Haben Sie je von Babylon gehört? Der Stadt, die zum Knotenpunkt von Mythen, Wundern und Legenden wurde? Natürlich haben Sie schon von Babylon gehört. Oder zumindest von Babel, das ist der hebräische Name.
Vielleicht ist Ihnen ja das Wort vom »Sündenbabel« begegnet, das auf eine Stätte moralischer Verworfenheit, der Ausschweifung und des Lasters verweist. Der Ausdruck geht auf die »große Hure Babylon« im 17. Kapitel der Offenbarung des Johannes zurück. Gern ist er auch auf Paris als »Seinebabel« umgemünzt worden.
Auch vom »Turmbau zu Babel« haben Sie gewiss läuten hören, vielleicht sogar das berühmte Gemälde des flämischen Malers Pieter Brueghel vor Augen, der bei seiner Konzeption (um 1563) wiederum das Kolosseum in Rom vor Augen hatte. Dann dürften Sie vermutlich auch wissen, dass Gott die Erbauer des Turms, der bis in den Himmel reichen sollte, mit jenem berüchtigten »Kommunikationsabriss« bestrafte, der als »babylonische (Sprach-)Verwirrung« in das Alte Testament (1. Mose 11) und in die Zitatenlexika Eingang fand.
Die ebenfalls sprichwörtliche Wendung von der »babylonischen Gefangenschaft« sparen wir uns noch ein wenig auf, bis wir zur Zerstörung Jerusalems (587 v. Chr.) und zur Deportation der Juden durch König Nebukadnezar II. kommen. Dann lässt sich auch der mythische Knall- und Schlusseffekt dieser historischen Epoche ausleuchten: das berüchtigte Gastmahl des Belsazar, dessen düstere Endzeit-Stimmung Heinrich Heine in einer der bekanntesten deutschen Balladen eingefangen hat: »Die Mitternacht zog näher schon; in stiller Ruh lag Babylon …«.
Nach so vielen geflügelten Worten, nach so viel Babylon vom Hörensagen haben Sie sich einen visuellen Ausgleich verdient. Wir nehmen den prächtigsten und aussagekräftigsten, der sich denken lässt. Ihnen werden die Augen übergehen. Und die Reise ist kürzer, als Sie denken. Seit 1930 liegt Babylon in Berlin.
Tiefblau glasierte Ziegel, die sich im Berliner Pergamon-Museum zum magischen Monument des Ischtar-Tors ergänzen, waren das Erste, was europäische Archäologen von der Metropole des Zweistromlandes wiederentdeckten. Das rief den deutschen Bauforscher Robert Koldewey (1855–1925) nach Mesopotamien. Er sorgte dafür, dass bis Ende der 1920er-Jahre 800 Kisten voll emaillierter Ziegelbrocken auf dem Seeweg von Basra nach Hamburg und weiter über Elbe, Havel und Spree nach Berlin geschickt wurden.
Es war die Zeit, als George Gershwins »Rhapsody in Blue« ihren Siegeszug um die Welt antrat. Viele der Besucher, die den monumentalen Torbogen seit 1930 durchschritten haben, dürften die Komposition als unhörbare Begleitmusik im Kopf gehabt haben.
Aber das Ischtar-Tor ist mehr als ein blaues Wunder. Es öffnet Ihre Sinne für eine untergegangene Welt und führt Sie wie ein »Sesam, öffne dich!« in jene Kernregion des Orients, die einst eine Drehscheibe der Geschichte war.
Seit der Mitte des dritten vorchristlichen Jahrtausends dreht sich zwischen Euphrat und Tigris das Völkerkarussell und lässt unter Sargon von Akkad ein frühes (semitisches) Großreich entstehen, führt Assyrer, Hethiter, Kassiten, Chaldäer und schließlich Perser nach Babylon, wirbelt Mythen und Fakten durcheinander. Aber ohne den Schnee aus den Bergen Armeniens, der die Wüsten Babyloniens zum Blühen brachte, hätte es das Motiv der unterschiedlichen Völker und Mächte, in dieser Region Fuß zu fassen, Hegemonie über die Nachbarn und Herrschaft über ganz Vorderasien zu gewinnen, gar nicht gegeben.
Mit Ägypten teilt sich Mesopotamien die Würde der frühesten Hochkultur der Menschheit. Wie dort der Nil, so bestimmte hier das Zwillingspaar Euphrat und Tigris den Takt und die Frequenz des Lebens. Damals allerdings schnitt das Meer noch viel tiefer ins Land, und die Zwillingsflüsse hatten keine gemeinsame Mündung.
Extrem das Klima: acht Monate Sommer von Mitte März bis Mitte November mit den höchsten Hitzegraden der Erde, kaum zwei Monate Winter, streng, oft mit fußhohem Schnee, zwischen Mai und September kein Tropfen Regen, gewaltige Temperaturunterschiede zwischen Tag und Nacht. Aber zum Ausgleich die periodische Überschwemmung, die sich der Frühjahrsschneeschmelze in den Bergen Armeniens verdankt, beginnend im März, was den Tigris, im April, was den Zwilling Euphrat betrifft, mit Höhepunkten im Juni und Juli, wenn das Land sich von einer glühenden Hölle zuerst in eine riesige Wasserfläche und dann in ein Abbild des Gartens Eden verwandelte.
Die Bewohner Mesopotamiens, insbesondere die Menschen im unteren Drittel des Flusspaares, das – analog zum Nildelta – den Hauptgewinn bei der Schmelzwasserverteilung erzielte, waren nicht nur Ingenieure, sondern wahre Künstler bei der Nutzung der nassen Fracht aus den Schneegebirgen. Dämme, Bewässerungs- und Berieselungsanlagen, Stauseen, Kanalsysteme, die sich wie Adern verzweigten, Abflussgräben, die die sumpfigen Niederungen anzapften, Schöpfräder, die das Wasser in die höher gelegenen Felder füllten: Mesopotamien und speziell das zum Mündungsgebiet sich erstreckende Babylonien hatten sich in eine riesige Oase, eine fruchtbare Getreide- und Gartenlandschaft verwandelt.
Und auch ein dem segenstiftenden Element angemessenes Fahrzeug wurde erfolgreich konstruiert. Die Guffa, ein korbähnliches Fortbewegungsmittel, aus den Stielen von Palmblättern geflochten und mit Erdpech abgedichtet, kam dann zum Einsatz, wenn das Land sich auf dem Höhepunkt der Schneeschmelze in eine riesige Wasserfläche verwandelt hatte. Aber auch auf dem Rücken schwimmender Pferde konnte man sich erfolgreich durch das Wasserlabyrinth navigieren. Als drittes mobiles Hilfsmittel wurden nach alter Tradition aufgeblasene Schläuche aus Hammelhäuten verwendet. Wie ein Alabasterrelief aus dem neunten vorchristlichen Jahrhundert zeigt, wurde diese Technik auch militärisch genutzt, um bei Flussüberquerungen Mannschaft und Ausrüstung auf die andere Seite zu bringen; nur die Kriegswagen wurden auf Boote verfrachtet.
Wenn es einen Preis für Völker gäbe, die sich zeitweise in Amphibien verwandeln können – die Menschen im unteren Zweistromland hätten ihn verdient.
Begonnen hatte alles, fast alles mit den Sumerern. Glaubt man ihren Priestern, die sich gern auch als Geschichtsforscher gerierten und das Leben ihrer Könige in ausufernden Listen festhielten, so reicht die sumerische Kultur 432 000 Jahre zurück. Bei realistischer Einschätzung entstand sie gegen Ende des vierten Jahrtausends v. Chr. im südöstlichen Teil Mesopotamiens, also jener historischen Region im heutigen Irak, die von den mächtigen Unterarmen der Zwillingsflüsse umgrenzt wird und im Anklang an die um 1800 v. Chr. erbaute, von den Griechen »Babylon« getaufte Hauptstadt seither als Babylonien bezeichnet wird.
Die Sumerer, das älteste Kulturvolk des Orients, erhielten ihren Namen von ihren Nachfolgern, den Akkadern. Diese tauften sie sumeru.
Schon die frühen Zentren der Sumerer – Städte wie Ur, Uruk, Nippur oder Lagasch in der Nähe des Persischen Golfs – fassten bis zu 50 000 Einwohner. Die hoch aufragenden Stufentempel, die sie ihren Göttern widmeten und die als Zikkurate (akkad. = Götterberge) bekannt wurden, dürften die späteren Fantasien um den Turmbau zu Babel und die entsprechende Passage im Alten Testament angeregt haben. Vor allem aber dienten sie der Beobachtung der Himmelskörper.
Die sumerische Metropole Eridu am Persischen Golf gilt als eine der ersten Städte der Weltgeschichte. Ihre Vorstufen reichen bis ins sechste Jahrtausend v. Chr. zurück. Nach 2000 v. Chr. wurde die Hafenstadt wegen Versandung der Lagune aufgegeben.
Ab 3500 v. Chr. entwickelte sich Uruk, Hauptkultort der sumerischen Himmelsgöttin Inanna und Sitz des sagenhaften Herrschers Gilgamesch, zur ersten Großstadt der Welt. In der Bibel kommt sie als Erech vor. Im Laufe des dritten Jahrtausends gewinnt Ur an Bedeutung und wird mehrfach Hauptstadt Babyloniens. Nach biblischer Überlieferung war Ur die Heimat Abrahams. Die Königsgräber von Ur mit kostbaren Beigaben an Metall- und Edelsteinarbeiten sind in den 1920er- und 30er-Jahren freigelegt worden.
Die berühmteste Hinterlassenschaft der Sumerer ist aber ihre Schrift. Die sumerische Keilschrift, deren keilförmige Striche mit einem Rohrgriffel in weiche Tontafeln eingedrückt wurden, entwickelte sich genau wie die Hieroglyphen und wie das moderne Alphabet aus der Abstrahierung von Bildzeichen. Bilder mit einfacher Bedeutung standen am Anfang, später wurden komplexere Begriffe mithilfe von Zeichenkombinationen dargestellt, und der Lautwert wurde allmählich wichtiger, analog der Entwicklung des Alphabets.
Die sumerische Schrift entstand zwischen 3400 und 3200 v. Chr. und wurde bald auch von anderen vorderasiatischen Völkern übernommen. Zeitlich synchron trat auch Ägypten in den Stand der Schriftlichkeit. Erst ein gutes Jahrtausend später entstand die Bilderschrift der ersten europäischen Hochkultur auf Kreta.
In jedem Fall ist die sumerische Schrift eine kaufmännische Erfindung, keine Schöpfung von Dichtern oder Priestern. Ob es nun um Rinder, Getreide, Wein oder Öl ging – es galt Lieferungen zu registrieren und Warenmengen festzuhalten. Während sich die sumerische Schrift, wie die Archäologen feststellen konnten, über Jahrhunderte entwickelte, scheint das System der ägyptischen Hieroglyphen – auch wenn es noch zahlreiche Ergänzungen und Veränderungen gab – von Anfang an fast »fertig« gewesen zu sein. Aber was die Priorität, also das »Erstgeburtsrecht«, und die konkrete Schriftpraxis angeht, könnte jeder neue Fund in Ägypten oder in Mesopotamien das Bild wieder verändern.
Auch das Heldengedicht über den König Gilgamesch, das um 1850 v. Chr. entstand, ist uns in der charakteristischen Keilschrift überliefert. Um den königlichen Halbgott Gilgamesch rankt sich ein Kranz mythischer Erzählungen, in denen er nach gewaltigen Heldentaten den Versuch unternimmt, das ewige Leben zu gewinnen.
Das älteste Großepos der Menschheit ist zugleich die früheste schriftliche Quelle für das Auftreten einer alles vernichtenden Flut – den Mythos der Sintflut, der selbst wiederum eine Sintflut an Mythen in Gang gesetzt und sich tief in das kollektive Gedächtnis eingegraben hat. Wie in der Bibel spielt auch im Gilgamesch-Epos die rettende Arche eine Rolle.
Den Sumerern verdanken wir auch die Einteilung des Kreises in 360 Grad und die der Stunde in sechzig Minuten. Nach diesem Sechziger-System richtete sich auch die sumerische Währung. Mit der »Erfindung« der Sieben-Tage-Woche, die auch die Schöpfungsgeschichte der Bibel geprägt hat, mit den Tierkreiszeichen und der Benennung zahlreicher Sternbilder ragt das altbabylonische Kulturerbe bis tief in den heutigen Alltag hinein.
Lange Zeit galten die semitischen Akkader, deren König und Reichsgründer Sargon sich um 2235 v. Chr. zum »Herrn der vier Weltteile« ausrief, als das älteste Volk des Orients. Sie übernahmen die Kernelemente der sumerischen Kultur, darunter die Keilschrift, und beteten zu den Göttern ihrer Vorgänger. Mit ihrer Hauptstadt Akkad aber entfernten sie sich von den sumerischen Zentren am Persischen Golf und konzentrierten sich dort, wo Tigris und Euphrat erstmals einander nahekommen. Die Gegend um das spätere Babylon gewann an Bedeutung.
Und Babylon selbst? Noch gibt es sie gar nicht, oder sagen wir, sie kommt in der Geschichte noch nicht vor: die Stadt, die stärker als Jerusalem und Rom die Fantasie der Menschen beschäftigt hat, die zum Nabel der Welt und zum Inbegriff eines Schmelztiegels der Zivilisationen geworden ist. Zwar wird das »Tor Gottes«, wie das babylonische Wort babilu zu übersetzen ist, erstmals Ende des dritten Jahrtausends v. Chr. erwähnt, aber erst im Verlauf des zweiten Jahrtausends gewinnt es an Bedeutung, und bis zur neubabylonischen Glanzzeit unter dem Chaldäer Nebukadnezar, der das Ischtar-Tor baut, wird noch ein weiteres Jahrtausend vergehen.
Es gehört zu den historischen Merkwürdigkeiten, an denen der Alte Orient so reich ist, dass die eigentliche Gründung Babylons einem – aus sumerisch-akkadischer Sicht – primitiven Kriegervolk zuzuschreiben ist. Der ersten semitischen Einwanderung ins Zweistromland im dritten Jahrtausend v. Chr. folgte um 2000 v. Chr. eine neue aus der syrischen Wüste. Es sind die Nomadenstämme der Amoriter, die um 1800 v. Chr. die Vorherrschaft im mittleren Mesopotamien gewinnen und eine Reihe von Dynastien gründen, die erste davon in Babylon. Sechster Herrscher der babylonischen Dynastie wird König Hammurabi.
Hammurabi, Feldherr, Politiker und Gesetzgeber, schlug Kapital aus dem Kampf sechs rivalisierender Mächte, die bei seinem Amtsantritt um die Vorherrschaft im Zweistromland stritten. In seiner Regierungszeit (1792 –1750 v. Chr.) baute er den kleinen Stadtstaat Babylon zu einem Flächenstaat und zur führenden Macht in Mesopotamien aus. Die Erlasse an seine Stadthalter in Nord- und Südbabylonien bezeugen Energie und Umsicht eines Herrschers, der die von den Akkadern konzipierte Vergöttlichung des Königtums ablehnt.
Ob der vielseitige und weitsichtige König auch ohne seinen Gesetzeskodex, der 1902 auf einer Dioritstele in Susa gefunden wurde, zu einem der bedeutendsten altorientalischen Herrscher geworden wäre, steht freilich dahin. Der in Keilschrift verfasste und vollständig erhaltene »Codex Hammurabi«, Dokument der Sorge und Fürsorge des Königs um Leben und Eigentum seiner Untertanen, gilt auch heute noch als das berühmteste Gesetzeswerk der vorrömischen Antike.
Sie brauchen nicht nach Paris, in das »Seinebabel« zu reisen, um einen Blick auf die Steinstele mit den Gesetzen zu werfen. Sie können im Bannkreis des Ischtar-Tors bleiben, denn eine Kopie befindet sich im Pergamon-Museum in Berlin. Ein Flachrelief über dem Text zeigt an, wie der Großkönig die Gesetze von dem Gott Schamasch entgegennimmt.
Aus heutiger Sicht fällt es allerdings schwer, das hier kodifizierte Talionsrecht als Reform zu bezeichnen. Möglicherweise ist es aber in seiner – zuvor extrem martialischen – Auslegung abgeschwächt worden.
Nachdenklich stimmt auch der Vergleich mit der Rechtspraxis der Hethiter, die zwei Jahrhunderte später die Dynastie Hammurabis auslöschen werden. Die hethitische Kultur zeichnete sich durch eine auffallende Milde aus. Das alte Talionsprinzip nach dem Grundsatz »Auge um Auge, Zahn um Zahn«, das im ganzen Orient galt, war hier bereits vollständig überwunden.
Ihr feinsinniges Rechtssystem, das eine in der Antike einzigartige und dem Orient sonst eher fremde Achtung vor dem Individuum offenbart, hat die Hethiter natürlich nicht daran gehindert, aus ihren Kerngebieten an den Flüssen Halys und Chabur heraus aktive Eroberungspolitik zu betreiben. Ihr Königreich Hatti erstreckte sich um die Hauptstadt Hattusa herum in Zentralanatolien, aber zwischen dem 17. und 13. Jahrhundert v. Chr. verschoben sich seine Grenzen ständig. Zeitweilig reichte es bis nach Syrien, zum Schwarzen Meer und zur Ägäis.
Der Zugriff auf Babylon erfolgte 1530 v. Chr. unter dem hethitischen König Mursili. Nach der Einnahme plünderten die Hethiter die Stadt und setzten sie dann in Brand. Aber die Eroberung brachte ihnen kein Glück. Einige Zeit nach der Rückkehr wurde Mursili ermordet, und die hethitische Politik wurde durch Machtkämpfe zwischen rivalisierenden Zweigen der königlichen Familie geschwächt.
Der Überfall der Hethiter hatte ausgereicht, um das altbabylonische Reich zu Fall zu bringen. Jahrhunderte hindurch herrschten nun im Gebiet Babylons die Kassiten, kriegerische Halbnomaden aus den iranischen Bergen. Um 900 v. Chr. gelang es dann den Assyrern, deren Zentrum Assur schon seit einem Jahrtausend Drehscheibe des Handels gewesen war, ein neues Großreich aufzubauen und die Vormacht im Alten Orient zu übernehmen. Das glänzende, luxuriöse, mondäne Ninive am Oberlauf des Tigris löste das traditionsreiche Assur als Metropole ab.
Die Armeen der wegen ihrer beispiellosen Brutalität berüchtigten Assyrer verfügten über Streitwagen, Fußsoldaten, Reiter und auch schon über die neuen Eisenwaffen. Ihre Feinde terrorisierten sie mit Massenhinrichtungen und Verschleppungen. Die Strafen waren barbarisch, von Zwangsarbeit zum Ausbau der Städte und ihrer Riesenpaläste angefangen.
In der Regierungszeit von Assurbanipal (668 – 627 v. Chr.) eroberten die Assyrer auch Teile Ägyptens, darunter die Pharaonenhauptstadt Theben mit dem Tempel von Karnak. Dies war die größte Ausdehnung des Reiches, aber damit hatten sich die Assyrer übernommen. 612 v. Chr. stürmten Meder und Babylonier gemeinsam die Hauptstadt Ninive.
Die berühmte Bibliothek von Ninive bewahrt das andere Antlitz der assyrischen Herrschaft. König Assurbanipal, der sie ab 650 v. Chr. erbauen ließ, war aufgeschlossen für Literatur und Wissenschaft. Ohne seine Initiative müssten viele Dokumente aus der frühen mesopotamischen Geschichte als verloren gelten. Unter den 25 000 Keilschrifttafeln des Archivs von Ninive findet sich auch das Gilgamesch-Epos.
Nach der Zerschlagung des assyrischen Imperiums setzten die südmesopotamischen Chaldäer die Großmachtpolitik ihrer Vorgänger fort. Nebukadnezar II., der das Neubabylonische Reich gründet und den gesamten Nahen Osten von der Euphrat-Mündung bis zum Mittelmeer beherrscht, wird zum bedeutendsten Feldherrn und Staatsmann seiner Epoche.
Seinen guten Ruf hat er dennoch nicht retten können. Das liegt vor allem an der Bibel. Massendeportationen und Umsiedlungen großer Menschengruppen gehörten zwar sowohl bei den Assyrern als auch bei den Babyloniern zum Herrschaftssystem, und allein in assyrischer Zeit sollen viereinhalb Millionen Menschen verschleppt worden sein. Aber dass Nebukadnezar nach der Eroberung Jerusalems 587 v. Chr. nicht nur den Salomon-Tempel zerstörte und ausraubte, sondern auch die Angehörigen der jüdischen Oberschicht als Geiseln mitnahm, hat ihm die Geschichte nicht verziehen. Ausführlich hält die Bibel im Buch Daniel das Sündenregister Nebukadnezars fest und beschreibt die »Babylonische Gefangenschaft« des Volkes Israel, das sich seiner Religion beraubt fühlte und sich nun damit wehrte, die eigenen Überlieferungen schriftlich festzuhalten.
Auch die geheimnisvolle Hand, die bei einem wüsten Ess- und Trinkgelage des Nebukadnezar-Nachkommen Belsazar in Erscheinung tritt und rätselhafte Worte an die Wand schreibt, wird im Alten Testament erwähnt. Während die einheimischen Gelehrten bei der Deutung des Menetekels versagen, kann der nach Babylon verschleppte Jude Daniel, der für seine Weisheit bekannt ist, dem gottlosen Gastgeber auf die Sprünge helfen. Er übersetzt die Drohung als Hinweis auf den bevorstehenden Untergang von Belsazars Reich: »gewogen und zu leicht befunden.«
»Belsazar ward aber in selbiger Nacht / von seinen Knechten umgebracht«, notiert Heinrich Heine lakonisch und endgültig.
Babylon aber darf noch einmal eine schmale Zeit glänzen. Nebukadnezar hat die Stadt wieder größer und prächtiger ausbauen, neue Kanalsysteme und gewaltige Stadtmauern errichten lassen. Ihre Länge schätzte der Babel-Spezialist Koldewey auf etwa 18 Kilometer und blieb damit deutlich hinter den Angaben der meisten antiken Autoren zurück. Man vermutet heute, dass sie eine zweite babylonische »Mauer« einrechneten, eine Art Schutzwall von nachweislich etwa fünfzig Kilometern Länge, die nördlich der Stadt zwischen den Flüssen Euphrat und Tigris verlief und so den Zugang aus dieser Richtung abriegelte.
Allein das Zentrum der altorientalischen Metropole, die Jahrtausende lang als größte Stadt der Welt galt und in der zwischen 50 000 und 80 000 Menschen gelebt haben, nahm einst mehr als zweieinhalb Quadratkilomer ein. Die Ummauerung könnte eine Höhe von bis zu dreißig Metern erreicht haben. Angesichts der riesigen Fläche der Ruinenstätte und der Dichte der archäologischen Schichten war an eine vollständige Ausgrabung Babylons nie zu denken.
Auch der legendäre Hochtempel des Stadtgottes Marduk, gewissermaßen der spätbabylonische Anteil am Turmbau-Mythos, entsteht unter Nebukadnezar neu. Mit insgesamt sieben übereinander gestellten Plattformen überragt er das Zwischenstromland. Und ein weiterer Mythos darf sich entfalten, der es sogar bis in die offizielle Liste der antiken Weltwunder schafft. Es sind die Hängenden Gärten der Semiramis, von denen mehrere Autoren der Spätantike überschwänglich berichten.
Die Bibel allerdings schweigt sich darüber aus. Auch zeitgenössische Quellen oder eindeutige archäologische Funde sind nicht vorhanden. Wahrscheinlich handelt es sich um die begrünten Terrassen babylonischer Hochbauten oder um eine im Königspalast versteckte Park- und Blumenlandschaft. Auf jeden Fall aber um eine weitere schöne Spätblüte des mythischen Babylon.
Als letzter König des Neubabylonischen Reiches unterliegt Nabonid 539 v. Chr. dem Perserkönig Kyros II. Ihm verdanken die Juden die Befreiung aus der Gefangenschaft und die Rückkehr in ihr Land. Viele der Geiseln, darunter erfolgreiche Kauf- und Geschäftsleute, verbleiben aber in Babylon, das nun für anderthalb Jahrtausende ein blühendes Zentrum jüdischer Kultur wird.
Gehen Sie nicht nach Babylon. Dort finden Sie nur Ruinen. Und einen zweifelhaften Archäologiepark, mit dem sich der prestigesüchtige irakische Diktator Saddam Hussein als neuer Nebukadnezar feiern lassen wollte. Diese Nachbauten können zwar ein Bild von den einstigen Dimensionen vermitteln, gefährden aber die antiken Mauerreste und blockieren weitere Untersuchungen.
Gehen Sie lieber noch einmal durch das Ischtar-Tor in Berlin. Und bewundern Sie, bevor Sie sich verabschieden, die Tierfiguren, die die babylonischen Götter darstellen. Am besten nehmen Sie die Löwen, die einst die 230 Meter lange Prozessionsstraße der untergegangenen Metropole geschmückt haben. Schon 1902 konnte der erste Babel-Ausgräber Robert Koldewey einen von ihnen aus den glasierten Ziegelfragmenten, die er in den Ruinen Babylons gefunden hatte, rekonstruieren.
Seither haben die makellos komponierten blau-gelben Mosaiken der Raubtiere Millionen Menschen aus aller Welt fasziniert. Schon auf den ersten Blick ist zu erkennen, wie präzise die antiken Künstler auf die Fugenverteilung achteten, um alles Bruchstückhafte zu vermeiden und das anmutig-majestätische Tier – ein Symbol der Göttin Ischtar – möglichst wenig zu zerschneiden.
Babylon leuchtet, noch immer.