23

Wasser rauschte. Jemand sang. Kaffeeduft waberte durch den Raum. Josefine lauschte und schnupperte mit geschlossenen Augen. Sie lächelte in ihre warme Decke hinein.

»Bevor du jetzt im rosaroten Land der Glückseligkeit verschwindest, sollten wir noch ein paar Kleinigkeiten regeln, meine Liebe.«

Sie schlug die Augen auf. Beate saß am Fußende des Bettes und betrachtete ausgiebig ihre ausgestreckte Hand. Ihre Nägel waren blutrot, lang und spitz. Sie zeigte Josefine die Pracht mit gespreizten Fingern.

»Sind die nicht sensationell? So wollte ich sie schon immer haben. Maniküre ist deutlich einfacher, wenn man ein Geist ist«, sagte sie beiläufig und musterte ihre Schwester. »Und, war es schön?«

»Was?«

»Deine Klavierstunde.« Beate verdrehte die Augen. »Was wohl?«

Josefine zog die Decke über den Kopf. Ja. Es war schön gewesen, mit André zu schlafen, nachdem sie den Mut zu einer Entscheidung gefunden hatte. Anders. Unerwartet.

»Es war spannend«, sagte sie schließlich.

»Sex ist immer spannend. Es könnte ja jemand kommen«, erwiderte Beate ernst.

Josefine nahm das Kopfkissen und warf es nach ihr. Es flog durch Beate hindurch und landete vor Andrés Füßen, der aus der Dusche kam, nur ein bunt bedrucktes Handtuch um seine Hüften. Josefine brach in schallendes Lachen aus.

»Wo hast du das denn aufgetrieben?«

»Was? Sag nichts gegen Pokémon. Und erst recht nichts gegen Ash und Pikachu! Das war ein Geschenk meiner Großmutter zu meinem zehnten Geburtstag. Ich habe es seit fast dreißig Jahren.« Er löste das Handtuch, warf es auf einen Stuhl und kam zum Bett. Er legte sich bäuchlings neben Josefine, stützte den Kopf auf seine Hand und strich ihr mit dem Finger der anderen das Haar aus der Stirn.

»So sieht es auch aus. Wie niedlich. Ich geh dann mal lieber«, murmelte Beate, schlug die flache Hand vor die Stirn und verschwand.

Josefine setzte sich auf und lehnte sich an das Kopfteil des Bettes.

»Was ist das hier für dich?«, fragte sie, zog die Knie unter der Decke an und umschlang sie mit beiden Armen.

»Eine große Freude.« André setzte sich ebenfalls auf, rückte nah an sie heran. Er legte seine Hand auf ihren Arm. Josefine betrachtete seine schmalen Finger auf ihrer Haut.

»Was wäre, wenn ich bliebe?« Ihr Herz stolperte über einige Schläge.

»In Titzelsee?«

»Bei dir.« Sie sah ihn an. »Was wäre, wenn wir ein Paar wären?«

»Sind wir das nicht?«

»Ich weiß es nicht. Wir haben miteinander geschlafen. Aber das macht uns nicht zu einem Paar.«

»Das stimmt. Sex kannst du mit jedem haben.« Um seinen Mund herum zuckte es. »Aber mich hast du gestern als Erstes angerufen, als du Hilfe brauchtest. Ich finde, das ist schon mal ein Schritt in die richtige Richtung.« Er ließ die Hand sinken und drehte sich so, dass er sie direkt ansehen konnte. »Wenn du bleiben würdest, in Titzelsee und bei mir, wenn wir ein Paar wären, mehr als nur Sex miteinander teilen würden, dann wüsste ich nicht, was wäre. Was passieren würde. Genauso wenig, wie du es wüsstest. Was ich aber weiß, ist, dass ich mich sehr gerne darauf einlassen würde, es herauszufinden.«

Josefine erwiderte seinen Blick. Er hatte recht. Niemand konnte wissen, was geschehen würde. Es gab keine Garantie für eine glückliche Zukunft. Nicht mit ihm, nicht mit Christian, nicht allein. Es gab nur die Chance, es zu wagen.

Sie küsste ihn, löste die Umklammerung ihrer Knie und schwang die Beine aus dem Bett.

»Bevor wir gemeinsam herausfinden, was passieren wird, sollte ich mich dem widmen, was bereits geschehen ist.« Sie stand auf.

Zwei Tassen starken Kaffee, eine heiße Dusche und ein knappes, aber alle Punkte umfassendes Gespräch später stand sie vor der Tür der Agentur. Sie hatte André von den Drogen erzählt, von dem, was sie herausgefunden hatte, und von ihrem Verdacht, wer hinter der ganzen Sache steckte. Nur über Beate hatte sie weiter geschwiegen. Noch war nicht der richtige Zeitpunkt dafür.

Sie fürchtete sich vor dem, was ihr nun bevorstand. Sie dachte an den Namen auf dem Klingelschild. Die beiden Polizistinnen gestern Abend waren sehr nett gewesen, hatten den Einbruch protokolliert, sich umgesehen, Fragen gestellt. Ob etwas gestohlen worden sei? Ob sie den Eindringling erkannt hätte? Ob sie einen Krankenwagen rufen sollten? Ob es sonst noch was gebe, was wichtig sein könnte? Gefolgt von den Antworten: »Sag ihnen nichts von dem Geld, bis ich mich an alles erinnere!«, von Beate souffliert, »Nein«, und »Auf gar keinen Fall!«

Von ihrem Verdacht wegen des Namens hatte sie nichts gesagt. Sie wollte erst sicher sein. Was, wenn sie damit falsch lag? Einen Menschen zu Unrecht beschuldigen wollte sie auf keinen Fall. Trotz aller Indizien konnte sie den letzten Rest Zweifel nicht loslassen. Sie hatte sich auf ihre Menschenkenntnis immer sehr viel eingebildet, sich nur sehr selten in jemandem gründlich geirrt. Nein. Das stimmte nicht. Sie hatte noch nie jemanden komplett falsch eingeschätzt. Wenn etwas nicht richtig gewesen war, hatte es wie ein kleiner Dorn in ihr gestochen, war immer wieder unter der Oberfläche entlanggekratzt und hatte sie beunruhigt. Auch wenn sie es nicht wahrhaben wollte, war es trotzdem da gewesen, und es hatte nur gedauert, bis sie schließlich aufhörte, sich selbst zu belügen. Hier war keines ihrer Alarmsysteme angesprungen, nichts hatte sie beunruhigt. Im Gegenteil. Sie hatte sich ausgesprochen wohlgefühlt.

Sie schloss die Eingangstür auf. Das Chaos, das der Eindringling gestern Abend hinterlassen hatte, wirkte im trüben Tageslicht noch erschreckender. Josefine hängte ihren Mantel an den Haken. Sie hob den Nikolausstab auf und stellte ihn zurück an seinen Platz neben der Kammer. Sie sammelte Papiere, schob sie zusammen, legte sie auf den Schreibtisch. Drückte Ordner zurück ins Regal. Stopfte Müll in Eimer, warf Kugelschreiber in Schubladen, schloss Schränke und Laden. Dann ging sie in die Kammer. Dort die Ordnung wiederherzustellen, würde länger brauchen.

»Was ist denn hier passiert?« Candan stand in der Tür. Josefine hatte sie nicht kommen hören. Sie hatte vergessen, die Türklingel wieder anzuschalten.

»Einbruch. Die Polizei weiß Bescheid. Sie war schon da.« Josefine bückte sich, um ein Engelskostüm vom Boden aufzuheben. Sie zog es langsam auf einen Bügel, hängte es auf den Ständer zurück, mied Candans Blick.

»Das sieht furchtbar aus!« Candan kam zu Josefine, griff nach einem weiteren Kostüm auf dem Boden.

»Der frühe Vogel ist der erste Weg zur Besserung.« Bernhard Rösners Bass dröhnte durch den Raum, gefolgt von schweren Schritten. »Ihr seid schon …« Er brach mitten im Satz ab und schaute sich verdattert in der Kammer um. »Meint ihr nicht, für einen Großputz ist auch im neuen Jahr noch Zeit? Weihnachten steht vor der Tür, und wir müssen es reinlassen.«

»Es gab einen Einbruch«, informierte Candan ihn, die Hände voller Kostüme.

»Was gab es?« Bärbel Rosenbusch schaute über Bernhard Rösners Schulter. »Die Türglocke geht übrigens nicht.«

Josefine legte die Feenflügel, die sie immer noch umklammert hielt, über einen Kleiderständer. Sie wischte sich die Hände an ihrer Hose ab, ging zur Tür der Kammer und drängte sich an Bernhard Rösner und Bärbel Rosenbusch vorbei.

»Ich muss mit euch reden«, sagte sie und ging zum Besprechungstisch. Sie wartete, bis alle Platz genommen hatten. Erst dann setzte sie sich auf den letzten freien Platz, den Rücken zur Tür gewandt. Beate trat aus der Requisitenkammer und stellte sich hinter Bärbel Rosenbusch. Sie strich ihr liebevoll über die Wange und legte ihr die Hand auf die Schulter. Bärbel Rosenbusch neigte unwillkürlich den Kopf in die Richtung, dann lächelte sie wehmütig.

»Der Einbruch gestern Abend«, begann Josefine. Sie fasste sich an die Stelle an ihrem Kopf, an der sie der Schlag getroffen hatte. Die dicke Beule schmerzte, als sie sie berührte. »Ich wurde angegriffen. Jemand hat mich niedergeschlagen, als ich nach Hause kam. Ich bin gestürzt, war bewusstlos. Ich hätte erfrieren können. Ich hatte einfach Glück.«

»Mich. Du hattest mich. Da lege ich Wert drauf.« Beate hob mahnend den Finger.

»Vielleicht war es auch der gute Geist von Beate, der mich geweckt hat«, ergänzte Josefine und schaute ihre Schwester an. Bärbel Rosenbusch versuchte, Josefines Blick zu folgen, und schüttelte irritiert den Kopf. Bernhard Rösner kniff die Augen zusammen. Er strich mit langsamen Bewegungen über seinen Bart. Candan nahm gedankenverloren den Kugelschreiber von ihrem Notizblock und ließ ihn durch die Finger gleiten.

»Zum Glück geht es dir ja jetzt wieder gut«, sagte sie und lächelte zaghaft in die Runde.

»Ja. Es geht mir gut.« Josefine sah zu Candan. Sie wollte wissen, wie sie auf das reagieren würde, was sie nun sagen wollte. »Ich habe Glück gehabt. Beate nicht. Das wurde mir klar, als ich da lag. Die Situation war fast die gleiche wie bei Beate. Aber Beate ist tot.«

»Das mit Beate war ein schrecklicher Unfall.« Candan klang jetzt beinahe flehend. »Das hat die Polizei doch gesagt.«

»Ja.« Josefine nickte. »Ein Unfall, sagen sie.« Sie machte eine kurze Pause, bevor sie weitersprach. »Und was, wenn es kein Unfall war, sondern nur so aussah? Laut der Rechtsmedizinerin ist Beate auf dem Glatteis ausgerutscht und hat sich unglücklich beim Sturz den Kopf verletzt. Doch das Gleichgewicht verliert man auch nach einem kräftigen Stoß.«

»Aber daran ist sie nicht gestorben.« Aus jedem Wort spürte man Bärbel Rosenbuschs Trauer.

»Nein. Das ist sie nicht. Weder an dem Stoß noch direkt an der Verletzung. Beate ist gestorben, weil ihr niemand geholfen hat.«

»Du meinst, jemand hat das mit Absicht getan? Danebengestanden und zugesehen, wie sie gestorben ist?«, stellte Bernhard Rösner fest. »Was ist das bloß für ein Mensch?«

»Aber warum sollte das jemand getan haben? Kennst du den Grund?« Candans Stimme klang dünn.

»Beate war einer Sache auf der Spur. Das hat sie in Gefahr gebracht, und deswegen wurde sie getötet.«

»Was für eine Sache? Das klingt sehr vage. Ich glaube nicht, dass das für die Polizei ein Grund wäre, den Fall noch einmal aufzurollen.« Bernhard Rösner beugte sich vor. »Oder hast du Beweise für das, was du da behauptest?«

»Ich habe eine Weile gebraucht, bis ich dahintergekommen bin. Zuerst konnte ich mir keinen Reim darauf machen, aber dann verstand ich es.« Josefine ging nicht auf Bernhard Rösner ein. »Bei dem Auftritt in dem Einkaufszentrum habe ich es zum ersten Mal gesehen. Einer unserer Wichtel verkaufte etwas an zwei Teenager, bei dem ich mir sicher war, dass es keine Schokolade war. Außerdem haben andere Geschäftsleute hier in Titzelsee beobachtet, wie einige unserer Leute mit Drogen gehandelt haben, und mir davon berichtet. Gestern Nachmittag bin ich schließlich durch einen Zufall bei Theos Tanztee in einer Gruppe von Freunden und Bekannten unseres Kunden Gotthilf Drobler gelandet und habe beobachtet, wie Jonas Wimmer fleißig Geschäfte gemacht hat. Gustav Droblers Freundinnen klärten mich dann über die Art der Geschäfte und deren Regelmäßigkeit auf. Es passte alles zusammen. Die Mitarbeiter der Agentur verkaufen Drogen.«

»Machst du jetzt einen auf Hercule Poirot, oder was wird das?«, maulte Beate ungeduldig. »Komm mal zu Potte.«

Josefine räusperte sich. »Um es kurz zu machen: Ich bin Jonas gefolgt. Bis zu der Wohnung, in der er Nachschub holen wollte. Ich musste herausfinden, wer dahintersteckte.«

»Hast du es herausgefunden?«, fragte Bärbel Rosenbusch.

»Ja. Ich kannte den Namen auf dem Klingelschild leider nur zu gut«, gab Josefine zur Antwort, ohne Bärbel anzuschauen. Stattdessen sah sie zu Candan und fixierte sie. Die erwiderte kurz ihren Blick und schaute dann an ihr vorbei zur Eingangstür. Im selben Moment bemerkte Josefine hinter sich einen Luftzug. Candan stand auf, schob den Stuhl zur Seite und ging an Josefine vorbei, um den Neuankömmling zu begrüßen.

»Lennart. Schatz. Was machst du denn hier?«, fragte sie verwundert.

Josefine drehte sich um und stand auf. Candans Freund, ein hübscher Kerl mit hellen Locken, stand in der Tür. Kalte Luft wehte in den Raum und trug den Geruch von Schnee herein. Candan umarmte ihn, gab ihm einen Kuss auf die Wange. An seiner Schläfe klebte ein Pflaster.

»Es ist gerade ganz schlecht. Wir hatten hier einen Einbruch«, erklärte sie ihm, blieb aber an seiner Seite stehen. »Josefine hat gesagt, sie vermutet, dass Leute aus der Agentur mit Drogen handeln, und …« Sie griff nach Lennarts Hand. Ihre Stimme klang brüchig. »Sie meint, Beates Tod sei kein Unfall gewesen.«

»So. Denkt sie das?« Lennart schaute Josefine über Candans Kopf hinweg für eine Sekunde mit reglosem Gesichtsausdruck an. Er lachte steif.

Josefine schnupperte. Sie schloss die Augen, konzentrierte sich. Es roch nicht nur nach Schnee. Über dem klaren Geruch der Winterluft hing ein Hauch von Meer und Weihrauch. Der Schneemann. Diesen Geruch hatte sie gestern wahrgenommen, kurz bevor sie niedergeschlagen wurde. Sie öffnete die Augen wieder und starrte Lennart an. Er war der Schneemann.

Etwas in ihrem Gesichtsausdruck musste ihn gewarnt haben. Auf einmal hatte Lennart ein Messer in der Hand. Er zog Candan an sich, presste die Spitze des Messers an ihren Hals.

Candan erstarrte. Sie versteifte sich, versuchte den Kopf zu drehen, um ihm ins Gesicht zu sehen.

»Lennart, was machst du?«, schrie sie panisch.

Lennart presste sie fester an sich.

»Du bist gestern Abend hier eingebrochen.« Josefine trat einen Schritt zur Seite. »Du hast mich niedergeschlagen.«

Der Name an der Klingel der Drogenwohnung war der von Candan gewesen. Aber nicht sie war diejenige, die Mitarbeiter der Agentur als Drogendealer beschäftigte, sondern ihr Freund Lennart. Für einen kurzen Moment fühlte Josefine sich unendlich erleichtert, dass Candan ebenso ein Opfer war wie sie und Beate. Dann holte die Realität sie wieder ein.

»Stehen bleiben. Niemand rührt sich vom Fleck«, sagte Lennart ruhig. »Ich möchte ihr nicht wehtun müssen.«

»Ist es so auch mit Beate gewesen? Hat meine Schwester dich bei dem Einbruch überrascht? Du hast sie gestoßen, und als sie verletzt auf dem Boden lag, hast du zugesehen, wie sie starb?«

»Unsinn. Sei still.« Lennart bewegte sich mit Candan vor seinem Körper rückwärts in Richtung Ausgang. Er warf Bernhard Rösner einen raschen Blick zu. Der rührte sich nicht.

»Oder bist du gegangen, und es war dir einfach egal, was mit ihr passieren würde? Hattest du keine Angst, dass sie dich erkannt hat?« Josefine fiel ein, was Beate gesagt hatte. »Ach nein, du hattest ja deinen Schal über das Gesicht gezogen, richtig?«

Candan gab einen gequälten Laut von sich. Sie wand sich in seinem Klammergriff, bäumte sich auf. Lennarts Hand mit dem Messer zuckte. Eine dünne Blutspur lief über Candans Hals. Wieder machte er einen Schritt zum Ausgang hin. Die Angst in Candans Augen war echt. Hätte Josefine noch Zweifel an Lennarts alleiniger Täterschaft gehabt, dieser Anblick hätte sie spätestens in diesem Moment ausgeräumt.

»Er darf Candan nichts tun.« Beate lief zu Lennart, versuchte vergeblich, nach seinen Händen zu greifen. Sie stellte sich vor die Tür, breitete die Arme aus.

Josefine spürte ihren Puls in Hals und Wangen und wusste nicht, was sie tun sollte. Solange er Candan in seiner Gewalt hatte, konnte sie nichts gegen ihn unternehmen. Ihre einzige Chance, ihn zu überwältigen, bestand in einem Moment der Ablenkung.

Sie schaute zu Bärbel Rosenbusch und Bernhard Rösner, die bewegungslos auf ihren Stühlen saßen. Bärbel mit einem Ausdruck in den Augen, der ihr Entsetzen und ihr Erstaunen preisgab, Bernhard Rösner mit gesenktem Kopf, beide Hände auf der Tischplatte. Er atmete schwer. Josefine schaute Beate direkt in die Augen. Sie musste helfen.

Die Türklingel. Josefine sagte die Worte laut und deutlich in ihren Gedanken. Die Türklingel. Und noch einmal: Die Türklingel. Es musste einfach klappen. Ihre Schwester musste sie verstehen.

Beate erwiderte ihren Blick.

Die Türklingel.

Beate nickte. Okay.

Josefine hörte die Stimme in ihrem Kopf so laut und klar, als hätte die andere sie ausgesprochen. Beate hatte verstanden.

Sie sah, wie ihre Schwester sich konzentrierte, die Hand hob, mit spitzen Fingern nach dem Hebel griff. Die Finger glitten durch das Material wie durch Wasser.

»Verdammt.« Beate sah sich hektisch um, ließ die Hände sinken. Dann versuchte sie es erneut. Wieder vergeblich. Sie sprang hoch, schlug mit der Faust gegen die Klingelanlage, aber ihre Hand fuhr einfach hindurch.

Lennart ging einen weiteren Schritt rückwärts auf die Tür zu. Noch einer, und er hätte sie erreicht. Er stand nun so dicht vor Beate, dass ihre Brust seinen Rücken berührte.

»Du tust ihr …«, schrie Beate und ließ sich nach vorne fallen, »… nichts!«

Lennart. Beate.

Lennarts Hand mit dem Messer krampfte. Es sah aus, als kämpfte er mit sich selbst. Er riss die Augen auf, schrie. Josefine hörte beide Stimmen. Lennarts Hand öffnete sich unendlich langsam. Das Messer fiel zu Boden. Josefine sprang vor, trat es zur Seite.

»Bitte entschuldige«, sagte sie, bevor sie weit ausholte, ihre Hand zur Faust ballte und sie Lennart mit aller Kraft an den Kopf schlug. Sie traf die Schläfe. Lennarts Kopf ruckte. Seine Augen flatterten. Dann sank er zu Boden.