Steigen Sie nun ein zur letzten Etappe unserer Reise durch die Weltgeschichte!
Um diese Zeit, in der wir leben und die uns prägt, in den Blick zu nehmen, empfiehlt sich die Aussicht von ganz oben. So aus einer Höhe von etwa hundert Kilometern. Von da aus lässt sich die Erde gut überschauen. Und das Gefühl, sich in der Schwerelosigkeit zu befinden, entspricht doch haargenau unserem modernen Lebensgefühl.
Die Reise zu unserem letzten Ziel, dem Weltraum, ist freilich noch nicht ganz billig, aber tatsächlich schon ab November 2011 zu haben. So um die 170 000 Euro kostet die etwa einstündige Reise im XP Spaceplane beim amerikanischen Reiseanbieter Rocketplane Global oder auch bei Europas führendem Raumfahrtkonzern Astrium, der die erste Touristentour ins All für 2012 plant. Fahrkarten können Sie übrigens seit Oktober 2009 bereits bei Ihrem Penny-Discounter um die Ecke erwerben.
Vom Oklahoma Spaceport heben wir ab und steigen in 17 Minuten wie bei einem ganz normalen Flug auf gute 12 500 Meter. Dann geschieht es: Der Pilot legt den kleinen roten Hebel um, und mit einer heftigen Beschleunigung von tausend Metern pro Sekunde katapultiert uns die Rakete vertikal eine unendliche Minute lang weit ins All. Plötzlich wird es still werden, wenn der Antrieb erlischt, und wir werden zum ersten Mal erfahren, wie sich Schwerelosigkeit wirklich anfühlt. Doch nur kurze Zeit können wir verwundert und berauscht dieses sensationelle Gefühl auskosten, bevor der Rücksturz zur Erde beginnt.
Worüber könnten wir nachdenken während dieser sieben, acht Minuten, in denen wir losgelöst sind von aller Erdenschwere?
Der Blick aus dem Spaceplane-Fenster wird uns die Schönheit unseres Blauen Planeten unvergesslich vor Augen führen. Wir werden fasziniert sein von der Zartheit der Farben und der Duftigkeit der kleinen Wölkchen, die sich über dem tiefen Azurblau des Atlantiks strahlend weiß abheben. Wir werden Europa ausmachen können und über die gewaltige Ausdehnung Asiens staunen. Die Sonnenreflexion im Amazonas wird uns kurz streifen, und deutlich können wir fruchtbare Landstriche von riesigen trockenen Steppen unterscheiden.
Und wir wissen: Dort unten streben derzeit fast sieben Milliarden Menschen danach, glücklich zu sein. Und jährlich kommen gut achtzig Millionen dazu. Noch vor fünfzig Jahren zählte die Weltbevölkerung kaum mehr als drei Milliarden und um das Jahr 1800 herum gerade mal eine Milliarde. Zu Zeiten von Christi Geburt bevölkerten lediglich 300 Millionen Menschen die Erde, die meisten Landstriche waren noch unbesiedelt.
Allen Untergangspropheten und Unkenrufen zum Trotz: Wir Menschen haben uns bis heute als ungeheuer erfolgreiches Lebensmodell erwiesen. Unsere Erfolgsgeschichte, die ganz bescheiden irgendwo in Afrika beginnt, ist atemberaubend. Aber wie lange wird das weitergehen?
Noch einmal ein Blick aus dem Fenster: Die Verletzlichkeit und rührende Verlorenheit unseres kleinen Planeten im schwarzen Nichts weckt in uns ein warmes Gefühl für die Menschheit. Wir wollen nicht vergessen: Der Mensch ist unendlich aufwendig hergestellt; allein deswegen soll man ihn mögen. Über vier Milliarden Jahre hat es gebraucht, um jeden Einzelnen von uns über den komplizierten Weg der Evolution aus Kohlenstoffeinheiten, also aus bloßem Sternenstaub, zu schaffen. Und dieses Phänomen an sich bleibt ein wunderbares, ewiges Rätsel, das auch unsere kausalitätssüchtige Wissenschaft niemals durchschauen kann. Denn der Vorgang unserer Entstehung und der Entstehung unserer Welt mag geschichtlich beschreibbar sein – wissenschaftlich ist er keineswegs ergründbar, denn hier lässt sich nichts im Experiment wiederholen. Die Abläufe dieser Geschichte sind einmalig, kontingent, zufällig. Und es stört uns jetzt auch nicht, dass wir von diesem Geheimnis sicher wissen, dass wir nichts wissen können. Würde nicht die Naturwissenschaft auch das wirkliche Geheimnis des Lebens trivialisieren, wenn sie monoton nach dem Warum fragte? Letztlich, so müssen wir uns eingestehen, werden wir doch dadurch erst richtig selbstständig, dass wir uns von den Bedingungen des eigenen Entstehens emanzipieren und einfach »sind«. Mit allem Recht des Seienden. Und dem naturgegebenen Anspruch, auf eine gute Zukunft für uns zu hoffen. Wir nehmen uns also vor, eine positive Bilanz zu ziehen und optimistisch nach vorn zu blicken, so wie es der Philosoph Karl Popper einmal gefordert hat, als er von der menschlichen »Pflicht zum Optimismus« sprach.
Wir leben! Und das trotz jährlich neu angesagter Katastrophen: trotz der Kubakrise 1962, die die Welt an den Rand des atomaren Untergangs brachte. Trotz der düsteren Zukunftsszenarien des Club of Rome in den Siebzigerjahren. Trotz der letzten furchtbaren Kriege im Nahen Osten oder auch der schrecklichen Völkermorde in Afrika und auf dem Balkan. Trotz Klimawandel und Eisschmelze. Trotz Waldsterben, Schweinegrippe, AIDS und Terrorismus. Und immerhin wissen wir: Noch zu keiner Zeit gab es so wenig Kriegsopfer wie in der gegenwärtigen Welt, die wir jetzt von hier oben betrachten. Gewiss, immer noch sterben viel zu viele Menschen durch Gewalt und Kriege. Noch immer gibt es viel zu viel himmelschreiende Armut und ungelindertes Elend. Aber tatsächlich gab es kaum jemals eine friedlichere Zeit als heute.
Seit dem Jahr 2000 gelingen weltweit unglaublich viele Wohlstandsprojekte, vor allem in Asien, Indien und Südamerika, so rechnen uns die Statistiker des Weltwährungsfonds vor. Und auch was in den fünfzig Jahren davor geschah, war wirklich nicht immer zu beklagen: Mit der Bildung der Europäischen Gemeinschaft etwa gelang nach 1950 in nur ein paar Jahrzehnten die Zusammenführung und die Befriedung eines über Jahrhunderte kriegsverwüsteten Europa, wie es noch für unsere Urgroßeltern ganz unvorstellbar war. Auch Asien erholte sich vom japanischen Zusammenbruch. China stieg aus kolonialer Ausbeutung und Knechtschaft zu einer führenden Weltwirtschaftsmacht auf. Mit der Abrüstung in Ost und West geschah etwas geschichtlich Einmaliges: Noch niemals zuvor haben Völker ihre teuersten Waffen einfach unbenutzt verschrottet. Zum ersten Mal gelang es, einen Krieg, der bereits in den Köpfen vorbereitet war, einfach ausfallen zu lassen. Und mit Einrichtung der UNO in New York wurde endlich, nach der tragischen Versagensgeschichte des Völkerbundes in den Dreißigerjahren, ein halbwegs funktionierender Versuch gemacht, die Völker dieser Welt zu einer friedlichen Koexistenz anzuleiten.
Von den enormen überraschenden Technikfortschritten ganz zu schweigen, gerade auch im Bereich von Medizin, Lebenszeitverlängerung und »Care-Providing«, einem Begriff, unter dem in Zukunft alle Instandhaltungsdienstleistungen, auch die am Menschen, gebündelt werden. Die Fachleute nennen die ungewöhnlich vielen technischen Meilensteine, die in den letzten dreißig Jahren die Welt revolutionierten, »disruptive Innovationen«, wie etwa den Supraleiter, den Computerchip, das Internet oder neuerdings auch das iPhone, das die weltweite Kommunikation von Grund auf verändert. Seit Kurzem zählt auch schon die sogenannte »Greenobalisierung« dazu, die rasante Entwicklung weltweiter Umwelt- und Recycling-Technologien, die in den kommenden Jahren einen gewaltigen Boom erleben werden, wie es viele Zukunftsforscher voraussagen. »Die nächste industrielle Revolution wird grün sein!«, so sind sich viele Ökonomen sicher. Und die Welt der Elektroautos und CO2 -freier Energien wird eine schönere werden.
Selbst die Bankenkrise wird inzwischen von vielen als Chance zur positiven und notwendigen Veränderung begriffen. Analytiker sehen diesen Crash vor allem als das Ergebnis einer veralteten, hierarchisch geprägten Finanzwelt, die ihr Risiko-Verhalten nach frühkapitalistisch-männlichen Maßstäben ausrichtet. Aber weltweit seien längst »weibliche« Lösungsstrategien in Politik, Kultur und Wirtschaft auf dem Vormarsch: Intuition, emotionale Intelligenz, Kooperationsbereitschaft, Risikovermeidung.
Der soziodemografische Wandel und die neuen Arbeitsbedingungen einer globalisierten Welt zwingen zu intensiven Beziehungskonzepten. Wirtschaftliche Verflechtungen aber sind der Königsweg zur Förderung des Weltfriedens. Dabei werden in der Arbeitswelt lebenslange Firmenbindung, starre Hierarchien und lineare, frustrierende Arbeitsabläufe abgelöst werden durch Selbstständigkeit, schöpferische Gestaltung und »Multijobbing«. Die Zukunftsfähigkeit von Arbeitsangeboten wird sich bald schon daran bemessen, inwieweit es einem Unternehmen in einer immer stärker automatisierten Welt gelingt, den Arbeitnehmern kreatives, motivierendes Potenzial zur Selbstverwirklichung anzubieten. Derart kreative und lebensnahe Jobs ermöglichen dann auch die freiwillige Fortführung der Arbeit über das 65. Lebensjahr hinaus.
Vor der Auslagerung von Dienstleitungen und Produktionsabläufen in Billiglohnländer wie China, Brasilien oder Indien braucht sich bald niemand mehr zu fürchten, so belegt eine neueste Untersuchung des Wiener »Zukunftsinstituts«: Weil die Löhne in den Schwellenländern bereits kontinuierlich steigen, Transportkosten aber aufgrund von Energie- und Umweltauflagen immer höher ausfallen, wird es zu einer Rücklagerung der Arbeitsplätze kommen. China und Indien werden keineswegs mit dauernden Dumpinglöhnen die Weltwirtschaft dominieren, denn bereits der nächste asiatische oder indische Boom dürfte von einer anspruchsvolleren Mittelschicht betrieben werden und nicht, wie bisher, von verarmten Wanderarbeitern, denen jeder Arbeitsplatz recht ist. Auch in den Schwellenländern steigen die Ansprüche der Arbeitnehmer, zumal da weltweite Medien den Standard des Westens ständig vor Augen führen. Besonders China wird damit beschäftigt sein, viele hausgemachte, in der Eile des Aufschwungs bislang »übersehene« Probleme zu meistern: den vermehrten Umweltverbrauch, die ethnischen Spannungen und vor allem auch die Probleme, die auf eine schnell alternde, relativ geburtenschwache Nation zukommen, die bis jetzt keine Altersversicherung und kein zukunftsträchtiges Gesundheitssystem kennt.
Und noch ein wesentliches gesellschaftliches Verhalten sehen die Zukunftsforscher in positivem Wandel: Hatte man nach dem Zweiten Weltkrieg in allen führenden Industriestaaten auf gigantische Produktionssteigerung, wirtschaftlichen Aufschwung und vermehrten Konsum gesetzt, so scheint mit der Jahrtausendwende eine langfristige Trendumkehr eingeläutet: Der Jagdtrieb der Konsumenten im Sinne einer »Geiz-ist-geil«-Mentalität erschlafft. Der moderne Mensch wird es allmählich leid, nur noch und ausschließlich als Konsument verstanden zu werden, zu dem ihn die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts gemacht hat. Von der Rückkehr zu geistig-kulturellen Werten, einer »Back-to-Basic«-Strategie, versprechen sich nicht nur satte Wohlstandsbürger eine Reduktion ihres Alltagsstresses, sondern ganz messbar wächst weltweit der Sinn für die altbekannte Tatsache, dass der Mensch eben nicht vom Brot allein lebt.
Noch etwas ist gerade dabei, die Welt zum Guten zu revolutionieren: Die Speicherung und Weitergabe von Informationen wird durch die neuen technischen Möglichkeiten radikal entgrenzt und demokratisiert. In Zukunft wird es für Politiker und sonstige Machthaber kaum mehr möglich sein, Dinge zu tun, die unentdeckt bleiben oder bei denen sie auf dauernde Verschleierung hoffen dürfen. Sogar die unvergleichlichen Gräueltaten eines Adolf Hitlers wären wahrscheinlich anders verlaufen, wenn vor siebzig Jahren die enorm wachsende mediale Transparenz für ihn und seine Spießgesellen schon absehbar gewesen wäre. Denn liest man in den historischen Dokumenten, was Hitler am 22. August 1939 unmittelbar vor Kriegsbeginn seinen fünfzig Generälen aller Waffengattungen auf dem Obersalzberg unverblümt diktierte, muss man daraus schließen, dass Hitler tatsächlich davon ausging, sein furchtbarer Völkermord würde im Bewusstsein der Menschen schnell verblassen und letztlich ungesühnt bleiben. Schon damals benannte er seine bereits in »Mein Kampf« klar definierte Absicht der »Schaffung neuen Lebensraums im Osten für die arische Rasse« als eigentliches Kriegsziel, für das es notwendig sei, »einstweilen nur im Osten Mann, Weib und Kind polnischer Abstammung und Sprache in den Tod zu schicken«. Und er fügte hinzu: »Wer redet heute noch über die Vernichtung der Armenier?!«, also den Völkermord, den das Osmanische Reich in den Jahren 1915 bis 1917 an bis zu 1,5 Millionen Armeniern begangen hatte. Nebst der Tatsache, dass die Führung der Deutschen Wehrmacht Hitlers verbrecherische Pläne von Anfang an gekannt hat, machen diese Worte deutlich: Hitler rechnete offenbar mit der Möglichkeit eines ungestraften Genozids – eine Hoffnung, die sich zuletzt sogar noch in Politiker- und Generalsköpfen in den Kriegen Ex-Jugoslawiens halten konnte, die aber angesichts der neuen medialen Möglichkeiten glücklicherweise keiner Realität mehr entspricht.
Wikileaks ist nur ein schwacher Vorbote für den enormen, begrüßenswerten Zuwachs an Transparenz bei politischen Vorgängen aller Art in der Zukunft. Warum auch sollte es »Hinterzimmer-Diplomatie« geben in demokratischen Gesellschaften, deren Bürgern zu Recht im Alltagsleben tagtäglich gepredigt wird, wie wichtig Ehrlichkeit, Unbestechlichkeit, Wahrheitsliebe und Transparenz sind? Die »kleine Moral« muss auch Maßstab für die »große Moral« sein. Und die Mächtigen dieser Welt müssen ab sofort die Öffentlichkeit all ihrer politischen Handlungen mit bedenken. Der Rechtfertigungsdruck für politisches Verhalten wächst enorm. Schon jetzt gibt es weltweit kaum ein Ereignis, das nicht von irgendeiner Handykamera dokumentiert wird. Die Gewissheit, dass Ungerechtigkeiten oder gar Untaten über das Internet sekundenschnell die weltweite Öffentlichkeit erreichen, steigert das emanzipatorische Selbstbewusstsein der Bevölkerung überall auf unserem Erdball und schwächt die gefühlte Unantastbarkeit der Herrschenden. Für Diktatoren aller Couleur wird es in dieser Atmosphäre kontrollierender Transparenz immer enger. So wird die erste Hälfte des 21. Jahrhunderts die Zeit der »Diktatoren-Dämmerung« werden, wie es sich in der arabischen Welt bereits abzeichnet. Und »Fairness« wird im Miteinander der vernetzten Völker ein immer häufiger gehörter, bestimmender Begriff sein.
Und dann sind plötzlich die acht Schwebeminuten um, und wir werden beim Eintritt in die Erdatmosphäre heftig in die Polster unserer Sitze gedrückt. Die Schwerkraft hat uns wieder. Die heikle, aber auch schöne Aufgabe, unsere Zukunft gemeinsam zu gestalten, ist wieder physisch spürbar. Und wenn wir aus dem XP Spaceplane aussteigen, dann werden wir »von Familienmitgliedern und Freunden erwartet, die darauf brennen, von unseren tollen Erfahrungen etwas zu hören« – so verspricht es jedenfalls die Website von Rocketplane Global (www.rocketplane.com).
Wir werden ihnen von unseren Zukunftshoffnungen erzählen. Und dann und wann, wenn wir nicht so recht weiterwissen, werden wir wieder in den dicken Geschichtsbüchern blättern, um zu sehen, was unsere Vorfahren richtig oder falsch gemacht haben.
Wir werden wieder in der Geschichte unterwegs sein, um zu sehen, was ihr Schicksal uns rät. Denn wie hatte der Universalgelehrte und Gründer der Berliner Universität, Wilhelm von Humboldt, schon gewusst: »Nur wer die Geschichte kennt, hat eine Zukunft.«