Once in a night as black as pitch
Isabel met a wicked old witch.

Thel wollte nichts sagen.

»Hol den großen Polizisten her«, sagte sie. »Ich will’s nur einmal erzählen.«

»Der hat sich verpisst«, sagte Vikki.

»Bitte«, sagte Thelma. »Wut darf kein Anlass sein, auf die Grundregeln des Anstands zu verzichten.«

»Tschuldigung«, sagte Vik. Hmm.

Leichter gesagt als getan. Der große Polizist hatte mehr als einen Fall und außerdem ein Leben. Jian ging nochmal zu Double Greetings, um was für unsere unerschrockenen Detectives zu holen, und ich stellte ihnen Kleidung zur Verfügung, die mir passte und auch recht gut stand, aber weder für Vik noch für Thel mehr tat, als sie mit trockenem Stoff zu umhüllen und zu wärmen.

Endlich tauchten Lance und Rog auf.

Lance war genervt. »Was geht das die von der Inneren überhaupt an?«, sagte er, als sie die Treppe hochkamen. »Ist ja nicht so, dass er …«

»Er ist ein Zeuge in einem Fall, du Trottel«, sagte Roger. »Du hast Glück, dass du nicht suspendiert wurdest.«

»Hör mal, Chef, das ist was Richtiges …«

»Er ist der Eine? Der Mann deiner Träume? Dann wird er warten.«

Redeten sie über Denis? Anscheinend. Das war ermutigend. Soll schon mal vorgekommen sein, dass wahre Liebe ein Verbot überwindet.

Allerdings gab sich Roger moralisch überlegen, wozu er, wie ich aus persönlicher Erfahrung wusste, nicht unbedingt das Recht hatte. Ich machte den Mund auf, schloss ihn aber wieder, als Lance sagte: »Ich hab denen gesagt, dass ich nicht mit ihm Schluss mache, aber ich würde die Sache eine Weile ruhen lassen, solange die Ermittlungen laufen, und sie meinten, das nehmen sie erst mal zur Kenntnis, und haben daraufhin das Gespräch beendet. Das muss heißen …«

»Dass du ein Schweineglück hattest«, erwiderte Roger. »Womit du in guter Gesellschaft bist, aber es sollte dir eine Lehre sein.«

»Was denn für eine Lehre, Staff Sergeant?«, fragte ich, und er schaute mich böse an.

»Eine Lektion, die niemand je lernt«, sagte er.

»Dass man nicht mit dem Schwanz denken soll«, sagte Vik grinsend. »Meine Geschäfte beruhen darauf.«

»Hmph«, sagte Thel, aber auch sie grinste. Hmmm.

»Oder einem Schwanzpendant«, sagte Roger. Warum um Himmels willen guckte er mich dabei an?

Thelma klärte uns über ihren Besuch bei Reverend Andy auf und ließ es sich sogar gefallen, dass ich wegen der Schrifttype und dem Papier, auf dem sie ihre Geschosse … äh, Gesuche verfasst hatte (sie hatte uns allen Kopien mitgebracht, deshalb weiß ich das auch mit dem 14 pt Freestyle Script und den Büroklammern), lachte. Als sie dann zu Reverend Goldring von der New Alliance of Jesus Closer to God kam, dem geistlichen Oberhaupt des regionalen Kreisverbands der Soul Patrol, verging mir allerdings das Lachen.

»Thelma, um Gottes willen, die hätten dich umbringen können!«

»Ich musste es tun, um Christi willen«, sagte sie würdevoll, während Roger gleichzeitig einwarf: »Nein, nein, das ist höchst unwahrscheinlich …« Was mir Gelegenheit gab, ihn meinerseits böse anzugucken – als Rache für vorher.

»Außerdem«, sagte Thelma, »hat er definitiv nichts damit zu tun. Das ist ein gefährlicher Idiot, und ich werde einiges an Arbeit in den Widerstand gegen seine unchristliche Organisation …«, ich hörte die Gänsefüßchen, »unternehmen, aber ich bin ziemlich sicher, dass er nicht zu den Mördern zählt, die zu ergreifen wir uns anschicken.«

Sie sagte wirklich »anschicken«. Dann erklärte sie uns, warum sie so sicher war.

Als sie bei der New Alliance of Jesus Closer to God Church eintraf, war die erste Person, der Thelma begegnete, nicht Reverend Harper Goldring, sondern sein persönlicher Krankenpfleger.

Dieser schob einen Ersatzelektrorollstuhl die Rampe hinauf in die zweckmäßig eingerichtete Höhle, die das Innere der Kirche war, ein mit Teppichboden ausgelegtes Auditorium, in das zweitausend Menschen passten, das aber im Moment leer und düster war, die Lautsprecheranlage war ausgeschaltet, und die riesigen Leinwände waren grau und leer.

(»Nur weil er im Rollstuhl sitzt, heißt das nicht, dass er kein Verbrecher ist«, sagte Thelma. »Das wäre sehr naiv von mir.«)

Rev. Harps persönlicher Krankenpfleger war ein griesgrämiger, grobschlächtiger Mann in den Vierzigern mit schütterem Haar und einem Soul-Patrol-T-Shirt, das die besten Zeiten bereits hinter sich hatte, dazu trug er eine beigefarbene Windjacke.

»Ach du Schande, du hättest wirklich umgebracht werden können!«, sagte ich.

»Ach du Schande?«, wiederholten Rog und Jian gleichzeitig, aber aus unterschiedlichen Gründen.

»Unsinn«, erwiderte Thel. »Ich war einfach eine verregnete Vorstadtmatrone.«

»Erregte Vorstadtmarone?«, fragte Jian ernsthaft – möglicherweise. Ich konnte es nicht feststellen.

»Verregnete«, sagte Thelma. »Verregnet. Feucht. Wollt ihr jetzt andauernd unterbrechen?«

»Nein, nein«, sagte Roger hastig. »Ja«, sagten Jian, Vik, Lance und ich.

Thelma erinnerte sich sofort wieder daran, wie ich meine Angreifer beschrieben hatte, und gab auch zu, dass es tatsächlich einen kurzen Moment des Aufruhrs gegeben hatte, aber mein Eindruck angesichts ihres Berichts war doch eher, dass es sich um inneren Aufruhr im Sinne der gewaltigen Verärgerung handelte, die sie überhaupt dorthin geführt hatte. Sie fragte den Schmutzfink, als den sie ihn sofort bezeichnete …

(»Verzeihung, aber also wirklich, seine Haare waren derart ungewaschen, jedenfalls die, die er noch auf dem Kopf hatte, und ich denke, ich bin ihm keine hundert Prozent Höflichkeit schuldig nach dem, was er dir angetan hat. Außerdem beschimpfe ich ihn nicht als das, was ich dachte, als ich gemerkt habe, wer er ist …«)

(»Willst du dich jetzt eigentlich selbst andauernd unterbrechen?«, fragte ich.

»Ach, sei still«, sagte sie, aber ich glaube, ich entdeckte ein Fitzelchen eines unwillkürlichen Grinsens.)

…, wo sie den Reverend finden könne, woraufhin er sagte: »Geben Sie mir mal eine Minute hier, das Ding ist verflucht schwer, verzeihen Sie den Ausdruck, Schwester.«

»Ich bin in keinem Orden«, sagte sie. »Kann ich helfen?«

»Nee, vergessen Sie’s. Obwohl, wenn ich’s mir recht überlege. Hier, ich mach die Tür auf, und Sie schieben ihn rein, okay?«

Sie fand die vorgeschlagene Arbeitsteilung ein wenig verrutscht, kam der Aufforderung aber nach. Er schloss die Tür zu der Kammeras, in der der Rollstuhl aufbewahrt wurde, und führte sie eine andere Rampe hinauf in ein Büro mit einer breiten Tür, in dem Goldring saß.

Goldring war so charmant, wie ein Mensch sein konnte, der alle paar Worte keuchend nach Luft rang und außerdem regionaler Anführer einer Schwulenhasserbande war.

»Kommen Sie herein«, sagte er. »Ich sehe, Sie haben meinen pflegeleichten Pfleger bereits kennengelernt. Kleiner Scherz. Er pflegt natürlich mich, nicht umgekehrt, und er heißt Abel Jones. Und Sie, Schwester?«

Thelma stellte sich als Mitglied der Soul Patrol vor. In ihrem Bericht beschönigte sie das Gespräch ein kleines bisschen. Ich hatte das Gefühl, dass sie vielleicht Gewissensbisse hatte, weil sie mit ihm spielte wie mit einem Fisch an der Angel (und mit Fischen an Angeln kenne ich mich aus: Ich bin hin und wieder mit einem attraktiven, berühmten, aber zurückgezogen lebenden Science-Fiction-Autor in Washington State zum Fliegenfischen gefahren, aber das ist eine andere Geschichte). Sie ging nicht so sehr ins Detail wie bei der Schilderung ihres Gesprächs mit Andy Cutter. Aber vielleicht wurde sie allmählich auch nur müde.

Auf jeden Fall hielten die beiden schon bald einen gefälligen Plausch, Thelma setzte erneut ihre langen Beine ein, um die Wirkung ihrer Worte zu unterstreichen, der Reverend Goldring ignorierte sie.

(»Wirklich«, sagte Thel. »Er war vollkommen in das Gespräch vertieft. Das war ein bisschen unheimlich. Bis heute war mir nicht klar, welchen Stellenwert die … äh, die körperliche Beschaffenheit … in geistigen Interaktionen einnimmt, ob uns das bewusst ist oder nicht.« Vik schnaubte).

Goldring erklärte ihr die gesamte Geschichte der Soul Patrol in unserer Region: Sein Schwager hatte ihn mit der Organisation bekannt gemacht, und Goldring habe sie konzessioniert mit dem Versprechen, Anhänger zu rekrutieren, Verwaltungsarbeit zu leisten und die mit Teppichboden ausgelegte Sportarena, die er seine Kirche nannte – Thelma hatte vor ihrer Heirat in Ausübung ihres Berufs als Gabelstaplerverkäuferin kleinere Lagerhallen gesehen –, zur Verfügung zu stellen und sie den ortsansässigen Unternehmern als Möglichkeit schmackhaft gemacht, eine Art Bürgerwehr in ihrer Gegend aufzustellen.

»Selbstverständlich, Schwester Thelma«, sagte er, »ist die Soul Patrol nur ein Teil des Gesamtbilds. Wir sind eine aktive Kirche, eine Gemeindekirche. Wir geben jeden Abend vierhundert Essen an Obdachlose aus …« Thelma überlegte, ob die Empfänger der Mahlzeiten weiß und heterosexuell sein mussten, um einen Hotdog abzubekommen, fragte aber nicht, »… und wir arbeiten mit der Bewährungskommission zusammen, nehmen aus der Haft Entlassene auf, die ihre Schuld gegenüber der Gesellschaft abgetragen haben …« (»Hat er das wirklich gesagt?«, fragte Vik. Thelma lachte und sagte: »Meinst du, ich lüge dich an? Genau das waren seine Worte!«) »… und suchen ihnen Arbeit, die ihnen hilft, der Gemeinschaft etwas zurückzugeben und ihr Leben zu ändern. Abel hier ist einer unserer Musterschüler!«

Abel setzte eine einstudiert reumütige Miene auf und verließ rückwärts und nickend den Raum. Thelma hatte den Eindruck, er hätte auch noch einen Diener gemacht, wäre er gelenkig genug gewesen. (Sie hatte Ivanhoe gelesen – und den Monty-Python-Film über den Heiligen Gral gesehen, weil sie ihn für einen religiösen Film gehalten hatte, war dann aber, als sie ihren Irrtum bemerkte, zu schüchtern gewesen, das vollbesetzte Kino während der Vorstellung zu verlassen.) Allerdings hielt sie Abel keinen Augenblick lang für den geläuterten Menschen, als den ihn der Reverend so stolz präsentierte. Sie wusste, was der Schmutzfink an seinen freien Abenden trieb.

Goldring klingelte alsbald nach einem größeren und anspruchsvoller bekleideten, Thelmas Ansicht nach aber ebenso unheilvollen Gehilfen mit fettigen, zum Pferdeschwanz zusammengebundenen Haaren, den Goldring Jordan (ha!) nannte und zum Aktenschrank schickte, wo er eine Broschüre für Thel holen sollte, in der die Projekte und Aktionen seiner Gemeinde in Zusammenarbeit mit anderen ortsansässigen Kirchen aufgeführt wurden. Thelma musste zugeben, dass das alles ziemlich gut aussah – ein ökumenischer Triumph, protestantische Religionsgemeinschaften von rechts außen Seite an Seite mit Unitariern, Anglikanern, römischen Katholiken und sogar einigen Moscheen vereint in einer losen Föderation namens »Metropolitan Multi-Faith Foundation«, mit eigenem Geschäftsführer, eigenen Mitarbeitern und eigenem Vorstand.

Erst als sie die Liste der Vorstandsmitglieder durchsah, wurde ihr alles klar. Sie wusste jetzt, wer die Soul Patrol benutzte, und sofern es ihr überhaupt möglich war, weil er immerhin alles verraten hatte, wofür ihre Religion stand und damit auch Gott selbst, tat ihr Reverend Harper Goldring leid.

Ehrenamtlicher Schirmherr und Gründungsvorsitzender war Laszlo Stinchko, und Schatzmeisterin war Panda Stinchko.

Sie versuchte es. Wirklich, das tat sie. »Ist Ihnen bewusst«, sagte sie vorsichtig, »dass Mrs Stinchko in der Vergangenheit … durch Unterschlagung aufgefallen ist?«

»Ach, das kann nicht sein«, sagte Goldring. »Sie hat eine einwandfreie Vorgeschichte. Die beste Schatzmeisterin, die unsere Organisation nur haben kann. Eine solch breite Erfahrung im Nonprofitbereich. So gut mit den Zahlen. Ein Glücksfall.«

Trotz Harps Bereitwilligkeit, zu vergeben und sie einzustellen, war Panda offenbar doch davor zurückgeschreckt, ihm ihre Vergangenheit als Knastvogel zu offenbaren. Thel, die in Bezug auf Informationssynthese so schnell nichts anbrennen ließ, wie wir allmählich merkten, fragte sich kleinlich, ob dies vielleicht damit zu tun haben könnte, dass Panda ihrem Milliardärsgatten keinen Wink geben wollte. Goldring fuhr fort. 

»Sie arbeitet zum ersten Mal für eine Kirche und ist einfach völlig überwältigt vom Glauben. Sie hat uns eine E-Mail geschickt, wenn sie aus dem Urlaub zurückkommt, möchte sie unserer Religionsgemeinschaft beitreten. Wir bieten Ganzkörpertaufe an, wissen Sie? Ich weiß nicht, was wir ohne Panda getan hätten. Wir hatten ein paar finanzielle Rückschläge, aber sie scheint immer schlau aus allem zu werden.«

Thelma hatte in diesem Augenblick eine wahre Offenbarung, ähnlich den heiligen Visionen, von denen verschiedene Frauen im Lauf der Geschichte berichteten: Vor ihrem geistigen Auge sickerten – ach was, strömten – Gelder der ökumenischen Obdachlosenhilfe auf Offshore-Konten. (Als sie uns von ihrer Eingebung erzählte, sahen wir es erstaunlicherweise alle, und später stellte es sich als wahres Geschehen heraus. So bekommen Propheten ihren Ruf weg.)

Thelma hätte Goldring und seine Kirche beinahe bedauert, wagte es aber nicht, ihn noch eindringlicher zu warnen, und lenkte daher das Gespräch erneut auf die Soul Patrol, weil sie zu diesem Zeitpunkt hoffte, etwas bewirken zu können (die Kursivierung war deutlich zu hören).

»Ist Ihnen bewusst«, setzte sie erneut an, »dass die Soul Patrol im Kampf gegen die Sünde sehr stark auf Muskelkraft vertraut?«

»Gott reinigt mit dem Feuer und dem Schwert«, sagte Goldring zufrieden und zitierte Psalm 3 falsch: »Denn du schlagest alle meine Feinde auf die Backe und zerschmetterest der Frevler Zähne. Beim HERRN findet man Hilfe.«

So wie sie da in meinen schlechtsitzenden Klamotten und mit einer Decke über den Schultern auf der Kante meines Wohnzimmersofas hockte, sah Thelma aus wie ein weiblicher Galahad mit einem kleinen Heiligenschein aus Güte um den Kopf. Nach der Erwähnung der Heiligen Schrift blieb sie einen Augenblick schweigend sitzen – und zertrümmerte ihren Heiligenschein dann entschlossen in tausend kleine Teile.

»In diesem Moment«, sagte sie, »überließ ich ihn seinem Schicksal. Er hat Panda Stinchko mit ihren dicken falschen Dingern und alles verdient, was sie ihm und seiner gemeinen kleinen … Sekte antut. Mir egal, soll er doch in der Hölle schmoren. Jesus sei mir trotz meiner Gedanken gnädig.«

Mit entrüsteter Schmollmiene lehnte sie sich auf dem Sofa zurück und empfing unseren Applaus.

Das »Phonebusters«-Team der Royal Canadian Mounted Police, die eng mit den lokalen Polizeikräften zusammenarbeitet, erhält täglich durchschnittlich 750 Anrufe über die Hotline und nimmt ungefähr 5000 Beschwerden wegen Internet- oder Telefonbetrug entgegen. Vorschussbetrug, Mietbetrug, Renovierungsabzocke … die Welt ist voller Trickbetrüger. Kreditkartenbetrug, Identitätsdiebstahl, betrügerische Hundewelpen (das heißt betrügerische Menschen mit nichtexistierenden Hundewelpen), Auffahrtpflasterangebote. Jeden Tag gibt es neue Maschen.

Die zivilen Phonebuster sammeln Informationen und geben sie an eine Handvoll Ermittlungsbeamte weiter. Anscheinend ist Betrug genau so wie zu schnell fahren – viele Leute machen es, aber nur wenige werden wirklich dabei erwischt.

Das Betrugsdezernat der Polizeibehörde unserer Stadt, sagte Rog düster, besteht aus zwei Beamten und einer Sekretärin. Die haben keine Zeit für Lappalien wie die Lebensersparnisse alter Damen, die systematisch von Betrügern mit Sitz in Nigeria, Benin oder den Niederlanden abgeräumt werden.

Nein. Die Kollegen konzentrieren sich auf die großen Fälle. Betrug im sechs- oder noch höherstelligen Bereich. Zum Beispiel Panda Stinchkos vorangegangene Verurteilung (unter anderem Namen), nachdem sie 900000 Dollar von einer gemeinnützigen Organisation unterschlagen hatte (wodurch das ihr angegliederte humanitäre Unternehmen in Afrika pleiteging, was dem Geschäftsführer das Herz brach, weil er sie nicht nur für ein wertvolles Vorstandsmitglied gehalten hatte – zeichnete sich hier etwa ein Schema ab? –, sondern sich auch persönlich Hoffnungen gemacht hatte, da sie gerade begonnen hatten, sich privat zu verabreden[13] ).

Betrug dieser Art macht was her.

Betrug mit Mord macht extra viel her.

Roger hatte keine Probleme, das Interesse des Betrugsdezernats zu wecken. Das einzige Problem?

Keine Beschwerde, keine Beweise. Nur Verdachtsmomente.

Entgegen der Darstellung in Filmen mit Keanu Reeves haben zwei überlastete Detectives und eine zivile Mitarbeiterin nicht viel Zeit übrig, um ein Verbrechen aufzuklären, das noch gar nicht verübt wurde – selbst ein Verbrechen, das man auf die Opfer zurollen sieht wie einen Mord nach einer unschönen Ehescheidung von einem Psychopathen.

Zurück zu Roger und den Ermittlungen.

Zurück zu Maddy.

Zurück zu uns.

»Zurück zu uns«, sagte ich düster.

»Oh, nein nein nein …«, sagte Roger. »Nein nein. Zurück zur vorschriftsmäßigen Vorgehensweise. Bitte?«

Zwei Tage waren vergangen seit den verregneten Enthüllungen der überraschenden Bobbsey-Twins Vik und Thel. Die gesamte Mannschaft, als die wir uns allmählich betrachteten, saß an einem runden Tisch im Noodle Noodle, einem anderen Lieblingsrestaurant hier im Viertel, und Roger teilte uns mit, dass die Betrugsabteilung zwar interessiert, aber überfordert sei.

Denis beobachtete jede einzelne von Lance’ Bewegungen ebenso konzentriert, wie Lance sich bemühte, Denis zu ignorieren. In der regnerischen Nacht, die auf den regnerischen Tag folgte, an dem Lance von seinen Vorgesetzten ermahnt worden war, hatten Denis und er darüber gesprochen, dass man den Ball nun eher flach halten müsse, und waren sich anschließend in die Arme gefallen, wobei es sie große Selbstbeherrschung gekostet hatte, die Klamotten anzubehalten. Anscheinend zählt es nicht, wenn man sich nicht auszieht, jedenfalls erklärte Denis mir das während des aufgeregten »Freundin«-Telefonats am darauffolgenden Tag.

Der dazwischenliegende Tag war grau und drückend gewesen, ich hatte ihn größtenteils deprimiert und dankbar dafür verbracht, dass ich meinen Plan B nicht in die Tat hatte umsetzen und mich noch einmal als Strohfrau in Maddys Stiefeln auf den Strich hatte stellen müssen.

Heute hatte sich ein wenig wässriges Sonnenlicht durch die Wolkendecke gebohrt und begleitete mich in die Innenstadt, wohin ich kurzfristig beordert worden war, um den Vormittag im Büro des reizenden Mr Spak zu verbringen, Unterlagen zu studieren und Papiere zu unterzeichnen. Geld besitzen macht anscheinend einen Haufen Arbeit, trotz meines Wunschs, in Ruhe gelassen zu werden.

Thelma war zur letzten halben Stunde des Treffens dazugestoßen, und nachdem sie festgestellt hatte, dass sie keine Hypothek auf ihr Haus aufnehmen musste, um eine Pflegekraft für das Baby einzustellen, wirkte sie aufgeregt und glücklich. Sie legte eine Hand auf ihren Bauch, eine Geste, die Brütende häufig unbewusst einsetzen und vielleicht sogar abstreiten einzusetzen, je nach dem.

Die Überraschung war Vikki, die den Tag dazwischen genutzt hatte und ans College gefahren war, um sich aus dem Studiengang Wirtschaftswissenschaften ab- und für die Sonderpädagogik einzuschreiben, sowie mit Thel und Ihor – den ich bald Harold würde nennen müssen, wenn Thel mich weiterhin so überraschte – über die Bedingungen zu verhandeln, unter denen sie, sobald sich Thel unvermeidlich in einen gestrandeten Wal verwandelt hatte, das Gästezimmer beziehen und, wenn das Baby da war, als Nanny fungieren würde.

Das war eine ziemlich schwerwiegende Berufsentscheidung, und Jian prüfte sie unterschwellig hinsichtlich ihres Engagements, ihrer Fähigkeiten und ihrer Eignung.

»Hör mal«, sagte Roger zu uns anderen, »wir haben …« Und wurde von Vik unterbrochen.

»Pass auf, ich werd ja wohl keine scheiß Fick-mich-Stiefel anziehen, um im scheiß Park mit einem scheiß Kinderwagen spazieren zu fahren? Wieso behaltet ihr nicht einfach die scheiß Stiefel und lasst mich in Ruhe, verdammte Scheiße?«

Wir sahen sie an, Thel mit ebenso verschlafenem Blick wie Bunnywit, der kurz seine Bauchwäsche unterbrach. »Ausdrucksweise«, sagte sie geistesabwesend, befingerte die Rüschen ihrer Bluse.

Vik erwiderte unsere starren Blicke wie ein mit Wasser übergossener Gremlin. »Was? Ihr tut so, als wäre noch nie jemand beruflich umgeschwenkt. Ich kann das, okay? Erstens hab ich mich früher schon immer um die Babys meiner Mom gekümmert, wenn sie das Interesse verloren hatte, jedenfalls so lange, bis das Jugendamt sie einkassiert hat. Und ein paar von denen waren echt scheiß … äh, nicht unbedingt normal, wegen dem ganzen Alk und den Drogen, die sie sich in der Schwangerschaft reingefahren hat. Dieses Kind wird im Vergleich dazu ein Klacks.«

Thel guckte gedankenversunken. Ich glaube, sie analysierte die Unterschiede zwischen Alkoholembryopathie und Down-Syndrom. Aber sie sagte nichts, lächelte nur.

Denis räusperte sich. »Ich hab damit kein Problem, Liebes«, sagte Denis, und Vik nickte ihm zu, als hätte sie ihn nicht erst vor zwei Tagen einen fucking Schlappschwanz von einem Gutmenschen geschimpft. Lance hatte, so viel konnten wir uns zusammenreimen, Ersteres als falsch widerlegt, aber wie aus Denis’ Reaktion hervorging, hatte sie mit Teil zwei ins Schwarze getroffen. Offensichtlich hatte sich das Blatt jetzt aber gewendet.

»Könnten wir uns bitte wieder konzentrieren?«, fragte Hep. »Wir sprechen, soweit ich weiß, immer noch über die Ergreifung von Maddys Mörder.«

»Nein«, sagte Roger. »Wir sprechen darüber, dass wir von der Polizei unseren Job machen, den Mord an Maddy aufklären und sich alle anderen verdammte Schei … Ka … äh, raushalten, okay? Können wir uns darauf bitte verständigen?«

»Worauf verständigen?«, fragte Jian, wie vorauszusehen war.

»Hast du eine geheime Vergangenheit als Anwältin oder so? Ich möchte hier ein bisschen Bewegungsfreiheit zum Arbeiten, ohne mich durch einen Pulk an Zivilisten schieben zu müssen.«

»Mehr sind wir für dich wohl nicht, Roger?«, fragte ich spitz – und Überraschung! – fing mir wieder einen bösen Blick ein. »Hey, ist das jetzt dein Standardgesichtsausdruck?«

Die anderen lachten, und Rog stellte das Finster-Blicken ein, aber ein Lächeln ließ er auch nicht durch. »Versprecht mir einfach, dass ihr die Finger davon lasst«, sagte er. »Lance hat schon Ärger mit den Ethik-Cops, und ich bin nur deshalb bislang verschont geblieben, weil Cummings nicht mein Chef ist, Gott – äh, dem Himmel sei Dank.«

»Mit anderen Worten, es hat niemand was gemerkt«, sagte Hep.

»Sozusagen«, erwiderte Roger.

»Ich hab ihr schon gesagt, sie soll aufhören«, erklärte Hep selbstgerecht.

Ich fand das ziemlich dreist von einer Frau, die sich über dreißig Jahre gewachsene Haare abgeschnitten und einen Drag Club in Ledermontur besucht hatte – und sagte dies auch.

»Hört alle auf!«, sagte Jian. »Fuchs frisst eigene Organe«, woraufhin sie, wie vorauszusehen war, alle möglichen Reaktionen von Gelächter bis Stirnrunzeln erntete. »Streit kein Sinn«, fuhr sie unnötigerweise fort.

»Schon verstanden«, sagte ich. »Und Hep? Bei allem Respekt, ich denke, wir haben unser Ziel erreicht.«

»Wie um Himmels willen meinst du das?«, wollte Hep wissen, wurde knallrot und schlug beide Hände auf den Tisch. 

»Deine Sorge war doch, dass Maddy wie eine x-beliebige tote Nutte behandelt wird. Und seitdem haben wir ein paar Sachen rausbekommen.«

»Nämlich vor allem eins«, unterbrach Roger hitzig, »dass es in meiner Einheit so was gar nicht gibt wie x-beliebige tote Nutten, verdammt!«

»Unter anderem«, übertönte ich seinen Einwurf mit fester Stimme, »dass es für Roger so etwas gar nicht gibt etc. etc. etc., aber auch, dass dieses Verbrechen Teil eines größeren ist. Wir haben jetzt die Aufmerksamkeit auf Maddys Tod gelenkt, so wie du es dir gewünscht hast. Haben im Vergleich zu den anderen Mordfällen in dieser Stadt Rogers Zeit und Energie unverhältnismäßig stark beansprucht. Wir haben Lance’ Undercover-Arbeit eingebunden und Cummings’ Interesse geweckt, was sich vielleicht problematisch auf Lance’ und Denis’ private Beziehung auswirken mag, aber für den Fall nicht unbedingt schlecht ist. Und jetzt haben wir auch noch die Aufmerksamkeit des Betrugsdezernats.«

»So ist es«, sagte Lance.

»Halleluja, sie hat’s kapiert«, tirilierte Rog unnötig enthusiastisch, wie ich fand.

»Normalerweise würde das bedeuten, dass ich mehr oder weniger Rogers Meinung bin. Wir können den Fall jetzt der Polizei überlassen. Aber sag nichts, Roger, weil ich nämlich noch nicht fertig bin.«

Ich hielt inne, um Luft zu holen und den Moment auszukosten.

»Was normalerweise«, wiederholte ich um der rhetorischen Wirkung willen, »bedeuten würde, dass ich Rogers Meinung bin, mit Ausnahme von zwei Punkten. Erstens, die Bad Guys haben meine Adresse. Bislang hatte das nicht viel zu bedeuten, außer dass ich einen Riesen-scheiß-haufen Geld für die Restaurierung meines Mendelson Joe hinblättern muss …« Lance rutschte betreten auf seinem Stuhl herum und senkte den Blick in seine leere Reisschüssel, »… aber ein Problem ist das schon. Zweitens, die Typen, die mich vor dem Club zusammengeschlagen haben, wussten genau, wer ich bin. Ich kann mir nicht vorstellen, dass die mir in ihrer Rolle als Engel der Unbarmherzigkeit des rechter-als-rechten Reverend Harp-o’-Gold gefolgt sind.«

»Wir können aufhören, die zu suchen, aber werden die aufhören, mich zu suchen? Wenn nicht, würde ich nämlich lieber weitermachen und möglichst zuerst was finden.«

Wieder eine Pinter-Pause, dann noch ein Gedanke: »Ach ja, und noch was. Die Cops haben keine Zeit, sich mit Panda zu beschäftigen, wenn sie noch kein aktuelles Verbrechen begangen hat. Also, wir …«

»Das habe ich absolut nicht gesagt!« Roger sprach mit seiner Copstimme. Beeindruckend.

»… könnten mal sehen, was man als zivile Helfer erreichen kann.«

»Nichts«, sagte Roger immer noch mit Copstimme, »ihr könntet einiges anrichten. Wir haben Ideen und sogar Pläne, aber das geht euch gar nichts an. Seht euch an, was passiert ist, als ihr eure Nasen so weit reingesteckt habt!« Er zeigte auf meinen Kopf und wackelte mit dem Finger.

»Victoria und ich, wir könnten einfach eine Weile in die Kirche gehen«, sagte Thel, »und uns zum Beispiel in ein paar Arbeitsausschüsse setzen.« Victoria?

»Ja«, sagte Vik. »Sozusagen undercover.«

»Wenn hier irgendjemand irgendwo undercover tätig wird«, sagte Rog mit Copstimme, »dann höchstens vorschriftsmäßig vereidigte Angehörige des Polizeidienstes, die im Schutze des Gesetzes ermitteln und nach dessen Vorgaben operieren. Oder per Lizenz befugte Privatermittler, wobei ich gar nicht verstehe, warum ich das erwähne, angesichts deiner Unart, auf fahrende Züge aufzuspringen.« 

»Du weißt, dass du mich nicht aufhalten kannst wie in einem Krimi«, sagte ich, »außerdem habe ich das Recht, mich zu schützen.«

»Nicht mit Hilfe einer Bürgerwehr«, sagte Roger.

»Dann haben dir die Kollegen von der Inneren also tatsächlich die Leviten gelesen! Du gibst es nur nicht zu.«

Roger machte dicht, wurde rot, dann schüttelte er den Kopf. »Du bist wie ein verfluchter DuracellTM-Hase. Kannst du’s nicht einfach mal bei ›Ich gebe Roger recht‹ belassen und den Scheiß vergessen? Uns allen mal eine Pause gönnen?«

»Würde ich ja gerne«, sagte ich, »wären da nicht die Punkte eins und zwei.«

»Die beide auf ein und dasselbe hinauslaufen«, bemerkte Lance.

»Meinst du?« (Aber nur, um zu vertuschen, dass er vermutlich recht hatte.)

»Du hast jetzt einen Haufen Kohle«, sagte Roger. »Fahr irgendwohin, bis Gras über die Sache gewachsen ist.«

»Genau«, sagte Jian fröhlich. »Wie Panda Stinko«. Ich grinste wie eine Grinsekatze.

»Oh nein nein nein,« sagte Roger. »Amateurdetektive in Thessaloniki? Noch schlimmer. Ihr sprecht ja nicht mal die verfluchte Sprache.«

»Ich schon«, sagte Hep.

»Aber sie kennt dich«, wandte ich ein. »Du kannst da nicht hin.«

»Ich kann, was ich will!«

»Nur nicht die polizeilichen Ermittlungen platzen lassen, indem du Stink Bugs auf dich aufmerksam machst«, sagte Denis. »Ich bin dafür, dass wir uns alle erst mal abregen, und unsere Freundin fährt mit ihrer Freundin irgendwohin, wo’s schön und unverfänglich ist. Taipei oder so. Flussfahrt auf dem Amazonas, Island. Ein paar Monate lang.«

»Ich finde, das klingt gut«, sagte Roger. »In der Zwischenzeit warten wir einfach, bis die Stinchkos wieder da sind, danke vielmals euch allen.«

»Unsinn«, sagte Jian. »Meine Mutter lebt in Taipei. Willst du, dass mich wirklich jemand umbringt?«

Einen Augenblick später sagte sie: »Oder dass ich jemanden umbringe? Chance fifty-fifty.«

Das war’s mehr oder weniger, auch wenn sich das Gespräch noch eine weitere öde halbe Stunde im Kreis drehte. Hep, Jian und ich erklärten uns widerwillig bereit, die Sache ruhen zu lassen (und zuallererst Rog anzurufen, sollte nochmal jemand, wie Rog es ausdrückte, »auf gute Ideen« kommen).

Thel und Vik verabredeten, dass die Bedürfnisse des Babys an erster Stelle standen und sie sich in Dingsbums Harp of Golds Schwulenhasserkirche zu sehr in Gefahr bringen würden, Roger erklärte sich bereit, uns auf dem Laufenden zu halten, sofern er damit keine aktuellen Polizeiermittlungen gefährden würde. Lance und Denis stimmten zu wie zwei brave Bilderbuchjungs.

Thel war aber nicht zufrieden. Sie machte sich immer noch Sorgen wegen der Soul Patrol.

»Das reicht, um die Religion an sich in Verruf zu bringen«, brummte Thelma.

»Thel«, sagte ich, »tut mir leid, aber die Religion hat sich schon selbst in Verruf gebracht. Seit langem.«

Sie schaute mich wieder auf die alte Art böse an, bis sie den nächsten Satz hörte.

»Ändern kannst du das nur, indem du du selbst bleibst und für deine Kirche arbeitest. Bring sie dazu, sich von der Soul Patrol loszusagen, so wie du’s Reverend Andy angekündigt hast. Lass deine Beziehungen spielen. Mach dein Ding mit den Arbeitsgremien von dir zuhause aus. Geh als leuchtendes Beispiel voran.«

»Du glaubst doch gar nicht dran«, sagte sie.

»An das mit dem leuchtenden Beispiel? Doch. Von wegen ›global denken, lokal handeln‹ daran auch, total. Aber die Religion? Das geht mir nicht in den Schädel, und ich werde auch nicht so tun als ob, aber ich werde mich andererseits auch nicht mehr über dich lustig machen. Ich glaube, das zumindest habe ich hier gelernt, wenn auch sonst nichts.«

Dabei hatte ich sonst sehr viel gelernt. Ich hatte sehr viel über Jian erfahren, das war gut, und ich hatte mehr über meine Familie erfahren, auch wenn das nicht so gut war, so konnte ich es trotzdem ertragen. Ich hatte mehr über Cops erfahren und mochte sie sehr viel lieber als früher, als ich noch ein gutes Stück jünger war – oder sagen wir ein kleines bisschen jünger – und meine Beziehungen zur Polizei ganz anderer Natur waren.

Und schon bald erfuhr ich, als ich hochtrabend verkündete, die Rechnung über Dim-sum für acht Personen plus eine vegetarische Platte mit Dämpfgemüse übernehmen zu wollen, dass die Preise bei Noodle Noodle seit meinem letzten Besuch um fünfzig Prozent angehoben worden waren. Und die zehn Prozent Rabatt für alle, die dort schon hingegangen waren, als Gott noch ein junger Hund war, gab es auch nicht mehr.

Manchmal sind es unerwartete Tiefschläge wie dieser, die einem den Glauben an die Menschheit nehmen.