Kapitel 20

Was war denn vorhin mit deinem Vater los?«, fragte Katharina am späten Nachmittag, als sie ein paar ungestörte Minuten hatten. Carl war ihr in den Stall gefolgt und beobachtete sie bei der Arbeit. Von Lina hatte Katharina einen Eimer mit Kartoffelschalen bekommen, die sie nun an die Schweine verfütterte. Die Tiere machten sich mit gierigem Grunzen über das Futter her.

»Er ahnt, dass wir uns lieben«, erwiderte Carl. »Deshalb hat er auch nichts gesagt, als wir uns vorhin getroffen haben.«

»Das meine ich nicht.«

»Was denn?« Er zog die Stirn in Falten und lehnte sich über das Gatter, um die Schweine besser beobachten zu können.

»Vormittags, als ihr euch unterhalten habt. Ich habe gesehen, wie er auf dich eingeredet hat.« Mit sorgenvollem Blick betrachtete Katharina den Sohn des Maurers. »Gab es Streit?«

»Ach das«, machte Carl grinsend. »Wir haben über meine Pläne gesprochen.«

»Was sind das für Pläne?« Katharinas Neugier erwachte.

»Zukunftspläne.« Ich weiß nicht, ob ich seinen Maurerbetrieb übernehmen möchte.«

Katharina konnte ihn gut verstehen, erging es ihr doch ähnlich. Sie liebte den Zumwinkel-Hof über alles. Hier war ihre Heimat, hier war sie groß geworden. Und dennoch bezweifelte sie, ob sie den Hof irgendwann in der Zukunft übernehmen wollte – und konnte. Mit einem Mann wie Thomas an ihrer Seite auf gar keinen Fall. Nach dem, was er sich geleistet hatte, war er bei ihr endgültig unten durch. »Es ist nicht das, was dir gefällt«, stellte sie fest.

Carl schüttelte den Kopf. Er nahm ihr den leeren Futtereimer aus der Hand. »Nein, ich habe so viele Ideen im Kopf.«

»Ideen?«

»Ja, Einfälle. Wenn ich euch auf dem Hof beobachte, dann kommen mir viele Gedanken, wie man euch das Leben erleichtern kann.«

Katharina ahnte, wovon er sprach. An vielen Stellen hatte er ihr die Augen geöffnet, denn trotz der anstrengenden Arbeit waren sie und ihre Eltern mit ihrem bescheidenen Leben zufrieden. Nun fragte sich Katharina, wie er ihre Arbeit erleichtern konnte.

»Ich bin gespannt, wie es wird, wenn du die Zentrifuge erst einmal gebaut hast.«

»Es gibt noch viel mehr Ideen«, sagte Carl.

»Was stellst du dir vor?« Katharina runzelte die Stirn.

»Maschinen, die euch auf dem Hof bei der Arbeit helfen.«

Oft genug hatte Katharina in letzter Zeit davon gehört, dass die Maschinen auf Bauernhöfen Einzug hielten. Doch bei ihrem Vater war der Fortschritt bisher noch nicht angekommen.

»So wie eine Dampfmaschine zum Bestellen der Felder?«

Carl nickte. »Ja, aber das ist nicht alles. Es gibt unendlich viele Dinge, die man bauen könnte, um euch die Arbeit zu erleichtern.«

»Für solche Maschinen hat Vater kein Geld.«

»Ich möchte, dass sich jeder Bauer Maschinen und Geräte leisten kann«, widersprach Carl.

»Wie sollte das gelingen?«

»Indem Maschinen in großen Mengen hergestellt werden. Sie müssen stabil sein, zuverlässig funktionieren und ein Leben lang halten.«

Aus seinem Mund klingen diese Worte so einleuchtend, dachte Katharina. Doch oft scheiterten solche Visionen an der Umsetzung. »Dein Vater traut dir nicht zu, dass du solche Maschinen erfinden kannst?«

»Das ist es nicht, aber etwas zu erfinden, kostet viel Zeit und Geld. Dabei habe ich schon eine gute Idee.« Seine Augen leuchteten unternehmungslustig. »Ich habe einen Plan von der Zentrifuge gezeichnet.«

»Erzähl mir davon.« Katharina hing gebannt an seinen Lippen.

»Carl – kommst du?« Gerhard war zu ihnen getreten. Er hatte ein Gespür dafür, die beiden zu stören, wenn es interessant wurde. »Wir brauchen deine Hilfe.« Als er Katharina erblickte, erhellten sich seine Gesichtszüge. »Hallo, Katharina.«

»Guten Tag, Herr Thiele.«

»Ich fürchte, dass ich euer Gespräch beenden muss.« Er setzte eine bedauernde Miene auf. »Ich muss ihn dir entführen.«

»Ich wollte sowieso noch nach den Hühnern sehen.« Katharina nickte Carl mit roten Wangen zu, dann ließ sie die Männer allein zurück. Dabei musste sie sich eingestehen, dass Carl ihre Neugier geweckt hatte. Sie war auf seine Erfindung gespannt und freute sich schon auf ihr Wiedersehen. Und sie beschloss, ihren Vater zu bitten, Carl das für den Bau einer Zentrifuge benötigte Material bereitzustellen. Gut gelaunt stellte sie fest, dass ihr die Arbeit nach dem angenehmen Gespräch mit Carl leichter von der Hand ging.

*

Weder Carl noch Katharina hatten bemerkt, dass ihr Aufeinandertreffen beobachtet worden war. Thomas lehnte im Schatten des Schuppens und betrachtete die beiden voller Wut. Am liebsten wäre er dazwischengegangen, um Carl und Katharina auseinanderzureißen. Doch das wäre unklug gewesen. Er arbeitete an einem Racheplan, und wenn er sich jetzt aufführte wie ein Elefant im Porzellanladen, würde er gleich auffliegen. So blieb ihm nichts, als die Turteltauben aus seinem Versteck heraus zu beobachten. Heute Abend würde er sich Carl Thiele zur Brust nehmen. Doch noch war es nicht so weit. Als das Fuhrwerk des Bauern auf den Hof rumpelte, zog sich Thomas weiter zurück in den Schatten, um nicht gesehen zu werden. Er wartete ab, bis das Gespann zum Stillstand gekommen war. Lange dauerte es nicht, und die Bäuerin trat vor das Wohnhaus. Sie nahm dem Bauern die Aktentasche aus der Hand. »Hat alles geklappt?«, hörte Thomas sie fragen.

Bernhard Zumwinkel nickte. »Natürlich, Liebes. Jetzt können wir den Leuten ihren Lohn auszahlen.« Er zeigte auf die Tasche in Theresa Zumwinkels Hand. Thomas zählte eins und eins zusammen. Für ihn war klar, dass der Bauer in der Stadt gewesen war, um Bargeld abzuholen. Die Angestellten erhielten neben freier Kost und Logis auch ein kleines Gehalt, um sich davon neue Kleider und Dinge des Alltags kaufen zu können. Morgen war es wieder so weit – auf dem Zumwinkel-Hof war Zahltag. Dem Knecht kam eine Idee. Ein diabolisches Grinsen huschte um seine Mundwinkel, als er das Ehepaar beobachtete, wie es im Haus verschwand. Thomas ahnte, dass der Bauer das Bargeld bis zur Auszahlung an das Gesinde in seinem Büro aufbewahrte. In ihm reifte ein Plan. Doch noch war es nicht so weit. Er musste den Schein wahren und wollte auf gar keinen Fall auffliegen. Also wandte er sich wieder seiner Arbeit zu. Alles zu seiner Zeit, dachte er mit grimmiger Miene, während er sich im Schuppen daranmachte, eine Sense zu schärfen.