Kapitel 4
Jeder Atemzug kribbelte, als wäre die Luft, die er einatmete voller winziger Explosionen.
Randy fühlte seinen ganzen Körper. Fühlte den Stoff jedes einzelnen Kleidungsstücks, das er für heute ausgewählt hatte. Fühlte die Turnschuhe an seinen Füßen, obwohl es welche von der extraleichten Sorte waren. Fühlte das Lied, das aus seinen Ohrstöpseln kam, durch seine Adern fließen.
Die Stadt beobachtete ihn, als er in die Bahn stieg, die ihn raus Richtung Park bringen würde. Nicht die Leute natürlich ... die verhielten sich wie immer. Es waren die Gebäude, die sich hoch über seinen Kopf streckten, die Laternen, die Bäume, der kühle Wind.
Hätten die Menschen auf seinem Weg gewusst, wohin er unterwegs war, hätten sie die Köpfe geschüttelt – das wusste er. Sie hätten ihn leichtsinnig genannt, oder wahnsinnig. Und sie hätten auch ein bisschen recht damit gehabt.
Was er hier tat, war definitiv ein Risiko.
Auch, wenn alles irgendwie abgesprochen war, wusste er nicht, was am Ende passieren würde. Wer da kam, und wie es sein würde. Eine Fantasie im Kopf zu haben, war etwas völlig anderes, als sie in die Realität zu übertragen.
Das hatte auch in dem ewiglangen Pamphlet gestanden, das Bad Dreams ihm im Bestellverlauf zugesendet hatte. Er hatte mehrmals bestätigen müssen, dass er zustimmte. Dass er sich sicher war. Zusätzlich hatten sie ihm ein Codewort aufgezwungen, das er rufen sollte, wenn er die Aktion doch abbrechen wollte.
Randy schnaubte. Das war ja nett, aber irgendwie knabberte es auch an der Atmosphäre. Es ging doch gerade um den Gedanken, unterlegen und wehrlos zu sein. So einen Nothebel zu haben ... das ergab in seiner Fantasie keinen Sinn und deswegen hatte er sich auch vorgenommen, das auszuklammern.
Die Bahn hielt und er stieg aus.
Das restliche Stück zum Park ging er zu Fuß. Sein Körper fühlte sich an, als hätte er eine permanente Gänsehaut. Alles kribbelte – von oben bis unten. Vorfreude, Neugier, Angst und Unsicherheit vermischten sich jede Sekunde neu, umtanzten einander und wechselten sich bei der Vorherrschaft über seine Gedanken stetig ab.
Manchmal wurden seine Schritte für ein paar Sekunden langsamer, aber er dachte keinen Moment lang daran, umzukehren.
Der Park lag so ruhig und finster da wie an den anderen Morgenden und Abenden, an denen er ihn besucht hatte. Ein leichter Wind bewegte die Blätter der Bäume und die Laternen im Außenbereich warfen ihre Lichter auf die dunkelgrünen Sträucher und das Schild mit den Besucherhinweisen. Hunde mussten angeleint werden. Müll war in die dafür vorgesehenen Behälter zu entsorgen. Offenes Feuer war nicht gestattet.
Randy passierte die Infotafel. Vor ihm lag der Weg, der in den Park hineinführte. So wie jedes Mal. Nicht mehr oder weniger bedrohlich.
Eine Frau mit zwei Hunden kam ihm entgegen und verließ den Park, während er ihn betrat. Er warf einen Blick auf sein Handy. Es war kurz nach ein Uhr und mitten in der Woche. Mit viel mehr Gesellschaft war nicht zu rechnen .
Die populärsten Clubs lagen tiefer im Kern der Stadt und würden hier und um diese Zeit nicht viele Heimreisende produzieren, die ihm über den Weg laufen konnten. Die morgendlichen Jogger und Gassigeher kamen erst ab fünf hierher. Wenn er am Ende des Parks ankäme, wäre es kurz vor zwei ... ein einsames Zeitfenster.
Randy kontrollierte den Sitz seiner Ohrstöpsel und rannte los.
Schon nach ein paar Metern musste er das Tempo drosseln. Sein Körper war so in Aufruhr, dass nicht genug Atem für straffes Jogging drin war.
Also machte er langsamer, versuchte, sich an den Takt seines lauten Herzschlags und der Musik anzupassen.
Er versuchte, seine Gedanken abzuschalten. Einfach nur zu laufen und die kühle Luft zu atmen. Es gelang ihm kaum. Alles in ihm war so voller Erwartung ... und obwohl er den Blick stur geradeaus richtete, hatte er das Gefühl, den ganzen Park zu sehen. Als flöge er selbst über sich hinweg.
Gleichzeitig war er so fest in sich verankert, dass er alles so genau wahrnahm wie sonst nie: Die Steine unter seinen Sohlen, den Geruch der Bäume, sogar das Geräusch seiner Schritte hinter der Musik, die in seinem Kopf wummerte.
Die Äste der Baumkronen streckten sich wie Arme über ihn hinweg, formten den Tunnel, durch den er lief. Es war dunkel hier, in der Mitte des Parks. Die Laternen standen so weit entfernt voneinander, dass ihre Lichtkreise sich nicht berührten, und die finsteren Bereiche dazwischen am Wegesrand ließen viel Platz für dunkle Fantasien.
Eine seltsame Müdigkeit befiel seine Beine, als er an die dritte Abzweigung seiner Route kam. Mehr als die Hälfte des Weges lag hinter ihm. Randy wurde langsamer und zog beim Laufen nochmals sein Handy hervor. Kurz nach halb zwei. Er schluckte und verstaute es dieses Mal nicht in seinem Sweatshirt, sondern in der Gürteltasche, die er sich heute umgelegt hatte. Sie war neongelb und mit Reflektorbuchstaben verziert, die das Wort ‚active ‘ ergaben – eine Hälfte dessen, was er als Erkennungsmerkmal angegeben hatte.
Die andere Hälfte stellte das Armband dar, das er sich extra für heute angefertigt hatte. Mit Steinen, die sich am Tageslicht aufluden und im Dunkel leuchteten. Am linken Handgelenk.
Zwei kleine Details, die wie zwei Striche das Kreuz auf der Schatzkarte formten, damit der Wächter wusste, bei wem er zuschlagen sollte.
Er trieb sich dazu an, wieder schneller zu laufen. Wenn er zu langsam war, ging der Kerl vielleicht einfach wieder nach Hause. Ein Gedanke, der ihm eine andere Art von Angst machte als die, die gerade in seinen Adern prickelte.
Aus den Ohrstöpseln kam Dangerous Night von 30 seconds to mars. Randy hatte das Gefühl, darüber zu lächeln, aber sein Gesicht fühlte sich so seltsam an, dass er sich nicht sicher war, ob die Muskeln sich bewegten, oder ob seine Mimik vor Anspannung komplett eingefroren war.
Wie albern, dass er sich gestern noch vorgestellt hatte, er würde loslaufen und versuchen, gar nicht daran zu denken, was ihn am Ende seines Weges erwartete. Wie ein Kind, das sich vornahm, nicht an Geschenke zu denken, wenn der Weihnachtsabend nahte.
Es funktionierte nicht. Er dachte nicht nur daran – er war der Gedanke. Alles kreiste darum und er konnte sich nicht dagegen wehren. Jeder Versuch, seine Aufmerksamkeit auf etwas anderes zu richten – und wenn es nur der Liedtext war – scheiterte .
Seine Sicht flirrte, als mit dem nächsten Blinzeln der Rand des Parks in Sicht kam. Da vorn hinter den Sträuchern blitzen die Lichter von Reklametafeln wie weit entfernte Sterne.
Unvermittelt blieb er stehen. Für ein paar Sekunden konnte er nur atmen und den Herzschlag fühlen, der direkt unter seinem Kinn saß. Er krümmte die Finger in den Stoff seines Sweatshirts und ging weiter. Im Fußgängertempo.
Er wollte sich nicht umsehen. Er wollte ihn nicht kommen sehen.
„Gott“, flüsterte er tonlos und atemlos zu sich selbst. Er war so verdammt aufgeregt, dass es ein neues Wort dafür brauchte. Noch immer kitzelte jeder Zentimeter Haut, und sein Herzschlag schien eine Art Echo zu produzieren, das in seinem ganzen Körper widerhallte.
Mit jedem Schritt wurde die Musik leiser und der innere Aufruhr lauter.
War er überhaupt hier? Oder hatte er vielleicht kalte Füße bekommen?
Noch immer widerstand er dem Drang, sich umzuschauen.
Stattdessen blieb er stehen und öffnete mit der linken Hand den Reißverschluss der Gürteltasche, um sein Handy herauszuholen. Vielleicht war er ja zu spät. Oder zu früh?
Mit kalten Fingern wischte er über das Display. Nein. Er war genau richtig. Zwei Minuten vor zwei.
Eilig steckte er das Telefon wieder ein und verschloss die Tasche. Nun wandte er doch den Kopf, blickte nach rechts zu den letzten Bäumen, die sich über die Wiese und fast hinaus bis zu der Kreuzung an der Ecke streckten. Auch auf dieser Seite des Parks stand eine Infotafel, deren Schatten im flackernden Licht der Laternen immer wieder mit der Dunkelheit verschmolz.
Ein Ruck ging durch seinen Körper .
Finger wie kaltes Metall umschlossen sein linkes Handgelenk wie Fesseln, zogen an ihm.
Randy japste nach Luft. Aus dem Gleichgewicht geraten wirbelte er herum, taumelte vom Weg herunter. Das Geräusch von Schuhsohlen, die über den Sand rutschten, schnitt in seine Ohren.
Obwohl ihn jemand gezogen hatte, stieß er mit niemandem zusammen. Nein, der Typ stand längst nicht mehr neben ihm. Er war hinter ihm. Und er drehte ihm den Arm auf den Rücken.
Randy verzog das Gesicht und keuchte unter dem harschen Schmerz, der sofort durch seine Schulter zuckte. Trotzdem wand er sich, mehr aus Reflex als aus einer Überlegung heraus.
Mit dem freien Arm wedelte er herum, versuchte, nach hinten zu greifen, aber da war nur Luft.
Wieder verlor er die Kontrolle über seine Füße und sein Gleichgewicht.
Der andere war stark. Er trieb ihn hastig vom Weg herunter. Gräser und Blätter raschelten. Es wurde wieder dunkler um ihn herum. Die Lichter der Straße entfernten sich.
Widerwillig folgte er dem Druck, stolperte voran, weiter zurück in die Schatten.
Er bekam seinen Arm nicht frei und der Schmerz pochte weiter ungehemmt in seinen Muskeln. Frustration und Pein vermischten sich zu einem heiseren Schrei, der sich nur mit Mühe aus seiner Kehle pressen ließ und so viel leiser klang, als er ihn sich vorgestellt hatte. Als würde er im Traum schreien. Ohne Stimme.
Sein Herz pochte nicht mehr wie vorhin. Es trommelte nicht, sondern sprang wie ein Flummi mit zu viel Kraft und auf zu engem Raum eingeschlossen von einer Wand gegen die nächste .
Die Panik beherrschte seinen Körper. Adrenalin kribbelte in seinen Venen, jeder Atemzug schien seinem Körper zu wenig zu sein, und doch ging alles weiter.
Die fremden Hände kontrollierten seinen Körper scheinbar ohne große Probleme. Weil er seine Arme nicht bewegen konnte, riss Randy den Kopf so weit herum, wie er konnte. Um wenigstens einen Blick auf den Kerl zu erhaschen. Was er sah, waren nur konturlose Schatten. Er konnte sich nicht weit genug drehen und zu dunkel war es auch. Das einzige, was er mit der Bewegung erreicht hatte, war, seine Ohrstöpsel loszuwerden. Sie verloren sich im Kragen seines Sweatshirts.
Nun hörte er ihn. Schnelle, flache Atemzüge. Wie ein getriebenes Tier. Für einen Moment ganz hypnotisiert von diesem Reiz, verstand Randy nicht sofort, woher der plötzliche Druck auf seinen Schultern rührte.
Instinktiv stemmte er sich dagegen, aber seine Knie waren viel zu weich, um lange standzuhalten. So fand er sich Sekunden später auf dem grasbedeckten Boden des Parks wieder, beide Arme auf dem Rücken.
Seltsamerweise fühlte er den Sturz nicht. Sein Gesicht und sein Oberkörper schmiegten sich geradezu sanft gegen den Boden. Er roch Gras und Erde und plötzlich ließ die Hand seinen Arm los. Randy stöhnte vor Schmerzen, als er ihn endlich aus der unbequemen Lage befreien konnte, brachte ihn neben sich auf den Boden, um sich wieder hochzustemmen, aber der andere ließ ihn nicht. Er packte ihm im Nacken und hielt ihn an Ort und Stelle fest. Im Dreck.
Randy spie seinen heißen Atem gegen die Grashalme, die ihn im Gesicht kitzelten.
Was für ein frustrierender Kampf. Er hatte gar keine Chance. Von Anfang an keine gehabt .
Die andere Hand riss am Bund seiner Sporthose. Kalte Finger zogen ihm den wärmenden Stoff von den Hüften. Nur bis zu seinen Knien, die sich in den weichen Boden der Parkwiese bohrten.
Die Boxershorts waren als Nächstes dran, aber nicht ganz so leicht auszuziehen ... Randy stöhnte, als der eng sitzende Bund über seine Erektion rieb. Wie hart er war, hatte er bis eben gar nicht wahrgenommen. Jetzt aber fühlte es sich an, als würde diese Erkenntnis alles andere anzünden.
Kribbelnde Schauer überliefen seine Schultern, als das Bild, das er von sich selbst vor seinem inneren Auge sah, immer klarer wurde. Er kniete vor diesem Kerl, streckte ihm den nackten Hintern wie eine Einladung entgegen, während der Rest seines Körpers in nutzloser Untätigkeit unterging. Er schaffte es nicht mal, seine Arme nach vorn zu bewegen, weil der andere ihn noch immer am Nacken ins Gras drückte.
Er konnte nicht viel tun. Er hätte versuchen können, mit den Beinen nach hinten zu treten, aber das fühlte sich wie eine rein theoretische Möglichkeit an – nicht wie etwas, das er tatsächlich tun konnte. Oder wollte.
Das kleine Monster, das in den Schatten seiner dunklen Gedanken lebte, wollte genau das hier. Es wollte, dass dieser Mann, den er nicht kannte, ihn auf den Boden drückte und ihm keine Chance ließ. Und, dass er ihn sich nahm.
Randy drehte den Kopf zur Seite, um seinen Nacken zu entlasten, und seinen harschen Atemzügen den Weg nach draußen zu erleichtern. Die Ohrstöpsel seines iPods lagen unter ihm, aber die Musik war nur noch als leises, verzerrtes Geräusch zu hören.
Irgendwo in der Ferne nahm er die Geräusche des Straßenverkehrs wahr. Das Dröhnen der Motoren kam ihm wie bloße Einbildung vor. In seinen Ohren klopfte sein Puls und über allem lag das Keuchen des Fremden.
Obwohl er wusste, was passieren würde ... was passieren musste , zuckte er, als er den Druck an seinem Eingang spürte. Ohne Warnung, ohne Vorbereitung, ohne ein einziges Wort.
Ein halb erstickter, viel zu hoch klingender Laut kam aus seinem Mund. Ein Geräusch, das er noch nie von sich selbst gehört hatte. Randy kniff die Augen zusammen. Der Fremde setzte sich mit purer Kraft über den Widerstand seines Körpers hinweg, drang mit solcher Selbstverständlichkeit tief in ihn ein, dass ihm kurz schwindelig wurde.
Gott ...
Seine Finger gruben sich in den Boden. Weiter, noch weiter. Sein Inneres pochte, als wolle es ihm dadurch klarmachen, dass da ein Fremdkörper war, dabei war er sich noch keiner Sache je so bewusst gewesen.
Randy atmete zitternd ein, als der andere sich wieder ein Stück aus ihm herauszog. Die ersten Stöße brannten wie die Schnitte einer stumpfen Klinge. Sein Körper wehrte sich, obwohl er selbst sich längst ergeben hatte, aber in jeder neuen Schmerzwelle steckte auch dieser elektrische Impuls, der ihm immer wieder neue Stromschläge durch den Unterleib jagte. Sein Schwanz pochte vor Geilheit. Bei jedem einzelnen Stoß fühlte es sich an, als würde er gleich kommen.
Randy stöhnte. Die Gedanken darüber, dass sie an einem öffentlichen Ort, mitten in der Stadt waren, dass er wahnsinnig sein musste, sich hierauf eingelassen zu haben und dass er nicht mal wusste, ob der Kerl ihn gerade mit oder ohne Gummi fickte, und wie er am Ende nach Hause kommen sollte, bröckelten wie alter Putz von der Mauer, die ihn umgab. Der Wächter legte alles blank .
Schnelle, kurze Stöße, denen sein Körper immer mehr nachgab. Die Hand in seinem Nacken schmerzte nicht mehr, drückte nicht mehr – hielt ihn vielmehr in dieser Welt aus Realität und Wunschtraum fest, die ihm sonst abhandengekommen wäre.
Er war kein Masochist ... oder vielleicht doch ein bisschen. Aber der Schmerz war nicht das, was ihn so geil machte. Es war der Gedanke, dass der Fremde ihn so sehr wollte, dass alles andere keine Rolle mehr spielte. Dass er ihn sich nehmen musste. Seine festen Handgriffe, die schnellen, groben Bewegungen ... es war die pure Verzweiflung. Unbändiger Hunger. Und er war die Beute.
Das Aufeinanderprallen ihrer Körper fühlte sich so urtümlich an. Als folgten sie beide nur einem Naturgesetz, das besagte, dass der Wächter nun mal ein Recht darauf hatte, ihn zu ficken.
Er kniff die Augen zusammen.
Sein Orgasmus brach genauso plötzlich über ihn herein wie der Angriff selbst, riss seine Gedanken von den Füßen und legte alle Sorgen in Ketten. Nur pulsierende Wonne blieb übrig, ganz tief in ihm drin. Eine wahnsinnige Leichtigkeit, die dem Gefühl der Grashalme in seinem Gesicht und der Erde unter seinen Fingerkuppen nicht zu widersprechen schien.
Eine samtig tiefe Stimme drang zu ihm in diese erhabene Welt, ohne dass Randy realisierte, was sie bedeutete. Zwischen seinen tiefen Atemzügen war kein Platz für Fragen oder Zweifel.
Nur langsam kroch Wirklichkeit wieder zu ihm heran. Wie eine streunende Katze, die einen herumliegenden Happen beschnupperte ... Ferne Verkehrsgeräusche, irgendwo auf einem der Wege neben ihnen ein Fahrrad, das im Leerlauf dahin rollte, Grillenzirpen in den Sträuchern .
Der Druck war aus seinem Nacken verschwunden. Randy hob den Kopf und bewegte ihn vorsichtig hin und her. Dann kippte er sich auf die Seite und blickte hinüber zu dem Kerl. Zu dem Wächter .
Neugier leuchtete wie eine Stichflamme auf, und eine seltsame Euphorie spendete seinen Gliedern neue Kraft. Wow ... kein Zweifel mehr: Er war wirklich ziemlich verrückt. Und dieser Typ war es auch. Sekundenlang starrte er ihn einfach nur an und versuchte, zu realisieren, während er dabei zusah, wie der Kerl sich das Kondom vom Schwanz zog und einen Knoten in den Gummi machte.
„Bist du okay?“, fragte der Wächter. Er trug eine Maske, die zwar die Augen freiließ, aber sonst sein ganzes Gesicht bis kurz über die Lippen abdeckte.
Randy musste lachen. Ein Glucksen kam aus seinem Mund.
„Fällst du nicht ein bisschen aus der Rolle?“
Der andere zögerte, schien irritiert von seiner Reaktion zu sein. Er zog sich eilig die Hose wieder hoch.
„Mir geht’s gut. Danke der Nachfrage.“ Randy grinste und zog sich ebenfalls wieder an. „Das war geil. Ich hätte nicht gedacht, dass es so sein würde.“ Er runzelte die Stirn. „Na ja, ehrlich gesagt hatte ich keine Ahnung, wie es sein würde. Aber ich war bereit, einen wunden Arsch zu riskieren. Und ich schätze, ich hab noch ein bisschen mehr bekommen als das.“
Vorsichtig stand er auf. Seine Knie schmerzten ein bisschen und sein Nacken und die Schultern fühlten sich krampfhaft verhärtet an. An seinen Händen klebte Erde. An seiner Wange wahrscheinlich auch. Randy klopfte sich in aller Ruhe Gras und Laub von de Klamotten und benutzte eine möglichst saubere Stelle seines Ärmels, um sich das Gesicht abzuwischen.
„Entschuldige.
Randy winkte ab. „Blödsinn. Ich labere gerade nur Quatsch. Du hast perfekt abgeliefert. Kein Grund, sich zu entschuldigen. Echt, ich ... find’s eigentlich immer bescheuert, wenn man versucht, Sex irgendwie zu bewerten, aber in dem Fall geb ich dir fünf Sterne.“ Gott, was redete er da eigentlich? Die Erleichterung lockerte sein Mundwerk wohl ein bisschen zu sehr.
Der Wächter schien nicht so recht zu wissen, was er tun sollte. Er stand da und beobachtete ihn. Seltsamerweise fühlte Randy nicht den leisesten Hauch von Bedrohung, obwohl der Kerl gerade bewiesen hatte, wie überlegen er ihm war.
„Wartest du auf ein Trinkgeld?“ Randy schmunzelte. „Ist das üblich in eurem Business? Oder hast du dich in mich verknallt?“
Der Wächter senkte das Kinn. „Nein. Sorry. Danke für den Auftrag.“ Er hob die Hand zum Gruß. „Bis dann.“
Er wandte sich ab und stapfte davon.
„Warte – wie heißt du?“
Im Halbdunkeln konnte Randy nur ein Kopfschütteln erahnen. Wahrscheinlich stand irgendwo in den AGB, dass keine persönlichen Informationen ausgetauscht werden sollten. Aber das interessierte ihn ehrlich gesagt nicht.
Randy ging ihm ein paar Schritte nach, aber blieb dann stehen. Ihm nachzurennen war dämlich. Der Kerl war erstens sowieso schneller als er und zweitens kam er vermummt aus einem Park ... vermutlich wollte er die Aufmachung schnell loswerden, damit keiner unangenehme Fragen stellte.
Er seufzte. Der Hunger nach Antworten blieb. Wer war dieser Typ mit der samtigen, tiefen Stimme? Und war dieser süße Akzent gespielt gewesen, oder echt?
Randy schüttelte den Kopf und kehrte auf den Weg zurück. Hier hatte er gestanden, als es losgegangen war. Er musste genau in die falsche Richtung geschaut haben, als er sich umgesehen hatte. Oder genau in die richtige – je nachdem.
Das Lächeln auf seinem Gesicht fühlte sich seltsam an.
Immer mehr Gedanken und Fragen tauchten auf, als er langsam den Park verließ und Richtung U-Bahn lief.
Er hatte das wirklich getan. Er spürte es in jeder Faser seines Körpers und morgen würde das vermutlich sogar noch krasser sein. Er war offiziell verrückt. Geistesgestört. Pervers.
Keine der Bezeichnungen kam wirklich bei ihm an. Vielleicht war er sie schon zu sehr gewöhnt, ihre Bedeutungen abgenutzt. Mochte sein, dass er alles davon war.
Er fühlte sich gut. Zählte das auch? Hatte das ein Gewicht? Und für wen überhaupt? Wen kümmerte diese Bewertung? Seine Eltern? Claudia? Die Kassiererin im Supermarkt?
Das konnte ihm alles egal sein.
Warum dachte er dann darüber nach?
Er hatte geilen Sex genau nach seinen Vorstellungen gehabt. Mit einem Typen, der viel zu schnell abgehauen war. Aber warum hätte er auch bleiben sollen? Das war ja kein normaler One-Night-Stand gewesen, nach dem man vielleicht noch gemeinsam einen Kaffee trank und aus dem manchmal vielleicht sogar mehr wurde, wenn man sich sympathisch war.
Es war ein Geschäft. Wie ein Besuch im Bordell. Bestellen, bezahlen, konsumieren.
Obwohl er sich nun wieder durch die Stadt bewegte, die Lichter und die anderen Leute sah und den vertrauten Puls der Großstadt hörte, kam er nicht wieder richtig an. Ein Teil seiner Gedanken blieb im Park und heftete sich an den jungen Mann, der ihm seinen Wunsch erfüllt hatte.
Sein viel zu sanftes Bist du okay? begleitete ihn bis in den Schlaf.