Kapitel 18

Die Männer mauerten wie besessen. Am Frühstückstisch hatte Bernhard davon gesprochen, dass in den nächsten Tagen Regen übers Land ziehen würde. Der Herbst kam, und bevor die Tage kürzer wurden, wollte Gerhard Thiele den Auftrag auf dem Zumwinkel-Hof abgeschlossen haben. Dem Maurermeister blieb nicht verborgen, dass sein Sohn von einer eigenartigen Schwermut befallen war. Er kannte Carl gut genug, um zu wissen, was ihn beschäftigte. Sein Sohn war verliebt in die Tochter des Bauern. Doch offenbar hatte der Großknecht ebenfalls ein Auge auf die schöne Katharina geworfen. Immer wieder machte Thomas merkwürdige Anmerkungen, wenn sich die beiden begegneten. Doch Carl war friedliebend und mied den Kontakt zu dem Knecht. Schon als Kind war er Ärger und Streit so gut es ging aus dem Weg gegangen. Daran hatte sich bis zum heutigen Tage nichts geändert.

Gerhard legte eine kleine Pause ein, um seine Männer zu beobachten. Carl arbeitete konzentriert und fleißig mit Gustav und Fritz zusammen. Aus Bohlen und Brettern hatten sie ein provisorisches Holzgerüst errichtet. Inzwischen waren sie im oberen Drittel des Stalls angelangt, bald würden die Schreiner eintreffen, um die Dachkonstruktion in Angriff zu nehmen. Spätestens wenn der Trupp der Schreiner auf dem Hof eintraf, waren ihre Tage in Clarholz gezählt. Gerhard fragte sich, ob die Liebe seines Sohnes zur Tochter des Bauern eine Zukunft hatte. So wie er es von Bernhard Zumwinkel erfahren hatte, wünschte sich der Bauer einen Schwiegersohn, der sich in der Landwirtschaft auskannte.

Nun, mit Wissen konnte Carl punkten, führten sie doch selbst einen kleinen Hof mit eigenem Vieh, allerdings war der Thiele-Hof nicht zu vergleichen mit dem, was Zumwinkel hier aufgebaut hat.

Gerhards größter Wunsch war es, seinen Sohn glücklich zu sehen. Und wenn er und seine Frau dafür den eigenen kleinen Hof aufgeben würden, dann würde er auch das hinnehmen. Ihr Einkommen konnten sie mit dem Maurerbetrieb bestreiten, denn bekanntlich hatte das Handwerk goldenen Boden. Ob Carl aber in der Lage war, einen großen Hof zu betreiben, das würde die Zeit zeigen.

»Ist alles in Ordnung?«

Gerhard wandte sich zu seinem Sohn um. Er war derart in Gedanken versunken gewesen, dass er nicht mitbekommen hatte, wie Carl die Arbeit unterbrochen hatte, um sich seinem in sich gekehrten Vater zu widmen.

Mit einem schwachen Lächeln auf den Lippen nickte Gerhard. »Alles in Ordnung, Junge, aber ja.« Er holte tief Luft und zog seinen Sohn am Arm. Als er sicher sein konnte, dass Gustav und Fritz ihnen nicht mehr zuhören konnten, ließ Gerhard ihn an den Gedanken, die ihn bewegten, teilhaben.

»Es war nicht geplant, dass ich einen Bauernhof führe«, eröffnete Carl ihm schließlich.

»Aber wie stellst du dir deine Zukunft vor?«

»Ich bin technikbegeistert, Vater. Erfindungen faszinieren mich. Die Städte werden nach und nach elektrifiziert.« Carl strahlte regelrecht vor Begeisterung. »Und Erfindungen werden unseren Alltag revolutionieren, das Leben erleichtern.«

»Aber was willst du mit dieser Erkenntnis anfangen?«

»Ich liebe es, Dinge zu erfinden«, schwärmte Carl weiter. Seine Wangen glühten.

»Also willst du Erfinder werden?«

Nun musste sein Vater lachen. »Ich fürchte, davon kann man nicht leben.«

»Da könntest du recht haben, Vater.« Carl lachte ebenfalls. »Es sei denn, ich erfinde etwas, auf das die ganze Welt gewartet hat.«

»So wie deine Zentrifuge?«

Carl nickte. »So wie die Zentrifuge.« Kurz verblasste sein Strahlen. »Wobei – so etwas gibt es wohl schon, wie du gesagt hast.«

»Aber du hast die Zentrifuge perfektioniert«, entgegnete Gerhard. »Du hast daraus eine Maschine gemacht, die nahezu alle Tätigkeiten allein ausführen kann und das Leben auf den Bauernhöfen im ganzen preußischen Reich verändern wird.«

»Stellt sich die Frage nach dem Antrieb.« Carl betrachtete seinen Vater nachdenklich. »In den Städten wäre es kein Problem – ich würde die Molkereimaschine mit einem Elektromotor ausstatten.«

»Auf dem Land wird es noch Jahre dauern, bis man Stromleitungen legt«, fürchtete Gerhard, »was willst du bis dahin machen?«

»Ich könnte mir vorstellen, dass einige Bauern eine Dampfmaschine kaufen, mit der sie ihren Strom selbst erzeugen können.«

»Du bist wahrlich ein Erfinder«, lachte Gerhard. »So kreativ und voller Ideen.«

»Ich bin immer auf der Suche nach Lösungen«, berichtigte Carl ihn. »Aber meinst du wirklich, dass ich mit der Erfindung einer Molkereimaschine reich werden kann?«

»Zumindest könnest du mit der ständigen Weiterentwicklung, der Herstellung und dem Vertrieb einer solchen Maschine genug Geld verdienen, um deinen Lebensunterhalt zu bestreiten.«

»Ich muss die Maschinen dann auch verkaufen«, murmelte Carl und wirkte plötzlich ein wenig in sich gekehrt.

»Natürlich, und wenn möglich sogar in großen Stückzahlen.«

»Wie du weißt, bin ich Praktiker, aber bedauerlicherweise kein guter Kaufmann«, seufzte Carl. Er sank auf einen Strohballen und stützte das Kinn in die Hände. Mit traurigen Augen blickte er zu seinem Vater auf. »Wie funktioniert Vertrieb?«

»Das ist sicherlich kein Hexenwerk«, behauptete Gerhard und rang sich ein aufmunterndes Lächeln ab. »Nichts also, was man nicht erlernen könnte.« Er legte eine kleine Pause ein, um seinen Sohn zu betrachten. »Oder du übernimmst doch den Maurerbetrieb.«

»Es wäre zumindest eine Möglichkeit, Geld zu verdienen.«

»Deine Begeisterung hält sich in Grenzen«, stellte Gerhard sachlich fest. Er konnte seinen Sohn gut verstehen. Carl war ein Visionär, hatte schon als Kind immer gute Ideen gehabt und mit typisch ostwestfälischer Sturheit seine Ziele verfolgt. Das würde ihm im Berufsleben zugutekommen.

»Du wirst deinen Weg gehen«, versicherte er seinem Sohn. »Aber was wird aus Katharina?«

»Was meinst du?«

Gerhard lächelte. »Ein Blinder sieht, was du für sie empfindest, Junge.«

»Ich weiß nicht, wie es mit uns weitergeht.«

»Wenn du sie liebst, dann werdet ihr auch eine Zukunft haben.«

»Aus deinem Mund klingt das so selbstverständlich«, murmelte Carl und erhob sich. »Aber ich weiß schon jetzt, dass ich sie schrecklich vermissen werde, wenn wir hier unsere Zelte abbrechen.«

Gerhard nickte. »Dann ist es an der Zeit, dass du über deine Zukunft nachdenkst, Junge. Ein paar Denkanstöße hast du ja nun.«

»Ich möchte Maschinen bauen.«

»Das klingt nach einem ernstzunehmenden Plan.«

»Aber was wird dann aus Katharina? Sie wird den Hof nicht zurücklassen können. Ihre Mutter ist sehr krank, und der Vater sorgt sich um die Nachfolge.«

»Und nun kommt der Knecht ins Spiel«, wandte Gerhard ein.

»So ist es.«

»Dann steh zu deiner Liebe, Carl. Ich bin sicher, dass sie, wenn sie ähnlich für dich empfindet, zu dir stehen wird. Und dass ihr euren Weg gemeinsam gehen werdet – wenn ihr es beide wollt.« Damit ließ Gerhard seinen Sohn zurück.