The bear said, Isabel, glad to meet you,

Ich verbrachte den nächsten halben Tag mit dem Versuch aus dem Bett zu kommen. Bunnywit leistete mir Gesellschaft, aber so genau wusste man nicht, ob er vielleicht doch nur die einzige Person bewachte, die hier mit einem Dosenöffner umgehen konnte. Vikkis Verschwinden hatte mir Angst gemacht – um sie, nicht um mich; da war ich noch gar nicht draufgekommen –, und die Hinweise stellten mich vor Rätsel, schüchterten mich ein. Maddys Rechtschreibung ließ vielleicht zu wünschen übrig, aber sie war nicht dumm, und laut Hep hatte sie einen gewissen Sinn für Ironie gehabt. Was auch immer sie veranlasst hatte, Beweise zu sammeln, war real, und die Gegenstände hatten etwas zu bedeuten.

Obwohl auch Roger dieser Ansicht war, machte ich mir aber ähnlich wie Hep keine Illusionen über polizeiliche Realpolitik. Während Heps Skepsis auf ihrem durch Thrillerlektüre und Filme angeeigneten Wissen über die Vorgehensweisen der Polizei beruhte, kam bei mir eine gesunde Portion Insidererfahrung dazu.

»Ist nicht so, dass ich denen nicht traue«, sagte ich zu Bunnywit. »Ich meine, Roger hatte den Mund voller Cracker, sonst hätte ich ihn sowieso drangelassen … und dem Constable hätte ich mich auch nackt gezeigt … aber … die haben zu tun.«

Bunnywit guckte gelangweilt. Er patschte mir fest mit einer krallenfreien Pfote ins Gesicht und drehte den Kopf zur Küche, wo seine Futterschüssel stand. Ich wusste, wie lange die Politik der eingefahrenen Krallen anhalten würde, und auch wenn ich kein mit Helium gefüllter Partyballon war, sah ich keinen Sinn darin, mein Leben aufs Spiel zu setzen. Ich stand also auf. Es war ein kühler Tag. Die kalten Füße, auf denen ich in die Küche tappte, waren durchaus real, nicht metaphorisch.

Kalte Füße. Wieso hätte jemand die Hühnerpantoffeln, nicht aber den Umschlag mit den Beweisen mitnehmen sollen?

Wäre es Vikki selbst gewesen, dann deshalb, weil sie das Einzige in der Wohnung waren, das sie retten wollte. Hätte sie überstürzt die Biege machen müssen (also wer hat hier zu viele alte Detektivfilme geguckt?), uns die Beweise dalassen wollen, hätte sie die Tür offen gelassen und den Umschlag an einem gut sichtbaren Ort platziert, genau so, wie wir ihn gefunden hatten. Angenommen, sie wäre in Panik abgetaucht: Sie hätte sich nach Dingen umgesehen, ohne die sie nicht leben wollte, und weil sie in meiner Vorstellung unter der ganzen dicken Schminke immer noch ein Kind war, hatte sie die Pantoffeln und die Fotos gesehen, die jetzt die einzige greifbare Verbindung zu ihrer toten Freundin waren und daher auch das Einzige von Wert, das sie aus ihrem schäbigen Leben hätte retten wollen.

Von meiner melodramatischen Verwendung des Wortes »schäbig« einmal abgesehen, war das immerhin eine Theorie. Aber wo würde sie hingehen?

»Wo würde sie hingehen?«, fragte ich Bunnywit, aber die Frage war rhetorisch. Er tigerte durch den Flur und machte dabei leise gurrende Geräusche, als könnte er die Stiefel mit Schmeicheleien aus dem Schrank locken.

Schmeicheln. Locken. Zwischen den Mailboxnachrichten und unserer Ankunft war etwas passiert. Am wahrscheinlichsten war, dass eine Person für das Geschehen verantwortlich war. Wer? Wer hatte was zu Vikki gesagt? Was hatte ihr Angst gemacht, sie angezogen, abgelenkt, aus ihrem Apartment getrieben?

Ich kenne eine Frau namens Thelma, die es aufgrund einer Mischung aus Numerologie und Netzwerkmarketing einmal für wahnsinnig clever hielt, sich Amleth zu nennen. Die Kolleginnen bei der Versicherung, wo sie den ganzen Tag vor sich hin tippte, sagten trotzdem einfach weiter Thel zu ihr, weshalb es nicht lange dauerte. Ich war froh. Ich hatte es immer richtig buchstabiert und sie Amleht geschrieben, was sie gewaltig angepisst hat.

Okay, genauer gesagt bin ich sogar mit ihr verwandt. Sie ist meine Cousine, okay? Gäbe es auf der Welt mehr Möglichkeiten, weniger als nichts voneinander zu halten, würden wir sie mindestens ausprobieren. Tatsächlich gibt es bereits eine ganz beeindruckende Bandbreite. Ich halte nichts davon, wie sie ihre Haare mit Spray zu einer Tolle einbetoniert, die einst satirisch als »Die Klaue« bezeichnet wurde (Thel hasst es, wenn ich sie so bezeichne) und die jetzt so überholt ist, dass sie gar keinen Namen mehr hat. Thel hält nichts von meinem Klamottengeschmack und meinen sexuellen Gepflogenheiten. Ich halte nichts von ihrem triefäugigen kleinen Köter, von dem sie behauptet, er sei ein reinrassiger Shih Tzu (ein sehr treffender Name für eine kleine kläffende Kackmaschine). Sie hält nichts von Bunnywit, was ich intolerant und kurzsichtig von ihr finde, wenn man bedenkt, wie ähnlich sich die beiden in ihrer egoistischen Zickenhaftigkeit sind.

Bunnywit beißt sie allerdings, weshalb ich vermute, dass sich Gleich und Gleich vielleicht doch nicht gerne gesellt.

Sollte ich in meinem jämmerlichen Leben jemals so etwas wie einen Subplot zustande bekommen, wäre Thel bestimmt Teil davon. Thel betet für mich. Sie hat ein T-Shirt, auf dem steht Soul Patrol, die Buchstaben sind kreisförmig als eine Art Kreuzmedaillon angeordnet, und sie möchte ernsthaft »Seelen retten für den Herrn«. Darüber hinaus empfindet sie es als ihre Pflicht, »Kontakt zu halten«, da wir »die letzten der Familie sind, egal wodurch ihr auf eurer Seite den Familiennamen auch in Verruf gebracht habt« (eine gütige Christenseele, ich hab’s ja gesagt), und deshalb kommt sie zu allen möglichen Unzeiten vorbei, um nach mir zu sehen.

Dieses Mal nach der Arbeit – das heißt nach ihrer Arbeit. Ich war runter in die U-Bahn gegangen und hatte Jian eingeladen, bei mir zu essen und zu baden. Weil sie zuerst etwas essen wollte, hatte sie olfaktorisch für ein bisschen Atmosphäre gesorgt.

Thelma kam wie immer unaufhörlich plappernd in die Küche gestöckelt, blieb aber wie angewurzelt stehen und verstummte, weil sie Luft holen musste.

»Jian, das ist meine Cousine Thelma«, sagte ich. »Cousine, weißt du, was ich meine? Kind meiner Tante – Schwester meiner Mutter.«

»Hi, Cousine Thelma«, sagte Jian. »Kommst du, um Reis mit uns zu teilen?«

Thelma starrte entsetzt den Reis und das von mir zubereitete chinesische Essen an, dann Jian, die mit Stäbchen hantierte, und schließlich Bunnywit, der sich heimlich auf den Tisch schlich, um Shrimps zu klauen. Dann sagte sie angestrengt höflich: »Nein, ich wollte nur mal reinschauen und …« Sie drehte sich zu mir um. »K … kann ich kurz mit dir sprechen?«

»Klar«, sagte ich, lehnte mich zurück in dem Bewusstsein, dass ich sie bis an ihre äußersten Grenzen trieb, und genoss es. Bunnywit schob ich ebenfalls über die Grenze – besser gesagt, die Tischkante. Er plumpste zu Boden und fluchte auf Kätzisch.

»Alleine, du Irre«, sagte sie und ging durchs Wohnzimmer in mein Schlafzimmer. Als ich ihr folgte, sah sie sich angewidert um, vermutlich nach der abgelegten Kleidung weiterer Personen oder einfach nur, weil ihr die laszive Inneinrichtung missfiel.

»Wer ist diese schmutzige Person?«

»Eine Freundin. Sie hatte Hunger und wollte baden. Ich hab sie eingeladen.«

»Hat sie kein eigenes Bad? Egal, ich bin sicher, die Antwort gefällt mir nicht. Ich bin aus einem bestimmten Grund hier.«

»Ach ja?«

»Du weißt, dass man sich dabei Krankheiten holt. Und jetzt machst du’s mit einer von der Straße. Wer weiß, was die für Erreger hat. Du wirst AIDS bekommen.«

»Du liebe Güte, ich hab nichts mit Jian. Und wenn, dann könntest du trotzdem ganz beruhigt sein, ich würde auf Safer Sex bestehen, wie bei allen meinen Bettpartnern.« Als ich sah, wie verkniffen sie guckte, konnte ich nicht widerstehen und ergänzte: »Frauen, Männer und Sonstige.«

Sie wandte sich verärgert ab. Ein bisschen tat es mir leid, dass ich sie provoziert hatte, sie konnte nichts dafür, von evangelikalen Spinner-Eltern erzogen worden zu sein, und außerdem suchen selbst klügere Menschen als sie Trost in Religion.

»Hör mal, Thel«, sagte ich, »AIDS wird nicht durch gleichgeschlechtlichen Sex übertragen, sondern durch Blut und Sperma. Hast du in der Schule nicht aufgepasst? Das ist wie mit jedem anderen Virus auch. Er muss irgendwie raus und woanders rein. Genau wie eine stinknormale Erkältung, nur viel weniger ansteckend. Außerehelicher Sex ist nicht die Ursache für HIV. Und wenn man’s doch bekommt, lässt es sich inzwischen behandeln. Diese ganze Angst gehört heutzutage zum Glück ins Reich der urbanen Mythen.«

»Ich will das nicht hören. Jedenfalls bin ich nicht deshalb gekommen.«

»Ich weiß, aber du musst aufhören, falsche Informationen zu verbreiten. Nicht nur meinetwegen. Auch den Menschen zuliebe, die HIV haben und es auf alle möglichen Weisen bekommen haben, aber so gut wie möglich damit leben und nicht von dir gehasst werden sollten. Ich will mich nicht mit dir streiten, Thel. Ich sag’s bloß.«

»Ich bin gekommen, weil ich gute Nachrichten habe. Tut mir leid, dass ich kritisch war. Das war nicht sehr nachsichtig von mir gegenüber der armen Frau. Oder dir gegenüber, die du christlich genug bist, ihr eine Mahlzeit zu schenken. Das bewundere ich. Wirklich. Ich könnte das nicht.«

Ich wartete.

»Ich komme vom Anwalt. Die hatten eine falsche Nummer von dir und konnten dich nicht erreichen. Es gibt einen Treuhandfonds. Zwei Drittel sind für dich. Ein Drittel wird zwischen mir und Harold geteilt.«

Harold und mir, dachte ich, sagte aber nichts. Thel fuhr fort.

»Harold und mir, meine ich. Viel können wir uns davon nicht kaufen. Aber es ist eine große Hilfe. Ich dachte, du würdest das gerne wissen. Und es gibt noch so einiges andere für dich, Sicherheiten oder so. Ich habe der Sekretärin des Anwalts deine richtige Nummer gegeben, die rufen dich später an. Das Ganze beginnt gleich nach ihrem Tod, du bekommst also jetzt schon eine Pauschale für das vergangene Jahr. Aber die brauchen deine Unterschrift. Ich brauche deine Unterschrift. Bitte geh hin.«

»O Thelma …«

Sie umarmte mich ungelenk. »Hasse die Sünde, liebe den Sünder«, sagte sie. »Ich hoffe, dir geht’s gut. Kannst mich anrufen, wenn du was brauchst.« Sie roch nach einem Parfüm, das sofort allergische Reaktionen bei mir auslöste: Wenn sie nicht unverzüglich abzog, würde ich in fünfzehn Minuten Kopfschmerzen bekommen, die sich nur noch mit teuren rezeptpflichtigen Medikamenten vertreiben ließen, die ich aus Geldmangel nicht ausreichend hatte bevorraten können.

Ich umarmte sie zurück. Das war, als würde ich eine alte Person umarmen: Sie fühlte sich klapprig und steif an, dabei war sie erst in ihren Dreißigern. Wie konnte sie bloß so verhärmt und vertrocknet werden? Trotzdem sprühte da noch dieser gewisse Funke, der der Grund war, warum ich sie nicht schon längst aufgegeben hatte.

»Danke, Thelma«, sagte ich. »Ich weiß das zu schätzen.« Ausnahmsweise meinte ich es ernst. Dabei war es nicht die Nachricht, für die ich dankbar war, sondern der Riss in ihrer Fassade. »Thel, würdest du mir einen Gefallen tun?«

»Was?« Sie war mir gegenüber genauso misstrauisch wie ich ihr gegenüber. Tolle Familie.

»Als ich den Fortbildungskurs beim Aids Network belegt habe, habe ich ein Buch bekommen. Würdest du’s lesen? Da steht drin, wie sich das mit HIV und AIDS wirklich verhält, wie man es behandelt, wer daran erkrankt, die ganze Geschichte und auch die neueste Forschung. Lies es einfach. Wir müssen auch gar nicht drüber sprechen.«

Sie zögerte, dann nahm sie es und steckte es in ihre Handtasche. »Na gut. Aber ich hoffe, es handelt sich um keine profan-humanistische Propaganda.«

Man muss mir zugutehalten, dass ich nicht lachte. »Danke, Thel.«

Als ich wieder in die Küche kam, grinste mir Jian entgegen. »Bist du Sozialarbeiterin für alle?« Sie lachte.

»Ja«, sagte ich. »Früher war ich das. Als ich einen Job hatte, meine ich.«

»Wieso nicht mehr?«

»Wo ich gearbeitet habe, hatten sie was gegen Homosexuelle.«

»Homosexelle? Oh, heißt schwullesbisch?«

»Oder wie in meinem Fall für alles offen … äh, ich mag Männer und Frauen. Ich bin bisexuell … pansexual, sagt man jetzt. Als ich angefangen habe, mich in meiner Freizeit für Menschenrechte einzusetzen, haben sie einen Vorwand gesucht und mich gefeuert. Sie meinten, wegen der Haushaltskürzungen. Und ich konnte ihnen nicht das Gegenteil beweisen. Wie ist es mit dir? Wieso lebst du in einer U-Bahn-Station?«

»Ich komme – kam – aus Taiwan nach Kanada, mit neuem Mann. Ich lebe in Kellerwohnung, gehe putzen, kein Englisch, nicht sprechen mit Nachbarn. Dann sechs Monate später, Mann schlägt mich. Sagt Jian zu alt, zu dumm, nicht sexy, ganz alleine, muss gefallen lassen, ganz schlimm. Aber ich sage, muss nichts gefallen lassen. Also rennen weg. Gehe Notunterkunft, aber kann bleiben nur drei Nächte. Probiere Englischkurs, aber bekommen nur wenig Menschen bezahlt. Gehen Legal Aid, gehen Scheidung, aber nicht geben Geld. Zum Schluss keine Wohnung. Gehen U-Bahn. Wärmer, betteln wie Menschen zu Hause. Leben nicht so schlecht, aber Schmutz ich kann nicht leiden.«

»Ja, ich weiß, als ich Teenager war, hab ich auch eine Weile auf der Straße gelebt. Mich hat’s überall gejuckt.«

Ich führte sie ins Bad, kramte eine alte Tube Krätzesalbe aus (noch von damals, als mir meine Heimbewohner-Klienten mehr schenkten als nur ihr Vertrauen), erklärte ihr deren Anwendung, gab ihr Handtücher und ein paar saubere Klamotten von mir, zeigte ihr meine Auswahl an Badeöl und Seife und sagte: »Hau rein, äh, ich meine viel Spaß! Heißes Wasser gibt’s hier im Haus ohne Ende.« Also, na ja, Letzteres war fast korrekt.

Sie blieb anderthalb Stunden in der Wanne. In der Zeit wusch ich ihre Wäsche. Was nicht auseinanderfiel, legte ich ordentlich auf meinem Bett zusammen.

Von den vielen Schmutz- und Klamottenschichten befreit, bekleidet mit einem T-Shirt und einer Jogginghose von mir, entpuppte sich Jian als recht pummelig. Als der Dreck runter war, sah sie gar nicht mehr so alt aus – sie war höchstens um die vierzig – und hatte einen weichen, kurvenreichen Körper. Mein Interesse erwachte.

»Hm, lecker«, sagte ich. »Wie kommt dieser dumme Mann auf die Idee, du wärst nicht sexy?«

»Du vernünftig – er dumm.« Ich gab ihr Creme für die trockenen Hände, sie massierte sie ein.

»Hast du manchmal was mit Frauen?«

»Hab Sex mit Frauen? Nein, nicht richtig. Noch nicht. Ist Frage?«

»Kann sein. Ich kenn dich ja kaum.«

Sie lachte und lachte. »Okay, irgendwann du kennst mich, wir reden. Aber jetzt auch gut.«

»Jetzt muss ich dir erst mal eine Frage stellen. Maddy hat sich selbst einen Brief geschickt. Darin waren lauter Beweismittel, die sie gesammelt hatte und in Sicherheit bringen wollte. Unter anderem tausend Hongkong-Dollar, ein Schein, und sie hat ein Zettelchen mit deinem Namen draufgeklebt.« 

»Wo Geld?«

»Das hat die Polizei. Wenn du willst, können wir’s uns ansehen, wenn Roger im Dienst ist.«

»Vielleicht nicht nötig. Maddy wollte, dass ich Geld ansehe. Vielleicht Hongkong, aber irgendwas komisch. Ich sage ihr, Papier falsch, vielleicht Geld falsch. Er mir sagt ist wichtig.«

»Er?«

»Maddy. Oh, ich meine sie. Sie, ›er‹, gibt nicht auf Chinesisch.«

»Allerdings, das hab ich gemerkt. Trotzdem wollte mich in Taipei niemand flachlegen.«

Sie lachte. »Das war eine Woche oder länger, bevor sie mordet.«

»Bevor sie ermordet wurde.«

»Hab ich gesagt.«

Sie lachte mich an.

»Sprichst du besser Englisch, als du durchblicken lässt?«

»Nein, aber ich könnte, wenn ich würde mehr reden. So nur sage: Du Vierteldollar? Vierteldollar für Kaffee? Kein Essen, du Vierteldollar? Leben heute ganz klein geworden. Alles nur Viertel.«

»›Ich vertat mein Leben kaffeelöffelweis.‹ Das ist aus einem Gedicht.«

»Gefällt mir. Und du gefällst mir auch. Wo sind meine Klamotten? Zeit, nach Hause zu gehen.«

»Du lieber Himmel, wo ist denn dein Zuhause? Die Bank in der U-Bahn, wo dich die Sicherheitstypen jede Stunde wecken? Hör auf. Bleib hier.«

Sie sah mich an.

»Auf dem Sofa. Morgen suchen wir dir einen besseren Platz.«

»Ich dachte, in deinem Bett?«

Hmmm. »Vielleicht nach der zweiten Behandlung mit der Krätzesalbe.«

Sie lachte. »Ich hab keine Kriechviech. Ich hasse. Außerdem ist Stadt hier zu kalt dafür.«

Ich grinste. »Okay, okay.« Aber ich rührte mich nicht.

»Ich hab Selbstachtung, weißt du«, sagte Jian. »Muss nicht ficken für Unterkunft. Mach ich nicht.«

»Na ja, ich hab Probleme mit meiner eigenen Selbstachtung. Nutze ich dich aus, weil du sonst nirgendwohin kannst? Außerdem hattest du noch nie Sex mit einer Frau.«

»Nein, ich hab nur viel geküsst. Chinesen haben nicht Sex ohne Heirat. Mädchen zu schüchtern für Sex zusammen. Wir küssen, umarmen uns. Und jetzt ich lebe lange, auch auf der Straße. Habe gelernt und sage, was ich will. Ich sage jetzt: Du nutzt mich nicht aus. Ich nutze dich aus. Wenn du sagst okay.«

Ich sagte okay.

Sie hatte wirklich schöne Brüste, sie waren rund, ohne zu hängen, jeweils eine herrliche Hand voll, dazu einen charmant gewölbten Bauch und Hüften wie eine gemeißelte Göttin aus einer alten Kultur, die bei archäologischen Ausgrabungen gefunden wurde. Sie war weich und glatt. Nur die Haut an ihren Armen und Beinen war trocken, deshalb rieb ich sie mit noch mehr Lotion ein und verzog das Gesicht, als mein Kuss in ihrer Kniekehle metallisch schmeckte. Sie lachte. Sie lachte überhaupt viel im Bett, was schön war, weil wir uns am Anfang ungeschickt anstellten. Ich wunderte mich allerdings gar nicht, wie schnell sie dazulernte: An Jian war nichts langsam.

Überhaupt nichts.

Mittendrin kam Bunnywit auf einen Besuch vorbei, weshalb wir es sachter angingen und ein bisschen mit ihm kuschelten. Jian sprach Kantonesisch mit ihm – wovon ich nicht mehr verstand als sonst auch, denn wenn ich überhaupt etwas verstehe, dann meist Putonghua – und guckte traurig. Ich streckte mich nach ihr und vertrieb die Traurigkeit mit ein paar besonderen Tricks. Bald lachte sie wieder, und Bunnywit stolzierte davon, schwer beleidigt wegen des Aufruhrs.

Wodurch jetzt vermutlich ein weiterer Subplot entstanden ist. Oder zumindest eine Verwicklung. Sagen wir, wenigstens ein Sinneswandel.