutete dem jungen Mann, näher zu treten. Der Sohn des Maurermeisters war ihr sympathisch. Einen Mann wie ihn könnte sie sich gut als Schwiegersohn vorstellen, eher als Thomas. Doch Bernhard hatte andere Pläne mit ihrer Tochter.

Carl trat näher.

»Ich will dich gar nicht von der Arbeit abhalten«, murmelte er. »Nur ein paar Fragen beschäftigen mich.«

»Stell sie mir, und ich werde versuchen, dir zu antworten.« Theresa setzte ihre Arbeit am Herd fort, nachdem sie ihm bedeutet hatte, Platz zu nehmen. Carl sank auf den Stuhl und beobachtete sie mit nachdenklicher Miene. Vergeblich kämpfte Theresa gegen einen neuen Hustenanfall an. Sie brachte mühsam eine Entschuldigung hervor und unterbrach die Arbeit, um ein Glas Wasser zu trinken. Trotz des schweren Rauchs weigerte sich Bernhard, eine Küchenmagd einzustellen, die ihr das Kochen abnahm.

»Bitte erzähl mir von deinem Tagesablauf«, bat Carl sie, nachdem der Husten nachgelassen hatte. Er schob ihr ein Glas Wasser, das auf dem Tisch stand, hin. Mit zitternden Händen ergriff sie das Glas und leerte es in einem Zug. Theresa fiel auf, wie aufmerksam der Junge war.

»Was willst du wissen?«, fragte sie.

»Mich interessiert, was deine Aufgaben sind«, erklärte Carl ihr, ohne dabei allzu neugierig zu wirken. Er schien interessiert, deshalb gab sie ihm bereitwillig Auskunft.

»Nun, als Frau des Bauern bin ich für alle Belange, die den Haushalt betreffen zuständig. Mir obliegt es, die Arbeit der Mägde einzuteilen. Und dann bin ich für die Stallfütterung und die Milchwirtschaft zuständig.«

»Das ist ziemlich arbeitsaufwändig. Ich habe Katharina beim Buttern gesehen«, antwortete Carl.

»Allerdings. Da hilft mir meine Tochter, denn ich schaffe es nicht mehr, stundenlang im Fass zu stampfen. Das geht zu sehr auf den Rücken und auf die Schultern, musst du wissen.«

Carl nickte.

»Ansonsten gehören Kochen und die Handarbeit in meinen Bereich, denn ich könnte mir Bernhard nicht beim Sockenstopfen vorstellen.« Sie lachte leise, und Carl sah ihr förmlich an, wie das Bild des sockenstopfenden Bauern vor ihrem geistigen Auge auftauchte.

»Und dann muss ich kochen, putzen, Wäsche machen, stopfen und nähen, damit alle auf dem Hof vernünftige Kleidung haben.«

»Das klingt nach sehr viel Arbeit.«

»Vor allem das Waschen ist ein Kraftakt. Wenn wir Waschtag haben, sind wir zu dritt dabei, sonst würden wir der Wäsche gar nicht mehr Herr. Literweise Wasser muss geschleppt werden, die Wäsche muss mühsam von Hand geschrubbt werden, dann ausspülen, dann trocken wringen. Da geht schnell ein ganzer Tag drauf.«

»Und ausfallen darf auch niemand, nehme ich an?«

»Nein.« Ein wehmütiges Lächeln legte sich auf Theresas Lippen. »Ein kranker Bauernstand bringt bald die Not ins Land, so sagt man immer.« Sie holte tief Luft. »Da ist leider etwas Wahres dran.«

Plötzlich erinnerte sich Carl an das Gespräch mit Katharina. Sie hatte ihn gebeten, etwas zu erfinden, das ihr die Arbeit auf dem Hof erleichterte. Er fragte sich, ob sie das ernst gemeint hatte.

»Wie sieht es mit Maschinen auf dem Hof aus?«, fragte er Theresa und erntete einen fragenden Blick.

»Was meinst du?«

»Technik«, erklärte Carl. »Maschinen, Werkzeuge, die euch die Arbeit erleichtern.«

»Bernhard ist skeptisch, außerdem ist noch nicht genügend Geld für solche Anschaffungen vorhanden.« Theresa betrachtete ihn mit prüfendem Blick. »Hast du eine Idee?«

»Katharina erzählte mir vom Buttern und ob ich nicht etwas bauen könnte, das euch die Arbeit abnimmt.«

Theresa wirkte amüsiert. »Und?«

»Ich werde mir darüber Gedanken machen«, versprach Carl mit ernster Miene und erhob sich.

*

Katharina freute sich, als Carl im Stall erschien, um ihr ein wenig zur Hand zu gehen.

»Musst du nicht auf der Baustelle helfen?«, fragte sie. Sie wollte nicht, dass er Ärger mit seinem Vater bekam. Carl schüttelte unbekümmert den Kopf. »Mein Vater weiß Bescheid, er kommt gerade einen Moment ohne mich aus.«

Sie sah ihm an, dass er ihr nicht die Wahrheit sagte. Eigentlich trieb Gerhard Thiele seine Männer immer zur Eile an, denn je schneller der neue Stall auf dem Zumwinkel-Hof fertiggestellt wurde, desto schneller konnten sie den nächsten Auftrag annehmen. Doch Carl schien ihre Nähe zu suchen. Interessiert beobachtete er sie bei der Arbeit. Routiniert wieselte Katharina zwischen den Kälbern herum, die erst vor Kurzem das Licht der Welt erblickt hatten.

»Sind die nicht süß?«

Er nickte und wunderte sich ein wenig.

»Auch wenn ich auf dem Hof geboren wurde, so sind Tierkinder immer etwas ganz Besonderes«, erklärte sie ihm und streichelte eines der Kälbchen. »Ich werde wohl nie den nötigen Abstand haben können, um sie ausschließlich als Nutzvieh zu betrachten. Es sind Lebewesen wie du und ich.«

»Schlachtet ihr sie auch?«

»Nein, wir sind ein reiner Milchbetrieb. Vater verkauft ab und zu ein Rind an einen Viehhändler, und die Ochsen werden für die Feldarbeit genutzt. Was dann mit den Tieren geschieht, die Vater an den Händler verkauft, will ich gar nicht wissen.«

»Du bist ein guter Mensch.« Er lächelte sanft.

»Wieso?«

»Weil du das Herz am rechten Fleck hast. Du opferst dich für den Hof auf, arbeitest von früh bis spät und bist für Mensch und Tier da. Diese Gabe zeichnet dich aus und sie macht dich zu einem ganz besonderen Menschen, Katharina.«

Sie spürte, wie sie errötete. »Es gehört zur Aufgabe einer Bäuerin, Mensch und Tier zu verpflegen und sich überall dort zu kümmern, wo es nötig ist.« Katharina winkte ab. »Das ist doch nichts Besonderes.«

Carl fühlte sich plötzlich zu ihr hingezogen.

»Ich kenne durch meine Arbeit viele Menschen«, entgegnete er, »und du bist eine ganz besondere Frau.«

Katharinas Wangen nahmen eine tiefrote Färbung an. Bescheiden senkte sie den Blick, doch er sah ihr an, dass sie sich geschmeichelt fühlte. Als sie zu ihm aufsah, lag ein verzücktes Lächeln auf ihren Lippen. »Du bist sehr fürsorglich«, sagte sie leise.

»Inwiefern?«, fragte Carl und wunderte sich, dass Katharina ihm in der Kürze der Zeit schon so sehr ans Herz gewachsen war.

»Nun, du interessierst dich für die Menschen auf dem Hof und für die Arbeit, die hier gemacht wird«, stellte sie fest.

»Ich habe größten Respekt vor der Arbeit auf dem Hof«, eröffnete er ihr. »Und dabei suche ich ständig nach Möglichkeiten, die diese Arbeit erleichtern könnten.«

»Wovon redest du?«

»Nun, es muss doch Maschinen oder Geräte geben, die ihr nutzen könnt.« Carl fügte ohne zu zögern hinzu: »Das Buttern zum Beispiel. Warum hat dafür noch niemand eine Maschine erfunden?«

»Weil du mir eine solche Maschine bauen wirst, hast du das schon vergessen?« Katharina bedachte ihn mit einem Augenaufschlag.

»Das würde ich gern tun.«

»Aber?«

»Mein Vater wird mir etwas erzählen, wenn ich der Arbeit fernbleibe«, sagte er. »Aber ich finde es faszinierend, Dinge zu erfinden, die das Leben erleichtern.«

»Das klingt, als wärst du ein Erfinder«, lächelte sie.

»Leider nein.« Er seufzte. »Doch ich wäre gern einer, denn Technik fasziniert mich sehr. Es gibt so viele große Erfinder, sie sind Pioniere.«

»Dann solltest du den Beruf wechseln«, empfahl Katharina ihm, und er war sich nicht sicher, ob sie es ernst meinte.

»Leichter gesagt, als getan«, seufzte er. »Aber wer weiß – vielleicht wird mein Traum ja eines Tages wahr.«

»Bestimmt«, erwiderte Katharina. »Du musst nur ganz fest daran glauben!«

*

Beschwingt setzte Katharina wenig später die mühselige Arbeit im Halbdunkel des Stalls fort. Das Gespräch mit Carl ging ihr nicht mehr aus dem Kopf. Selten zuvor hatte ein Mann sie so fasziniert wie er. Carl war gescheit und attraktiv, dazu noch hilfsbereit und einfühlsam. Und er schien ihr gegenüber nicht abgeneigt zu sein, jedenfalls, so hatte sie den Eindruck, suchte er ihre Gegenwart bei jeder sich bietenden Gelegenheit.

Sie konnte sich Carl Thiele gut als Erfinder vorstellen, und auch das war eine Eigenschaft, die sie beide verband: Sie hatte sich in den letzten Monaten immer wieder Gedanken gemacht, wie man die Arbeit auf dem Hof durch den Einsatz von modernen Maschinen und Geräten erleichtern könnte. Auch ihr Vater war technikbegeistert, doch fehlte es ihm an der nötigen Zeit und dem passenden Kleingeld für Experimente. Carl hingegen schien völlig unbefangen an die Sorgen der Bauern heranzugehen. Immer wenn Katharina kurz die Arbeit unterbrach, um an ihn zu denken, hörte sie das warme Timbre seiner Stimme und sah sein offenes Lächeln vor ihrem geistigen Auge. Den sehnsuchtsvollen Seufzer, der über ihre Lippen kam, bemerkte sie gar nicht.

»Was ist denn so schwer?«, hörte sie plötzlich eine Stimme hinter sich erklingen. Als sie sich mit pochendem Herzen umwandte, erblickte sie ihre Mutter, die mit schweren Schritten in den Stall schlurfte.

»Hab ich dich erschreckt?«, fragte sie, als sie Katharinas Gesicht sah.

»Nein, nein, ich war nur in Gedanken«, beschwichtigte Katharina sie schnell. »Was kann ich für dich tun, Mutter?«

»Nichts, ich habe nur deinen Verehrer aus dem Stall kommen sehen«, sagte Theresa mit einem wissenden Blick.

»Carl ist nicht mein Verehrer«, entgegnete Katharina trotzig, doch das Lächeln der Mutter verriet ihr, dass sie Theresa nichts vormachen konnte.

»Es ist nicht zu übersehen, dass er ein Auge auf dich geworfen hat«, stellte Theresa fest.

»Jetzt fängst du schon an wie Thomas!« Energisch stemmte Katharina die Hände in die Hüften. »Carl und ich, wir sind …« mitten im Satz brach sie ab, weil sie nicht wusste, wie sie ihr Verhältnis beschreiben sollte.

Theresa winkte ab. »Mir kannst du nichts vormachen«, sagte sie sanft. »Und ehrlich gesagt, würde ich mich sogar freuen, wenn aus euch ein Paar werden würde. Carl ist ein hübscher Kerl, und er verfügt über gute Manieren.«

»Vater würde das nie erlauben«, fürchtete Katharina. »Er sucht jemanden, der ihm den Hof führen kann.«

»Auch das könnte Carl.«

»Nein.« Katharina schüttelte den Kopf. Sie unterbrach ihre Arbeit und betrachtete die Mutter mit nachdenklichem Blick. Sie erwischte sich dabei, noch gar nicht so weit gedacht zu haben. Carl war handwerklich begabt und er konnte anpacken, sonst wäre er kaum im Betrieb seines Vaters beschäftigt. Trotzdem fiel es Katharina schwer, ihn sich in der Rolle eines Bauern vorzustellen. Sie sah ihn in ihrer Phantasie Maschinen bauen, sah ihn mit angestrengtem Blick Schrauben befestigen und jauchzend die Hand in die Luft recken, wenn er eine neue Erkenntnis hatte.

»Möchte er denn nicht?«, riss sie die Stimme ihrer Mutter aus den Gedanken.

»Ich weiß es nicht«, erwiderte Katharina ehrlich. »So weit bin ich doch noch gar nicht. Außerdem hat Carl im Betrieb seines Vaters genug Arbeit, da wäre der Hof sicher nur eine Belastung für ihn.« Sie schüttelte den Kopf. »Zudem sind wir doch gar kein Paar.«

»Noch nicht«, wiederholte Theresa mit einem wissenden Blick. »Aber ich bin sicher, dass es eine Frage der Zeit ist, bis ihr zueinanderfindet.«

»Aber Mutter«, begehrte Katharina auf, wurde aber durch eine Handbewegung ihrer Mutter unterbrochen.

»Ich würde mich freuen«, lächelte Theresa. »Und meinen Segen hättet ihr.« Ohne die Antwort ihrer Tochter abzuwarten, ließ sie Katharina mit einem vor Staunen offenstehenden Mund im Stall zurück.

*

»So konzentrier dich doch auf die Arbeit.« Kopfschüttelnd war Gerhard Thiele neben seinem Sohn aufgetaucht. Eine steile Sorgenfalte stand auf seiner Stirn, als Carl sich zu ihm umwandte.

»Was ist denn los, Vater?«

»Du sollst dich konzentrieren«, wiederholte Gerhard geduldig. Er zeigte auf einen Eimer, in dem Carl Mörtel angerührt hatte. »Das ist kein Mörtel, sondern eine Suppe«, stellte er fest. »So halten die Steine nicht, und es wird Monate dauern, bis alles getrocknet ist.«

Betroffen blickte Carl in den Zinkeimer. Tatsächlich befand sich darin mehr Wasser als Mörtel. »Tut mir leid«, murmelte er und griff nach einer Schaufel, um etwas Masse hinzuzugeben. »Ich war in Gedanken«, fügte er schuldbewusst hinzu.

»Eben«, nickte sein Vater. »Eben.« Jetzt entspannte sich sein Gesichtsausdruck. »Die Tochter des Bauern hat es dir angetan.«

Carl fühlte sich erwischt. »Sieht man das?« Er grinste schief.

Gerhard nickte. »Ein Blinder würde sehen, wie du ihr nachstellst, Junge.«

»So schlimm?« Carl errötete.

»Schlimmer.« Gerhard seufzte. »Sie ist ein hübsches Mädchen, gar keine Frage. Und ich bin sicher, dass ihr zueinander passen würdet. Ich habe euch beobachtet. Dein Gesichtsausdruck, wenn du sie ansiehst, ihr Lächeln – da ist doch etwas im Busch, Junge.«

Carl schmunzelte verlegen. »Ich mag sie.«

»Du bist verliebt«, stellte Gerhard fest und nahm ihm den Eimer aus der Hand. »Du bist verliebt in Katharina Zumwinkel, und ich muss zugeben, dass ihr sicher ein hübsches Paar abgeben würdet.«

»Also bist du einverstanden?«

Gerhard, der sich eben zum Gehen wandte, blieb stehen und sah seinen Sohn an. »Willst du um ihre Hand anhalten?«

»Vater!«, rief Carl entrüstet. »Wir sind nicht einmal ein Paar. Und ich weiß auch nicht, ob wir ein Paar werden.«

Jetzt musste Gerhard lachen. »Das, mein Lieber, ist nur eine Frage der Zeit.« Er hielt den Eimer hoch. »Und jetzt konzentrier dich auf die Arbeit, Junge. Sonst wird das mit dem Stall nichts.«

»Versprochen.« Carl nickte und atmete ein paar Mal tief durch. Während er sich auf den Stiel der Schaufel stützte, blickte er seinem Vater nach, der Gustav und Fritz den Mörtel reichte, mit dem sie nun endlich arbeiten konnten. Dass Carls Gedanken bereits wieder um Katharina kreisten, bevor er zurück ans Werk ging, bemerkte er nicht.