Schon am folgenden Tag konnte Carl mit dem Bau seiner Maschine beginnen. Das, was bisher nur eine Ansammlung von ausrangierten Ersatzteilen gewesen war, würde schon bald eine neuartige Maschine sein, die er seinem künftigen Schwiegervater voller Stolz präsentieren konnte. Der Bau schritt gut voran, was nicht zuletzt an Katharinas Hilfe lag. Sie war bei ihm, wann immer sie auf dem Hof abkömmlich war.
Bernhard Zumwinkel hatte Wort gehalten, auch Carls Vater war einverstanden mit dem Vorhaben des Bauern. Zumwinkel hatte seinem zukünftigen Schwiegersohn zu diesem Zweck eine Ecke in dem Schuppen, in dem Maschinen und Werkzeuge eingelagert waren, freiräumen lassen. So standen ihm alle Werkzeuge zur Verfügung. Verwundert stellte Carl fest, dass über Nacht ein eigenartiger Sinneswandel in Bernhard Zumwinkel stattgefunden haben musste. Er war bei Weitem nicht mehr so harsch in seiner Wortwahl, wenn er mit ihm redete, im Gegenteil: Er war offen und zugewandt. »Ich werde dich natürlich unterstützen, also lass es mich wissen, wenn du mein Zutun beim Bau deiner Erfindung benötigst«, hatte er ihm mit auf den Weg gegeben. Und der einst mürrische Bauer hatte Wort gehalten. Seine beiden jungen Knechte wurden abgestellt, um Carl zu helfen. Sie trugen die Materialien zusammen und schleppten sie in den Schuppen, der fortan als Werkstatt herhielt.
»Geh deinen Weg, ich schaffe den Rest auch allein mit den Gesellen«, hatte Gerhard Thiele gesagt. »Bau dem Bauer seine Zentrifuge, damit er weiß, was er an dir hat.« Von Anfang an stand Gerhard hinter dem Erfindergeist seines Sohns. Die Zweifel des Bauern, dass es sich dabei nur um Hirngespinste handeln könne, hatte er nie geteilt.
Voller Tatendrang stürzte Carl sich in die Arbeit. Eine freudige Erregung ergriff ihn, als er sich daranmachte, das Holzgestell für die Zentrifuge zu zimmern. Carl sägte, bohrte und schraubte und vergaß über seiner Arbeit die Zeit. Mit der eigens für diesen Zweck beschafften Farbe strich er den Rahmen an. Gleichmäßig ließ er den Pinsel über die miteinander verschraubten Holzbalken gleiten. Im Schuppen duftete es bald schon nach frischer Farbe. Während die Farbe trocknete, nahm sich Carl das Fass vor. Es war etwas größer und stabiler als das, das sie ursprünglich dafür verwenden wollten. Carl war sicher, dass diese Trommel fast nicht zu zerstören war. Um den Deckel abzusägen, benötigte er wieder die Hilfe eines Knechts. Erwin half ihm gern dabei. Er war ein untersetzter, aber kräftiger junger Knabe von Anfang zwanzig. Bereitwillig packte er mit an und half Carl dabei, das große Fass für seinen künftigen Einsatzzweck vorzubereiten. Gemeinsam trennten sie das Oberteil ab. Während er sich die Sägespäne von der blauen Arbeitsjacke klopfte, fragte Erwin höflich, ob er noch etwas tun könne, und zog sich erst zurück, als Carl sich bei ihm bedankt hatte. »Vielleicht brauche ich deine Hilfe später noch einmal.«
»Sehr gern.« Erwin deutete eine Verbeugung an, die Carl zum Lachen brachte, dann verschwand er. Während Carl überlegte, wie er die eiserne Antriebswelle in den Deckel der Holztrommel treiben konnte, hörte er Schritte hinter sich. Als er aufblickte, sah er in Katharinas verliebt lächelndes Gesicht.
»Hallo, mein Erfinder«, sagte sie und trat näher. Voller Neugier betrachtete sie die Einzelteile der Maschine auf dem Tisch. »Kommst du gut voran?«
»Aber ja.« Carl nickte. Er nahm die Welle in die Hand und zeigte sie Katharina. »Das hier wird das Herzstück der Zentrifuge werden. Daran befestige ich die Paddel, die dafür sorgen, dass die Milch beim Drehen geschlagen wird. Und hier«, er klopfte auf das obere Ende der Welle, »wird eine Kurbel befestigt, mit der die Fuhre dann in Drehung gebracht werden kann.« Er legte die Welle fort und zeigte ihr den abgetrennten Deckel des Fasses. »Und hier werde ich …«
»Den Elektromotor befestigen?«
»Ja«, nickte Carl glücklich über das technische Verständnis seiner Verlobten. »Damit können wir die Maschine zu einem späteren Zeitpunkt mit wenig Aufwand umrüsten.« Er seufzte. »Allerdings weiß ich noch nicht, wie ich das so einfach bewerkstelligen kann«, fügte er zerknirscht hinzu.
Katharina betrachtete das Werk und überlegte einen Augenblick. »Wie wäre es mit einem Antriebsriemen, so, wie man sie in großen Fabriken oft sieht?«
»Du bist ein Genie«, strahlte Carl und zog sie an sich, um ihr einen Kuss auf die Lippen zu hauchen. »Genauso machen wir es!«
»Ich freue mich, dass ich deine Muse bin«, schmunzelte Katharina in Carls Umarmung.
Kurz blendete Carl die Arbeit aus und schlang die Arme um ihren zierlichen Körper. Sie fühlte sich so gut an, dass er am liebsten Feierabend gemacht und den Rest des Tages mit ihr verbracht hätte. Doch er hatte dem Bauern etwas versprochen. Sollte die Zentrifuge fertig werden und funktionstüchtig sein, würde er Zumwinkel die Maschine kostenlos überlassen. Das sollte dann die Mitgift für die bevorstehende Hochzeit werden. So hatten sie es besprochen. Katharina wusste freilich nichts von dem Geschäft der beiden Männer.
»In einer halben Stunde habe ich Pause«, sagte sie mit einem lasziven Augenaufschlag. »Wenn du auch etwas Zeit hast, könnten wir die Mittagspause ja zusammen verbringen.«
Auf der Stelle spürte Carl ein Verlangen nach seiner Verlobten in sich aufsteigen. Ihre Nähe zu spüren, tat ihm nicht nur gut – es verlieh ihm auch ungeahnte Kräfte. »Das lässt sich einrichten«, sagte er mit einem schmachtenden Blick. »Ich kann es kaum erwarten.«
»Ich auch nicht.« Sie küssten sich ein letztes Mal, dann wandte sich Katharina zum Gehen. »Jetzt muss ich wieder an die Arbeit, sonst vermisst mein Vater mich.«
»Dann los, nicht, dass du Ärger mit ihm bekommst.« Er grinste jungenhaft und blickte ihr nach, bis sie seinem Sichtfeld entschwunden war. Mit einem sehnsuchtsvollen Seufzer auf den Lippen machte er sich wieder an die Arbeit. Es galt, keine Zeit zu verlieren, um den Bauern zufriedenzustellen.
*
Längst hatte es sich auf dem Zumwinkel-Hof herumgesprochen, dass Carl und Katharina verlobt waren. So wagte auch niemand mehr, hinter ihrem Rücken zu lästern oder abfällige Bemerkungen zu machen. Allerdings wurden bereits Wetten abgeschlossen, wann sich denn Nachwuchs einstellte. Und ob es dann ein Junge oder ein Mädchen sein würde.
Doch so weit waren die beiden noch lange nicht. Während die drei noch verbliebenen Maurer die Arbeiten am neuen Stall des Hofes fast abgeschlossen hatten, näherte sich auch der Prototyp der Zentrifuge der Fertigstellung. Bisher war alles bestens verlaufen, und Carl war gut vorangekommen. Wer jetzt einen neugierigen Blick in den Schuppen am Rande des Hofes warf, der konnte schon erahnen, was für eine Maschine es war, die Carl da konstruierte. Von Zentrifugen hatte der eine oder andere zwar schon mal gehört, aber diese Maschine unterschied sich in zahlreichen Punkten von dem Bekannten. Im Grunde genommen hatte Carl die Milchzentrifuge neu erfunden.
Inzwischen hatte sich auch Bernhard Zumwinkel mit dem Gedanken angefreundet, dass er keinen Bauern zum Schwiegersohn bekommen würde. Die Männer hatten nach ihren anfänglichen Schwierigkeiten ein gutes Auskommen miteinander. Von Thomas hörte man nichts mehr in Clarholz. So wie es aussah, war ihm die Flucht vom Hof und vor der Polizei tatsächlich gelungen, und er war untergetaucht. Lina hatte sich endlich damit abgefunden, dass sie die nächste Zeit keinen Mann finden würde. Doch inzwischen war auch das kein Grund zur Trauer für das junge Mädchen. Sie war sicher, dass ihr eines Tages der Richtige begegnen würde. So, wie sie es bei Katharina erlebt hatte.
Katharina war überglücklich an Carls Seite, und sie konnte es kaum erwarten, mit ihm gemeinsam in ihr neues Leben zu starten. Nur der Gedanke daran, dass sie den Hof bald verlassen würde, machte ihr immer wieder zu schaffen.
»Gräm dich nicht, Mädchen«, pflegte ihr Vater in solchen Situationen zu sagen, »ich tu es auch nicht. Jetzt steht dein Leben im Vordergrund – wichtig ist, dass du mit Carl glücklich wirst.«
Und glücklich war sie mit ihrem Carl, daran gab es nichts zu rütteln. Nur der Umstand, dass sie immer noch in getrennten Betten schlafen mussten, war unerfreulich. Doch Theresa hatte großen Wert darauf gelegt, dass sie beide weiterhin in ihren Kammern nächtigten. Sie fügten sich ihrem auferlegten Schicksal, stand ihnen ja schon bald der Start in das gemeinsame Leben bevor. Niemand konnte ihnen dann noch Vorschriften machen, wer wann und wo zu schlafen hatte.
Inzwischen hatten sie beschlossen, nach Herzebrock zu ziehen. Im Haus des Vaters gab es noch ein paar Zimmer, die man schnell für das junge Paar herrichten konnte, und die Baufirma hatte ihren Sitz auf dem Gelände. Katharina hatte beschlossen, so oft wie möglich nach Clarholz zurückzukommen, um ihrer kranken Mutter bei der Arbeit auf dem Hof zu helfen. Dafür war es von Vorteil, dass es eine Zugverbindung zwischen den beiden Ortschaften gab. Mit der Eisenbahn war es zum Zumwinkel-Hof wahrlich keine Weltreise.