21. Ritter, Tod und Teufel

Sie war nur eine von Hunderttausenden, denen als Ketzerin oder Zauberin im Europa der frühen Neuzeit der Prozess gemacht wurde. Eines von 40 000 bis 60 000 Todesopfern, die die Hexenverfolgung vom 15. bis ins 18. Jahrhundert hinein forderte. Und doch ist Johanna, die ihren »inneren Stimmen« folgte und für ihr Land in die Schlacht zog, etwas ganz Besonderes: Nationalheldin, Befreierin, Märtyrerin, Hauptfigur vieler Theaterstücke, Opern, Hörspiele und Filme – in Erinnerung geblieben aber, zu Recht, nicht als die glorreiche Heerführerin, sondern »eine aus dem Volk«, ein schlichtes, demütiges Bauernmädchen. Von Heiligen wie Jeanne d’Arc und Hexen, von Ritter, Tod und Teufel erzählt dieses Kapitel.

Auf nichts war im späten Mittelalter so sehr Verlass wie auf die Erz- und Erbfeindschaft zwischen England und Frankreich. Ihr Höhepunkt war der sogenannte Hundertjährige Krieg, der sich von 1337 bis 1453 hinzog und am Streit um die englischen Besitztümer auf dem französischen Festland entzündet hatte. Aber ihre Ursprünge reichten bis ins ausgehende erste Jahrtausend zurück, als sich Teile der Wikinger, die von Skandinavien aus nach West- und Osteuropa vorgestoßen waren, in Frankreich ansiedelten. Die Bezeichnung Normandie leitet sich von diesen Nordmännern oder Normannen ab.

Mitte des elften Jahrhunderts spitzt sich die Lage zu. Als der angelsächsische König Eduard der Bekenner kinderlos bleibt und die Erbfolge unsicher ist, beansprucht der normannische Herzog Wilhelm der Eroberer den englischen Thron. Mit einem stattlichen Heer landet er 1066 auf der britischen Insel, besiegt im Oktober bei Hastings die Verteidiger und lässt sich Weihnachten desselben Jahres in Westminster zum König krönen. Er ist so klug, die englische Rechtsordnung zu bestätigen, organisiert aber die Verwaltung nach französischem Muster und setzt eine normannische Oberschicht in Amt und Würden.

Die Eroberung der angelsächsischen Insel durch die Normannen wird auf einem knapp siebzig Meter langen gewebten Leinenteppich geschildert, der um 1077 entstanden und heute in Bayeux zu sehen ist. Die Darstellung zeigt, dass schon die Zeitgenossen die historische Bedeutung der Verbindung von angelsächsischer und romanischer Kultur erkannt haben, wenngleich gerade die erzwungene Vermischung auch schwerwiegende Probleme und gewalttätige Auseinandersetzungen mit sich bringt.

Zum offenen Konflikt kommt es 1337. Der Hundertjährige Krieg, der ausschließlich auf französischem Boden ausgetragen wird, sieht zuerst die Engländer im Vorteil. Ihre Truppen sind zwar den Ritterheeren des Gegners zahlenmäßig klar unterlegen, aber dank ihrer neuen Fernwaffen, den Langbogen, gewinnen sie die frühe Schlacht von Crécy (1346) und erringen 1415 einen erneuten Sieg bei Azincourt.

Angesichts der Schlacht von Crécy (nördlich der Somme) hat der Historiker Horst Fuhrmann von der »selbstmörderischen Antiquiertheit des Ritters« gesprochen, dessen Zeit endgültig zu Ende ging. Um nicht von den Franzosen überrannt zu werden, die mit fünffacher Übermacht aufmarschiert waren, hatten die Engländer den Kern ihrer Reiterei durch einen Flankenschutz aus Armbrust- und Bogenschützen verstärkt. Die im dreizehnten Jahrhundert aufgekommenen Plattenpanzer der Ritter hielten zwar die Pfeile der kleinen Handbogen ab, nicht aber die mit großer Wucht geschleuderten Geschosse der Armbrust und des aus dehnbarem Eschenholz geschnitzten englischen Langbogens.

Jeder der gut ausgebildeten Bogenschützen war in der Lage, in nur einer Minute bis zu sechs gezielte und wirksame Schüsse auf eine Distanz von fast 200 Metern abzugeben. In diesem Pfeilhagel der Engländer verfing sich Angriff auf Angriff, und von den stolzen und scheinbar überlegenen französischen Rittern blieb nur ein trostloses Getümmel aus tödlich getroffenen oder verwundeten Menschen und Pferden übrig. Nach nur neunzig Minuten war die Schlacht für die Franzosen verloren.

Eine Wende im Hundertjährigen Krieg bringt erst das Eingreifen von Jeanne d’Arc, einem 17-jährigen Bauernmädchen. Dabei zeigt sich, dass dieser Konflikt, der ursprünglich eine der üblichen dynastischen Auseinandersetzungen war, im 15. Jahrhundert längst eine Angelegenheit des ganzen Volkes geworden ist. Das einfache Mädchen vom Lande fühlt sich von Gott berufen, die Engländer zu besiegen, den Dauphin als rechtmäßigen König einzusetzen und ihn in Reims als Karl VII. krönen zu lassen. Sie ist politisch und militärisch erfolgreich, muss dies aber mit ihrem Leben bezahlen. Es gelingt den Burgundern, die mit den Engländern verbündet sind, Jeanne gefangen zu nehmen. Ein englisches Gericht unter Beteiligung von Bischöfen verurteilt sie als Zauberin zum Tode. In Rouen wird sie 1431 auf dem Scheiterhaufen verbrannt – mit Duldung der Franzosen (Karl VII. rührt keinen Finger!), die in der Folgezeit die Engländer wieder aus ihrem Land vertreiben. 1453 ist der Hundertjährige Krieg beendet. Nicht aber die Jagd auf angebliche Zauberinnen, Hexen und Ketzer.

Schon seit Jahrhunderten geht die mittelalterliche Kirche gegen alle Auflösungserscheinungen mit besonderer Härte vor. Zwar wird zunächst noch die Anwendung von physischer Gewalt gegen Häretiker – Anhänger einer von der kirchlichen Linie abweichenden »Irrlehre« – abgelehnt. Doch die Strafen sind für die Betroffenen schlimm genug: Enteignung und Verbannung. Bald aber werden Ketzer bei lebendigem Leibe verbrannt. Als erster Herrscher hatte der französische König Robert II. 1017 in Orléans dreizehn Häretiker auf den Scheiterhaufen geschickt. Da die Häresie als Majestätsverbrechen und als Angriff auf die universale Ordnung gilt, verständigen sich die weltlichen und geistlichen Autoritäten darauf, mit allen Mitteln gegen sie vorzugehen. Das dritte Laterankonzil (1179) ruft zum Kreuzzug gegen die Ketzer als innere Feinde auf. Das vierte Laterankonzil (1215) droht konsequenterweise den Fürsten mit Exkommunikation und Entziehung ihrer Länder, wenn sie Häretiker nicht bestrafen.

Friedrich II., der Staufer, der ja nicht in allen Fragen ein aufgeklärter Herrscher war, ordnet 1224 für Sizilien an, dass die weltliche Obrigkeit die vom Bischof überführten Ketzer festzunehmen, sie zu verbrennen oder ihnen die Zunge abzuschneiden habe. Diese Regelung findet auch Papst Gregor IX. angemessen und übernimmt sie für den Kirchenstaat. Wie bei den Kreuzzügen gegen die Ungläubigen erhalten die Teilnehmer der Ketzerverfolgung zwei Jahre Ablass ihrer Sündenstrafen.

1252 macht Papst Innozenz IV. in seiner Bulle »Ad exstirpanda« die Ketzerverfolgung ausdrücklich zur Aufgabe des Staates. Bezeichnend ist die Regelung, dass jeder, der einen Ketzer ausliefert, dessen Besitz vereinnahmen darf. Selbst wenn jemand der Ketzerei überführt wird, nachdem er gestorben ist, soll man seine Leiche ausgraben und verbrennen. Seine Erben dürfen enteignet werden. Es ist die Idealvorstellung von einem universellen Gottesstaat, die einschließt, dass Kirche und Staat zum Schutz der Religion verpflichtet sind und deshalb auch die physische Vernichtung aller Feinde erlaubt und geboten ist. Erstmals wird die Folter als Instrument der Wahrheitsfindung gestattet. Abweichler werden in aggressiver Rhetorik nicht nur mit Dieben, Räubern und Mördern gleichgesetzt, sondern auch als Schädlinge und Ungeziefer hingestellt, das ausgerottet werden müsse. Dadurch etablieren sich mitten in der Kirche Einschüchterung, Gesinnungsterror und Gewalt.

Als eigenständiges kirchliches Organ zum Aufspüren und Verfolgen der Häretiker fungiert die Inquisition (lat. inquisitio = Untersuchung, Befragung). In Spanien wird sie ihren furchtbaren Höhepunkt erreichen, wenn der Großinquisitor Tomás de Torquemada, zugleich Beichtvater des Königspaares Isabella I. und Ferdinand II., 1484 die Szene betritt. Aber auch seine Nachfolger verstehen ihr Handwerk, Schauprozesse zu inszenieren und Scheiterhaufen anzuzünden. Der tausendfache Feuertod gilt als »letzte« Rettung der sonst zur ewigen Verdammnis verurteilten Seelen der Ketzer.

Die Radikalität dieses Denkens hängt mit der Dämonenfurcht zusammen, die nicht nur in den Köpfen der ungebildeten Massen herrscht, sondern auch von den Eliten geteilt wird. Diese Dämonenfurcht, verbunden mit Höllenangst, lastet über Jahrhunderte hinweg auf dem christlichen Abendland.

Schon im Laufe des dreizehnten Jahrhunderts war die Zuständigkeit der kirchlichen Inquisitionsgerichte auf weitere Lebensbereiche ausgedehnt worden. Nicht nur Abweichungen von dogmatischen Lehren und kirchlichen Ritualen werden geahndet, sondern ebenso alle Praktiken, die als Zauberei verstanden werden können, zum Beispiel verdächtige Methoden der medizinischen Heilbehandlung. 1258 erklärt Papst Alexander IV. jede Zauberei zur Häresie. Man glaubt, Zauberer hätten einen Pakt mit dem Teufel geschlossen und gehörten zur verbrecherischen Vereinigung der »Synagoge des Satans«, die sich auf orgiastischen Hexensabbaten organisiert und die Menschheit bedroht. Deshalb spielt in Hexenprozessen immer wieder die Frage eine Rolle, ob der Delinquent an einem Hexensabbat teilgenommen hat oder nicht.

Das Kursbuch des Wahnsinns wird erst 1486 erscheinen und es bis ins 17. Jahrhundert hinein zu fast dreißig Auflagen bringen: der »Hexenhammer« des Dominikanerpaters Heinrich Kramer (latinisiert Henricus Institoris). Der Autor versammelt die grassierenden Vorurteile in einer mund- und selbstgerechten Übersicht und fügt die pseudowissenschaftliche Begründung gleich bei. Der Leser findet klare Regeln und konkrete Handlungsanweisungen, die auf eine systematische Verfolgung und Vernichtung der vermeintlichen Hexen zielen.

Das Buch ist ein Kompendium und eine Rechtfertigung des Hexenwahns, wie er vor allem in Deutschland auf die Angst vor den Überresten der keltisch-germanischen Naturreligion mit ihrem Glauben an Magie und Zauberrituale zurückgeht. Zu den Besonderheiten dieses Wahns gehört, dass den sogenannten Hexen unterstellt wird, sie beschädigten die männliche Sexualität. In den Hexenprozessen spielt das Weghexen der sexuellen Potenz eine immer wiederkehrende Rolle. Die Frau wird zur Hexe gemacht, die mit dem Teufel Unzucht treibt und dadurch den Dämonen Zugang zum Menschen verschafft.

Überall lodern die Scheiterhaufen. Die Hexen werden für Unwetter, Viehsterben oder Krankheiten verantwortlich gemacht. Am Anfang des Hexenprozesses steht die Anzeige, auf die das Verhör folgt. Das Geständnis wird in der Regel durch Folter erpresst. Zum Ritual gehört auch die »Nadelprobe«, die das Kennzeichen des Teufels am Körper der Verdächtigen aufspüren soll, einen Leberfleck beispielsweise oder ein Muttermal. Bei der »Wasserprobe« wird die angebliche Zauberin gefesselt in einen Fluss oder einen Weiher geworfen. Damit ist ihr Schicksal besiegelt: Ertrinkt sie, war sie unschuldig, bleibt sie an der Oberfläche, so ist sie mit dem Teufel im Bunde und wird hingerichtet.

Es gibt jedoch – wenn auch sehr spät und nur vereinzelt – Versuche, Brutalität und Wahnvorstellungen zu bekämpfen. Der Jesuit Friedrich Spee aus Trier fasst die Argumente gegen den Hexenglauben zu einer Streitschrift zusammen: »Cautio criminalis oder Rechtliches Bedenken wegen der Hexenprozesse« (1631). Spee ist eine empfindsame Seele und leidet unter der Pflicht, im Auftrag seines Ordens Prozessopfer der Inquisition zum Scheiterhaufen zu begleiten. Er verachtet, was dort geschieht, und versucht, seine furchtbaren Erfahrungen zu verarbeiten.

Er wagt zunächst nicht, die Schrift unter seinem Namen zu veröffentlichen, bekennt sich aber dann doch zu seiner Verfasserschaft. Jetzt aber geschieht etwas Unerwartetes: Spee findet Beschützer unter den Bischöfen, und auch sein Orden lässt ihn trotz interner Anfeindungen in Ruhe. Als in den Wirren des Dreißigjährigen Krieges die Pest ausbricht, widmet Spee sich sofort der Pflege der Erkrankten – und infiziert sich. Er stirbt im Alter von 44 Jahren an der Seuche. Die Überwindung des Hexenwahns in Deutschland trägt seinen Namen. Er gibt der Vernunft und der Menschlichkeit in der Kirche ein Gesicht.

Bis alle Scheiterhaufen erloschen sind, wird aber noch viel Zeit vergehen. Die letzte überlieferte Hinrichtung einer Hexe in Mitteleuropa findet 1793 in Südpreußen auf heute polnischem Gebiet statt. Aber noch 1836 wird eine vermeintliche Hexe auf der Ostsee-Halbinsel Hela von Fischern einer Wasserprobe unterzogen und, da sie nicht untergeht, gewaltsam ertränkt.