13. Die Würfel sind gefallen

Schon im Wirrwarr der Verschwörungsvorgänge um den Senator Catilina taucht sein Name auf, der zum Inbegriff römischer Machtfülle werden sollte: Gaius Julius Caesar (100 – 44 v. Chr.). Er ist sicherlich der bekannteste und schillerndste Machthaber des Römischen Reiches; nicht ohne Grund haben zahlreiche Künstler und Schriftsteller Caesar als Thema von Bildern, Dramen und Romanen gewählt. Uns ist er heute noch präsent als Figur des überambitionierten Feldherrn in den Erfolgscomics »Asterix und Obelix«. Hier tritt er unter anderem auf als Dauerverlierer im Kampf gegen ein kleines gallisches Dorf und dessen berühmte Einwohner.

Überambitioniert soll er auch im wirklichen Leben gewesen sein, ehrgeizig und machtorientiert. Aber er war alles andere als ein Verlierer: Nach einer zunächst unspektakulären Beamtenlaufbahn begann 69 v. Chr. – unterstützt durch eine pekuniär interessante Eheschließung – seine politische Karriere mit der Wahl als Quästor in den Senat. Er gründete ein Triumvirat mit Crassus und Pompeius und erreichte 59 v. Chr. ein weiteres seiner großen Ziele: Er wurde zum Konsul gewählt und erhielt danach das Prokonsulat über Gallien. Diesen beachtlichen Machtgewinn nutzte er für einen langjährigen, am Ende erfolgreichen Krieg gegen die Einwohner Galliens (58 – 49 v. Chr.), das danach für Jahrhunderte im römischen Machtbereich blieb. Über eine Million Gallier soll dabei ihr Leben verloren haben, eine weitere Million wurde versklavt.

Besonders beliebt hatte Caesar sich mit diesem Erfolg in Rom nicht gemacht. Der Senat wollte ein zweites Konsulat Caesars unbedingt verhindern. Wie Caesar selbst angab, schritt er nun, allein um seine dignitas, seine Würde, zu wahren, zum Staatsstreich gegen Rom. Trotz des Verbots, Militär nach Italien zu bringen, überquerte er gegen den Willen des Senats am 10. Januar 49 v. Chr. mit der etwa 5000 Mann starken 13. Legion den Grenzfluss Rubikon. Bei dieser Gelegenheit soll es zu dem berühmten Ausspruch »Alea iacta est« gekommen sein, der heute zumeist in der Form »Die Würfel sind gefallen« zitiert wird, während Cäsar ganz offensichtlich den Moment des Hochwerfens meinte – und somit nicht die schon gefällte, sondern die noch in der Schwebe befindliche Entscheidung.

Caesar kämpfte erfolgreich gegen seine Gegner in Rom, wurde 48 v. Chr. tatsächlich erneut zum Konsul gewählt. Pompeius, einer seiner heftigsten Widersacher, sah sich zur Flucht nach Ägypten genötigt, wo er auf Befehl des Königs Ptolemaios XIII. ermordet wurde. Caesar folgte Pompeius nach Alexandria und ließ sich dort den Kopf seines Rivalen und ehemaligen Verbündeten überreichen.

Hätte es damals schon Illustrierte oder Promi-Sendungen gegeben, sie wären überglücklich gewesen über das, was nun in Ägypten begann und in den nächsten Jahren Teil von Caesars Privatleben bleiben sollte: eine heftige Liebesbeziehung mit der letzten Königin des Ptolemäerreiches Kleopatra VII. (69 – 30 v. Chr.), die in der Folgezeit noch für viel Unruhe sorgte. Mit Kleopatra hatte Caesar ein Kind mit dem Namen Ptolemaios Kaisarion, wohl sein einziger leiblicher Sohn.

»Aber neben seiner Rolle als Liebhaber einer jungen attraktiven Frau vergaß Caesar das Kämpfen nicht« – so oder so ähnlich hätten Sie es wahrscheinlich in einer antiken Boulevard-Zeitung lesen können. Und in der Tat: Nach eindrucksvollen Erfolgen bei zahlreichen Schlachten des Bürgerkriegs – er kam, er sah, er siegte – kehrte Caesar, den Kopf voller Pläne, 46 v. Chr. nach Rom zurück, wurde zunächst zum Diktator für zehn Jahre und daraufhin vom Senat zum dictator perpetuus (Diktator auf Lebenszeit) ernannt.

Das brachte Bewegung in die Köpfe von vielen Senatoren: Furcht vor einer neuen Tyrannis breitete sich aus. Sie sahen keinen anderen Ausweg, als sich zu einem Attentat zu entschließen. Und so kam es an einem Frühlingstag des Jahres 44 v. Chr. schließlich zu Caesars spektakulärem Tod: Er wurde an den Iden des März (15. März) von einer Gruppe verschworener Senatoren um Marcus Iunius Brutus und Gaius Cassius Longinus während einer Senatssitzung im Theater des Pompeius mit 23 Dolchstichen ermordet.

Dabei soll Caesar auf Griechisch seine legendären letzten Worte an Marcus Brutus, dem er trotz aller politischen Unterschiede eine Art väterlicher Freund gewesen war, gerichtet haben: »Auch du, mein Sohn?« Vermutlich waren aber seine Verletzungen durch die zahlreichen Dolchstiche so schwerwiegend, dass er gar nicht mehr in der Lage war zu sprechen. Nach Caesars Tod prägten seine Attentäter eigene Münzen, auf denen die Mordwaffen und eine Filzkappe – das Merkmal freigelassener Sklaven – abgebildet waren.

Fast immer, wenn absolute Herrscher von der politischen Bühne abtreten, beginnen heftige Kämpfe um die Nachfolge. Das trifft auch für die Zeit nach dem Tod Caesars zu: Hunderttausende von Menschen kamen um, ganze Landstriche wurden schwer verwüstet, es schien fast so, als würde das Reich der Römer auseinanderbrechen.

Doch am Ende ging Oktavian (63 v. Chr. –14 n. Chr.), der junge Adoptivsohn und Großneffe Caesars, als Sieger aus den Bürgerkriegen hervor. Der Senat verlieh ihm 27 v. Chr. den Ehrentitel Augustus. Es gelang dem »Erhabenen«, so die Übersetzung, die Kämpfe zu einem Ende zu führen, die Grenzen zu sichern, ein transparentes Rechtssystem zu etablieren sowie Verfassung und Verwaltung des Imperiums umzugestalten. In den Provinzen, wo die Armee stand, und in Ägypten, woher das Getreide für die Hauptstadt kam, regierte er direkt durch eigene Beamte. Im Innern beseitigte er die Spuren des Bürgerkriegs und kümmerte sich um den Wiederaufbau. Das Volk gewann er durch prächtige Neubauten, durch Wagenrennen, Gladiatorenkämpfe und Schauspiele.

Anders als bei seinem Adoptivvater, der exaltierte Auftritte liebte, lagen Augustus’ außergewöhnliche Fähigkeiten im ruhigen Taktieren: Durch eine Versöhnung mit der Aristokratie konnte er seine Machtstellung kaschieren und den Schein der Republik aufrechterhalten. Er betrieb aber in Wirklichkeit deren dauerhafte Umwandlung in eine Monarchie in Form des Prinzipats, regierte faktisch als Alleinherrscher und leitete als erster römischer Kaiser eine über 250 Jahre andauernde Friedenszeit ein, die die Römer als Pax Augusta bezeichneten.

Mit den Kaisern begann das goldene Zeitalter Roms: Namen wie Tiberius, Vespasian, Trajan, Hadrian, Marc Aurel und Diokletian sind mit dieser Epoche verbunden. Zugleich zeichnete sich aber auch der Anfang vom Ende der römischen Vorherrschaft in Europa ab.

Kaum ein Problem der Spätantike wurde und wird so kontrovers diskutiert wie die Frage nach den Gründen für die Auflösung des Imperium Romanum. Im 18. und 19. Jahrhundert wurden vor allem Ausbreitung und Aufstieg des Christentums für den Niedergang verantwortlich gemacht. Demnach ging das Römische Reich an der Aushöhlung seiner Identität von innen her zugrunde. An die Stelle des alten Götterglaubens, der längst zu einem puren Ritual verkommen war und von den Überzeugungen und Lebenseinstellungen der Bürger nicht mehr getragen wurde, trat als junge Kraft das Christentum.

Nach fast 300-jährigem Schattendasein erschien es als geschichtsmächtige Bewegung in der Politik und wurde unter Theodosius I. (379 – 395) im Jahr 380 zur Staatsreligion erhoben: Die alten Tempel wurden geschlossen oder zerstört, der Götterkult verboten. Abweichler wurden benachteiligt, bekämpft und verfolgt. Das Christentum sollte das Reich einen und die kaiserliche Herrschaft stützen.

Zu den Anzeichen des Niedergangs gehörte – so insbesondere ältere Theorien – auch und vor allem die luxuriöse Sittenlosigkeit der Kaiserzeit. Wie der Dichter Juvenal berichtet, war das Idealbild der das eheliche Heim verwaltenden matrona offiziell das einzige Frauenbild des antiken Rom. Wohl nicht mehr attraktiv genug, erfuhr sie lustvolle Konkurrenz durch die meretrix, die schrill geschminkte Hure, die in den lasziven Orgien der römischen Oberschicht eine makabre Rolle spielte. Sie bestimmte mit raffinierter Kosmetik, exzentrischen Haarfarben, aufdringlichen Parfums und teurem Schmuck das Bild der Frau im alten Rom – ein Bild, das sich bis in die modernen Historienfilme gehalten hat. Neben dieser Luxus-Prostitution blieb der »normale« Straßenstrich unbehelligt, er gehörte immer stärker zum Alltagsbild der Stadt.

Neuere Forschungen konzentrieren sich auf den Übergangscharakter der ersten Jahrhunderte nach Christi Geburt: Die große Migration von Nomadenstämmen und vielfältige Integrationsprozesse machten eine Neuordnung notwendig. Kosten und Organisation des Imperiums ließen sich kaum noch bewältigen und kontrollieren. Kaiser Diokletian (284 – 305) gelang es noch einmal, das Reich nach einer heftigen Handels- und Finanzkrise und einer langen Phase der rasch wechselnden »Soldatenkaiser« durch eine Verteilung der Kaiserwürde auf drei weitere Mitregenten zu stabilisieren. Während seiner Regierungszeit sollte es aber auch zu den letzten (und schwersten) Christenverfolgungen kommen.

Die wurden erst durch seinen Nachfolger – Konstantin der Große, der von 306 bis 337 regierte – beendet. Dessen Herrschaft ist vor allem aus zwei Gründen bemerkenswert: Erstens bedeutet sein Bekenntnis zum Christentum eine entscheidende Wende (»Konstantinische Wende«) in der abendländischen Geschichte. Vor der Schlacht an der Milvischen Brücke am Nordrand von Rom soll dem Kaiser eine kreuzförmige Lichterscheinung, die er als Botschaft von Jesus Christus verstand, ein Siegeszeichen gesandt haben. Konstantin habe es auf die Schilde seiner Soldaten malen lassen – so eine Lesart der frommen Legende – und seinen Rivalen Maxentius vernichtend geschlagen. Religion und Staat waren bei den Römern stets eng verknüpft, und deshalb dauerte es auch nicht mehr lange, bis das Christentum neben dem Judentum zur einzigen religio licita – zur »erlaubten« und staatlich anerkannten Religion – im Imperium wurde und seinen Siegeszug in Westeuropa antreten konnte.

Zweitens veranlasste der Kaiser den großzügigen Ausbau der Stadt Konstantinopel – heute Istanbul –, die er am 11. Mai 330 zu seiner wichtigsten Residenz gemacht und offiziell in Nova Roma, neues Rom, umbenannt hatte. Nach dem Tod von Kaiser Konstantin erhielt sie den Namen Constantinopolis. Das ehemals griechische Byzantion entwickelte sich bis zum Mittelalter zur einzigen Weltstadt Europas und zur mit Abstand größten und wichtigsten christlichen Metropole.