Im Volksmund ist es noch heimisch: als Bezeichnung für einen unbeholfenen Menschen, eine Art Synonym für den »Elefanten im Porzellanladen«. Aber sein Bestand ist hochgradig gefährdet, und die uns vertrauten Bilder einer Wüstenkarawane zeigen meist nur seine Artgenossen. Auch die Geschichtsbücher erwähnen es – sehr zu Unrecht – nur selten, denn seine Zeit als wichtigstes Transportmittel zwischen Europa und Asien ist längst vorüber. Dabei war es Jahrtausende hindurch unverzichtbar.
Die Rede ist vom zweihöckrigen oder auch baktrischen Kamel, dem berühmt-berüchtigten Trampeltier, das aus der Wüste Gobi stammt. Es ist nicht nur wesentlich hitzeresistenter als das einhöckrige Dromedar, sondern besitzt auch ein Winterfell, so dass es sich selbst den extremen Temperaturschwankungen in den asiatischen Steppen- und Bergregionen anpassen kann. Seit es Handel auf der Erde gibt, ist es im Einsatz. Auch die legendäre Seidenstraße wäre ohne seine Dienste nicht das geworden, was sie war: ein Königsweg nicht nur für die Interessen von Kaufleuten und Kriegsherren, sondern auch für den Transport von Ideen, Religionen und ganzen Kulturen von West nach Ost und von Ost nach West. Rustikaler ausgedrückt: ein Trampelpfad der Globalisierung.
Natürlich trägt die Seidenstraße ihren Namen zu Recht, obwohl er sich eigentlich auf ein ganzes Netz von Karawanenstraßen bezieht, dessen Hauptroute – über fast 6000 Kilometer eine der unwirtlichsten Strecken der Welt – das Mittelmeer mit Ostasien verbindet. Auf ihr gelangte in der Tat schon in der Antike eines der begehrtesten Handelsgüter, die chinesische Seide, in den Westen und beglückte dort Kelten und Römer. Aber auch Gold, Edelsteine und Glas wurden, in der Regel Richtung Osten, auf ihr transportiert, während in der Gegenrichtung bis in die Neuzeit vor allem Pelze und Gewürze, Keramik und Jade auf den Weg gebracht wurden.
Aber nicht nur Waren, auch kulturelle Güter und sogar Religionen brauchen Straßen, um sich zu bewegen und zu entwickeln. So konnte sich etwa der Buddhismus, den um 500 v. Chr. der indische Religionsstifter Buddha begründet hatte, über die Seidenstraße in fast alle ostasiatischen Länder ausbreiten und vereint heute weltweit 370 Millionen Menschen. Auch das Christentum profitierte von der Karawanenstraße. Deutlich stärker aber der Islam, der nach Mohammeds Tod im Jahr 632 zunächst die Arabische Halbinsel, danach Syrien, Ägypten, die Länder Nordafrikas und später auch Persien erreicht hatte, dann seine Expansion in Richtung Osten weiter fortsetzte und schließlich den transasiatischen Handel kontrollierte. Die Ausbreitung erfolgte zunächst über die städtischen Zentren entlang der Seidenstraße und setzte sich in den eher abgelegenen Regionen fort.
Selbst der rätselhafte Mongolensturm machte Gebrauch von der Seidenstraße. Der um 1160 in der Nähe des Baikalsees geborene Dschingis Khan fegt mit seinen schnellen Reiterhorden über Dörfer und Städte, dringt bis ins Herz des chinesischen Reiches vor, erobert Peking und wendet sich dann nach Westen. In nur wenigen Jahren, von 1219 bis 1224, zieht das kampfstarke und hochdisziplinierte Heer der Mongolen durch das heute afghanische, pakistanische und iranische Hochland bis nach Russland, zerstört alles, was von Menschen je gebaut wurde, tötet jeden, der sich ihm in den Weg stellt – und verschwindet, scheinbar ohne Grund, wieder in den Weiten des Ostens. Als Dschingis Khan 1227 an den Folgen eines Reitunfalls stirbt und nach Landessitte in einem namenlosen Grab beigesetzt wird, hinterlässt er ein Reich, das sich vom Chinesischen Meer bis an die Grenzen Europas erstreckt und damit als das in seiner Ausdehnung größte der gesamten Weltgeschichte gelten kann.
Der eigentliche Mongolensturm aber sollte jetzt erst beginnen. 1235 wird in der gerade gegründeten Hauptstadt Karakorum ein erneuter Westfeldzug beschlossen. Die asiatischen Reiter nehmen zunächst Moskau ein, zerstören dann Kiew und begründen das Reich der Goldenen Horde in Russland. Sie erreichen in kleineren Formationen Polen, Schlesien, Brandenburg, Mähren, Niederösterreich, Ungarn und Kroatien. Ein deutsch-polnisches Ritterheer wird im Sommer 1241 in der Schlacht bei Liegnitz vernichtend geschlagen. Bald darauf stehen die gefürchteten mongolischen Krieger vor Wien und erreichen dann die Adria. Aber 1242 ziehen sie sich auf die Nachricht vom Tod ihres Großkahns wieder weit in den Osten zurück. Möglicherweise waren die Überfälle auch nur als Beutezüge und nicht als dauerhafte Eroberung gedacht. Doch Tausende von Toten und verwüstete Landstriche hinterlassen bei den Bewohnern Angst, Schrecken und eine traumatisierte Erinnerung mit Bildern von Leichenbergen und Schädelpyramiden.
Die Seidenstraße aber bleibt mit mehreren Routen und vielen Zwischenstationen der Landweg der Europäer für den Handel und den Kulturaustausch mit den asiatischen Völkern. Zwar werden Städte wie Samarkand und Buchara von den Mongolen zerstört und erbarmungslos ausgeplündert, aber insgesamt führt ihre Herrschaft im dreizehnten Jahrhundert nicht zu einem Abbruch, sondern sogar zu einer Intensivierung der Ost-West-Kontakte und zu einer noch direkteren Vernetzung von Asien und Europa. Die mongolischen Herrscher zeigen sich dabei als ausgesprochen gastfreundlich zu auswärtigen Händlern und Reisenden, auch wenn sich deren Länder nicht unterworfen haben.
Auch der Venezianer Marco Polo tritt in dieser Frühphase der Globalisierung eine Reise in den Fernen Osten an und versetzt mit seinen Erlebnissen (1298/99 aufgezeichnet) ganz Europa in Erstaunen. Als 17-Jähriger war Marco Polo 1271 in Begleitung seines Vaters und seines Onkels aufgebrochen, erst 1295, nach fast einem Vierteljahrhundert, kehrt er zurück. Er ist nicht der erste Europäer, der bis zum Hof eines mongolischen Großkahns vordringt, aber er wird für alle Zeiten der berühmteste bleiben.
Marco Polo gewann das Vertrauen des Kubilai Khan, der gerade China endgültig unterworfen (und damit auch vereinigt) hatte. Seine Regierungszeit bezeichnet den Zenit des mongolischen Weltreichs. Der Besucher aus Venedig ist geblendet vom Glanz der Paläste und Residenzen, in denen sich der Kaiser als toleranter, weltoffener Herrscher präsentiert, auch wenn nach wie vor die Gesetze der Steppe gelten. Marco Polo erhält Einsicht in die Regierungs- und Verwaltungsgeschäfte, beobachtet aber auch Jagdgewohnheiten und Festlichkeiten, das Wirtschafts- wie das Alltagsleben. Außerdem schickt ihn der Khan auf eindrucksvolle »Dienstreisen« in fast alle Teile des mongolisch-chinesischen Machtbereichs.
Marco Polos »Buch der Wunder« zieht den Vorhang beiseite, der den Fernen Osten trotz funktionierender Handelswege dem Blick des Westens entzogen hatte. Die Landkarte Asiens kann nun neu gezeichnet werden. Die Genauigkeit der geografischen Passagen lässt sich aus der korrekten Platzierung der ostasiatischen Länder auf den Portolani – den handschriftlichen Seekarten – des 14. Jahrhunderts ersehen, die eindeutig auf Marco Polos Buch zurückgehen. Die systematische Erforschung der Erde nimmt hier ihren Anfang. 200 Jahre später nimmt Kolumbus den Reisebericht mit an Bord der »Santa Maria«.
Dennoch bleibt die Reise des Marco Polo so fantastisch, dass manche Forscher geglaubt haben, er sei niemals in China gewesen. Vielmehr sei er über die Krim und Konstantinopel nie hinausgekommen und habe aus persischen Quellen abgeschrieben. Aber solche gab es nicht. In jedem Fall haben die Beschreibungen, auch wenn sie viele Beobachtungen anderer Reisender enthalten sollten, das Verhältnis des alten Europa zu den neuen Welten im Osten und mittelbar auch im Westen grundlegend verändert: Im geschlossenen Kosmos des Mittelalters werden auf einmal Fenster und Türen zu anderen, unbekannten Räumen geöffnet.
Dank der Dynamik der mongolischen Herrschaft florierte die Seidenstraße mehr denn je. Für manche Reisende erwies sich allerdings der Weg nach Fernost nicht nur als strapaziös, sondern auch als gefährlich und mitunter tödlich. Wo hochwertige Güter auf kalkulierbaren Routen befördert werden, siedeln sich Profiteure und Nutznießer an, harmlose, aber auch gewalttätige.
Raubüberfälle an der Seidenstraße waren deshalb allgegenwärtig. Die Räuber lauerten den Karawanen an den Engpässen der Streckenführung auf, wo die Beute besonders leicht zu greifen war. Bereits die Kaiser der Han-Dynastie, die die Entwicklung Chinas vom Ende des dritten vorchristlichen bis zum Anfang des dritten nachchristlichen Jahrhunderts entscheidend geprägt hat, waren um die Sicherheit ihrer Handelswege besonders besorgt. Sie erweiterten die Große Mauer entlang bestimmter Teilstrecken der Seidenstraße und leisteten sich spezielle Verteidigungsarmeen, um die Räuberei einzudämmen.
Die Erweiterung des Weltbildes erfolgte gleichzeitig in einem anderen Teil der Erde, in dem nicht Wüstenschiffe, sondern Hochseekoggen unterwegs waren: dem Handelsnetz der »Deutschen Hanse«, die im 14. und 15. Jahrhundert Nord- und Ostsee beherrschte. Die Fundamente dieser mächtigen, weitgespannten Wirtschaftsgilde waren allerdings wesentlich früher geschaffen worden. Schon im elften Jahrhundert hatten sich Kölner Kaufleute in London, der europäischen Handelsmetropole, einen privilegierten Stützpunkt erworben. Ihnen schlossen sich bald darauf Fernhändler aus Westfalen, vom Niederrhein und aus Niedersachsen an. Mit ihren seetüchtigen Koggen transportierten sie Pelze und Wachs aus Russland und Osteuropa, Getreide aus Ostdeutschland und Polen, Fisch aus Skandinavien, Salz aus Lüneburg, Wein aus Frankreich und den Rheinlanden. Angeführt von der Hansestadt Lübeck, wurde die Kaufmannsgilde immer größer, gab sich eigene Maße, Gesetze und Gerichte, nahm bald auch politischen Einfluss, schloss Verträge mit ausländischen Herrschern und führte Kriege, als ob sie ein selbstständiger Staat wäre.
Als Staat im Staate und wie eine Made im Speck fühlten sich zugleich die gut organisierten Piraten, die ebenfalls Politik betrieben, geschickt zwischen den Handelsmächten lavierten und häufig sogar die Seehoheit an sich rissen. Von den Kaufleuten gefürchtet und verachtet, konnten sie bei den weniger begüterten Bürgern, denen die »Pfeffersäcke« suspekt waren, durchaus Sympathien gewinnen. Der Schritt vom Freibeuter zum Volkshelden, zu einer Art Schinderhannes des Nordens, gelang vor allem Klaus Störtebeker und seinen (nach dem Synonym für Lebensmittel benannten) Vitalienbrüdern.
Aber im Jahr 1400 – mit achtzig angeschlossenen Städten war die Hanse auf dem Höhepunkt ihrer Macht – hatte der Spuk ein Ende. Die »Bunte Kuh«, eine der modernsten Kriegskoggen der Bündnisflotte, spürte das auf »Roter Teufel« getaufte Seeräuberschiff vor Helgoland auf, und die beiden meistgesuchten Piraten, Klaus Störtebeker und Godeke Michels, gerieten in Gefangenschaft. Im Jahr 1401 wurden sie mit einem Großteil ihrer Mannschaft hingerichtet, aber vorher soll Störtebeker noch die Armenspeisung in Verden an der Aller gestiftet haben. Seit dem 16. Jahrhundert lebt er in Liedern und Gedichten fort.
Die vitale Hanse und die pulsierende Seidenstraße: Symptome einer Veränderung, die den ganzen Globus umgreift. Das Interesse der Menschen wendet sich dem Diesseits zu: dem wirtschaftlichen Wachstum, dem Handel, der Entdeckung unbekannter Länder. Das spürt auch die Kirche, der sich die Bürger zu entfremden beginnen.
Die Umrisse einer globalen, erdumspannenden Zivilisation werden erkennbar. Aber sie zeigen sich nicht nur in der Verkürzung der Informations- und Transportwege, in einem Zuwachs an Begegnung und Kommunikation, sondern auch im Austausch höchst unliebsamer oder gefährlicher »Errungenschaften«. Fortschritt kann ansteckend sein, aber Krankheiten sind es erst recht, und die Intensivierung von Kontakten spielt ihnen in die Hände.
So kam zwar ein bunter Strauß an Innovationen von der Papierherstellung bis zur chemischen Destillation und vom Steigbügel bis zur Oper aus Fernost nach Europa, aber – als besonders brisante »Exportartikel« aus China, das dem scheinbar hochzivilisierten Westen zu dieser Zeit in fast allen Lebensbereichen überlegen war – eben auch das Schießpulver und, nicht weniger folgenreich, die Pest.
Lange vor der Erfindung der Feuerwaffen in Europa, möglicherweise schon seit dem dritten Jahrhundert v. Chr., hatten chinesische Alchimisten mit explosiven Mischungen experimentiert. Die Entdeckung des Schießpulvers dürfte um das Jahr 800 erfolgt sein, es diente aber nur zu Feuerwerkszwecken, primitive Flammenwerfer wurden in Byzanz schon 678 eingesetzt. Spätestens ab 1182 waren bei kriegerischen Auseinandersetzungen chinesische »Feuerlanzen« als Offensivwaffen im Einsatz: Mithilfe eines Abschussrohrs aus Bambus ließ sich eine Pfeilsalve abfeuern. Erst Armeen der Ming-Zeit jedoch verfügten im 14. und 15. Jahrhundert über Reiterregimenter mit Feuerwaffen.
Das »explosive« Grundwissen dafür dürfte aber deutlich früher, das heißt Mitte des dreizehnten Jahrhunderts – vermutlich im Zusammenhang mit den Mongolenzügen –, über die Seidenstraße in den Westen gelangt sein. Es ist erstaunlich, dass es zwei Franziskanermönche sind, die in Europa am Anfang der Entwicklung von chemischen Schusswaffen stehen. Der Engländer Roger Bacon teilt im Jahr 1242 mit, dass eine Mischung aus Salpeter, Holzkohle und Schwefel explosiv sei. Und der Franziskanerbruder Berthold Schwarz, der eigentlich Gold herstellen will, findet um 1350 das Gleiche heraus und verbessert das Gemisch, indem er Kohle aus Weidenholz statt Haselnussholz benutzt.
Entscheidend aber ist, dass das Abendland aus eher spärlichen Anfängen heraus in relativ kurzer Zeit eine revolutionierende Waffentechnik entwickelte. Noch vor der Mitte des 14. Jahrhunderts wurden auf europäischen Schlachtfeldern Kanonen eingesetzt, etwa von den englischen Truppen 1346 gegen die Franzosen bei Crécy. Die Rohre erhitzten sich aber so stark, dass viele der Geschütze explodierten. Der erste Masseneinsatz eines neuen, Kugeln verschießenden Kriegsgeräts erfolgte 1354 in einer Seeschlacht durch die Dänen, und schon 1360 flog das Rathaus der Hansestadt Lübeck in die Luft, weil im Keller die Pulvermagazine lagerten. Zu einer einsatzfähigen Artillerie kam es ab 1420, als man ein schneller brennendes Schießpulver erfunden hatte und nicht mehr mit Kanonenkugeln aus Stein, sondern aus Eisen operierte, so dass ein kleineres Kaliber ausreichte.
Inzwischen war eine andere todbringende »Mitgift« des Ostens in den durch die Seidenstraße immer näher gerückten Westen gelangt. Aus den Tiefen Zentralasiens kommend, möglicherweise aus der Mandschurei oder sogar Korea, hatte ein Krankheitserreger mit den großen Handelskarawanen das Schwarze Meer erreicht, war dann per Schiff nach Ragusa (heute Dubrovnik), Venedig und Genua weitertransportiert worden und hatte sich von den Hafenstädten aus über den ganzen Kontinent verbreitet. Er trat in drei tödlichen Varianten auf: als Beulenpest mit Schwellungen an Hals, Leisten und Achselhöhlen, als Lungenpest und als Blutvergiftung.
Der »Schwarze Tod« verbreitet Angst und Schrecken. Zwischen 1347 und 1353 fallen dreißig Prozent der Europäer der Seuche zum Opfer, in den Armenvierteln sogar 62 Prozent der Bevölkerung. Von den geschätzten sechzig Millionen Menschen in Europa sind es etwa 18 Millionen, die das große Sterben nicht überleben. Noch nie hat eine Krankheit eine derart verheerende Wirkung gehabt. In einigen Regionen, vor allem in den Städten, bricht das öffentliche Leben zusammen. Durch die vielen Todesfälle fehlt es an Arbeitskräften, was zu gesellschaftlichen Veränderungen führt: Die Löhne steigen und damit auch die Preise. Hungersnöte sind die Folge. Die stark ausgedünnte Bauernschaft und ihre Leistungen gewinnen an Bedeutung – die Feudalherren sind auf Gedeih und Verderb von ihnen abhängig.
Die Not treibt die Menschen dazu, nur noch das eigene Leben retten zu wollen. Sie verweigern Hilfe, auch aus Angst vor Ansteckung. Die Infizierten werden ausgegrenzt und sich selbst und dem Tod überlassen. Weil niemand die Art und Ursache der Seuche erklären kann, wird sie als Strafe Gottes und als Anzeichen des Weltuntergangs und des Jüngsten Gerichts aufgefasst. Der Aberglaube gebiert die absurdesten Erklärungen und Behandlungsmethoden. Auf der Suche nach Sündenböcken werden Juden, Zigeuner oder Behinderte als Ursache ausgemacht und entweder getötet oder gezwungen, die Leichen von den Straßen zu holen, zu bestatten oder zu verbrennen.
Aber eine »Branche« boomt: Die Auswirkungen auf den muslimischen Sklavenmarkt sind gewaltig. Überall an der Mittelmeerküste von Ägypten über Kreta bis Spanien schnellt der Preis für ausländische Sklaven in die Höhe. Sklavenhändler, die nicht selbst der Seuche zum Opfer gefallen sind, erzielen auf Jahrzehnte hinaus Rekordgewinne.
Es gab allerdings auch Respekt gebietende Versuche, die Folgen der mörderischen Infektionskrankheit einzuschränken und die Menschen vorbeugend zu beschützen. Ein Beispiel ist die Stadt Venedig, die 1403 eine Insel in der Lagune als Quarantänestation und Hospital einrichtete. Das Kloster auf dieser Insel hieß nach dem biblischen Lazarus Lazaretum, wovon sich bis heute der Ausdruck »Lazarett« ableitet.
Die Ängste und Irrtümer sind in das kollektive Gedächtnis der Menschen in Europa eingegangen. Das Trauma, Opfer einer unbekannten Seuche zu werden, ist bis in die Gegenwart geblieben, zumal da der Pesterreger erst 1894 entdeckt wurde. Der Schweizer Tropenarzt Yersin und der Japaner Kitasato konnten nahezu gleichzeitig, aber unabhängig voneinander den Pesterreger isolieren.