Kapitel 47

Carls Aufregung wuchs ins Unermessliche, als er ein paar Tage später Rudolf Zenker in sein Büro führte. Er schloss die Tür hinter ihnen. Die Geräusche aus der angrenzenden Halle drangen nur noch gedämpft an ihre Ohren. Das Ticken der großen Uhr an der Wand war das einzige Geräusch im Raum.

»Nehmen Sie Platz«, sagte Carl und deutete mit einer einladenden Geste zum Besprechungstisch. Hastig räumte er die Skizzen und Konstruktionszeichnungen aus dem Weg und legte sie auf seinen Schreibtisch. Gestern Abend hatte er noch lange gearbeitet. Eine neue Erfindung ging ihm nicht mehr aus dem Kopf. Ihm war eingefallen, was man aus der Milchzentrifuge noch machen konnte. Eine Weiterentwicklung, die auf der Basis der sich drehenden Trommel basierte, beschäftigte ihn seit einiger Zeit. Er würde mit dieser Erfindung die Welt revolutionieren, davon war er schon jetzt überzeugt. Doch zunächst galt es, den Vertrieb der Zentrifugen und Buttermaschinen voranzutreiben. Und dafür brauchte er Zenker, den Handelsreisenden, der seine Produkte überall dort anbot und verkaufte, wo sie benötigt wurden: In der Landwirtschaft.

»Ich würde gern mit Ihnen zusammenarbeiten.«

»Das zu hören erfüllt mich mit Stolz«, versicherte Zenker ihm. »Wie stellen Sie sich eine Zusammenarbeit vor?«

»Ich werde Sie nicht einstellen.«

»Wie bitte?« Enttäuschung lag in Rudolf Zenkers Blick. »Aber warum, ich meine, wir waren uns doch fast …«

»Ich würde Sie gern zu meinem Partner machen«, unterbrach Carl ihn schmunzelnd.

»Wie darf ich das verstehen?«

»Ich übernehme Entwicklung und die Konstruktion der Maschinen, Sie kümmern sich als mein Kompagnon um den Vertrieb.«

Rudolf Zenker dachte kurz nach. »Dann wären wir gleichberechtigte Partner?« Er sah Carl erwartungsfroh an.

»So ist es.« Carl nickte. »Ich war so frei, die entsprechenden Verträge für die Firmengründung unseres gemeinsamen Unternehmens von Erwin Steiner, einem angesehenen Advokaten, und von Martin Drewitz, einem Notar, vorbereiten zu lassen.«

Zenker atmete hörbar aus. »Das kommt sehr überraschend für mich«, bemerkte er schließlich.

Carl spürte, wie ihm vor Aufregung das Blut in den Kopf schoss. Er ärgerte sich darüber, sich nicht besser unter Kontrolle zu haben.

Sein künftiger Geschäftspartner ließ sich von Carls sichtbarer Nervosität nicht aus der Ruhe bringen. Im Gegensatz zu ihm wirkte er nach dem anfänglichen Augenblick der Überraschung plötzlich fast gelassen.

Carl spürte, wie ihm schwindelig wurde. Er hoffte auf Zenkers Zusage, denn inzwischen war er davon überzeugt, dass dieser das Zeug hatte, seine Firma als Teilhaber mitzutragen. Auch Katharinas Argumente hatten ihn in seiner Meinung bestärkt. Wenn der Handelsreisende jetzt einen Rückzieher machte, musste er sich erneut mit der Frage auseinandersetzen, wer nun für die kaufmännischen Belange des Unternehmens die Verantwortung tragen könnte. Beyer würde ihm nicht immer unter die Arme greifen können, er betrieb seinen eigenen Agrarhandel und war damit gut ausgelastet.

»Ich bin gespannt auf Ihre Entscheidung«, sagte Carl. Er öffnete ein Fach an seinem Schreibtisch und nahm einen Umschlag heraus. Umständlich zog er die vorbereiteten Verträge aus dem Kuvert und legte sie zwischen ihnen auf die Schreibtischplatte.

»Das ist eine Entscheidung, die mein Leben verändern könnte«, bemerkte Zenker nach einem Moment des gespannten Schweigens. »Wissen Sie, ich bin oft unterwegs und habe nur wenig Freizeit. Nun bin ich älter geworden und bereit, eine Familie zu gründen.«

»Was schwierig ist, wenn Sie ständig auf Reisen sind«, setzte Carl Zenkers Überlegungen fort. »Das könnte sich ändern, wenn Sie bei mir einsteigen.«

»Die Vorstellung ist zugegebenermaßen verlockend.« Zenker lehnte sich zurück. Er schlug die Beine übereinander und rang mit den Händen. »Dennoch würde ich meine eigene Selbstständigkeit als Handelsreisender aufgeben müssen, um …«

»Ich möchte Sie nicht unter Druck setzen«, beschwichtigte Carl ihn mit erhobenen Händen. »Sicher benötigen Sie Zeit, um sich mein Angebot durch den Kopf gehen zu lassen.«

Zenker betrachtete Carl und dachte angestrengt nach. Schließlich räusperte er sich und deutete ein Nicken an.

»Sie wären für den technischen Bereich verantwortlich, ich für den kaufmännischen Teil?« Zenker stützte das kantige Kinn in die Hände und betrachtete Carl. Er ließ sich mit seiner Antwort Zeit. »Also sollten wir künftig gemeinsame Sache machen.«

»Ich denke, langfristig würden wir beide von einer gemeinsamen Unternehmung profitieren können.«

»Das Wort gemeinsam kettet uns aneinander«, fand Zenker.

»Wenn wir gemeinsam erfolgreich sind, so profitieren wir gemeinsam davon«, argumentierte Carl mit einem gewinnenden Lächeln auf den Lippen.

»Das stimmt zwar«, erwiderte Zenker, »aber wenn wir beide nicht gemeinsam Erfolg haben, dann scheitern wir gemeinsam. So einfach ist das.« Er legte eine Pause ein und sah Carl an. »Also sollten wir zusehen, dass wir Erfolg haben.« Zenkers Grinsen wurde breiter.

Carl schöpfte Hoffnung. »Dann sind Sie im Boot?«

Zenker nickte und hielt ihm die Hand hin. »Wir machen gemeinsame Sache und werden Ihre Zentrifugen und das, was Sie sonst noch bauen werden, in aller Herren Länder verkaufen.«

»Gemeinsam zum Erfolg«, nickte Carl. »Wenn man dieses Prinzip verinnerlicht, funktioniert vieles besser, als wenn man allein ist«, nickte Carl. Ihm fiel ein Stein vom Herzen, als er die Hand seines neuen Geschäftspartners ergriff, um sie fest zu drücken. Beide Männer blickten sich einen Moment lang schweigend in die Augen. »Gemeinsam zum Erfolg«, sagte Zenker schließlich.

»Dann ist es abgemacht«, wiederholte Carl erleichtert. Am liebsten wäre er von seinem Platz aufgesprungen, um Rudolf Zenker zu umarmen.