Kapitel 41

Die nächsten Tage verliefen ruhig, zumindest ließ sich Thomas nicht noch einmal blicken. Doch das dumpfe Gefühl und eine nicht greifbare Angst blieben. So vergewisserte Katharina sich allabendlich, dass alle Vorhänge zugezogen waren und die Haustür sowie die Wohnungstür abgeschlossen waren. Carl hatte ihr zuliebe sogar noch einen zusätzlichen Riegel installiert, der sie vor nächtlichem, ungebetenem Besuch schützen sollte. Tatsächlich hatte sie immer wieder gesehen, dass Wachtmeister Stürmer auf seinen Streifengängen beim alten Posthof vorbeisah und sich vergewisserte, dass Thomas ihnen keine Schwierigkeiten mehr machte.

Heute stand ein Termin beim Schneider in Gütersloh an. Anna holte ihre künftige Schwiegertochter am Vormittag ab. Gustav, einer der Maurergesellen, hatte den Auftrag bekommen, die Frauen mit der Kutsche zum Schneider zu bringen. Dafür hatte Bernhard ihn sogar vom Dienst befreit. Erst morgen würde die Maurerkolonne wieder zu einem Auftrag ausrücken. Vor der Abfahrt betrat Katharina die Werkstatt der Bauhandlung, um bei Carl nach dem Rechten zu sehen. Schon vom Eingang aus hörte sie Stimmen.

»Ich bin sicher, diese Qualität beibehalten zu können«, sagte Carl gerade, als Katharina die Werkstatt betrat. Ein hochgewachsener Mann stand mit dem Rücken zu ihr.

»Sie kennen meine Verlobte ja bereits aus Clarholz«, bemerkte Carl stolz an seinen Besucher gewandt. Der Besucher, ein Mann im feinen Zwirn, machte auf dem Absatz seiner teuren Lederschuhe kehrt. Jetzt erkannte Katharina Friedrich Beyer, den technikbegeisterten Agrarhändler. Am Abend vor dem Abschied aus Clarholz waren sie sich zuletzt begegnet.

»Ich bin hoch erfreut, Gnädigste«, sagte Beyer mit einem charmanten Lächeln auf den Lippen. Während er sich mit der einen Hand den schwarzsamtglänzenden Zylinder vom Kopf nahm, ergriff er mit der anderen Katharinas Hand, bewahrte Blickkontakt und deutete einen Handkuss als Zeichen seiner Wertschätzung an. »Wenn Sie mir die Bemerkung erlauben: Sie sehen wundervoll aus«, sagte er. »Und man sieht Ihnen an, dass Sie mit diesem Herrn hier«, jetzt zeigte Beyer auf Carl, »sehr glücklich sein werden.«

»O ja«, antwortete Katharina lächelnd. »Das bin ich schon jetzt.« Sie hielt dem Blick des Händlers stand. »Darf ich fragen, warum Sie uns die Ehre erweisen?«

»Das dürfen Sie selbstverständlich. Ihr Künftiger hat mich schon auf dem Zumwinkel-Hof Ihrer Eltern zutiefst mit seiner Erfindung beeindruckt. Ich bin sicher, dass ihm ein großer Weg bevorsteht.«

»Herr Beyer hat sich bereiterklärt, die Maschine zu erwerben,« eröffnete Carl ihr stolz. »Und noch mehr – er gibt mir den Auftrag zum Bau fünf weiterer Milchzentrifugen.«

»Das ist ja wundervoll!«, freute sich Katharina.

»Das ist es, Gnädigste«, pflichtete Beyer ihr bei. »Nach dem Fest auf dem Hof Ihrer Eltern habe ich einen Brief von Ministerialrat von Studt erhalten. Er habe mit dem Kaiser gesprochen, der ihn beauftragt habe, Sie mit allen Kräften zu unterstützen.«

»Das ist traumhaft«, schwärmte Katharina glückselig. »Ihr Einsatz hat sich also gelohnt.« Am liebsten wäre sie Beyer um den Hals gefallen.

»Mit seinen Milchzentrifugen wird Ihr Künftiger die Landwirtschaft revolutionieren, davon bin ich überzeugt. Deshalb schätze ich Ihr Vertrauen in mich. Ich kann mich glücklich schätzen, dass ich seine Apparate verkaufen darf.«

Katharina hatte keine Ahnung von geschäftlichen Dingen, doch sie war froh, dass Carl nun endlich seinen Traum leben durfte. Er war nicht nur Erfinder, sondern jetzt auch der Konstrukteur seiner eigenen Schöpfungen.

»Ich werde so schnell wie möglich mit dem Bau beginnen, damit ich Ihnen die fünf weiteren Maschinen in den kommenden Wochen liefern kann«, versprach Carl.

»Und danach geht es sicherlich weiter, denn ich bin vom Erfolg Ihrer Zentrifuge überzeugt. Sie ist besser als alles, was bisher bekannt ist.«

»Vielen Dank für das Lob.« Carl deutete eine Verbeugung an.

»Ich muss mich leider entschuldigen«, sagte Katharina. »Der Termin beim Schneider in Gütersloh duldet keinen Aufschub.«

»Ich ahne, es geht um das Hochzeitskleid«, lächelte Beyer.

»So ist es.« Katharina spürte, wie ihr das Blut in den Kopf schoss. Sie lächelte schüchtern.

»Dann will ich Sie gar nicht länger aufhalten, Werteste. Den langweiligen, geschäftlichen Teil bespreche ich mit Ihrem Verlobten, wenn Sie gestatten.«

»Sehr gern.« Katharina verabschiedete sich von den Männern und war im nächsten Moment schon wieder an der frischen Luft. Sie sah, dass Gerhard und Anna bei der Kutsche standen und sie bereits erwarteten.

»Was ist denn los?«, fragte Gerhard amüsiert, der neben der Kutsche stand und ihr die Tür aufhielt. »Du strahlst ja förmlich.«

»Carls Maschine findet Anklang«, nickte Katharina, während sie zu ihrer künftigen Schwiegermutter in die Kutsche kletterte. »Soeben hat er den Auftrag zum Bau fünf weiterer Zentrifugen erhalten, und von Studt hat sogar dem Kaiser von unserer Idee berichtet. Er soll uns mit allen Kräften unterstützen.«

»Hört, hört.« Gerhard Thiele pfiff durch die Zähne, und auch Anna nickte mit stolzer Miene. »Dann wird der Junge wohl kaum noch das Baugeschäft übernehmen wollen«, sagte sie an ihren Mann gewandt.

»Damit muss ich mich arrangieren«, nickte Gerhard ein wenig betrübt. Dann lächelte er. »Mir liegt es am Herzen, dass Carl glücklich ist und das macht, woran er seine Freude hat.« Mit einem nachdenklichen Lächeln auf den Lippen sah er Katharina an. »Ich habe von deinem Vater gelernt, dass man zurückstehen muss, um den Kindern den Weg frei zu machen.« Dann drückte er die Tür der Kutsche ins Schloss. Nachdem er Gustav, der geduldig auf dem Kutschbock gewartet hatte, ein Zeichen gegeben hatte, setzte sich das Fuhrwerk in Bewegung. Geschickt steuerte die Kutsche durch die Hofeinfahrt. Schnell nahmen sie Fahrt auf. Katharina lehnte sich voller Vorfreude auf den bevorstehenden Termin beim Schneider ihres Hochzeitskleides zurück und schloss die Augen, um den klirrend kalten Fahrtwind zu genießen. Flockige weiße Tupfer rieselten vom Himmel und liebkosten ihr Gesicht. Es hatte zu schneien begonnen. »Weißt du«, sagte sie zu ihrer künftigen Schwiegermutter, »ich habe so viel Glück im Leben, dass ich es manchmal selbst nicht fassen kann.«