Der Sprachnebel der »Motivation«
»Motivieren – aber richtig!« – »Erfolgreich motivieren« – »Motivationshilfen für die Praxis«, so lauten die Titel einiger Meter Aufrüstungsliteratur, die zum Thema Mitarbeitermotivation erschienen sind. »Erfahrung in der Motivation von Mitarbeitern« ist eine der meistgeforderten Qualifikationen in Stellenanzeigen für Führungskräfte.
»Motivieren können« gehört damit zweifellos zu den vorrangigen Managementfähigkeiten. Kaum ein Training, in dem lerntheoretische oder psychologische Motivationstheorien nicht im Mittelpunkt stehen; kaum eine Führungslehre, kaum ein Aufsatz über Führung, in dem nicht ein Kapitel dem »leistungssteigernden Antreiberverhalten« der Vorgesetzten gewidmet ist. Arbeit am Mythos.
Leistungssteigerung – das ist das Ziel der Anstrengung. Es setzt voraus, dass da etwas zu steigern ist und dass es sinnvoll ist, dies zu tun. Das treibt mitunter skurrile Blüten: »Trance-Motivations-Cassetten« eines Münchener Anbieters versprechen dem Anwender, durch »gezielte Motivation des Unterbewusstseins seine gesteckten Ziele … zu erreichen«. Je nach Bedarf: »Befreiung von Schuldgefühlen«, »Schluss mit dem Haarausfall«, »Ich werde geliebt«. Seither flattern die Haare, rauschen die Liebesschwüre auf den Chefetagen …
Synonym für Führung
»Motivation« ist heute ein Schlüsselwort, geradezu ein Synonym für »Führung«. Zugrunde liegt die Vorstellung von etwas latent
|24|Vorhandenem, der Motivation nämlich, die unausgeschöpft vor sich hin dümpelt, bis sie durch geeignete Intervention (Führung) »angefacht« wird, um alsdann wieder in die Latenzphase abzusinken, weil der Mensch halt zur Trägheit neige.
»Motivieren« hat daher etwa diesen Bedeutungsumfang:
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Jemanden mit Motiven ausstatten, die dieser vorher nicht hatte.
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Jemanden bei seinen Motiven »abholen« und Möglichkeiten zu ihrer Realisierung bieten.
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Verhaltensweisen mit subjektiver Bedeutung/Wichtigkeit aufladen.
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Begeisterung entfachen.
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Anreizen.
Wenn Führen heißt, Mitarbeiter zielbezogen zu lenken, so ist die Verbindung mit Motivieren auch sprachgeschichtlich (lat.: movere = bewegen) belegt. Und dennoch ist diese Nähe irreführend, ob nun bewusst eingesetzt oder verschämt ignoriert. Denn Motivation ist ein komplexer und vieldeutiger Begriff.
Motivation – Motivierung
Mit dem Wort »motivation« können Amerikaner etwas anfangen; die Eindeutschung ist unscharf: Gemeint sind die Beweggründe als eine Antwort auf das »Warum« des Verhaltens. »Wie auch immer Motivation definiert werden mag, ihr Studium betrifft die Begründung menschlichen Verhaltens, meint immer dasjenige in und um uns, was uns dazu bringt, treibt, bewegt, uns so und nicht anders zu verhalten.« So ein Handbuch-Artikel. In diesem Sinne geht das Nachdenken sogar zurück auf eines der frühesten Dokumente der Motivationsforschung: die Bibel.
Heutige Organisationspsychologen und Verhaltensforscher fragen: »Warum wählt ein Mitarbeiter diese Firma und nicht vielmehr jene?« – »Warum ist er engagiert bei dieser, weniger bei jener Arbeit?« – »Warum strengt sich Herr Meier nicht mehr an, obwohl doch eine so attraktive Incentive-Tour auf ihn wartet?«
Unter Motivation wird also zunächst der
Zustand aktivierter |25|Verhaltensbereitschaft des Mitarbeiters verstanden. Hohe Leistung erbringt der Mitarbeiter, weil er sich für die Arbeit selbst (intrinsisch) interessiert. Dies ist die eigentliche »Motivation« im reinen Wortsinn. Verfolgt man den Ursprung des Wortes (lat.: in movitum ire = in das einsteigen, was [den Menschen] bewegt), so kann man dieses »Einsteigen« zweifellos als rezeptives »Verstehen« der Beweggründe interpretieren. Man kann es aber auch als ein interessegelenktes »Aufgreifen« und »Ausnutzen« interpretieren und daraus nicht nur die Möglichkeit, mehr noch die
Notwendigkeit effektiven und verantwortungsbewussten Führens ableiten.
Genau hier springt die Katze kreischend aus dem Sack: Während die Motivationspsychologen im »Warum« herumstochern, fragen die Manager händeringend nach dem »Wie«. »Wie bekomme ich die maximale Arbeitsleistung meiner Mitarbeiter?« – »Wie kann ich der inneren Kündigung vorbeugen?« – »Wie motiviere ich meine Leute dazu, Überstunden zu machen?«
Das Interesse des Managers ist also nicht, warum etwas passiert, sondern wie Verhalten zu beeinflussen ist. Dass er dafür in Zeiten unterschiedlicher Motivationslagen auch in die Niederungen des »Warum« einsteigen muss, um dort, am Individuum anknüpfend, umso wirkungsvoller die Leistung des Mitarbeiters zu steigern, verkompliziert die Sache. Die intensive Nachfrage nach Trainingsangeboten der Marke »How to« ist das Resultat.
Die Suche nach Erfolgsrezepten aber muss scheitern: Sie sind viel zu starr für eine sich permanent wandelnde Umwelt. Sie ignorieren die wesentliche Voraussetzung: die individuelle Persönlichkeit der Führungskraft. Sie ermöglichen lediglich Zugewinn an Verbalmacht, der von den Seminarteilnehmern allerdings als hilfreich begrüßt wird. Und sie blenden – last, but not least – alle Spätfolgen der »erfolgreichen« Motivierung aus.
Unter Motivation wird also auch das
Erzeugen, Erhalten und Steigern der Verhaltensbereitschaft durch den Vorgesetzten beziehungsweise durch Anreize verstanden. Hier wird Leistung erbracht, weil der Mitarbeiter von außen (extrinsisch) angereizt, schlicht
bezahlt wird. Für diese Fremdsteuerung verwende ich den Terminus »Motivierung« in deutlicher Abgrenzung von der Eigen
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Ablauf eines Geschehens kennzeichnet (Isolierung, Zivilisierung), hingegen mit dem Suffix »-(t)ion« eher
zustandsbeschreibende Verbalabstrakta (Isolation, Zivilisation) bildet.
Motivation verhält sich also zur Motivierung wie das Warum zum Wie. Beide sind voneinander abhängig und können daher nicht getrennt betrachtet werden. Ich habe wenig Hoffnung, dass sich die sprachliche Unterscheidung durchsetzt. Für das Folgende aber ist sie unverzichtbar.
Einflüsterungen
»Motivation« – ein sprachlicher Faltenwurf, der die Nähe eines Gedankens ahnen lässt, ohne ihn zu offenbaren. Ich habe früh gespürt, dass er Peinlichkeiten überspielen soll.
Ebenso schamhaft wie bezeichnend nämlich verschleiert die Verwendung des Wortes den Problemkern: Die übliche Sprachverwendung bindet die Einstellungsweise des Geführten schlankweg mit dem absichtsvollen Handeln des Führenden (als dessen Ergebnis die Motivation ja erst entstehen soll) zusammen. Ziel und Weg fallen in eins.
Eine ungenaue oder doppeldeutige Verwendung eines Begriffs bietet dem Missbrauch keinen Widerstand. Aber die verächtliche Weigerung, ihn zu präzisieren, wie man sie in der Managementliteratur antrifft, leistet dem Missbrauch nicht nur weiteren Vorschub, sondern hat System, weiß sich mindestens guter Gründe sicher. Einer dieser Gründe zielt auf das klassische Vorbild der ewig erfolgreichen Führungskraft. So wie die Tätigkeit der motivierenden, nach vorne treibenden Führungskraft unvermittelt mit der Einstellung des Mitarbeiters zusammengebunden wird, flüstert dieses Denken die Zielerreichung als nie gefährdete Selbstverständlichkeit ein: »Der Vorgesetzte muss nur etwas Motivierendes tun, dann stellt sich zwangsläufig die Motivation des Mitarbeiters ein.« Transportiert wird so die Zielerreichungskompetenz der exzellenten Führungskraft, die zwar im Übrigen Mittel und Wege
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Der übliche Sprachgebrauch vermittelt darüber hinaus: »Ihr seid als Führungskräfte verantwortlich für die Motivation eurer Mitarbeiter!« Dies entspricht wiederum dem allseits favorisierten Bild des »machenden« Managers (und nicht etwa dem des »denkenden«). Gefordert ist ein Manager, der das Beste aus seinen Mitarbeitern »herausholt« und dadurch – so die Vorstellung – positive Ergebnisse für sein Unternehmen erzielt.
Jetzt wird klar, warum der Manager etwaige Schuldgefühle bei demotivierten Mitarbeitern empfindet: Er hat dann wohl zu wenig oder nicht das Richtige »gemacht«. Die Führungskraft wird aber immer scheitern, wenn sie blind ist für den Doppelcharakter der Motivation; wenn sie nicht sieht, dass der Unterschied zwischen Eigen- und Fremdsteuerung durch den Sprachnebel der Motivation verschleiert wird.
Es ist also deutlich zu unterscheiden zwischen der
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»Motivation«, die die Eigensteuerung des Individuums bezeichnet und daher diesem ganz allein eignet, ganz allein gehört, und der
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»Motivierung«, als absichtsvollem Handeln eines Vorgesetzten oder Funktionieren von Anreizsystemen, die mithin notwendig als Fremdsteuerung auszuweisen ist.
Motivierung – Manipulation
Die Managementliteratur meidet das konsequente Wort »Motivierung« wie der Teufel das Weihwasser. Ist das Absichtsvolle hier vergleichsweise unverdeckt und damit die Nähe zur Fremdsteuerung, zur Manipulation, zu offensichtlich?
Ja,
Manipulation. Motivierung ist und bleibt Fremdsteuerung, wie man es auch dreht und wendet, bleibt Manipulation (lat. für: mit der Hand ziehen). Der kontrollierende Aspekt ist überdeutlich. Auch dann, wenn man sich in methodisches Drumherumre
|28|den flüchtet. Damit ist über deren moralische Wertigkeit zunächst noch überhaupt nichts ausgesagt.
Manipulation ist die mehr oder weniger heimlich (aber nicht notwendig zum Schaden des Betroffenen) erfolgte Verhaltensbeeinflussung. Mit Kunstgriffen bewegt der Manipulator andere zur Leistung, ohne direkten Widerspruch zu erregen. Er gibt bewusst veränderte, zugespitzte, geschönte, verkürzte oder verfälschte Informationen, um sie zu der erwünschten Handlung zu veranlassen.
»Motivation ist die Fähigkeit, einen Menschen dazu zu bringen, das zu tun, was man will, wann man will und wie man will – weil er selbst es will.« Diese vollmundige Manipulationsverherrlichung Dwight D. Eisenhowers – in Führungshandbüchern ein Gemeinplatz – kaschiert nur noch mühsam den Verlust der Eigensteuerung durch eine scheinbar sprachliche Paradoxie. Der andere soll zur Bedürfnisbefriedigung des einen »benutzt« werden. Das wird aber nicht ausgesprochen. Legitimiert wird es häufig als »notwendiges Übel«, um – gleichsam nebenbei – den Mitarbeiter auch zu seinem eigenen Nutzen zu beeinflussen. Was aber diesen Nutzen ausmacht – das entscheidet der Manipulator. Wichtig dabei ist: Der Manipulator muss von den versteckten Regungen, Bedürfnissen und Schwächen seines Opfers Kenntnis haben.
Für das dazu heute notwendige sensible Eingehen auf die Motive des Mitarbeiters in verführerischer Absicht, das den nun schon Jahrzehnte tobenden Kampf zwischen (legitimer) Motivation und (verabscheuungswürdiger) Manipulation beizulegen scheint, hat ein findiger Kopf (Rolf Balling) den Terminus »Motipulation« geprägt – ironisch gemeint, letztlich jedoch ebenfalls ein Sich-Fortstehlen aus dem Dilemma inkonsequenten Denkens.
Denn wer sagt, man müsse sich in die Motivationslage von Mitarbeitern versetzen, um ihren Motiven Entfaltungsraum zu geben, meint etwas Richtiges und Falsches zugleich. Etwas Falsches, weil kein Unternehmen, keine Sozietät völlig ohne Führung, keine Führung ohne Fremdsteuerung auskommt. Aber dabei kommt es nicht auf motivierendes »Mit-der-Hand-Ziehen« an, sondern auf das Offenlegen der Interessen, auf Verhandlung, auf
Klarheit und
Konsequenz. Zu diesem später mehr.
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