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»Suchst du etwas Bestimmtes? Kann ich dir helfen?« Candan Aydin ließ die Hände neben die Tastatur sinken und schaute von ihrer Arbeit auf. Sie schlug sich auf den Mund. »Entschuldigung. Das Du ist mir so rausgerutscht. Wir duzen uns hier ja alle, und du … Sie …« Candan Aydin verstummte.

»Kein Problem.« Josefine stand neben dem Eingang zur Requisitenkammer und wühlte sich durch die Sammelkiste, in der sich einzelne Kostümteile befanden, die verloren, später wiedergefunden und den jeweiligen Kostümen noch nicht wieder zugeordnet worden waren. Sie ging zu Candan, reichte ihr die Hand. »Josefine.«

Die Jüngere hatte recht. Auch ihr hatte das Du schon öfter auf den Lippen gelegen. Es machte alles einfacher. Auch wenn sie sich sicher sein konnte, dass ihr das förmliche Sie noch das ein oder andere Mal herausrutschen würde.

»Candan«, erwiderte Candan und lächelte.

Josefine wandte sich wieder den Kostümteilen zu. Der Menge nach zu urteilen, hatte sich schon länger niemand mehr dieser Aufgabe gewidmet. Auf dem Boden lagen bereits eine dünne Clownshose, ein Ohr, das entweder zu einem Esels- oder einem Hasenkostüm gehören musste, und eine Art Fischschwanz, den Josefine fragend hochhielt.

»Meerjungfrau«, erklärte Candan Aydin nach einem kurzen Blick darauf. »Brauchen wir eher nur im Sommer zu den Kindergeburtstagen.« Sie nickte in Richtung der Kiste. »Wenn du schon einmal dabei bist, alles rauszuholen, können wir es auch direkt sortieren und wegräumen.« Sie schob ihren Schreibtischstuhl nach hinten, stand auf und kam zu ihr. Mit Kennerblick beugte sie sich über die Kiste, hob ein Stück nach dem anderen heraus. Sie hielt es hoch, begutachtete es. »Was kaputt ist, werfen wir am besten direkt weg. Beate tat sich damit immer sehr schwer.«

Josefine nickte und holte einen Müllsack aus dem Putzregal in der Kammer. Sie öffnete ihn mit Schwung. »Hast du irgendwo eine blaue Mütze oder einen blauen Schal gesehen?«, fragte sie beiläufig und beobachtete Candan Aydin aus den Augenwinkeln. Sie wollte ihre Reaktion sehen. »So ein schönes Königsblau«, ergänzte sie.

Candan Aydin wühlte weiter in den Kleiderbergen, ohne aufzuschauen. »Hier drin nicht.« Sie griff nach einem gelben Etwas und zog es heraus. Das Telefon klingelte. »Hast du sie verloren?« Sie ging zum Schreibtisch, legte den Gegenstand achtlos neben ihrem Arbeitsplatz ab und nahm das Telefonat entgegen. »Ho! Ho! Ho, die Leihnachtsmänner. Was können wir Ihnen bescheren?«, fragte sie fröhlich und lauschte. Aus dem Hörer drang eine aufgeregte Stimme. Candan wurde blass, griff nach der Tastatur und tippte hektisch. »Es tut mir sehr leid. Ich weiß nicht, was schiefgelaufen ist. Wir haben den Auftrag nicht vergessen, und eigentlich müsste die Kollegin bereits bei Ihnen sein.«

Josefine horchte auf. Gab es Probleme? Sie versuchte zu verstehen, was der Anrufer sagte, aber es klang nur wie aufgeregtes Gequake.

Candan Aydin griff nach ihrem Handy. »Bitte warten Sie. Ich versuche, die Kollegin zu erreichen.« Sie tippte auf dem Handydisplay herum und stellte den Lautsprecher an. Nach einem Freizeichen sprang eine Mailbox an und verkündete, dass Emily gerade kein Gespräch annehmen könne, sich aber gerne später zurückmelden werde. »Da muss etwas passiert sein. Sie ist sonst so zuverlässig.« Wieder lauschte sie in den Hörer, nickte. »Ich verstehe. Ja. Ja. Selbstverständlich.« Sie warf Josefine einen Blick zu. »Wir finden eine sehr schnelle Lösung, Herr Drobler. In zwanzig Minuten ist jemand bei Ihnen.« Sie legte auf, drehte sich zu Josefine um, musterte sie von oben bis unten und rannte in die Requisitenkammer.

Mit einem der Kostüme kam sie zurück.

»Hier. Das passt dir sicher. Zieh es an.« Sie drückte es Josefine in die Hand, beugte sich über ihren Schreibtisch, bearbeitete die Tastatur. Der Drucker sprang an. Candan Aydin nahm das Papier aus dem Auswurf und hielt es Josefine hin. »Das ist die Adresse. Ich rufe ein Taxi. Du musst dich beeilen. Drobler ist ein wichtiger Kunde.«

Josefine sah fassungslos auf das Engelskostüm in ihren Händen.

Wieder hastete Candan Aydin in die Kammer. Diesmal kam sie mit einem Flügelpaar zurück.

»Ich kann doch nicht …«

»Ob du es kannst, ist nicht die Frage. Du musst da jetzt hin. Die Weihnachtsfeier läuft bereits, und der Chef möchte die Geschenke an die Mitarbeiter verteilen. Dazu hat er einen Rauschgoldengel bestellt, wir haben ihm zugesagt, also müssen wir ihm jetzt einen Rauschgoldengel liefern.« Candan Aydin legte die Flügel auf den Boden, breitete sie aus und sah Josefine auffordernd an.

Josefine riss sich zusammen. Candan hatte recht. Eine Zusage war eine Zusage. Es durfte nicht das Problem des Kunden sein, wenn eine Mitarbeiterin ausfiel. Sie legte das Kostüm auf den Schreibtisch und zog sich ihren Pullover über den Kopf. Darunter trug sie ein weißes Top über ihrem BH. Es würde nicht zu sehen sein, sie aber zumindest vor dem Erfrieren bewahren. Wobei das vermutlich ihr kleinstes Problem sein würde. Mit einer Hand fischte sie nach dem Kostüm, zog es zu sich heran. Dabei fiel der Gegenstand, den Candan kurz vorher dort abgelegt hatte, zu Boden. Eine gelbe Stofftasche mit dem Logo der Sparer- und Einlagenbank Titzelsee. Josefine griff mit der freien Hand danach, öffnete sie. Die Tasche war leer.

»Ah, gut. Die können wir brauchen.« Candan zupfte ihr die Tasche aus der Hand, stopfte Josefines Pullover und das Blatt mit der Anschrift hinein. »Und jetzt beeil dich!«

»Verdammt noch mal, hilf mir!«

Nach Gotthilf Droblers irritiertem Blick zu schließen, war Josefines Hilfeschrei kein stummer gewesen. Und es war nicht der erste Blick, den er ihr zuwarf. Dabei offenbarte Gotthilf Drobler, seines Zeichens Geschäftsführer und Inhaber der Drobler Zerspanungswerke GmbH & Co. KG, einen großen Variantenreichtum seines Blickrepertoires. Begrüßt hatte er sie mit einem Das-wurde-aber-auch-langsam-Zeit-Blick, gefolgt von einem Ich-dachte-Rauschgoldengel-hören-mit-fünfundzwanzig-auf-zu-altern-Blick. Nachdem Josefine ihm mit einen Sei-froh-dass-überhaupt-jemand-hier-erschienen-ist-und-guck-dich-doch-mal-selbst-an-Blick geantwortet hatte, waren die Fronten geklärt gewesen, und es konnte losgehen.

Jetzt stand sie geflügelt und gespornt auf der Bühne und reichte Gotthilf Drobler lächelnd die Geschenke an, die er an seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter verteilte. Es gab drei verschiedene Kategorien, doch selbstverständlich bestanden alle aus Metall. Die Auszubildenden erhielten einen Schlüsselanhänger mit der Gravur »Beste Firma der Welt«. Josefine stellte sich vor, wie sie an den Werkbänken gestanden, gefeilt und geschliffen hatten, womöglich in dem Wissen, dass sie selbst die Früchte ihrer Arbeit würden ernten müssen. Wie jemand, der sich sein eigenes Grab schaufelte. Wobei die Schlüsselanhänger noch das kleinste Übel waren. Alle Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen bekamen eine Wanduhr, die aus einem Metallring und einem darauf befestigten dreistäbigen Kreuz aus einem andersfarbigen Metall bestand. Der Schriftzug »Drobler« stellte den kleinen, der Schriftzug »Zerspanungswerke« den großen Zeiger dar. Die diebischste Freude hatten die Azubis aber sicher bei der Herstellung der Präsente für die Führungsetage gehabt. Eine Schraubenmännchen-Skulptur mit dem schönen Titel »Arbeitspause«, zu der Gotthilf Drobler lediglich anmerkte: »Damit Sie wissen, wie das aussieht – bei uns gibt es das ja nicht.« Sie stellte eine Person dar, die mit hochgelegten Füßen am Schreibtisch saß und auf eine Bilanzkurve auf dem Computerbildschirm starrte. Kopf, Schultern, Hände, Po und Füße bestanden aus unterschiedlich großen Muttern, Hals, Arme, Bauch und Beine aus Schraubgewinden. Auf dem gebogenen Blech als Schreibtisch standen ein bis ins Detail ausgestalteter Computer samt Tastatur. Die Bilanzkurve zeigte selbstverständlich nach oben.

Die Geschenkeanreicherei war eine leicht zu bewältigende Aufgabe, stünde nicht auch noch die Ankündigung im Raum, sie, also der Rauschgoldengel, würde zum Abschluss noch einige weihnachtliche Worte an die Belegschaft richten. Dabei hätte Gotthilf Drobler ohne großen Aufwand selbst einen stattlichen Weihnachtsmann abgegeben. Sein Bauchumfang stand dem von Bernhard Rösner in nichts nach, seine Stimme war, wenn möglich, noch eine Stufe tiefer und sonorer. Falls Bernhard Rösner einmal ausfallen würde – hier stand der perfekte Ersatz. Aber vielleicht war eben das der Grund, warum Gotthilf Drobler einen Rauschgoldengel bestellt hatte. »Du Weihnachtsmann« war in manchen Gegenden durchaus nicht immer nett gemeint. Und einen Chef zu respektieren, der aussah, als könnte man auf seinem Knie reiten und ihm um den Bart streichen, während man ihm erzählte, was man sich zu Weihnachten wünschte, war auf sehr vielen Ebenen schwer bis unmöglich.

Je kleiner der Berg der Präsente wurde, umso höher stieg Josefines Blutdruck. Was um alles in der Welt sollte sie nur sagen? Sie spürte, wie der Schweiß sich unter den Rändern der Perücke sammelte. Die vorletzte »Arbeitspause« wechselte den Besitzer. Emily hatte sicherlich ein Skript für diese Rede in der Tasche. Aber Emily war immer noch nicht aufgetaucht, weder mit noch ohne Skript.

Das letzte Paket hielt Josefine ein wenig fester, und es kam zu einem kurzen Gerangel zwischen ihr und Gotthilf Drobler, bevor sie es nach seinem Jetzt-mach-schon-ich-will-hier-fertig-werden-Blick losließ und er es weitergeben konnte.

»Du kommst doch klar?« Beate schlenderte langsam vom Rand der Bühne auf Josefine zu. Sie trug wieder ihr Tannenbaumkostüm, diesmal allerdings zusätzlich mit einer Lichterkette um die Hüften.

»Wie Sie alle wissen, bin ich eher ein Mann der Tat und nicht der langen Worte, deswegen wird uns nun unser entzückender Weihnachtsengel hier etwas verkünden«, dröhnte Gotthilf Drobler in den Saal und schob Josefine nach vorne. Auf den Gesichtern der Zuhörer spiegelte sich eine Mischung aus Ungeduld, Langeweile und Schadenfreude. Panisch sah sie sich nach Beate um.

»Du bist ein Engel«, erinnerte diese sie. »Also denk wie ein Engel.«

»Halleluja zusammen.« Na klasse.

»Oder bring sie zum Lachen«, schlug Beate vor.

»Liebe Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen der Drobler Zerspanungswerke«, sagte Josefine. Das Mikro knackte und quietschte, die Gesichter im Publikum verzogen sich.

»Genau. Schmerz ist auch gut. Schmerz schweißt ein Team zusammen. Das könntest du sagen. Eigentlich wollte ich aber was mit dir besprechen.«

»Jetzt?«, entfuhr es Josefine. »Äh, jetzt freue ich mich, so viele von Ihnen heute hier zu sehen.« Sie machte eine kurze Pause. Auch wenn der Witz flach war, musste sie sicherstellen, dass ihn jeder mitbekam. Außerdem verschaffte ihr das Zeit, sich zu konzentrieren. »Und das, obwohl Sie wussten, dass es auch in diesem Jahr wieder eine Rede geben würde.«

Das Publikum lachte pflichtbewusst.

»Ja. Jetzt. Bevor ich es mir wieder anders überlege.« Beate stellte sich vor Josefine, schaute ihr ins Gesicht. Josefine drückte den Rücken durch. Beate war beinahe einen Kopf kleiner als sie. Wenn sie sich auf die Zehenspitzen stellte, konnte sie über ihren Scheitel hinweg immer noch das Publikum sehen.

»Wenn ich es mir recht überlege, ist Weihnachten doch eigentlich wie ein Tag im Büro. Man selbst hat den Stress, und der dicke Mann im Anzug bekommt die ganze Anerkennung.«

Gotthilf Drobler stieß einen undefinierbaren Laut aus, der aber im Gelächter unterging.

»Nicht schlecht, der Gag. Nicht schlecht. Du machst dich. Ich habe mich heute entschieden, welche Art der Bestattung ich möchte.«

»Welche … Also, einige von Ihnen haben vermutlich viele Überstunden geschoben und waren selten zu Hause. Wenn Sie jetzt an Weihnachten ins Zimmer kommen, fragen Ihre Kinder: Mama, ist das der Weihnachtsmann?« Wieder wurde gelacht. Immerhin.

»Mit einer angemessenen, würdigen Feier«, sagte Beate.

»Deswegen haben Sie sich diese würdige Feier angemessen verdient.« Böse funkelte sie Beate an. Wie um alles in der Welt sollte sie so ihre Rede ordentlich zu Ende bringen? »Aber natürlich gelten einige Regeln, die Sie bitte unbedingt beachten sollten«, sagte sie streng in ihre Richtung und fuhr fort: »Die Besenkammer, der Kopierraum und der Erste-Hilfe-Raum sind heute Abend verschlossen. Es tut mir leid, einige von Ihnen damit enttäuschen zu müssen, aber für unsere Nachwuchssorgen haben wir bereits eine andere Lösung gefunden.«

Autsch. Wieso fiel ihr nur so ein platter Altherren-Witz ein? Egal. Hauptsache, es befriedigte die Leute. Den Lachern nach zu urteilen, traf sie exakt den Humor der Anwesenden.

»Das Büfett dort hinten ist zum Essen da und nun eröffnet. Aber denken Sie daran: Neun von zehn Enten empfehlen Steak zu Weihnachten.« Damit war ihr Kalauervorrat fast erschöpft. Einen oder zwei hatte sie aber noch. Schnell sprach sie weiter, bevor Beate sie wieder aus dem Konzept bringen konnte. »Seien Sie also nicht schüchtern und greifen Sie zu. Ich gehe davon aus, dass Sie alle das letzte Memo gelesen haben, in dem Sie aufgefordert wurden, Ihre Homeoffice-Jogginghosen mitzubringen?« Aus den Augenwinkeln sah sie, wie Gotthilf Drobler sich ihr näherte. »Diese Feier wird sicher bis spät in die Nacht dauern. Meine Rede zu unser aller Glück nicht. Deswegen wünsche ich Ihnen nun einen guten Appetit, einen schönen Abend und frohe Weihnachten.« Josefine lächelte, breitete Arme und Flügel aus und winkte.

Ihre Zuhörerinnen und Zuhörer klatschten länger, als sie es erwartet hatte. Höfliche Leute, diese Belegschaft der Drobler Zerspanungswerke GmbH. Dann begann das große Stühlerücken, und die Menschen strömten zum Büfett. Erleichtert ließ Josefine die Arme sinken. Geschafft. Jetzt konnte sie sich ausführlich ihrer Schwester widmen. Wenn auch nur, um ihr zu erklären, dass sie nicht einfach aus dem Nichts auftauchen und sie so bei ihrer Arbeit stören durfte.

Gotthilf Drobler schnaufte auf sie zu, sein Kopf war hochrot angelaufen. Die Rede hatte also nicht nur ihren Blutdruck in himmlische Sphären ansteigen lassen. Sie wappnete sich gegen die in ihren Augen unweigerliche Beschwerde.

»Das habe ich ja noch nicht erlebt, Frau Jeschiechek.« Gotthilf Drobler baute sich vor ihr auf. Kleine Spucketropfen regneten auf Josefine herab. Alles klar. Sie hatte es verbockt. Auf Nimmerwiedersehen, Stammkunde Drobler Zerspanungswerke GmbH & Co. KG. Candan würde ihr den Kopf abreißen. Aber was hatte sie auch erwartet? Sie war einfach keine Entertainerin. Josefine ließ ihre Flügel hängen. Zwei Hände umfassten links und rechts ihre Arme. Sie wurde geschüttelt. Ihre Krone rutsche samt Perücke nach vorn. Das ging nun aber doch zu weit. Bevor sie etwas sagen konnte, hatte Herr Drobler ihre Oberarme allerdings losgelassen und stattdessen ihre Hände ergriffen, die er nun mit ebensolcher Energie drückte. »Wunderbar! Das war ganz großartig, meine liebe Frau Jeschiechek. Ganz großartig. Ich muss es zugeben, auch wenn ich zuerst nicht so begeistert war, als das Fräulein Emily nicht erschien.« Er strahlte, schaute auf seine Belegschaft und dann wieder Josefine an. »Wir Alten wissen doch immer noch am besten, wie es geht.« Er lachte. »Meine Leute haben sich prächtig amüsiert und ich auch.«

Eine Mitarbeiterin eilte mit einem Blumenstrauß und einer Papiertragetasche heran und gab sie ihrem Chef. Gotthilf Drobler reichte beides mit großer Geste an Josefine weiter. »Für Sie, werte Frau Jeschiechek, für Sie.« Er öffnete die Papiertasche und gewährte Josefine einen kurzen Blick hinein. Er musste wirklich begeistert sein. Sie bekam gleich alle drei Präsente: den Schlüsselanhänger, die Uhr und das Drobler’sche Schraubenmännchen. Es würde sich auf Candans Schreibtisch sicherlich großartig machen.

»Ich habe zwei Fragen an dich«, sagte Josefine. Hoffentlich bemerkte der Taxifahrer nicht den dunklen Bildschirm des Handys.

»Nicht mehr?« Beate machte es sich neben ihr auf dem Rücksitz bequem, indem sie die Beine ausstreckte – durch die Rückenlehne des Vordersitzes hindurch. »Immerhin bin ich ein Geist, und wir könnten uns über die großen Fragen der Menschheit unterhalten. Dinge, die du immer schon wissen wolltest. Wir könnten uns zum Beispiel über …«

»Kannst du auch mal ernst sein?« Josefine spürte, wie die Anspannung der letzten Stunden von ihr abfiel und darunter nur der Ärger übrig blieb. »Wie egoistisch kann man sein? Du weißt doch, wie schwer es mir fällt, mich auf so einen Auftritt einzulassen, und du hast nichts Besseres zu tun, als mich auch noch zusätzlich zu verunsichern. Recht vielen Dank dafür.«

»Jetzt entspann dich mal. Ist doch alles gut gegangen.« Beate tat so, als klopfte sie ihr auf die Schulter. »Mehr noch. Du warst gut. Drobler hat sich ja zu wahren Begeisterungsstürmen hinreißen lassen. Und«, sie deutete auf die Papiertasche, die neben Josefine auf dem Sitz stand, »du hast die ›Arbeitspause‹ verliehen bekommen. Ich kann mich nicht daran erinnern, dass so ein epochales Ereignis in der Geschichte der Zusammenarbeit zwischen den Leihnachtsmännern und der Drobler GmbH jemals zuvor stattgefunden hätte.« Sie beugte sich über die Tasche und schaute hinein. »Was wirst du damit machen?«

»Sie dir an den Kopf werfen.«

»Du weißt aber schon, dass das so oder so keinen Zweck hat?«

»Wem gehören die blaue Mütze und der blaue Schal?« Josefine hatte beschlossen, Beates Geplänkel zu ignorieren.

»Wie kommst du jetzt darauf?«

»Ich habe zwei Fragen an dich. Das ist eine davon.«

»Und die andere?«

»Willst du mir nicht zuerst diese beantworten?«

»Kommt drauf an.«

»Worauf?«

»Auf die Frage.«

Josefine zog sich die Engelsperücke vom Kopf und strich sich durch die Haare. Sie waren schweißnass.

»Was wird das hier? Ein lustiger Machtkampf unter Schwestern? Zickenkrieg? Oder macht es dir einfach Freude, mich fertigzumachen?« Sie nestelte an den Knöpfen ihres Mantels. Die Hitze im Wagen nahm ihr die Luft. »Kannst du mir nicht einfach sagen, wem diese verdammte Mütze und der Schal gehören?«

»Warum willst du das unbedingt wissen?«

»Weil du dich mit jemandem getroffen hast, unmittelbar, nachdem du eine sehr große Menge Geld von der Bank abgeholt hast. Und verzeih mir bitte den Gedanken – aber unter Umständen hat der- oder diejenige etwas mit deinem …« Josefine bemerkte den Blick des Taxifahrers im Rückspiegel. »Mit deiner speziellen Situation zu tun.«

»Ich wette, ich weiß, was deine zweite Frage ist.«

»Lenk nicht ab.«

»Ich lenke nicht ab. Ich setze Prioritäten.«

»Wem gehören Mütze und Schal?«

»Waldbestattung.«

»War es eine Frau oder ein Mann?«

»Wobei das nicht das richtige Wort ist.«

»Eine Freundin?«

»Naturbestattung.«

»Ein Bekannter?«

»In der Nähe des Bootsstegs am See gibt es eine kleine Bucht.«

»Warst du mit der Person verabredet?«

»Da bin ich im Sommer so gerne baden gegangen.«

»Oder habt ihr euch zufällig getroffen?«

»Kennst du das? Es gibt Stellen, an denen man sofort und ohne großen Zinnober entspannen kann.«

»Wusste die Person, dass du das Geld bei dir hattest?«

»Es funktioniert sogar, wenn du gar nicht da bist. Du schließt einfach deine Augen, stellst dir vor, du wärst an diesem Ort, schaust dich um und bist sofort tiefenentspannt.«

»Wo seid ihr danach hingegangen?«

»Diese Stellen zeigst du nur Menschen, die dir wirklich viel bedeuten.«

»Was hast du mit dem Geld gemacht? Verdammt, Beate! Kannst du dich einmal wie eine Erwachsene verhalten?«

»Ich habe auch so einen Menschen. Jemand Besonderen, der mir so viel bedeutet, dass ich ihm meine geheimen Orte offenbare …«

»Beate, wem gehören die königsblaue Mütze und der Schal?«

»Bärbel Rosenbusch.«