Ich wachte auf, als wäre ich geohrfeigt worden. Meine Halskrause war ab. Ich lag auf dem Rücken. Ed stand neben dem Massagetisch und schaute auf mich herunter.
Wie lange habe ich geschlafen?
Er strich sich eine wuschelige Haarsträhne aus den Augen, die sofort wieder zurückfiel.
Nur ein paar Tage.
Eine ganze Weile überlegte ich, ob ein paar Tage Schlafen zum Kleingedruckten gehörte, das ich nicht gelesen hatte. Ich konnte mich kaum daran erinnern, in die Praxis gekommen zu sein und etwas unterschrieben zu haben, ja nicht mal daran, wie die Therapiestunde begonnen hatte – nur an das leere, komplett weiße Zimmer, keine Musik, kein Empfangstresen, zwei dicht beieinanderstehende weiße Stühle in einer Ecke wie ängstlich am Boden kauernde Zwillinge.
Das war ein Scherz, sagte er, du hast ein paar Minuten geschlafen. Das passiert oft während dieser ersten Analyse. Ich hoffe, Chandra hat dich vorgewarnt, dass meine Deutungen eine starke Wirkkraft entfalten.
Ich sagte, das habe sie, dabei wusste ich noch immer so gut wie nichts darüber, was PAKing war und wie es funktionierte. Vielleicht, dachte ich besorgt, diente PAKing diesem Mann nur als Vorwand, als eine Methode, Frauen dazu zu bringen, dass sie sich bis auf die Unterwäsche auszogen und in seiner Praxis einschliefen. Seit ich so absurd dünn geworden war, hatte ich bemerkt, dass mich gewisse Männer, Typ pädophiler Vampir, mit einem gewissen Blick bedachten. (Wie leicht wäre es, mich zu erobern, sich über mich erhaben zu fühlen.) Ed schien nicht zu dieser Sorte Mann zu gehören, obwohl, wenn ich an die Legionen halb bewusstloser, verzweifelter Frauen dachte, die mir hier wahrscheinlich vorausgegangen waren, ließ sich leicht vorstellen, wie er ihre Füße befummelte, während er vorgab, ihre Aura zu lesen, oder vielleicht auch nur ihre unbekleideten Körper begaffte und dabei nutzlos gute Gedanken in ihre Richtung schickte, oder schlimmer noch, in die bloße Hand abspritzte, oder viel schlimmer noch – alles Mögliche tat, aber gesund zu werden war wichtiger für mich, als mich vor jemandes hypothetischer Abartigkeit zu schützen. Und was, wenn meine Skepsis nun bereits gegen mich arbeitete, wenn ich mir damit nur verscherzte, was immer Ed in einer für mich noch nicht erkennbaren Dimension ganz legitim tun oder heilen könnte?
Wie geht es ihr übrigens?
Wem?
Chandra – wie geht es ihr?
Ach so. Gut, glaube ich.
Natürlich, sagte er, und so, wie er nickte und lächelte, schien mir, dass er sehr viel mehr über Chandra wusste als ich.
Ich berührte meinen Hals und spürte, dass der pochende Schmerz nur noch ein warmes Kribbeln war.
Die Krause wirst du nicht mehr brauchen. Der Teil war leicht, aber die Analyse hat mehrere Blockaden aufgedeckt, deren Auflösung sehr viel länger dauern wird, also … ich muss dich fragen, Mary – bist du zu dieser Arbeit wirklich bereit?
Ich glaube sch-
Du brauchst dich nicht in Worten auszudrücken, unterbrach er mich. Ich spreche mit deiner Aura … Okay?
Wir schwiegen lange, hatten die Augen dabei aber offen. Ich lag nach wie vor einfach nur da. Er stand nach wie vor neben mir. Wenn er mit meiner Aura sprechen wollte, müsste er doch konzentriert wirken, dachte ich, anstatt nur so vor sich hin zu starren, als wartete er auf einen Bus.
Okay?, fragte er noch einmal. Ist das okay?
Jetzt schaute er auf meine Knie. Er hob eine Hand, als hätte er eine Frage, und ließ die andere Hand über meinem Kopf kreisen.
Okay?
Ich war mir nicht sicher, ob ich antworten sollte, hielt es eher für nicht angebracht und konnte aus irgendeinem Grund doch nicht anders.
Ist das –
Schsch …
Die Hand über meinem Gesicht zitterte leicht.
Ich warte, sagte er, also warteten wir beide eine Weile, vielleicht war es eine Minute, vielleicht waren es fünf, bis er schließlich die Hände sinken ließ.
Dies wird einige zusätzliche Anstrengungen erfordern, aha.
Er kniff sich in die Nasenwurzel, als hätte sie die Funktion, etwas in ihm an- oder auszuschalten. Mein Fuß hatte zum ersten Mal seit einer Woche aufgehört zu zucken, und die Ansammlung schmerzhafter Knoten, die am Morgen an meinem rechten Arm aufgetaucht war, hatte sich aufgelöst und in meinen Körper zurückgezogen. Ed saß am anderen Ende des Zimmers auf etwas Hängemattenähnlichem. Ich wusste nicht, ob ich mich schon bewegen durfte oder nicht, und auch nicht, ob ich ihn ansehen oder ansprechen sollte. Ich schloss die Augen.
Also, Mary … Hier fängt die ernsthafte Arbeit an. Chandra hat dich über die Ernsthaftigkeit dieser Arbeit doch aufgeklärt, oder? Über die Konzentration und Achtsamkeit, die du zu gleichen Teilen hierfür aufbringen musst, damit wir Fortschritte machen?
Ich sagte erst einmal nichts, unsicher, ob er noch immer mit meiner Aura sprach.
Jetzt darfst du dich in Worten ausdrücken, Mary. Ist dir klar, wie zutiefst ernsthaft diese Arbeit ist?
Ja, sagte ich, aber ich weiß jetzt, dass es mir damals nicht klar war und vielleicht nie klar geworden ist (ernsthaft im Gegensatz wozu?). Klar war mir nur, dass Ed auf seine Art schon jetzt Schmerzen in mir gelindert hatte, die gegen Tausende Dollar teure Behandlungen resistent gewesen waren, wobei ich nicht sicher sein konnte, ob Ed dafür auf ähnliche Weise verantwortlich war, wie Penizillin oder Zuckertabletten es sein können. Es gab keine Erklärung dafür, was er mit mir gemacht hatte – ich fühlte mich fast normal. Ich wappnete mich für ein neues Symptom oder die Wiederkehr eines alten, doch nichts geschah.
Hör zu – und ich sage das nicht, um dich zu erschrecken –PAKing wird deine Lebensweise von Grund auf verändern – deine Beziehungen zu anderen, den Begriff, den du dir von dir selbst machst – alles. Wenn du dich entscheidest, einen ganzen Zyklus zu absolvieren, werden dein Leben und dein Körper nie mehr dieselben sein.
Eine Weile lauschten wir dem weißen Rauschen der Geräuschgeneratoren. Ich dachte, wie sehr ich mir wünschte, dass sich alles in meinem Leben veränderte.
Ist dir das Konzept des Pneumas geläufig?
Nicht so richtig.
Nicht so richtig – inwiefern?
Ed schien nie darauf aus, mein Vertrauen zu gewinnen, was dazu führte, dass es wuchs. Sein Ton war schroff und flapsig zugleich. Er trug jeden Tag dieselben schlabberigen Hanfhosen und -tuniken. Manchmal hatte er ascheähnliche Flecken im Gesicht, die nur halb unbeabsichtigt wirkten.
Ich meine nur, dass mir Pneuma nicht viel sagt. Es hat irgendetwas mit der Seele zu tun, glaube ich …
Die wörtliche Übersetzung aus dem Griechischen ist »Atem«, aber als Konzept meiner Heiltätigkeit bezieht es sich auf die schöpferische Lebenskraft in jedem von uns. Kinästhesie ist ebenfalls griechischen Ursprungs und bedeutet, grob gesagt, »Wahrnehmung von Bewegung« – eine Frage, Mary. Bewegst du dich gerade?
Ich lag immer noch reglos auf dem gepolsterten Tisch, also sagte ich Nein, obwohl ich wusste, dass er nur gefragt hatte, um mich korrigieren zu können.
Falsch. Dein Körper bewegt sich im Moment sogar ganz enorm, weit mehr als nötig. Folgendes ist mit dir geschehen: Dein Pneuma befindet sich in einem Zustand von Chaos und Stress, der es in ständige Bewegung versetzt, aber die Wahrnehmung dieses Chaos ist aus Angst unterdrückt worden. Besagte unkontrollierte pneumatische Unruhe besteht schon so lange, dass sie sich in die physische Sprache deines Körpers übersetzt hat. Daher all deine Symptome – dein Pneuma versucht, sowohl ignoriert als auch behandelt zu werden. Es ruft um Hilfe und will gleichzeitig verhindern, dass es diese Hilfe bekommt.
Es war erleichternd, jemanden erklären zu hören, was mit mir nicht stimmte, was passiert war. Niemand sonst, keiner der Ärzte in ihren weißen Kitteln oder ihrer OP-Kleidung – manchmal komisch gemustert, wenn einer versuchte, an einem Ort der zerschmetterten Knochen und toten Herzen Humor zu zeigen –, keiner dieser Leute hatte auch nur den Versuch gemacht, mir etwas zu erklären. Alles, was sie sagen konnten, war, dass sich nichts mit Gewissheit sagen lasse, Körper seien ein Mysterium und selbst Bluttests, Ultraschalluntersuchungen, Röntgenaufnahmen, MRTs nur zaghafte Vermutungen. Ganze Krankenhäuser zuckten mit den Schultern.
Aber nun gab Ed mir eine Antwort: das Pneuma. Es spielte keine Rolle, ob ich an das Pneuma glaubte oder nicht. Es spielte nicht mal eine Rolle, ob er recht hatte. Es war eine Erklärung. Eine Geschichte.
Die Wurzel deiner Symptome ist tief in dein nichtkörperliches Selbst eingebettet und damit verflochten, kein Wunder also, dass die westliche Medizin dir nicht geholfen hat.
Eds Haarsträhne bewegte sich im Luftzug. Ich hatte das merkwürdige Gefühl, dass die Zeit sich irgendwie gebogen hatte, dass sie diagonal auf mich zukam. Meine Kopfhaut war schweißnass.
Dein energetischer Körper sagt mir, du wünschst dir so dringend, geheilt zu werden, dass du deiner Heilung damit selbst im Weg stehst. Ist dir das bewusst?
Komisch, oder? Anscheinend kann man sich etwas so sehr wünschen, dass man alles daransetzt, es nicht zu bekommen. Rasend komisch.
Das könnte stimmen, sagte ich.
Er nickte langsam und vielsagend, die Moral zu seiner eigenen Geschichte. Alle deine Probleme und alle Antworten auf diese Probleme existieren innerhalb der Grenzen deines Körpers.
Mir war, als müsste ich gleich weinen, auch wenn ich nicht wusste, warum. Hinter meinen Augen summte es, aber es kam nichts heraus. Ed nahm einen hellgrauen Stein, trat wieder an die Liege und hielt ihn ein paar Zentimeter über meinen Nasenrücken.
Ich habe ein deionisiertes Feld um deinen Körper herum erzeugt, eine temporäre Schiene für deine Aura, das verschafft deinem Pneuma ein wenig Erleichterung, aber um eine bleibende Lösung herbeizuführen, müssen wir in den nächsten paar Monaten, vielleicht auch länger, einen ganzen PAKing-Zyklus durchlaufen. Das ist teuer, ich weiß, aber ich muss dich auf jede PAKing-Sitzung einen ganzen Tag lang vorbereiten, und du brauchst mindestens zwei Tage, um dich davon zu erholen. Auf meiner Warteliste stehen ein Dutzend Menschen, aber wegen Chandras Empfehlung und deiner Verfassung würde ich schon nächste Woche mit dir anfangen.
Er bewegte den Stein in einem Bogen über meinem Gesicht und berührte mich leicht an beiden Schläfen. Irgendwie war klar, dass ich nichts zu sagen oder zu tun brauchte.
Aber fürs Erste führe ich jetzt einige drastischere energetische Manöver durch, um die erwähnten Blockaden zu lösen. Du kannst uns dabei helfen, indem du versuchst, dich vollkommen zu entspannen, auf deinen energetischen Körper zu achten und dich meiner Führung anzuvertrauen.
Er legte mir den Stein aufs Brustbein und schloss die Augen, breitete dann die Hände aus und hielt sie über meinen Brustkorb. Ich versuchte, meinen Kopf zu leeren, und vielleicht gelang mir das, oder ihm gelang es, jedenfalls verschwamm der Rest der Behandlung, und ich erinnere mich nur noch an den langsamen Spaziergang nach Hause, bei dem mein Fuß nicht zuckte und die Halskrause halb aus meiner Tasche schaute. Ich hatte weder Schmerzen noch keine Schmerzen. Mir war, als packten mich mehrere starke Hände an den Beinen und am Rücken und drückten die Muskeln dichter an meine Knochen.
Nicht kämpfen. Nicht fliegen, sagte Ed, als ich ging. Schwebe einfach.