Isabel, Isabel, didn’t worry,

Roger meckerte herum. Alle seine Fälle seien wie dieser, erklärte er uns: sinnlose Zerstörung aus keinem erkennbaren Grund. »Ich werde kündigen und einen 7-Eleven aufmachen«, sagte er zur Begrüßung.

»Keine Ergebnisse?«

»Nein, die Fingerabdrücke haben keine Übereinstimmungen ergeben. Aber das brauchte eine Weile.«

»Du probieren Hongkong-Fingerabdruck?«, fragte Jian. Roger sah sie an. »Hongkong-Geld«, erklärte Jian mit Engelsgeduld. »Hongkong-Geld kommt von Hongkong-Mensch. Viele Hongkong-Menschen kommen nach Kanada. Manchmal nicht ehrlich, manchmal Banden. Nicht alle in Hongkong sind gut, weißt du?«

»Ach was?« Roger benahm sich wie ich die letzten Tage, und allmählich wurde Jian sauer auf uns beide.

»Komm runter«, sagte ich. »Roger, du und ich, wir müssen aufhören, so verbiestert zu sein, sonst sehen wir Jian nie wieder. Ich weiß nicht, wie’s dir geht, aber mir würde das was ausmachen, und außerdem hättest du keinen Spaß in deinem 7-Eleven. Wenn du überfallen wirst, kann du nicht mal mehr die Täter verhaften.«

»Okay, okay. Wir schauen uns die Liste an«, sagte Roger.

2 (zwei) Tausender, kanadische Dollar (lila-violett, Kiefern-Grosbeak) mit einem knallpinken Post-it in Herzchenform, auf dem stand: Vikki? (bislang nicht identifizierte Fingerabdrücke, keine Fälschung, keine weiteren Informationen.)

1 (ein) Tausender, Hongkong-Dollar (orange) mit einem limettengrünen Post-it: Jan? (bislang nicht identifizierte Fingerabdrücke. Fälschung?)

1 (ein) Ausschnitt aus den Kleinanzeigen einer unbekannten Zeitung mit einem Callgirlinserat

»Das ist aus Intro Deluxe«, sagte Roger. »Aus der Juli-Ausgabe. Tammy’s perfekte Dates. Boys und Bi’s sind unsere Spezialität. Siehst du die Apostrophe? Der Typ, der die Anzeige geschaltet hat, hat drauf bestanden. Tammy ist ungefähr 195 und behauptet stolz, selbst niemals einen Freier bedient zu haben. Zuhälterei konnten wir ihm nie nachweisen, weil es eine Genossenschaft ist und er sich von denen für seine Verwaltungstätigkeit bezahlen lässt. Außerdem führt er brav seine Steuern ab. Das machen alle bei ihm. Die haben sogar Zahnversicherungen. Wenn es eine Grammatikpolizei gäbe, könnten wir ihn wegen des Apostrophs belangen, aber das war’s dann auch schon.«

»Armer Rog«, sagte ich. »Das Laster ist auch nicht mehr das, was es mal war.«

»Was glaubst du, warum ich um meine Versetzung gebeten habe? Da herrscht eine ganz andere Geistesverfassung als damals, als ich noch Streife gelaufen bin. Bürgernahe Polizeiarbeit. Was wussten wir schon von bürgernaher Polizeiarbeit? Mein erster Partner hat mir beigebracht, wie man jemandem möglichst effektvoll und ohne Blutergüsse zu verursachen einen Schlagstock überzieht. Fünfundzwanzig Jahre später muss ich Anfänger im Umgang mit Diversität unterrichten. Das macht mir schlaflose Nächte, das kann ich dir sagen. Wenn’s gut läuft, bin ich denen gerade mal einen Schritt voraus.«

»Darf niemals zeigen Bauch«, sagte Jian. »Junge Menschen reißen dir Gurgel raus und fressen alles alleine.«

Sie lachte wie eine Katze, ein stummes Gähnen. Roger grinste.

1 (ein) Ausschnitt aus den Klatschseiten der Sun mit Fotos von verschiedenen Personen auf einer Veranstaltung in einer teuren Kunstgalerie

»Also der Ausschnitt ist interessant«, sagte Roger. »Der ist vom Mai, 23. Ausgabe. Wohltätigkeitsveranstaltung in der Kunstgalerie. Das …« Er zeigte auf einen angegrauten – äh, ich meine distinguierten – und teuer gekleideten Mann links »… ist Laszlo Stinchko, den man nicht Stinko ausspricht, schönen Dank auch, erklärte die Kolumnistin, aber vermutlich ist er einer der reichsten Männer des Landes, und wer hätte das gedacht? Das hinreißende Wesen an seiner Seite ist seine Trophäenfrau Panda. An ihrer Stelle würde ich meinen Namen ändern. Aber wahrscheinlich lohnt es sich für sie, als Panda Stinko bekannt zu sein. Das …«, er zeigte auf den gutaussehenden jungen Mann, der sie von oben herab anlächelte und siegessicher am Ellbogen hielt, »… ist ein bezahlter Callboy von Tammy’s Boys und Bi’s. Er heißt Kurt Amor und bezieht ein Wochengehalt von Lotsi, wie er genannt wird, und Panda. Tammy ist im siebten Himmel und Studly Amor hier ebenfalls. Er hat in zwei Pornovideos mitgewirkt und im Remake von Road to Avonlea eine Nebenrolle gespielt. 

Tammy bestreitet, Madeline Pritchard, Vikki sonst wie, Vikki Melville oder überhaupt irgendeine Vikki zu kennen. Und die Stinchkos befinden sich zurzeit auf einer Seereise mit Stinkys Jacht.«

1 (ein) Ausschnitt aus dem Fernsehprogramm der TV TimesTM

»Eine Wiederholung von Road to Avonlea. Hah! Dann nehmen wir Kurt ins Visier?«

»Vielleicht, aber der schippert mit Stinko an der Côte d’Azur entlang.«

»Schöner Job, wenn man ihn ergattern kann.«

»Wir werden ihn vernehmen, sobald sie wieder da sind. Angeblich ist es in ein paar Wochen so weit.«

1 (eine) Fotokopie einer Gewerbelizenz eines Nummern-Unternehmens mit der Unterschrift des Inhabers (noch keine weiteren Informationen)

1 (ein) ZiplocTM-Beutel (Frühstücksgröße) mit Proben eines weißen Pulvers

Im Labor. Ergebnisse liegen noch keine vor. Ich fragte Roger, warum er nicht wie die Cops in den Filmen ein bisschen was auf den kleinen Finger genommen, es probiert und anschließend kenntnisreich für Heroin, Koks oder Puderzucker erklärt hatte.

»Ich hab kein tolles Leben«, sagte Roger, »aber irgendwie hänge ich dran. Ich möcht’s ungern mit so einer Nummer verlieren.«[8] 

1 (ein) ZiplocTM-Beutel (Frühstücksgröße) mit einem benutzten Kondom

Im Labor zur DNA-Analyse und Blutgruppenbestimmung. Ich fragte Roger, warum er nicht … er bedachte mich mit einem gewissen Blick.

1 (ein) ZiplocTM-Beutel (Frühstücksgröße) mit einem zerschnittenen Plastikbecher (im Labor. Fingerabdrücke nicht abgeglichen. DNA-Test der Speichelrückstände nicht abgeschlossen.)

1 (eine) Broschüre für einen schicken Nachtclub downtown.

»Das ist ein Privatclub, der mit Live-Sexshows wirbt«, sagte ich zu Roger.

»Sind die wirklich live?«

»Nicht nur das, die sind sogar unter vier Augen«, sagte er. »Eine Zeit lang haben wir einmal pro Woche eine Razzia dort gemacht, dann hat plötzlich der Eigentümer gewechselt. Der neue war ein Nummern-Unternehmen. Danach ging’s noch privater zu, es wurde schick renoviert, und plötzlich gab’s keine Razzien mehr. Verdächtig? Fanden wir schon. Aber so war das damals. Jetzt bin ich bei der Mordkommission.« 

»Ein nummeriertes Unternehmen?«

»Ja, ich überprüfe das.«

3 (drei) runde Büroklammern lose im Umschlag

»Die sind hübsch«, sagte ich. »Wo bekommt man denn solche runden Büroklammern her?«

»Hat Anwaltbüro«, sagte Jian. Wir sahen sie an. »Hab gesehen auf Schreibtisch, als ich hab gesprochen über Scheidung von Ehemann. Sehr hübsch.«

»Du hast mich nicht nach Vikki gefragt«, sagte Rog, als wir endlich aufhörten, diese sogenannten Beweise ergebnislos durchzugehen.

»Okay, was ist mit Vikki?«, fragte ich folgsam.

»Vikki. Also, Vikki war das bislang Interessanteste für mich in dieser Woche. Weißt du noch, als wir ihren Ausweis gefunden haben, wie genervt du da warst, weil sie vielleicht noch minderjährig ist?« Er wartete tatsächlich, bis ich nickte. Ich hasse es, wenn er’s spannend macht. »Weißt du noch, wie angefressen ihr wart, wegen dem College, weil ihr’s geglaubt habt?« Wieder war ein Nicken verlangt. »Also ihr dürft euren eigenen Instinkten wieder vertrauen. Der Ausweis war gefälscht, nicht die Geschichte.«

»Heißt das, sie ist nicht minderjährig?«

»Also das wissen wir nicht, weil wir nicht wissen, wer sie ist. Auf jeden Fall ist sie nicht Vikki Melville, fünfzehneinhalb, Ausreißerin aus einer Vorstadtsiedlung in Toronto, Ontario.« 

»Wenn ich leben müsste in Vorstadt von Toronto, Ontario, ich auch ausreißen«, sagte Jian und versuchte es auch mal mit dem Aufmüpfigsein.

»Hör zu. Ist eine ziemlich gute Fälschung – eine echte, eingelesen auf einem guten Scanner und dann gekonnt am Computer bearbeitet. Wenn man ihn aus der Laminierung lösen kann, ist er gefälscht.«

»Sie hat das sehr professionell gemacht mit ihrer Minderjährigenmasche. Das muss lukrativ gewesen sein. Hatte sie einen Zuhälter? Jemanden, der ihrer Kundschaft etwas vorlegen musste? Tammy?«

»Wenn ja, dann hätte er sich neben den Jungs noch einen weiteren Geschäftszweig erschlossen.«

»Vergiss nicht, ›Boys und Bi’s‹«, sagte ich tadelnd, malte den unzulässigen Apostroph mit den Fingern.

Er sah mich böse an. »Wir überprüfen das.«

»Außerdem hat ihr Kunde gesagt, sie hätte nie einen Zuhälter gehabt, aber manchmal für eine Genossenschaft gearbeitet. Wie viele Genossenschaften für Prostituierte gibt es in der Stadt?«

»Sechsundzwanzig haben wir bislang gefunden«, sagte Roger unwürdig triumphierend.

»Scheiße, ich hätte doch in die Prostitution gehen sollen. Dann hätte niemand den Mendelson Joe zerschnitten.«

»Vielleicht ihr findet College und selbe Name dort«, sagte Jian. »Wenn ich nehme falsche Name, ich behalte Teil von Name, damit ich nicht komme durcheinander.«

»Und sie hat gesagt, dass sie ein Kind weggegeben hat, weißt du noch?«

»Also daran habe ich sogar auch schon gedacht. Ich hab diesen Officer drauf angesetzt, den du …«, an mich gerichtet, »… so süß fandest. Möchtest du mit Constable Sloan bei den Ermittlungen kooperieren?«

Ich guckte böse, Jian lachte. »Na klar will sie kooperieren mit süßen Cops. Wie in Fernsehen, Beine breit und beugen über Motorhaube, ja?« Als wir uns zu ihr umdrehten, lachte sie noch lauter, wir wurden beide rot und waren aus unterschiedlichen Gründen geschockt. »Hast du süße Cops, für mich auch?«

»Du kannst vielleicht einfach darüber nachdenken, was an der Geburtsurkunde geändert wurde«, sagte ich und wechselte das Thema. »Vielleicht stimmen die restlichen Daten ja und es wurden nur der Familienname und das Jahr geändert.«

»Ich bin dir weit voraus, Kleine«, sagte Roger. »Ich warte nur auf die Antwort von Vital Statistics. So was lässt sich jetzt schwerer abgleichen, seit die Registraturen privatisiert wurden, aber wenn alles läuft, wie es sollte, wissen wir heute Nachmittag schon sehr viel mehr über Vikki, die nicht Melville heißt.«

Es hatte keinen Sinn, noch länger in Rogs Büro rumzustehen (Unordnung herrschte schon genug) und darauf zu warten, dass das Labor, die Abteilung für Fingerabdrücke oder das Einwohnermeldeamt anriefen. Der nächste Schritt lag ausnahmsweise mal auf der Hand.

»Drag Queens«, sagte ich. »Das Thema kommt immer wieder, oder? Es ist Freitag.«

»Und?« Roger war hetero, kannte sich in Clubs nicht aus, aber Jian schnallte es.

»Wir suchen Drag Queen, die ich gesehen, ja?«

»Genau. Und ich weiß auch, wo wir anfangen. Er hat mich hier reingeritten, jetzt kann er auch mal helfen.«