Kapitel 15

 

Ich blinzele in grelles Licht, mein Kopf sinkt tiefer in das weiche Kissen. Arik hat die Vorhänge zurückgezogen und die Jalousien geöffnet. Die Sonne erhellt einen wolkenlosen Himmel. Ich drehe den Kopf und seufze. Dort, wo Arik liegen sollte, hat Onyx sich ausgestreckt. Entschlossen ziehe ich ihn zu mir und küsse seinen großen Kopf.

„Was soll denn der eifersüchtige Blick?“, flüstere ich in sein pelziges Ohr. „Du bleibst doch mein Prinz mit der schwarzen Nase.“ Hat er gerade erleichtert geschnaubt? „Arik wirkt nur noch besser als Schlafmittel als du“, erkläre ich und muss nachdenken.

Nein, auch in dieser Nacht hat mich kein Albtraum gequält und ich fühle mich erstaunlich erholt. Das lag sicher daran, dass mein erster Sex seit sieben Monaten ein Blowjob erster Klasse gewesen ist. Ein Lächeln bildet sich auf meinen Lippen und gefriert gleich darauf. Der altmodische Wecker auf dem Nachttisch zeigt zehn Uhr an. Ich betrachte ihn ungläubig, da fängt mein Handy an zu vibrieren, lässt den Wecker mittanzen. Sicher ruft meine Mutter an. Ein Griff und ich schaue erstaunt auf das Display. Zwar hat sie heute schon vier Nachrichten getextet, aber ein anderer Anrufer will mich sprechen.

 

„Onkel Charly, ist etwas passiert?“, frage ich verwundert. Wenn er sich nach drei Jahren bei mir meldet, gibt es sicher einen guten Grund dafür.

„Das frage ich dich“, erklärt er besorgt. „Gestern konnte ich deine Mutter weder im Laden noch auf ihrem Handy erreichen. Und heute lese ich im Internet, dass im Heimatmuseum eingebrochen wurde. Ist bei euch alles in Ordnung?“

„Alles bestens“, gebe ich zurück und meine Stirn legt sich unwillkürlich in Falten. Meine Mutter ruft er meist früh am Weihnachtsmorgen an und wenn er Zeit hat, an ihrem Geburtstag. Zwar erkundigt mein Onkel sich nach mir, aber er macht sich schon lange nicht mehr die Mühe, mich zu kontaktieren. „Mama hat den Laden etwas früher geschlossen“, erzähle ich. „Und vielleicht ist sie zeitig schlafen gegangen. Sie war erkältet.“

„Dann geht es euch also gut?“, fragt er erneut. Was will er nur?

„Prima“, antworte ich abwesend.

Charly ist in den Jahren nach dem Tod meines Vaters für mich zu einem Fremden geworden. Ich weiß nicht einmal mehr viel über ihn. Nachdem mein Vater gestorben war, hat er die gemeinsame Firma aufgegeben, geheiratet und betreibt jetzt einen Ferienhof in der Nähe von Hamburg. Meine Mutter und ich sind zur Hochzeit gefahren. Aber die Geburt seiner Söhne hat er nur über das Telefon angekündigt. Der älteste müsste jetzt zwölf sein. Die Namen meiner Cousins sind mir entfallen. Unverständnis breitet sich wie Nebel in meinem Hirn aus.

„Wo findet man denn Nachrichten über Hollerbusch im Netz?“, erkundige ich mich skeptisch.

„Es ist meine Heimatstadt. Ab und an lese ich die Zeitung online“, erwidert er.

Ich seufze leise. „Bei dem Überfall auf das Museum wurde niemand verletzt“, sage ich schnell, um die aufkommende Stille zu füllen. „Nur den alten Helmut haben sie betäubt. Aber es geht ihm wieder gut.“

„Schön. Ich will nur, dass ihr auf euch aufpasst“, erklärt der Onkel, dem es sonst reichlich egal ist, wie es mit unserem Befinden aussieht. „Das Haus ist so ungeschützt und Tom wollte nie eine Alarmanlage einbauen lassen.“

„Wir haben bis heute keine“, sage ich und auf meiner Zunge liegt der versuchte Einbruch ins Gartenhaus. Aber das hätte ich Onkel Charly früher erzählt. Damals, als er noch ein häufiger Gast in unserem Haus war. Charly ist sechs Jahre jünger als mein Vater und ich erinnere mich an einen lebhaften jungen Mann, der mich lachend auf seinen Schultern durchs Haus getragen hat. Ich nehme ihm seinen Rückzug nicht übel. Mein Vater hat ein Loch, so groß wie ein Bombenkrater, in unserem Leben zurückgelassen. Charly musste sich erst einmal finden, sich etwas Eigenes aufbauen. Möglichst ohne die Erinnerungen an die Toten. Onyx winselt neben mir und scharrt auf dem Boden.

„Es tut mir leid, aber mein Hund muss dringend Gassi gehen“, erkläre ich meinem Onkel. „Ich sage Mama Bescheid, dass sie sich bei dir melden soll, ja?“

„Ja, bitte“, antwortet Charly. „Wir sprechen uns bald, Felix.“

Nachdem er das Gespräch beendet hat, starre ich verwundert auf mein Handy, schüttele den Kopf. Onyx’ Winselgeräusche nehmen an Lautstärke zu. Warum mein Onkel sich nach all der Zeit bei mir meldet und so tut, als wäre das völlig normal, werde ich heute ohnehin nicht herausfinden.

 

Schon hüpfe ich aus dem Bett, stelle fest, dass mein Bein immer noch nicht heil ist und hinke in Richtung Flur. Onyx folgt hechelnd.

„Gleich, mein Schatz“, murmele ich und öffne die Tür.

Mit einem Mal wird es zugig um meine Körpermitte. Prüfend schaue ich nach unten. Die Unterhose hat Arik mir gestern ausgezogen, aber mein T-Shirt trage ich noch. Ausreichend für ein leeres Stockwerk.

Mit einem schnellen Kopfdrehen versichere ich mich, dass niemand in der Nähe ist und schlendere zu meinem Zimmer. Da knarrt etwas hinter einer Tür, die zu einem großen Wandschrank gehört. Ich gehe einen Schritt zurück und schon tritt jemand aus dem vermeintlichen Schrank. Eine Putzkammer zeigt sich dahinter.

Ein zierlicher Mann steht vor mir, einen massigen Industriestaubsauger im Gepäck. Er wirkt wenig älter als ich, könnte aber auch Anfang dreißig sein. In diesem Haus ist wohl Alterslosigkeit angesagt. Instinktiv verschränke ich die Hände vor meinem Schoß. Mehr aus Angst vor dem Staubsaugerungetüm als vor dem Mann.

Der trägt eine schwarze Stoffhose, ein enges weißes Hemd, Socken und keine Schuhe. Sein Gesicht ist auffällig hübsch und je länger ich es betrachte, desto altersloser wirkt es. Dabei hält mich nur der Schock auf der Stelle.

„Sorry“, murmele ich verstört und will weiter.

„Aber nicht doch“, erwidert der Mann freundlich. „Mein Name ist Jay“, sagt er und verbeugt sich leicht. „Ich bin der Haushälter hier. Nackte Männer schockieren mich nicht.“ Seine Worte sind mit einem Augenzwinkern garniert.

Auch ich verbeuge mich und meine glühenden Wangen deuten auf einen hochroten Kopf hin. Tomatenfarben bewege ich mich seitwärts zu meinem Zimmer. Jay muss schon länger zugange sein, denn das Tablett vom Vortag ist abgeräumt. Onyx schnüffelt noch einen Moment an den Socken des Mannes. Der hält den Staubsauger schützend vor seinen Körper, tritt mit weit aufgerissenen Augen rückwärts zurück in den Schrank. Als Onyx angetrottet kommt, kann ich die Enttäuschung in seinem Gesicht sehen. Er vermisst die Schuhe. Im Zimmer angekommen, winselt er.

„Sofort, mein Junge. Bitte piesel nicht auf den Teppich. Der war sicher teuer“, bitte ich und eile über den blauen Seidenteppich ins Bad.

Duschen, Jules’ Tinktur auf mein Bein auftragen, anziehen, alles erledige ich in Windeseile und haste wenig später mit Onyx die Treppen hinunter.

„Vor uns haben sogar Trolle Angst“, erzähle ich ihm beim Abstieg. „Aber selbst die mutigsten Trolljäger brauchen mal eine Wiese, einen Baum und ein Jägerfrühstück.“

 

Wir stürmen durch die Küche, ich werfe ein Guten Morgen in die Runde der Anwesenden und wir erreichen die riesige Glastür. Begleitet wird unser Einzug von AHA und Arik brummt dazu vom Herd aus die Melodie.

Hinter der Glastür befindet sich der parkähnliche Garten der Villa, der gleich zu Onyx’ Toilette wird. Zentimeterhoher Neuschnee hat sich auf Büsche und Bäume gesenkt, umhüllt sie wie Watte. Hier und da sind Vogelspuren erkennbar, sonst ist die weiße Pracht noch jungfräulich. Das ändert sich in diesem Augenblick.

Denn Onyx stürmt durch die geöffnete Tür hinaus, schiebt seine Nase durch den Schnee und wälzt sich schließlich darin. Jetzt ist die romantische Winterlandschaft durchzogen von Pitbullspuren und Gräben. Mit einem erfreuten Hecheln rennt Onyx durch den Garten, hebt an jedem Baum mindestens einmal das Bein und bleibt ab und an stehen, sieht zu mir.

„Schau, dass das Biest nicht zu nah an den Teich läuft“, ruft Jules mir über seine Zeitung hinweg zu. Er sitzt auf dem Sofa, trägt einen Morgenmantel, der mich an einen japanischen Kimono erinnert und in Grüntönen gehalten ist.

Bevor ich Onyx rufen kann, stürmt Arik schon an mir vorbei in den Garten, die Schürze noch umgebunden. Onyx braucht keine Aufforderung und zeigt seine Wiedersehensfreude, indem er mit seinem gesamten Hinterteil wedelt.

„Jetzt übertreibst du es aber“, murmele ich kopfschüttelnd. „Ihr habt im gleichen Bett geschlafen.“

„Wir schlafen auch im gleichen Bett“, bemerkt Jules nachdenklich und wirft Pip über den Rand der Zeitung hinweg einen Blick zu. „Wieso freust du dich morgens nicht so?“

„Weil ich eine andere Art Biest bin“, gibt Pip neben ihm zurück, grinst und liest weiter auf seinem Tablet.

Jules muss nur einen seitlichen Blick riskieren und sieht Onyx und Arik herumtollen. Allerdings habe ich sehr leise gemurmelt. Wieso konnte er mich hören? Wenn Pip hellsichtig ist, dann ist Jules wohl hellhörig.

Eine Weile stehe ich am Übergang von der Küche zur Veranda, betrachte die pure Lebensfreude, die sowohl aus Onyx als auch aus Arik sprüht. Kraftvoll tollen sie miteinander und ich sehe Arik vor mir, glücklich in den Weiten Norwegens auf der Spur von küssenden Wölfen.

Bevor sie wieder hereinkommen, reiche ich Arik ein paar Blatt Küchenrolle und er trocknet erst Onyx’ Pfoten ab, zieht seine Schuhe aus und stellt sich an die Glasfront.

Onyx’ hungriger Blick sagt mir, dass er kurz davor ist, Beschwerde beim Pitbullnotdienst einzulegen. Und so eile ich und fülle seinen Napf mit Futter.

„Es gibt Ariks Spezialeier“, verkündet Arik unterdessen, eilt zum Herd, wo er den Deckel einer Pfanne lüftet. Ein einladender Geruch nach gebackenem Ei, Zwiebeln, Speck und Käse durchzieht die Küche.

„Nehme ich“, erkläre ich für meinen Magen, der sich knurrend freut. Neugierig komme ich zu Arik.

Gerade schiebt er eine große Portion auf einen Teller. Ich könnte im Stehen mit dem Essen beginnen.

„Setz dich doch. Magst du Fisch?“, fragt Arik und deutet zum Küchentisch.

„Klar“, bestätige ich.

Pip und Jules sind weiterhin in ihre Lektüre vertieft, haben offensichtlich schon gegessen. AHA hat zu einem neuen Song angesetzt und ich bewege mich erwartungsvoll zum Tisch.

„Morgen übernehme ich das Frühstück“, erkläre ich, entschlossen meinen Beitrag zu leisten. „Meine Eggs Diabolo sind berühmt.“

Als Arik sich mit meinem überbordenden Teller nähert, überdeckt ein anderer Geruch den der Eier. Ich drehe mich um, sehe prüfend zu Onyx. Womöglich hat der Herr ein wenig Luft in die Freiheit entlassen. Anders ist der Geruch nicht zu erklären.

„Tut mir leid“, entschuldige ich mich für den pupsenden Hund. „Er ist da ganz ungeniert.“

Arik sieht zu Onyx, hebt die Schultern und stellt den Teller vor mir ab. Langsam sinkt die Wahrheit in meinen Kopf. Der Gestank ist nicht meinem Hund entfleucht, sondern steigt von diesem Teller auf. Wie ist das möglich, dass die Eier eben noch einladend geduftet haben und jetzt stinken wie die tiefste Hölle? Neben dem Eierhügel liegt ein glänzendes Stück Fisch, das entfernt an Kabeljau erinnert.

„Lutefiske“, verkündet Arik stolz. „Ich habe vier Packungen aus Norwegen mitgebracht.“

„Und wir durften schon an Weihnachten in den Genuss kommen“, bemerkt Pip, legt das Tablet zur Seite und betrachtet mich auffordernd. Einer seiner Mundwinkel zuckt dabei nach oben.

„Er riecht so …“, beginne ich und Ariks Augen strahlen vor Freude. Die Erinnerung an seinen wunderbar herben Geruch schleicht sich in meine Nase, lässt mich für einen Augenblick die Beleidigungen meiner Geruchsnerven vergessen. „Interessant“, sage ich und zeige ein gezwungenes Grinsen.

„Probier ihn mal. Er ist ganz köstlich“, fordert Arik mich so enthusiastisch auf, dass ich es ihm nicht abschlagen kann.

Angespannt faltet er die Hände vor dem Bauch, presst sie zusammen.

Ich blase Luft durch die Lippen, suche nach einer Ausrede. Ah, ausgerechnet gegen diese Speise bin ich allergisch. Oder: Ich frühstücke niemals, das hatte ich nur vergessen zu erwähnen. Aber Arik steht vor mir wie ein Kind vor dem Weihnachtsmann und ich kann nicht anders.

Ich kräusele meine Nase in der Hoffnung, dass ich so weniger rieche, steche meine Gabel entschlossen in den Stinkefisch und schiebe sie in Lichtgeschwindigkeit in meinen Mund. Schlucken, nicht kauen, ist angesagt! Doch beim Passieren meiner Lippen rutscht die gallertartige Masse doch über meine Zunge, hinterlässt den Geschmack von Salz, Fäulnis und Ekel. Ich kann gerade noch meine Hand vor den Mund halten, da muss ich schon laut würgen.

„Schmeckt es dir nicht?“, fragt Arik und streicht mir fürsorglich über den Rücken.

Pips Grinsen ist zu einem Glucksen geworden und jetzt prustet er los. „Lutefikse-Opfer Nummer zwei“, bemerkt er und lacht noch lauter.

Während ich versuche, möglichst unbemerkt die Reste des Fisches von meiner Zunge zu kratzen, erreicht Arik Pip und die beiden schlagen ihre Handflächen gegeneinander.

Jules lacht leise, ohne von seiner Zeitung aufzusehen. „Ihr wisst nicht, was gut ist. Bei meinen Aufenthalten im hohen Norden hätte ich mich nur von Lutefiske ernähren können.“

Arik und Pip lachen weiter, Pip wischt sich sogar eine Träne aus dem Augenwinkel.

Da ist Arik schon wieder zurück, nimmt meinen Teller, schiebt den Stinkefisch in eine kleine Schale und reinigt die Reste mit Küchenrolle und Wasser. Dort, wo eben noch ein Angriff auf meine Geschmacksnerven lag, befinden sich jetzt zwei Scheiben Toast. Arik bringt den essbaren Teil des Gerichts zurück und stellt den Teller vor mir ab.

„Du hast bestanden“, erklärt er und setzt sich neben mich, boxt mir sanft gegen den Oberarm. „Jetzt bist du ein Ehren-Norweger.“

„Danke“, brumme ich kauend. Das Eigericht schmeckt wirklich köstlich. „Warte nur. Aus dir mache ich auch einen Ehren-Hollerbuscher“, drohe ich und schiebe einen Eierberg in meinen Mund.

Geräuschvoll faltet Jules seine Zeitung zusammen, steht auf und kommt mit federndem Gang zum Tisch.

„Ich habe heute Morgen schon mit deiner Mutter gesprochen“, erzählt er, aufrecht stehend, einen Arm hinter dem Rücken. „Sie ist einverstanden, dass wir uns in ihrem Haus umsehen.“

Überrascht greife ich nach meinem Handy. Liebling, natürlich könnt ihr euch hier umsehen , schreibt meine Mutter. Und Jules Hel ist ja wirklich ein ganz reizender Mensch. Dahinter hat sie ein Zwinkersmiley gesetzt und ich bin mir nicht sicher, was mir das sagen soll.

Ich bin dabei und achte darauf, dass sie deine Privatsphäre nicht verletzen , texte ich zurück. Soll ich Bilder machen?

Das klingt ja wie im Sonntagskrimi. So aufregend, textet meine Mutter gleich zurück. Ich habe schon seit Jahren keine Privatsphäre mehr, die mein heldenhafter Sohn schützen könnte. Und im Haus befindet sich sicher nichts, was für Einbrecher interessant wäre.

Okay, wir sehen uns gleich , schreibe ich und kratze den letzten Rest mit der Gabel vom Teller.

„Sie hat recht“, murmele ich mehr zu mir selbst.

Jules deutet mit dem Kinn auf mich und sieht mich fragend an. „Meine Mutter“, erkläre ich. „Sie glaubt, dass wir nichts mehr besitzen, das für Einbrecher interessant ist.“ Ich nehme Teller und Besteck, stehe auf und bringe alles zur Spülmaschine, wo ich es einräume. „Von angeblichen magischen Gegenständen muss sie nichts erfahren“, sage ich laut genug, damit es jeder im Raum hört. „Ich verdaue die Magie ja selbst noch.“ Ich richte mich auf und schaue von einem zum anderen. „Als mein Vater starb, haben wir alles weggegeben, was uns an ihn erinnert hat. Und meine Mutter besitzt keine Wertgegenstände. Sie bevorzugt Bargeld und Wertpapiere.“

„Dann lass es uns herausfinden.“ Jules’ Gesicht wirkt starr und unbeweglich, seine Miene unlesbar.

Ein trotziger Widerstand kommt in mir auf. Sechs Jahre habe ich mit meiner Mutter allein in unserem Haus gelebt. Sie hat alles gegeben, ihre gute Laune, Ausflüge, Backabende, nur damit wir nicht von der Erinnerung an meinen Vater erdrückt werden.

„Wir werden sehr vorsichtig sein“, sagt Arik beruhigend. Seit wann steht er neben mir? „Wenn ein Gegenstand magische Energie ausstrahlt, können Jules und ich es erspüren, ohne ihn anzufassen.“

„Wenn etwas einem Fremden gehört, muss ich nur meine Fingerspitzen daran legen, um an Erinnerungen zu kommen“, versichert auch Pip, der aufgestanden ist und gerade seine Winterjacke anzieht. Er reicht Jules einen Mantel in Braun, der aus einer edlen Wolle gefertigt wurde.

„Es ist etwas komplizierter als die Ausführung der beiden“, bemerkt er. „Jeder Gegenstand, alles, was existiert, sendet Energie aus. Es ist nur so, dass wir nach der Art suchen, die bewusst gebündelt wurde, um einem bestimmten Zweck zu dienen. Meine Finger muss ich dazu allerdings nicht nutzen.“

Zögerlich nicke ich, nehme meine Jacke vom Haken, leine Onyx an, bevor ich ihm den Maulkorb anziehe.

„Zumindest glauben die Forste, dass wir einen solchen Gegenstand besitzen“, sage ich leise und gehe zur Tür. Ich schaue über meine Schulter zu Arik, der dicht hinter mir steht, Sicherheit und Vertrauen ausstrahlt. „Kannst du deinen Verwandten nach dieser Suchaktion erklären, dass sie sich irren?“, frage ich bestimmt.

„Egal, was wir gleich finden. Mein Bruder und meine Cousins befinden sich auf einem falschen Weg. Ja, ich werde ihnen das deutlich sagen“, erwidert er und legt mir eine Hand auf die Schulter.

Ich schnaufe und nicke erneut. „Wie riecht magische Energie eigentlich?“, frage ich skeptisch, den Gestank vom Frühstück noch in der Nase. „Denn eins ist sicher. Wenn sie wie Lutefiske riecht, werden wir in unserem Haus nichts dergleichen finden!“