»Ich habe sie seitdem nicht mehr gesehen.« Josefine stand am Steg. »Wir haben ihren Mörder gefunden. Damit war alles getan.« Sie stieß einen tiefen Seufzer aus.
Nach Bernhard Rösners Festnahme hatten sich viele Fragen geklärt. Er hatte ein vollständiges Geständnis abgelegt. Beate war ihm und seinen Drogengeschäften auf die Schliche gekommen. Das Netz des »Zwarte Piet« bestand seit vielen Jahren. Solange er den Kiosk besessen hatte, war dieser der Dreh- und Angelpunkt gewesen. Seinen Job in der Agentur machte er nur, um einen ehrbaren Deckmantel zu haben. Kommissar Eichner hatte Josefine allerdings berichtet, er hätte den Eindruck gehabt, Bernhard Rösner habe gerne den Weihnachtsmann gegeben und bedauere den Verlust dieses Jobs mehr als alles andere.
Seine Abwesenheit bei Beates Trauerfeier hatte sich aber nicht zu dem berühmten rosa Elefanten entwickelt, an den alle denken müssen, obwohl er nicht da ist. Im Gegenteil. In der Runde der Trauergäste war keiner zu viel und auch nicht zu wenig gewesen. Ein kleiner Kreis. Josefine und André, Candan, Bärbel und Svenja sowie einige der Studentinnen und Studenten. Auch Uwe Madel war gekommen. Sie hatten einen langen, bunt geschmückten Tisch in die Mitte des Ausstellungsraums in Andrés Bestattungsinstitut gestellt, und Josefine ließ es sich nicht nehmen, an jede Urne einen Luftballon zu binden. Sie hatten zusammen gegessen, getrunken, geredet, geweint und gelacht. Uwe Madel hatte ein Gedicht vorgetragen, voller Lebensfreude und Hoffnung. Zum Schluss fing es an zu schneien, und sie waren hinausgegangen, um im Schnee auf Beates Lieblingslieder zu tanzen. Denn schließlich war dieser Tag, der 21. Dezember, auch Beates Geburtstag gewesen, und auf Geburtstagen wurde getanzt.
André umarmte Josefine von hinten und legte sein Kinn auf ihre Schulter. Sie lehnte den Kopf an seinen. Er hatte erstaunlich gelassen auf ihr Geständnis reagiert, dass sie den Geist ihrer Schwester sehen und mit ihr reden konnte. Sie hatte Angst gehabt, er würde sie für verrückt halten, aber das war nicht geschehen. Vielleicht hatte er als Bestatter aber auch so viele verschiedene Spielarten der Trauer erlebt, dass ein Geist nur eine weitere Variante war, die er ebenso wie alle anderen akzeptierte.
Er hatte auch nichts gesagt, als Josefine, nachdem Beate wieder eingefallen war, wo sie es abgelegt hatte, unter den Zeitschriftenstapeln auf der Toilette das Testament gefunden hatte. Candan sollte die Agentur erben und das Geld an eine soziale Einrichtung gespendet werden, stand darin. Es war nicht unterschrieben gewesen. Beate hatte Josefine aufgefordert, es zu verbrennen, und neue Anweisungen erteilt: Die Agentur bräuchte zwei Chefinnen – sie, Josefine, und Candan – und wegen der dringend zu erhöhenden Löhne ein finanzielles Polster in Höhe von einhunderttausend Euro.
»Aber das muss dann auch reichen«, hatte Beate gesagt und ihr großzügig gestattet, die soziale Einrichtung zwecks Restgeldspende eigenverantwortlich auszuwählen.
»Danke, Beate!«, rief sie laut über den See. »Ohne dich und vor allem ohne das, was hier passiert ist, hätte ich nicht erkannt, was ich wirklich will und was ich kann. Wozu ich fähig bin.« Sie spürte, wie eine Träne über ihre Wange lief, wischte sie mit dem Handrücken fort und lächelte. »Lass uns nach Hause fahren«, sagte sie zu André, befreite sich sanft aus seiner Umarmung und streckte die Hand nach ihm aus. Er zog sie wieder an sich und küsste sie. Dann drehten sie sich um und gingen gemeinsam zum Wagen.
Beate saß auf einem angeschwemmten Baumstamm, weit genug entfernt, um nicht von Josefine entdeckt zu werden. Sie beobachtete, wie die beiden zum Auto gingen, einstiegen, und der Wagen langsam über die Schotterpiste davonrollte. Sie lächelte. Die Zukunft der Agentur war gesichert. Candan und Josefine würden sie gemeinsam führen. Sie hatten entschieden, die Hälfte des Geldes an die Drogenhilfe zu spenden. Die beiden würden sich auf die Suche nach einem neuen Weihnachtsmann-Darsteller machen müssen. Gotthilf Drobler war da ein ganz heißer Kandidat. Josefine würde ihn sicher überzeugen können.
Beate sah Josefine und André nach. Die beiden brauchten jetzt erst einmal Zeit für sich. Heute war Heiligabend. Ein perfekter Tag für einen Anfang. Sie selbst würde für eine Weile fortgehen und Dinge tun, die Geister so taten. Wobei sie erst einmal herausfinden musste, welche Dinge Geister denn in der Regel so taten.
Aber das war egal. Hauptsache, es machte Spaß.