11. Alle Wege führen nach Rom – wirklich?

Glauben Sie nicht, was auch heute noch gern behauptet wird! Hannibal auf dem Rücken des Elefanten Surus ist eine Legende. Tatsache ist: Hannibal führte im Frühjahr 217 v. Chr. vom heutigen Bologna aus 26 000 karthagische Soldaten in Richtung Rom. 36 Dickhäuter, von denen lange angenommen wurde, dass sie die strapaziöse Alpenüberquerung zunächst überlebt hätten, waren zu diesem Zeitpunkt bereits gestorben – ob wegen der feuchtkalten Witterung im winterlichen Oberitalien oder infolge der wütenden Attacken der Angreifer, lässt sich indes heute nicht mehr herausfinden.

In Rom verbreitete sich inzwischen panische Angst vor dem jungen Feldherrn aus Karthago, dem etwas gelungen war, was bis dahin unmöglich schien: die Überquerung der Alpen mit einem riesigen Heer, das Eindringen auf italischen Boden und – kurz darauf – die Vernichtung zahlreicher römischer Legionen.

Klein angefangen hatte dieses Weltreich. Betrachtet man die Rekonstruktionen der ersten Siedlungen auf den sieben Hügeln am Tiber, kann man kaum glauben, dass aus dieser idyllisch anmutenden Landschaft mit Pferden, Rindern und Schafen später einmal das Imperium entstehen sollte, das sich zum Zeitpunkt seiner größten Ausdehnung unter Kaiser Trajan im Jahr 116 n. Chr. über drei Kontinente erstreckte: von Gallien und großen Teilen Britanniens über den Nordrand Afrikas bis zu den Gebieten rund um das Schwarze Meer. Damit beherrschte Rom den gesamten Mittelmeerraum und hatte ungefähr sechzig Millionen Einwohner auf einer Fläche von fast sechs Millionen Quadratkilometern. Sie hätten vom Atlantik bis zum Euphrat und von der Sahara bis zum Rhein und zur Donau reisen können, ohne – was nach Ende des Imperium Romanum bis heute eine Utopie bleiben sollte –Staatsgrenzen überschreiten und Zoll entrichten zu müssen. Es galt dieselbe Währung und dasselbe Recht, lingua franca, die gemeinsame Verkehrssprache, war im Westen das Latein Ciceros, im Osten das Griechisch des Apostels Paulus.

Doch noch war es nicht so weit, noch führten nicht alle Wege nach Rom. Der Tiber trennte das Gebiet der Latiner von dem der Etrusker, die um 600 v. Chr. ihre Siedlungen zu einer Stadt zusammenführten, deren Könige von da an die »Sieben-Hügel-Gemeinden« regierten. Die Bezeichnung »Rom« stammt wahrscheinlich vom Namen einer etruskischen Familie, den Romuliern. Die Gründungszwillinge Romulus und Remus und ihre zunächst anrührende, später martialische Geschichte müssen wir der Sagenwelt überlassen – auch wenn die beiden mit der Markierung 753 v. Chr. die Basis für die römische Zeitrechnung geliefert haben: ab urbe condita (lat. = im Jahr seit der Stadtgründung).

Viele archäologische Funde bezeugen den Rang dieser ersten Hochkultur in Italien. Die Etrusker hatten sich orientalische Elemente aus Assyrien, Ägypten, Zypern und Phönizien angeeignet. Ihre Statuen und Skulpturen, zum Beispiel der Hermes von Veji und der Krieger von Orvieto, sehen wie Geschwister griechischer Helden- und Götterfiguren aus. Sie zeigen ein geheimnisvolles Lächeln, als ob sie einer inneren Stimme lauschten, die ihnen vom Glück erzählt. Es muss eine heitere Lebensauffassung gewesen sein, die die Kunst der Etrusker inspiriert hat.

Der letzte römisch-etruskische König Tarquinius Superbus wurde im Jahr 509 v. Chr. vom Volk unter Führung von Lucius Iunius Brutus aus Rom vertrieben. Doch die Römer waren so klug, die etruskische Kultur nicht zu zerstören, sondern für sich fruchtbar zu machen. Sie behielten die etruskischen Zahlen bei und die griechisch-etruskische Schrift, aus der sich das lateinische Alphabet entwickelte. Sie übernahmen die Goldschmiedekunst und etliche Musikinstrumente. Etruskische Gottheiten wurden dem Personal ihrer eigenen Religion hinzugefügt, und wie ihre Vorgänger pflegten sie die Leber- und Vogelschau. Auch das Begräbnisritual – ein Schwerterkampf zwischen zwei Männern –, das später in den Gladiatorenkämpfen eine grausame Spätblüte fand, wurde übernommen. Die Römer ließen sich von den Etruskern in der Architektur, in der Kleidermode und in der Bewaffnung anregen und lernten viele Zivilisationstechniken: von der Wasserversorgung bis zur Trockenlegung von Sümpfen, vom Straßenbau bis zur Landvermessung.

Deutlich eingeschränkt wurden indessen die römischen Frauen in ihren Möglichkeiten, sich in der Öffentlichkeit zu bewegen. Das Niveau der Selbstbestimmung, auf dem sich die etruskischen Frauen hatten entfalten können, sollte über Jahrhunderte nicht mehr erreicht werden.

Das römische Staatswesen wuchs über die Jahre und änderte sich laufend. Polybios (circa 200 –120 v. Chr.), ein griechischer Gelehrter, charakterisierte es als Mischung aus Monarchie, Adelsherrschaft und Demokratie. Zum historischen Symbol für dieses heranwachsende Imperium wurde – neben dem Gründungsmythos von der Wölfin, die Romulus und Remus säugt – das Forum Romanum, der Marktplatz des antiken Rom. Dieser Platz in einer Talsenke zwischen den Hügeln – ursprünglich ein unwegsames Sumpfgebiet – war während der Etruskerherrschaft im neunten und achten Jahrhundert v. Chr. und in der anschließenden Epoche des Königtums (753 – 510 v. Chr.) als Friedhof genutzt worden. In republikanischer Zeit, ab dem fünften Jahrhundert v. Chr., entstand hier das Zentrum des religiösen, gesellschaftlichen und politischen Lebens: ein Versammlungsplatz, ein Rathaus, eine Basilika, der Amtssitz der beiden Konsuln, Tempel und Heiligtümer, Triumphbogen und Denkmäler. Hier war der Sitz des Pontifex Maximus, der die religiösen Zeremonien leitete. Hier war der Mittelpunkt eines großen Reiches. Hier wurde ein goldener Meilenstein in der Erde eingelassen, der die Entfernungen zu den großen römischen Städten angab.

Von späteren Epochen aus betrachtet, ist das Forum Romanum aber nicht nur das Symbol für den Aufstieg des römischen Imperiums, sondern auch für seinen Niedergang. Immer wieder zerstörten Angreifer, Naturgewalten oder die Römer selbst die Gebäude des Forums. Am Ende war das ehemalige Zentrum des römischen Erdkreises nur noch ein Steinbruch. Und tatsächlich trug es zeitweilig den Namen Campo Vacchino (Kuhweide), aus der – wie zur wehmütigen Erinnerung – die Trümmer vergangener Pracht hervorlugten. In der Renaissance gingen die Reste der meisten Bauwerke durch Plünderung und als Baumaterial, unter anderem auch für den Petersdom, verloren.

Das alles ist mehr als Erinnerung. Zu viel hat Rom der Welt geschenkt, als dass man es vergessen könnte: eine herausragende Kultur; eine Verfassung, die auch die sozial Schwachen an der Politik beteiligt (participatio); einen Sittenkodex, der die traditionellen Werte zur Grundlage des Zusammenlebens macht: Tugend (virtus), Glaubwürdigkeit (fides), Zucht (disciplina), Ehrerbietung gegenüber Göttern und Menschen (pietas), Gerechtigkeit und kodifiziertes Recht (iustitia) und nicht zuletzt die Güte (clementia), ohne die auch die beste Rechtsstruktur ihr Ziel verfehlt.

Selbst in scheinbar abfälligen Wendungen wie »Jägerlatein« oder »Küchenlatein« klingen die Verdienste der Römer nach: Latein war lange Zeit die internationale Wissenschaftssprache, auf die zahlreiche Pflanzen- und Tiernamen, aber auch viele medizinische Termini zurückgehen. Und unsere kulinarische Palette ist durch so unterschiedliche römische Mitbringsel wie Wein, Pflaumen, Knoblauch, Dill oder Esskastanien, die später auch in der germanischen Fremde heimisch wurden, deutlich bereichert worden.

In der Erinnerung bleiben auch die Leistungen der Römer für die modernen zivilisatorischen Standards beim Bau von Straßen, Wasserleitungen und Gebäuden. Wenn wir heute wie selbstverständlich Wände verputzen oder Steine setzen können, haben wir das der Entwicklung von opus caementitium zu verdanken, einem Gemisch aus Bruchstein oder Ziegelschrot, Bindemittel und Wasser. Es gilt als Vorläufer von Zement und Beton, und die Römer hatten damit eine Art Mörtel zur Verfügung, der sogar für die Konstruktion von Gewölben geeignet war. Sie waren Meister im Umgang mit Marmor, konstruierten die Wand- und Fußbodenheizung und entwickelten Vermessungsgeräte vom Winkelmesser bis zu einer Vorform der Wasserwaage. All dieses trugen die Römer zum Nutzen der Völker Europas in die Welt hinaus.

Das Vehikel dieser Vermittlung war, was leicht vergessen wird, das Militär. Am Anfang eroberten kleine Kohorten die Siedlungen in der Umgebung von Rom. Dann besetzten wohlausgebildete und gut bewaffnete Legionen die Städte der italischen Halbinsel und schließlich die Länder rund um das Mittelmeer, das in Rom mare nostrum, »unser Meer«, hieß. Diese Heere erzwangen nicht nur Unterwerfung und Tribut, sie brachten den Nachbarvölkern oft auch Wohlstand und Teilhabe am Funktionieren des Weltreichs. Wenn ein Territorium zur römischen Provinz wurde, konnten die Einwohner römische Bürger mit allen Rechten und Pflichten werden. Dieses Bürgerrecht war begehrt, denn es ging mit wirtschaftlichen und rechtlichen Vorteilen einher.

Trotzdem zog es ein Teil der Völker vor, von Rom unabhängig zu bleiben. Aber die Großmacht forderte Gehorsam und Gefolgschaft. Der römische Staat versprach zwar, seine Bürger zu schützen, aber jede Eigeninitiative fasste er als Angriff auf. Der Riese war empfindlich und reagierte auf Unabhängigkeitsbestrebungen gereizt.

Das tat er auch, als die Karthager als starke Seemacht im westlichen Mittelmeer mit ihren Dependancen Sizilien, Korsika und Sardinien aufbegehrten. Sie griffen das mächtige Rom an, verloren aber die entscheidenden Schlachten im Ersten Punischen Krieg (264 – 241 v. Chr.). Das Ergebnis war ein Vertrag, den Hamilkar Barkas, der Vater Hannibals, mit den Römern aushandelte. Die Bedingungen waren für Karthago nur mit Mühe zu verkraften. Das Heer fiel auseinander, die Reparationszahlungen waren enorm, und die Inseln vor der Westküste wurden dem Römischen Reich zugeschlagen. Dennoch konnte Karthago seine Rolle als Großmacht bewahren, blieb den Römern auch deswegen ein Dorn im Auge.

Um den Verlust der Inseln zu kompensieren, begann die nordafrikanische Stadt ihren Einflussbereich auf der Iberischen Halbinsel auszubauen. Besonders aktiv tat sich bei diesem Kolonisierungsunternehmen der Karthager die Familie der Barkiden hervor: Hamilkar Barkas, Feldherr im Ersten Punischen Krieg, und dessen Söhne Hannibal und Hasdrubal Barkas sowie der Schwiegersohn Hasdrubal der Schöne. Der Zweite Punische Krieg (218 – 201 v. Chr.) begann, als Hannibal (246 –183 v. Chr.), ein junger Mann mit außergewöhnlichen strategischen Fähigkeiten, sich zu einer offensiven Kriegführung entschloss: Um einem römischen Angriff auf Spanien oder Nordafrika zuvorzukommen, plante er die Überquerung der Alpen mit den Elefanten, die Sie schon kennengelernt haben, und Tausenden von Soldaten.

Und tatsächlich stand er Ende 218 v. Chr. mit seinem Heer in der Po-Ebene und versetzte die Anhänger Roms auf der ganzen Halbinsel in Angst und Schrecken. Dazu hatten sie auch allen Grund: 216 v. Chr. brachte Hannibal den Römern in der Schlacht von Cannae die schwerste Niederlage ihrer Geschichte bei.

Sein Kriegsziel reichte allerdings weiter: die Reduzierung des Imperiums auf eine latinische Mittelmacht. Dazu galt es aber zunächst, das starke Bundesgenossensystem der Römer zu zerstören. Deshalb marschierte Hannibal nach seinem sensationellen Triumph eben nicht gegen Rom, wozu seine militärischen Kapazitäten auch kaum gereicht hätten, sondern konzentrierte sich auf wankelmütige Partner der Weltmacht. Doch auch wenn die Kelten Oberitaliens und andere untreue Nachbarn Roms in der Folgezeit zu Hannibal übertraten, blieb der Kern des römischen Einflussbereichs erhalten. Entscheidend war, dass Rom sich – anders als die Perser im Kampf gegen Griechenland – als ausgesprochen zäh erwies und zu keinem Zeitpunkt bereit war, auch nur über einen Frieden mit Hannibal zu verhandeln.

Schon bald sollte sich zeigen, dass Hannibal trotz seiner großen militärischen Erfolge nur wenige Optionen hatte. Das Imperium ging zu einem langjährigen Abnutzungs- und Zermürbungskrieg über, der die Karthager aufrieb und mit dem Sieg des älteren Scipio bei Zama in Nordafrika (202 v. Chr.) den Kampf um die Vorherrschaft im Mittelmeerraum endgültig zugunsten Roms entschied, das seine Oberherrschaft über Spanien und im Osten über Syrien ausbauen konnte.

Hannibal sollte nach dieser Schlacht – wie es in vielen Biografien so schön heißt – noch ein »bewegtes« Leben bevorstehen, aber er war wohl ein Weltenbummler wider Willen: Er engagierte sich über mehrere Jahre erfolgreich beim Wiederaufbau und in der Politik Karthagos, musste aus dem römischen Machtbereich fliehen, wurde Feldherr in Syrien, baute eine Flotte in Phönizien und floh erneut – diesmal nach Kreta. Danach wurde er als Flottenkommandant in Bithynien (heute: nördliche Türkei) eingesetzt. Als der bithynische König 183 v. Chr. einem römischen Auslieferungsbegehren zugestimmt hatte, entzog sich Hannibal der Gefangennahme dadurch, dass er sich in der Festung von Libyssa mit Gift das Leben nahm.

Die wenigsten wissen etwas über diese letzten zwölf Jahre in Hannibals Leben. Sein Name bleibt wohl auf ewig verbunden mit den verschneiten Alpen und vor allen Dingen mit den Elefanten. Im heutigen Tunesien sehen ihn viele als Helden, insbesondere in der Stadt Karthago ist der Name Hannibal Barkas sehr beliebt. Auch zu Werbezwecken eignet er sich offensichtlich ausgezeichnet; nicht umsonst wurde der erste private Fernsehsender in Tunesien nach ihm benannt.

Blicken wir noch einmal auf das historische Karthago, für das ab 190 v. Chr. eine politische und wirtschaftliche Erholung, eine Regeneration des Staatswesens zu verzeichnen war. Den Römern konnte das nicht gefallen, es ließ das Misstrauen und die Skepsis gegenüber den Nordafrikanern wieder aufleben. Ein römischer Politiker galt als besonders entschiedener Befürworter der Vernichtung Karthagos: Marcus Porcius Cato (234 –149 v. Chr.). Bis in unsere heutige Zeit gilt er als Musterbeispiel eines römischen Konservativen. Er soll jede seiner Reden im Senat mit den Worten: »Ceterum censeo Carthaginem esse delendam« (»Im Übrigen bin ich der Meinung, dass Karthago zerstört werden muss«) beendet haben, auch wenn sie ein ganz anderes Thema hatte. Historische Belege gibt es dafür allerdings nicht.

In Catos letztem Lebensjahr kam es dann tatsächlich zum Ausbruch des Dritten Punischen Krieges (149 –146 v. Chr.), in dessen Folge Karthago durch den jüngeren Scipio vollständig vernichtet wurde. Auslöser war ein militärischer Schlag der Karthager gegen das aufsässige Numidien (Landschaft im heutigen Algerien/Tunesien), was Rom als Bruch des Vertrags von 201 v. Chr. betrachtete und zu einer grausamen Strafexpedition veranlasste: Nach heftiger Gegenwehr ergaben sich von den geschätzten ehemals 500 000 Einwohnern Karthagos 50 000 Überlebende und wurden in die Sklaverei verkauft. Rom ließ die Stadt nach der Eroberung schleifen. Karthago existierte nicht mehr und wurde zur römischen Provinz Africa proconsularis. Augustus dann baute Karthago wieder auf, größer und schöner als je zuvor.

Der Sieg der Römer über Karthago markiert den Höhepunkt einer beispiellosen Expansion von der beschaulichen Bauern- und Hirtensiedlung zu einem Weltreich. Die Macht des römischen Staates wuchs ins Unermessliche – trotz innerer Krisen wie zum Beispiel der catilinarischen Verschwörung im Jahr 63 v. Chr. Sie war ein misslungener Umsturzversuch des Senators Lucius Sergius Catilina, mit dem dieser den Senat ins Schwanken brachte und die Macht in der römischen Republik an sich reißen wollte. Bekannt ist der Putschversuch besonders durch Ciceros »Reden gegen Catilina«, sie gelten bis heute als rhetorische Meisterstücke.