Das ist der Augenblick, in dem der Regisseur das Publikum (in böswilliger Absicht) auffordert, sich zu entspannen.
Der Mord an Maddy junior, das ursprüngliche Problem, war aufgeklärt. Die Schreckenszwillinge Spot und Puff saßen im Gefängnis. Vikki ging nicht mehr auf den Strich. Ich hatte mein bescheidenes Erbe angetreten und noch nicht verpulvert.[18] Cousine Thelma war zu einer echten Person für mich und für euch alle geworden. Der Bürgermeister war wegen Panda gewarnt. Das Betrugsdezernat ermittelte. Roger ermittelte (alles Roger!).
Sollten wir jetzt nicht einfach den Rest auch noch auflösen und das Buch abschließen? Denis und sein Adonis, Lance, bleiben glücklich bis an ihr Lebensende. Ich werde wieder gesund und genieße mein neu erworbenes Einkommen, keine Unsummen, aber auf jeden Fall genug, um mich anständig zu ernähren und zu verhindern, dass Bunnywit Fischstäbchen vom Vortag fressen muss. Jian wird unabhängig. Mein Mendelson Joe wird repariert. Hep trauert und kommt drüber weg (ich hasse diesen Ausdruck). Alles wird gut.
Aber wie irgendein Baseballtyp einmal so trefflich bemerkte: »Vorbei ist es erst, wenn’s vorbei ist.«
Ich hörte gerade ein altes John-Hartford-Album, heilte meine Wunden mit nostalgischer Sehnsucht nach einfacheren Zeiten, als der Anruf kam. »Up On The Hill Where They Do The Boogie« schien mir mit seiner Sozialsatire der Situation angemessen.
»Hi?« Wir hatten alle gehofft, ich würde die Kleine-Mädchen-Stimme mit dem dazugehörigen Gekicher und den fragenden Singsang mit dem stählernen Kern noch einmal zu hören bekommen. Trotzdem stand mir kalter Schweiß auf der Stirn, schon bevor sie sagte – oder fragte – »Hier ist Panda?«
»Panda Stinko? Wie geht es Ihnen?« Ich hoffte, das Aufnahmegerät würde mitschneiden. Ich wusste nicht, ob Roger das Abhörgerät genehmigt bekommen hatte. Sie war tüchtig, diese Pandamaschine.
»Großartig! Ich dachte, wir sollten uns die Woche mal zum Mittagessen treffen? Und über das Projekt sprechen?« Siehe da! Sie hatte die bösartig falsche Aussprache ihres Nachnamens unhinterfragt hingenommen! Du liebe Güte, was Leute aber auch für Namen haben.[19]
»Projekt?«
»Sie hatten an eine wohltätige Spende gedacht? Für unser M2F2-Projekt? Ich dachte, wir könnten uns treffen, dann erzähle ich Ihnen mehr darüber?«
Eigentlich hätte ich sagen sollen: »Tut mir leid, Sie haben die falsche Nummer gewählt.« Und sofort auflegen. Dann wäre für einige Leute einiges besser gelaufen. Aber eigentlich wollte ich gar nicht, dass es für diese bestimmten Menschen besser lief. Ich sagte na klar und vereinbarte einen Termin.
Dann legte ich auf, wartete den Krampf in meinem Bauch und den kalten Schweißausbruch ab – dann rief ich Roger an.
Das Abhörgerät war noch nicht eingeschaltet gewesen. Er stand schon bei mir vor der Tür, noch bevor ich mich in vorzeigbare Klamotten geworfen hatte (autsch).
Es ist immer unterhaltsam, Roger toben zu sehen. Vor allem, weil er jede Menge Schimpfwörter in anderen Sprachen kennt. Ich würde sie gerne hier mit euch teilen, wenn ich wüsste, wie man sie schreibt. Das ist nichts, was man im Wörterbuch Portugiesisch-Englisch nachschlagen kann. Oder unter chinesisch-englischen Redewendungen. Oder Dr. Anne Andersons maßgeblichem Wörterbuch für Cree, obwohl ich mir einbilde, das Wort für »bitch« herausgehört zu haben.
Das Finnische hatte mir allerdings der neue Cop schon vor Wochen übersetzt, also wusste ich endlich, was es bedeutete.
»Saatana perkele! Ich verbiete das. Ich werde dich wegen Widerstand gegen die Staatsgewalt verhaften. Ich werde dich in Schutzhaft nehmen, bis die Hölle einfriert. Ich …«
»Kannst du mich verkabeln?«
»Was?« Er hörte auf, in meinem Wohnzimmer auf und ab zu gehen.
»Ein Kabel. Wie man im Fernsehen sagt.«
Er sah mich wütend an. »Kabel? Heutzutage funktioniert alles kabellos. Was nicht bedeutet, dass ich einverstanden bin.«
»Aber wenn – und du wirst dich erinnern, dass wir dieses Szenario bereits durchgespielt haben – wenn doch, dann könntest du vielleicht hören, wie sie Versprechungen macht oder mich bittet, den Scheck auf ihren Namen auszustellen oder so … und am Ende des Mittagessens sage ich einfach, dass meine Leute ihre Leute anrufen werden, und der Fall ist erledigt. Ich bin für sie nicht mehr als eine Geldquelle.«
»Ah, komm schon«, sagte Roger. »Die haben die Typen geschickt, damit sie dich umbringen, verfluchte Scheiße. Das ist eine Falle.«
»Kann sein«, sagte ich. »Nein, schau mich nicht so an, ich meine es ernst. Kann sein, dass es eine Falle ist. Aber was für eine?«
Jetzt veränderte sich sein Blick.
»Was für eine – und warum – und willst du’s nicht wissen? Will sich die habgierige Pan-Pan Geld unter den Nagel reißen, oder geht es erneut um einen strafbaren Fall von Körperverletzung, oder was?«
Er pflanzte sich in den großen Sessel, den ich gekauft hatte, um den mit den Blutflecken zu ersetzen.
»Hör mal, ich hab dich sofort angerufen, nachdem sie ›tschüs?‹ gesagt und aufgelegt hat. Was glaubst du, warum ich das gemacht habe?«
Roger grinste. »Weil du schlau genug bist, um Angst zu haben.«
Ich nickte. »Der kalte Schweiß war größtenteils getrocknet, aber ich zittere, wenn ich zu viel nachdenke. Und wenn du’s zugeben würdest, geht’s dir genauso. Deshalb hast du ja auch so einen irrationalen Tobsuchtsanfall.«
»Okay, ich reagiere schlecht. Danke auch, dass du mich für irrational hältst. Du bist natürlich tapfer und genial. Wir machen also weiter mit Plan B. In Ordnung?«
»Danke. Das ist sehr großzügig von dir.« Ich meinte es sogar ernst.
Ich grinste ihn an, und beide schnaubten wir so ein halbes Lachen, was bedeutete, dass wir uns beide zu unserem wahren, verletzlichen Ich bekannten, wenn auch nur für einen Moment – oder dass wir uns wie Vollidioten benahmen und es wussten.
Ich stand auf und humpelte in die Küche, um den Wasserkocher aufzusetzen. Ich machte mich an Tassen und Tee zu schaffen. Die Schachtel mit den SleepytimeTM-Teebeuteln platzte aus allen Nähten, als ich sie öffnen wollte. Nachdem ich das Teebeutel-Mikado auf dem Boden entwirrt hatte, warf ich alles zusammen in die Spüle und hinkte zurück ins Wohnzimmer.
»Also, ich bin schlau, und du bist schlau«, sagte ich. »Und was zum Teufel wird jetzt passieren?«
»Da bin ich verdammt noch mal überfragt«, sagte Roger und machte den Tee.
Das gefiel mir an Rog. Er ist ein Quell des guten Mutes und der Vernunft.
Hat eine Antwort auf alles.
Ach, na ja. Der Tee war gut.
Mitten in unsere gesellige, aber stille Teerunde hinein klingelte das Telefon.
»Hi, Süße, hier ist Marta.«
»Marta! Wie geht’s?«
»Mir geht’s gut, aber deinem Mendelson Joe eher weniger. Es tut mir leid, dir sagen zu müssen, dass die Restaurierung nur zu ungefähr fünfundsiebzig Prozent erfolgreich war. Das liegt daran, dass das Gemälde insgesamt in Betracht gezogen werden muss – der Schaden durch die Flüssigkeiten auf der Leinwand und so weiter. Ich hab einen Boten damit zu dir geschickt, aber ich wollte es dir lieber persönlich mitteilen.«
»Hat Joe selbst versucht, ihn zu restaurieren?«
»Nein, aber er hat uns die von uns ausgewählte Person genehmigt; sie ist sehr gut. Der liebe Joe hat nicht das Gefühl, dass sich da noch viel machen lässt, es sei denn, er malt noch mal dasselbe als Auftragsarbeit, aber er ist nicht scharf drauf, sich noch mal mit einem so alten Bild zu beschäftigen. Ich hab ihm gesagt, dass das unwahrscheinlich ist, aber wenn du willst, schreiben wir ihm.«
»Nein, du hast recht«, sagte ich. »Ich will keine Kopie. Ich liebe das Original. Liebe es.«
»Tut mir leid, meine Teuerste. Ich weiß, wie sehr du ihn liebst. Ich habe dir auch einiges auf der Rechnung erlassen.«
»Nicht deine Schuld«, sagte ich. »Ich wusste, dass das Salatöl Probleme machen würde.«
»Ja, das war schlimm«, sagte sie. »Damit hatte sie große Probleme, außerdem eigenartigerweise mit dem Zucker. Also, na ja, es tut mir so leid. Ich hoffe, du schaust bald mal wieder in der Galerie vorbei.«
»Das mach ich, Marta. Danke.«
Ich legte leise auf.
»Okay«, sagte ich. »Das ist es. Von mir aus können die mich zusammenschlagen, aber wenn mein Mendelson Joe hin ist, bekommen sie Ärger.«
Das hat Henry David Thomas Thoreau in seinem Klassiker Walden aus dem Jahr 1854 geschrieben. Also genauer gesagt: »Hütet euch vor allen Beschäftigungen, die neue Kleider und nicht einen neuen Träger der Kleider verlangen.«
Das vollständige Zitat greift ein bisschen tiefer, als für die Vorbereitung auf das Mittagessen mit Pan-Pan-Da-Da nötig war.
Ich musste mir ein paar Klamotten kaufen, die nicht aussahen wie in der Ecke eines billigen Secondhandladens vom Grabbeltisch gezogen. Mein Stil an sich war ein bisschen zu boho-pomo-oh-oh, um ein so betörendes Konstrukt wie unsere Pan-Doris zu beeindrucken.
Eine weitverbreitete Fashionweisheit besagt, wenn man sich nicht immer mit denselben Leuten zum Lunch verabredet, genügt ein guter Anzug und ein Kaschmirmantel, um umwerfend auszusehen. Das gilt für sämtliche Geschlechter: männlich, weiblich, sowohl als auch, weder noch und sogar für Denis.
Nach einem Vormittag bei Holt Renfrew fühlte ich mich bereit und hatte ein neues enges schwarzes Kleid mit Sakko, nicht direkt ein Kostüm. Ich schickte die Ware erst mal in die Reinigung, damit sie nicht mehr ganz so neu aussah, und trug die Stiefel schon mal beim Einkaufen auf dem Markt am Samstag für ein bisschen Patina.
Außerdem musste ich abseits modischer Entscheidungen Vorbereitungen treffen. Es gibt strikte Vorschriften für Leute, die der Polizei helfen. Ich war keine »vertrauliche Quelle«, musste nicht unbedingt aussagen. Ich war das, was man eine »Agentin« nennt – klingt sehr nach 007, aber es bedeutet einfach, dass ich mich »verkabeln« (später mehr über moderne kabellose Verkabelungen und wie so was heutzutage funktioniert) und mir Anweisungen von der Polizei gegeben lassen konnte (Roger und ich mussten beide aus unterschiedlichen Gründen darüber lachen) oder, wenn ich es wollte, eine Zeugenaussage machen durfte. Ich wurde dem leitenden Officer vorgestellt, Roger wurde »Cover manager« (ein Fachbegriff – man muss sie einfach lieben!) und mein »Source Handler« (daraus ließen sich ein paar gute Witze bauen), außerdem bereitete ein »eidleistendes Team« eine Vollmacht vor, die der Polizei die Befugnis erteilte, in jegliche kriminelle Handlung einzugreifen, die im Umfeld unserer Verdächtigen begangen wurde. Das ist kompliziert, und ich war froh, dass wenigstens die Spezialisten wussten, was zu tun war.
Als ich aus dem Taxi stieg, um zu meiner Verabredung mit Pan-Pan anzutanzen – auf einen Stock gestützt, weil meine Modeberater auf hohe Stiefel bestanden hatten –, und ich mich durch den Matsch des Puderschnees vom Vortag hatte quälen müssen, war ich so gut vorbereitet, wie’s nur ging. Jedenfalls in Anbetracht dessen, was wir zu diesem Zeitpunkt wussten. Was später passierte, war eigentlich wirklich niemandes Schuld. Jedenfalls nicht meine, trotz allem, was Roger später behauptete.
Als ich hereinhumpelte, war Panda gerade eingetroffen. Sie stand am Pult des Maître d’, drehte sich um und begrüßte mich wie ihre beste, gerade von einer langen Reise zurückgekehrte Freundin. Sie rauschte auf mich zu, rief laut meinen Namen und warf ihre Arme beängstigend herzlich um mich. Mein Kopf wurde in parfümiertem Zobel begraben. Da der Zweck der Übung darin bestand, mich an sich zu binden, war es kein Wunder, dass ich mich fühlte wie Farbpigmente bei einem Angriff durch einen Windsor & Newton, Serie 7, Nr. 10.
Köpfe drehten sich. Ein paar Gesichter kannte ich sowohl aus den Tagesnachrichten wie aus meiner turbulenten Vergangenheit, aber niemand sah mich an. Panda, die unter ihrem Pelz nur ein Dekolletee, lange schwarze Strümpfe und sonst nicht viel trug, zog alle Blicke auf sich und außerdem eine Schar von Assistenten an, die sie von besagtem Pelz befreiten und sich sogar dazu herabließen, mir meinen Kaschmirmantel als traurigen Verlierer abzunehmen.
Wir lunchten im Hardware-Grill, einem gehobenen Restaurant in dem historischen Gebäude, in dem sich einst eine altmodische Eisenwarenhandlung befunden hatte. Nirgendwo waren Nägel in Sicht, und der einzige Schmelzofen war in die Wand eingelassen und als Designstatement offengelegt. Als wir auf die klassische nichtküssende Art der Betuchten unsere Lippen jeweils an ein Ohr der anderen führten, sagte ich nicht zu Panda, dass ich mich noch gut daran erinnerte, wie ich mit meinem Dad und meiner Mom hier eingekauft hatte und dass das Essen verdammt gut sein müsste, um den Verlust dieser Erfahrungen wieder wettzumachen.
Stattdessen säuselte ich: »Panda, wie schön, Sie wiederzusehen!« Und blickte fragend in Richtung des kleinen, dicken Mannes im teuren Anzug, der hinter ihr stand und uns an den Tisch gefolgt war. Panda bündelte dermaßen sämtliche Lichtstrahlen, dass er zunächst für mich ebenso unsichtbar geblieben war wie ich für die anderen Restaurantbesucher.
»Oh«, sagte sie, »ich hoffe, du hast nichts dagegen, ich habe einen Freund mitgebracht?«
»Ganz und gar nicht!«, sagte ich und drehte mich um, streckte ihm meine Hand entgegen. Er klemmte sie zwischen die Fingerspitzen seiner riesigen, beringten Pfote in einer Art Klauengriff, wie ihn manche Männer bei Frauen anwenden, und drückte fest zu. Ich war meinerseits ebenfalls beringt, weshalb meine Fingerknöchel, -knochen und -ringe unangenehm schmerzhaft komprimiert wurden. Beinahe wäre ich bereit gewesen, ihm einen Vertrauensbonus zu schenken und einen kurzen Vortrag über das korrekte Schütteln weiblicher Hände zu halten (Kurzfassung: einfach ebenso herzlich zupacken wie bei einem Mann, dann sind die Ringe gar kein Problem). Und wegen seines Lächelns … vielleicht war sein Gesicht einfach so gebaut.
Als er zudrückte, musterte er mich mit gewissen Pausen und einem Lächeln, das mir missfiel, und ich dachte: Dieser Mann tut niemals etwas aus Versehen. Ich bemühte mich, nicht laut vor Schmerz zu schreien, zahlte es seiner Hand möglichst mit gleicher Münze heim und nahm meine eigene schleunigst wieder an mich. Dann bekräftigte Panda meine Einschätzung, indem sie ihm meinen Namen noch einmal nannte, sich zu mir umwandte und strahlend erklärte:
»Das ist mein guter Freund Dom. Doktor Dominic Matrice? Er hat eine herrliche Klinik, Sie müssen ihn kennenlernen, er hat sie einfach alle gemacht? Meine auch!« Und sie gestikulierte wie Vanna White, zeigte auf ihre eigenen Titten, den Bauch und die Hüfte.
Genau in diesem Moment öffnete jemand hinter mir die Tür zur Straße, so dass man mein schreckhaftes Zucken auch für eine Folge des winterlichen Luftzugs, der mir unter den Mantel fuhr, hätte halten können. Seidene Unterwäsche kann in der kalten Jahreszeit eine Herausforderung sein.
Ebenso zwei Menschen zu umarmen und die Hände zu schütteln, die einen kürzlich noch umbringen wollten. Und dies vielleicht noch immer tun.
»Dominic, ist mir ein Vergnügen«, sagte ich. »Ich würde ja sagen, Sie sind ein Künstler, aber ich bin sicher, Panda war schon so schön, bevor Sie … äh … sie gemacht haben.«
Panda strahlte stolz (wirklich!).
Der Maître-d’ kam ohne meinen und Pandas Mantel zurück – Do Matrix war ein echter Mann und hatte gar keinen angehabt; sein Anzug hatte Kaschmiranteile, war also sozusagen zwei-in-eins, wie ein billiges Shampoo – und zeigte uns unseren Platz am Fenster.
Ich setzte mich zu Tisch mit Mördern.