Kapitel 1
Heute trug er den roten Herrenslip mit den schwarzen Nähten und Säumen. Reine Baumwolle – der Kunde hatte extra nochmal nachgefragt, obwohl alles im Text stand. Die nahm den Geruch am besten auf.
Er sollte ihn drei Tage tragen und am Ende einmal reinwichsen. Ein Klassiker.
Randy betrachtete sich von allen Seiten im Spiegel. Rot war nicht seine Farbe. Ließ seine Haut irgendwie kränklich aussehen. Weiß und Hellgrau standen ihm besser, aber er hatte alle Farben ins Sortiment genommen, weil Geschmäcker bekanntlich verschieden waren.
Er ließ den Saum gegen seine Hüfte schnipsen und griff dann nach den Socken. Die waren auch bestellt, aber der Kunde war zu knauserig für mehrere Tragetage gewesen. Oder zu ungeduldig. Egal – der würde trotzdem auf seine Kosten kommen. Dafür würde er schon sorgen.
Randy warf seinem Spiegelbild ein keckes Zwinkern zu und schlüpfte in seine Sportklamotten. Die zu rote Unterwäsche verschwand hinter dem grauen Stoff seines Trainingsanzuges und die Socken in den orange-grauen Turnschuhen. Sein ältestes Paar. Das war am besten für einen herben Geruch.
Im Park war es dunkler als im Rest der Stadt.
Die weit ausschweifenden Baumkronen überlagerten einander wie wildwachsende Dächer. Feuchtigkeit klebte an Blättern und Wegen, weil die Sonne kaum durchkam. Der Wind hielt sich ebenso fern von hier wie das Tageslicht – als hätte er den Ort aufgegeben. Kein Blatt raschelte, nichts bewegte sich. Irgendwo in der Ferne krächzte eine Krähe.
Es war die Art von zwielichtiger Atmosphäre, die für Filme taugte.
Für die Szenen, in denen gleich jemand verschwand.
Der Boden sah schlammig aus und würde die Sohlen seiner Schuhe sicher ordentlich einsauen, wenn er erst losrannte. Aber das war bei Weitem nicht das Dreckigste an seinem Job.
Randy grinste, stopfte sich die Knöpfe seines iPods ins Ohr und setzte sich in Bewegung.
Die Musik war sein einziger Begleiter. Er lief dieselbe Strecke wie immer, aber niemand begegnete ihm. Vielleicht war es noch ein bisschen zu früh. Aber das machte nichts. Er war gern allein hier.
Er konnte besser nachdenken, wenn der Weg wie ein Laufband vor ihm lag, eingerahmt von Bäumen und Sträuchern.
Sweet Dreams von den Eurythmics klopfte in seinen Ohren. Randy lief absichtlich langsam. Ungefähr so wie damals in der Schule beim Ausdauerlauf, wenn man nur versuchte, so auszusehen, als ob man rannte.
Er wollte nur ein bisschen ins Schwitzen kommen – nicht sich völlig verausgaben. Außerdem konnte er die Umgebung besser studieren, wenn er langsamer war. Seinen Blick über jedes Gebüsch streifen lassen, jeden Schatten studieren und in seinen Gedanken Bilder malen.
Die Ruhe brach viel zu früh.
Eine Katze huschte über den Weg, nur ein schneller, schlanker Schatten, der von links nach rechts schoss. Bald überholten ihn die ersten Läufer und Randy nahm es als Anlass, doch ein bisschen schneller zu laufen .
Einer der Stöpsel fiel aus seinen Ohren. In der Ferne rauschten die Autos über den Asphalt. Die Stadt hatte sich an ihn angeschlichen. Der Zauber war gebrochen.
Randy schnaufte und zog auf den anderen Ohrstecker heraus. Den letzten Kilometer joggte er in einem schnelleren Tempo. Inzwischen war sein Körper auf Betriebstemperatur. Der Sockenkäufer würde bekommen, was er sich wünschte.
Er würde übermorgen die Socken aus dem Umschlag ziehen, sie aus ihrer Einschweißfolie befreien und sich dann in seinem Geruch vergraben. Vielleicht würde er auf dem Bett liegen, den verschwitzten Stoff auf dem Gesicht, und sich dabei einen runterholen. Vielleicht streichelte er sich auch mit den Socken, oder streifte sie sich über den Schwanz.
Auf jeden Fall würde er dabei an ihn denken. Er würde sich mit seinem Duft betrinken und für eine kurze Zeit im Himmel seiner eigenen Ekstase schweben.
Neid regte sich in seiner Brust, wenn er daran dachte, wie einfach das war. Der Kerl ging einfach online und bestellte sich genau das, was er wollte. Online-Banking. Alles frei Haus.
Er blieb stehen, als er den Rand des Parks erreichte und die Sonne ihn plötzlich blendete. Wärme legte sich auf sein Gesicht. Ein paar hastige Wimpernschläge lang, konnte er kaum etwas sehen, dann bauten sich die Fassaden der Wolkenkratzer vor ihm auf. Gehwege voller Menschen. Straßen voller Autos, Mopeds und Fahrräder. Jede Menge Augen und Münder und jede Menge Gedanken in jeder Menge Köpfen.
Randy beobachtete sie für einen Moment und fragte sich, wie viele von ihnen getragene Wäsche im Internet bestellten, wie viele wohl schon mal für Sex bezahlt hatten, wie viele sich wohl ihren Partner bei einem Nümmerchen mit einem anderen vorstellten, und wie viele geheime BDSM-Fantasien hegten .
Dann senkte er das Kinn, steckte die Hände in die Taschen seiner Trainingsjacke und lief Richtung Zebrastreifen.
*
Das Vakuumiergerät brummte laut, als es die Luft aus dem Folienbeutel zog. Die Verpackung bog sich und auf der zuvor noch glatten Oberfläche erschienen Falten. Wie ein Blatt, dem man beim Vertrocknen im Zeitraffer zusah.
Randy zog den verschweißten Beutel aus dem Gerät und schaltete es ab. Er fischte sich einen Karton aus dem Stapel neben dem Kleiderschrank und warf die eingeschweißte Ware hinein. Mit routinierten Handgriffen zu den diversen Schubladen seines Schreibtisches, zauberte er Dekomaterialien und Süßigkeiten hervor. Ein Lolli in Herzchenform landete im Karton. Den undekorativen, durchsichtigen Folienbeutel wickelte er in rosafarbenes Wachspapier ein. Das wertete seine Sendung deutlich auf. Schließlich legte er noch eine Visitenkarte bei. Darauf standen die eMail-Adresse, die er für die Geschäfte benutzte und sein Pseudonym. Die Rückseite war mit einem Foto von ihm verziert. Auf dem Bild trug er eine dünne Maske, aber sein Mund und seine Augen waren perfekt in Szene gesetzt.
Wenn er dem Käufer zufällig auf der Straße begegnete, und er ihm tief in die Augen sah, würde er ihn vielleicht erkennen können. Randy lächelte und griff nach einem der zurechtgeschnittenen Fetzen Briefpapier und schrieb einen kleinen Dankessatz. Das machte es noch persönlicher. Es war wichtig, den Kunden im Gedächtnis zu bleiben, und was das betraf, wollte er sich nicht auf seinen Geruch allein verlassen .
Schließlich klebte er alles zu, schrieb die Adresse auf den Karton und machte sich auf den Weg zur nächstgelegenen Postannahmestelle.
Es erfüllte ihn mit einem Gefühl von Zufriedenheit, dem Postbeamten dabei zuzusehen, wie er eine Briefmarke auf den Karton klebte und ihn mit einem Stempel verzierte. Mit einem Stempel, der einem Betrachter zumindest einen kleinen Hinweis darauf liefern konnte, von wo er das Paket abgeschickt hatte.
Der Gedanke tanzte auf spitzen Zehen durch seinen Kopf und kitzelte sämtliche Neuronenbahnen.
Randy bezahlte, steckte den Kassenbon ein und ging nach Hause.
*
Auf der Geburtstagsfeier seines Onkels trug er einen String.
Ehrlich – er hasste die Dinger. Obwohl er zugeben musste, dass sein Arsch darin bombastisch gut aussah, nervte der Stoff. Das änderte leider nichts daran, dass es echt unbequem war. Das Stück zwischen seinen Pobacken scheuerte die ganze Zeit und rieb ihn langsam aber sicher wund. Zum Glück hatte der Kunde nur einen Tag gebucht. Für mehr hätte er bei dem Modell definitiv einen Aufpreis nehmen müssen ...
Es gab sicher einige in seinem Business, die das mit den Tagen nicht so genau nahmen. Aber bei ihm nicht ... bei ihm bekamen die Kunden genau das, was sie sich wünschten. Auch wenn es so wie heute echt unbequem war. Deal war Deal.
Einmal hatte er sogar zehn Tage lang denselben Slip für jemanden getragen. Sie hatten lange darüber verhandelt und am Ende war eine ganze Monatsmiete dabei für ihn abgefallen .
Normalerweise trug er die Sachen zwei bis drei Tage, manchmal auch fünf, selten länger. In diesen zehn Tagen hatte er es tunlichst vermieden, auszugehen. Manchmal war es echt schwer, Beruf und Privates zu trennen. Es hatte ihn auch selbst ein bisschen geekelt, den Slip so lange zu tragen, aber gleichzeitig hatte es ihn auch angemacht. Nicht der Geruch natürlich. Auf sowas stand er nicht.
Es war eher die Beobachtung seines eigenen Verhaltens gewesen. Dass er diese Grenze übertreten hatte. Einfach so.
Trotzdem ... ihm waren die normalen Geschäfte lieber. Fünfundzwanzig Dollar für einen eintägigen Slip oder eine Shorts – das war optimal. Meistens blieb es ja nicht dabei. Viele Kunden wollten mindestens einen Orgasmus dazu, Tragefotos, bei denen er sich mit Lippenstift ihren Vornamen auf den Bauch schrieb, oder hatten andere Sonderwünsche, die extra kosteten.
Randy lehnte an der Wand neben dem Wohnzimmerfenster und nippte an seinem Sekt. Sein Blick streifte die anderen Gäste. Von denen hatte natürlich keiner eine Ahnung, worum seine Gedanken gerade kreisten. Wahrscheinlich hatte auch noch keiner von denen je einen Kerl im String-Tanga gesehen.
Seine Eltern standen mit zwei jungen Frauen zusammen, die in pastellfarbene Kleider gehüllt waren. Eins rosa eins hellblau. Beide waren hübsch. Also sowohl die Kleider als auch die Trägerinnen.
Ein paar Meter weiter saßen seine Cousins und zeigten sich wohl gegenseitig Fotos auf ihren Smartphones. Vielleicht sollte er dazustoßen. Sich auf den neusten Stand bringen lassen.
Randy fing den Blick seiner Mutter auf.
Sie hatte sich hübsch zurechtgemacht, die dunklen Locken in einen schwerelos wirkenden Dutt gebunden. Sie trug das dunkelviolette Kleid, das ihr so gut stand, und irgendwie schien sie es auch geschafft zu haben, seinen Dad in einen adretten Anzug zu stecken. Sie sahen wirklich gut zusammen aus.
Als sie die Brauen hob, lächelte Randy und ging zu ihnen hinüber. Sie begrüßte ihn mit einem Kuss auf die Wange und zog ihn dann neben sich.
„Das ist übrigens mein Sohn, Randolf. Er ist Künstler.“
Randy neigte den Kopf, um die anderen in der Runde zu grüßen. „Randy. Armer Künstler, muss ich ergänzen, fürchte ich.“
Die beiden Frauen lächelten. Die im rosafarbenen Kleid verabschiedete sich aus der Runde, aber die zweite – Claudia – blieb. Sie hatte blondes Haar und trug es in einem lose geflochtenen Zopf. Randy wusste sofort, was seine Mutter an ihr mochte.
Und es wunderte ihn auch nicht, dass sie ihn bald allein stehen ließ. Allein mit Claudia. Einem netten Mädchen. Single natürlich, und mit einem angenehmen Lachen. Sie arbeitete in der Buchhaltung einer Versicherungsfirma, hatte eine Schwester und interessierte sich für Kunst.
Sie gefiel ihm. Es war leicht, sich mit ihr zu unterhalten.
Es war wie beim letzten Mal. Bei Catherine. Da hatte es genauso begonnen, nur war es da Thanksgiving gewesen. Seine Mutter war gut im Kuppeln, gut im Auswählen. Und er war ein braver Sohn.
Er wusste, dass es sie glücklich machte. Er wusste, dass es ihr Hoffnung gab.
Seine Eltern hatten kein Drama daraus gemacht, als er ihnen erzählt hatte, dass er bi war. Sie hatten sich so verhalten, wie man es sich erhoffte. Zumindest hatten sie es versucht.
Trotzdem ... nach seiner Trennung von Lucas hatte er deutlich gemerkt, dass sie ihn lieber mit einer Frau sehen würden. Immerhin stellten sie ihm nie hübsche, angenehme Kerle vor.
Sie redeten nie auf ihn ein. Es gab keine Diskussionen. Eigentlich gab es diesen sanften Druck, den er da fühlte, gar nicht. Er konnte tun, was er wollte und sie würden es akzeptieren.
„Wie hältst du dich über Wasser, wenn es mit der Kunst gerade nicht so gut läuft?“, fragte Claudia und riss ihn damit aus seinen Gedanken. Ihre hellen Augen blickten ihn aufmerksam an.
Sollte er ihr das wirklich verraten? Letztendlich erzählte er das, was er meistens erzählte, wenn sich Gespräche in diese Richtung entwickelten.
„Wenn es eng wird, verkaufe ich alte Klamotten. Online.“
„Designer-Klamotten?“ Sie lächelte. „Ich habe auch schon hin und wieder etwas bei eBay eingestellt, aber ich bin schon froh, wenn ich überhaupt etwas dafür bekomme.“
Er zuckte mit den Schultern. „Nein, ganz normales Zeug. Ich habe wohl ein glückliches Händchen. Ich werde immer alles los.“ Er grinste und entschloss sich, dieses Mal einen Schritt weiterzugehen. „Vielleicht steckt hinter den Käufern ja auch immer derselbe ... ein reicher Stalker, der darauf steht, alle meine abgetragenen Sachen zu besitzen? Wer weiß.“
Claudia lachte und Randy war sich nicht sicher, ob sie ihn nur lustig oder ab jetzt auch seltsam fand.
„Ich glaube, in dem Fall würde ich lieber auf das Geld verzichten.“
Randy verkniff sich den Kommentar, dass sie da wohl sehr unterschiedliche Ansichten hatten. Das war oft so. Vielleicht tat es ihm gut, mit solchen Menschen zusammen zu sein. Mit jemandem wie Claudia .
„Möchtest du auch ein neues?“, fragte sie und deutete auf sein Glas.
Er nickte und sie nahm es ihm ab. „Danke.“
Als sie ging, zog er sein Handy aus der Tasche seiner feinsten Hose für offizielle Anlässe und überprüfte sein Postfach. Er stöberte gerne in den Mails herum, die vom Wäscheportal kamen. Vieles davon war nichts, das sich in Geld umwandeln ließ. Von zehn Nachrichten führte nur eine am Ende zu einem Verkauf. Die anderen waren Kerle, die sich einfach nur an den Nachrichten aufgeilten.
Manche wollten Fotos für lau, andere versuchten, mehr über ihn zu erfahren. Von seinen Rasurvorlieben bis hin zu allgemeinen Dingen wie seinem Wohnort. Meistens antwortete er ihnen trotzdem. Weil es ihm gefiel, einen Einblick in die Köpfe dieser fremden Männer zu bekommen.
Nirgends gaben Fremde so viel von sich preis wie im Internet. Und das betraf auch ihre intimsten Fantasien.
In seinem Posteingang befanden sich zwei Nachrichten. Eine beinhaltete den Wunsch nach einem neuen Video. Er sollte sich dabei filmen, wie er mit einer Latte aufs Klo ging. Ein alter Hut. Er würde dem Kerl nachher seine Preisvorstellung schicken.
Der Zweite fragte nach Haaren, aber es war nicht zu erkennen, ob er Kopfhaare oder Schamhaare meinte. Randy zuckte mit den Schultern. Er würde später nachfragen.
Gerade als er das Fenster wieder schließen wollte, poppte eine dritte Mail auf.
20% Rabatt für deine geheimsten Fantasien.
Schon der Betreff schrie nach Werbespam. Trotzdem öffnete er die Nachricht. Es schadete ja nicht, zu beobachten, was auf dem Markt für geheime Fantasien noch so passierte .
Die Aufmachung der Mail ließ ihn die Stirn runzeln. Es war kein hingeklatschter Text von wegen „Sexy Typen aus deiner Nähe wollen ficken“ sondern eine Art Newsletter mit einem richtigen Design. Dunkelgrau und Gold. Schöne Kombination.
Seine Augen schafften es gerade noch, das Wort Wunscherfüller zu lesen, bevor jemand ihm ein volles Sektglas unters Gesicht hielt. Er steckte das Handy ein. „Danke sehr.“
Einen Moment lang musterte er das kleine Feuerwerk in seinem Glas.
„Ziemlich spritzig.“ Claudia lächelte. „Habe ich auch schon bemerkt.“
Randy nickte.
Er hätte das Gespräch fortsetzen sollen. Sich nach Claudias Hobbys erkundigen oder nach den genaueren familiären Zusammenhängen, die sie auf die Feier seines Onkels führten. Aber jetzt gerade ging das nicht. Seine Gedanken prickelten.
Er prostete ihr zu, nahm einen Schluck Sekt und sagte dann: „Ich müsste mal kurz zur Toilette.“ Es war sicher nicht der charmanteste und eleganteste Weg, aus der Situation herauszukommen, aber aufs Handy zu starren, während sie ihm Gesellschaft leistete, war es auch nicht.
Er würde nur kurz diese Mail lesen. Mit einem entschuldigenden Lächeln auf den Lippen machte er sich auf den Weg zum Badezimmer.
Randy drehte den Schlüssel, zog das Handy aus der Tasche und setzte sich damit auf den Badewannenrand. Gespannt öffnete er das Fenster mit der E-Mail.
Bad Dreams – Neueröffnung – Werde jetzt Kunde und sichere dir 20% Rabatt auf deine geheime Fantasie !
Buche einen oder mehrere unserer begehrten und auf Qualität geprüften Wunscherfüller, um dein Kopfkino wahrwerden zu lassen. Ein Gangbang mit fünf sexy Mechanikern in einer Autowerkstatt? Ein Pizzabote, der exklusiv bei dir noch mehr ausliefert als nur deftiges Essen? Oder ein heißer Unbekannter, der dich in seinem Auto mitnimmt und dich erst wieder aussteigen lässt, wenn er mit dir fertig ist?
Sich dreckige Träume zu erfüllen, war noch nie so leicht wie jetzt. Trau dich, klick dich rein und buche deinen ganz individuellen Trip ins düstere Wunderland von Bad Dreams.
Randy befeuchtete seine Lippen, während er auf den Textblock starrte.
Wie er in diesen Newsletterverteiler gekommen war, fragte er sich gar nicht erst. Diese Leute hatten voll ins Schwarze getroffen. Das war ein bisschen unheimlich, aber zugleich kribbelten seine Fingerspitzen und tippten ganz von selbst auf den Link, der zur Website des Anbieters führte.
Das Portal, das sich öffnete, wirkte überraschend seriös. Keine pornografischen Bilder, keine schreienden Schriftfarben. Alles hatte irgendwie ... Stil, und das machte ihn nur noch neugieriger.
Gab es wirklich eine Art Firma, die sich darauf spezialisiert hatte, besondere Sexfantasien zu verwirklichen? Das musste ja bedeuten, dass es einen großen Markt dafür gab. Träumten wirklich so viele Leute davon, von fünf Automechanikern durchgenommen zu werden?
Randy schmunzelte.
Er entdeckte schnell die Maske, über die man sich seinen individuellen Wunsch zusammenstellen konnte. Man musste ein paar Angaben zu sich selbst machen und konnte auswählen, wie viele „Erfüller“ man brauchte, welches Alter und Geschlecht sie haben sollten .
Männlich, 30-35.
Dann konnte man aus einer Liste von Schlagworten auswählen, zu welcher Kategorie das Vorhaben gehörte. Nach jeder Auswahl, die er tätigte, wurden die Punkte, die er anklicken konnte, spezifischer.
Die Tags erinnerten ihn an Pornowebseiten. Von „anal“ bis „Zuschauen“ gab es alles, aber auf dem kleinen Handybildschirm wurde es zunehmend schwerer, den Überblick zu behalten und ordentlich zu navigieren.
„Randolf?“ Das Handy rutschte aus seinen Fingern und plumpste auf den flauschigen, grünen Badezimmerteppich. Eilig hob er es wieder auf und spähte zur Tür, als bestünde die Gefahr, dass seine Mutter hereinkam, und sah, womit er sich gerade beschäftigt hatte. „Bist du noch im Bad?“
„Ja, Mom. Mir geht es gut, es war wahrscheinlich nur ein bisschen zu viel Chili.“
Er stand vom Wannenrand auf und betrachtete sich im Spiegel. Die Stoffhose war zum Glück locker geschnitten und verbarg die Spuren einer beginnenden Erektion. Randy biss sich auf die Lippe, sperrte das Handy und steckte es wieder in sein Jackett. Das hier war nicht der richtige Ort, um dieser Website weiter auf den Grund zu gehen.
Nach einem tiefen Atemzug drückte er die Klospülung und drehte dann das Wasser am Waschbecken auf, um sich Hände und Gesicht zu waschen. Dann mischte er sich wieder unter die Partygäste.
Die Musik lief, die Gruppen hatten sich neu gemischt und alles war so bunt und hübsch arrangiert wie zuvor. Es fühlte sich nur nicht mehr an wie vorhin. Als hätte der düstere Schleier von Bad Dreams sich darübergelegt.
Claudia entdeckte ihn und winkte ihn zu sich .
Artig reihte Randy sich in den Gesprächskreis ein und lächelte allen zu. Claudia drückte ihm sein angefangenes Sektglas von vorhin in die Hand. Sie war wirklich aufmerksam. Randy nippte daran. Inzwischen hatte das Prickeln deutlich nachgelassen, wie bei Mineralwasser, das man zu lange offenstehen gelassen oder geschüttelt hatte.
Nur das Prickeln in seinem Kopf ließ nicht nach.
Den Gesprächen über den Hausbau der Harringtons, die Einschulung der Erstgeborenen und all diesen Sachen konnte er nicht folgen. Die Stimmen streiften seine Ohren, aber die Bedeutung der Worte blieb nicht hängen.
Wenn ihn jemand anschaute, nickte er zustimmend und setzte schnell wieder das Glas an die Lippen.
Es half nichts. Er hing noch in einer anderen Welt fest und etwas in ihm wollte partout nicht hierher zurück. Gleichzeitig fühlte er sich wie ein Kuckuckskind. Seiner Familie untergeschoben. Ein kleines Monster in einem Nest voller zwitschernder Küken.
Keiner hier war wie er. Er war nur gut darin, sie alle zu täuschen. Auch gut darin, sich selber zu täuschen. Er hätte nach Claudias Telefonnummer fragen und sich in zwei Tagen mit ihr verabreden sollen. Sie würden hübsch essen gehen und in ein paar Wochen wären sie vielleicht ein Paar. Wenn es gut lief, würden sie sich irgendwann verloben und heiraten.
Aber ... um damit glücklich zu werden, musste man wollen , dass es gut lief.
Jetzt gerade wollte er nur wissen, wie viel sein Wunsch nach Abzug von zwanzig Prozent Rabatt kosten würde.
*
Mit aufgeknöpftem Hemd und geöffnetem Gürtel ließ Randy sich auf den Schreibtischstuhl fallen und startete seinen Rechner.
Müdigkeit beherrschte jeden Muskel, aber er wusste viel zu gut, dass er keinen Schlaf finden würde, bevor er sich nicht genauer auf dieser Internetseite umgesehen hatte. Also öffnete er ein drittes Mal die E-Mail, öffnete den Link und begann nochmal von vorn.
Auf dem großen Monitor entfaltete sich die Seite ganz anders.
Der Cursor huschte von einem Feld zum nächsten. Neugier kämpfte gegen schwerer werdende Lider. Ein herzhaftes Gähnen ließ seine Kiefer knacken und trieb ihm Tränen in die Augenwinkel.
Ein Wunscherfüller. Männlich. 30-35 Jahre alt.
Eigene Angaben: Männlich. 25 Jahre alt. Bisexuell. Großraum NYC.
Einzelwunsch. Überwältigung. Vermummt. Nachts. Outdoor.
Der nächste Klick brachte ihn zu einer Art Katalog-Übersicht. Hier waren drei Männer aufgelistet, die für seine Vorstellungen in Frage kamen. Es gab anonymisierte Fotos und ein paar Angaben wie Nickname, genaues Alter, Größe, einen individuellen Text und eine Sternebewertung.
Randy schüttelte den Kopf. Er war sich nicht sicher, worüber.
Über die Tatsache, dass es diese Website wirklich gab? Darüber, dass es in seiner Umgebung ganze drei Typen gab, die bereit dazu waren, gegen Geld so eine Dienstleistung anzubieten? Oder darüber, dass er schon wieder hart wurde?
War es wirklich das, wonach es aussah? Konnte er hier jemanden buchen, der nachts auf offener Straße über ihn herfiel? Oder war das ein riesengroßes Missverständnis ?
‚Ich steh drauf, dich brutal ranzunehmen und an deine Grenzen zu bringen.‘ Das schrieb ‚Morpheus‘, der erste auf der Liste seiner potenziellen Wunscherfülller. Er hatte schon vier Bewertungen, obwohl dieses Unternehmen ja scheinbar erst vor kurzem seine Tätigkeit aufgenommen hatte. Beeindruckend.
Sein Blick wanderte weiter. Wächter . Seltsamer Deckname.
‚Ich bin neu in der Stadt.‘ Randy schmunzelte müde. Nicht unbedingt die beste Art und Weise, sich zu vermarkten. Sein Foto machte diesen Job deutlich besser. Es sah ziemlich professionell aus, nicht wie ein schnell gemachtes Selfie vor dem Spiegel. Ein Mann vor einer Backsteinmauer. Eine Hand zog das Shirt hoch und enthüllte den Ansatz wohlproportionierter Bauchmuskeln. Die andere Hand war gerade dabei, die Hose zu öffnen. Das Licht kam schummrig von schräg oben, sodass man sich leicht eine Laterne neben einer dunklen Seitengasse dazu vorstellen konnte, deren Schein ihn noch gerade so erreichte.
Randy klickte seinen Namen an, ohne sich den dritten auch nur genauer angesehen zu haben.
Aus einem Kalender konnte er nun bis zu drei Termine auswählen. Außerdem gab es ein großes Textfeld für individuelle Angaben. Auf dem Button darunter stand „Anfrage absenden“, außerdem leuchtete eine Meldung auf, die ihn auf die notwendige Nutzung von Kondomen, die AGB und die firmeneigenen Sicherheitshinweise aufmerksam machte.
Viel interessanter war aber noch die Zahl am unteren Rand des Formulars. 380 Dollar abzüglich 20 Prozent Rabatt.
304 Dollar. Der Preis für seine Fantasie.